Es ist nur wenig her, dass Julies undurchschaubarer, dandyhafter Geliebter Anthony sich mit einer Überdosis Heroin das Leben nahm, und der Schock sitzt noch tief. Nachdem sie lange Zeit in ihrem Filmstudium nicht sehr engagiert war, überlegt sie nun, ihre Beziehung zum Thema ihrer Abschlussarbeit zu machen. Es wird ein schmerzhafter Prozess. Der Dreh und die Zusammenarbeit mit den Kommiliton*innen laufen suboptimal. Fragen und Kritik kommen nicht nur von der Crew, Julie selbst muss sich ihrer Rolle stellen, sowohl innerhalb der Geschichte als auch als Regisseurin. „Souvenir I“ handelt vom Auf und Ab einer toxischen Beziehung, Teil II ist aber weit mehr als die Fortsetzung. Wie fragmentierte Erinnerungstücke an die Zeit nach Anthonys Tod setzt sich der Film zusammen, Trauerarbeit und künstlerische Entwicklung gehen Hand in Hand. Julie wird sich selbst bewusster, und der Veränderungen, die sie in ihrem Leben vornehmen muss. Wie weit das autobiografisch ist, sei dahingestellt, aber um Authentizität geht es Joanna Hogg ohnehin nicht, sondern um die künstlerische Darstellung der eigenen Sicht. „THESOUVENIR … ist wohl auch deshalb so großartig, weil eine Filmemacherin hier nichts mehr verarbeitet, sondern die Erinnerung an Erleben und Verarbeitung selbst in einen Film verarbeitet. Und dabei ganz beiläufig nachzeichnet, wie sie selbst zu der Filmemacherin geworden ist, die diesen Film machen konnte und wollte. Ein Film à la Annie Ernaux: die eigene Geschichte nicht einfach gestehen, sondern zum Anlass nehmen, sich die Welt anzusehen.“ Till Kadritzke | critic.de
Credits:
GB 2021, 107 Min., engl. OmU Regie: Joanna Hogg Kamera: David Raedeker Schnitt: Helle le Fevre Mit Honor Swinton Byrne, Tilda Swinton, James Spencer Ashworth, Alice McMillan, Oli Bauer, Ariane Labed, Richard Ayoade
„Rund um den Geburtstag von Großmutter Nena und Paco, den Pfau erzählt Laura Bispuri eine wunderbar leichthändige Familiendramödie, die mit Erwartungen spielt und diese dann charmant einlöst. Bei Regisseurin Laura Bispuri ist es nicht der Elefant, der im Raum steht und den doch keiner sehen möchte, sondern ein Pfau, der stolz balzend ein Rad schlägt. Er ist das Bild im Bild, das offene Geheimnis, eigentlich aber das etwas andere Haustier von Enkelin Alma. Der Vogel stolziert durch die Räume, während die Gäste auf dem Geburtstag von Großmutter Nena eintrudeln, sich situieren, erste Gespräche beginnen und das Essen vorbereitet wird. Schwiegertochter Adelina versucht, mit ihrem Geschenk, einem selbst gestrickten Pullover, zu glänzen. Sohn Vito pumpt Schwester Caterina um Geld für seine anstehende Hochzeit an, während diese zu verheimlichen sucht, dass sie sich von ihrem Mann Manfredi getrennt hat. Der insistiert trotzdem, beim Essen dabei zu sein, während seine neue Freundin Joana unten im Auto wartet. Alles könnte in Banalitäten oder Klamauk enden, hätte Bispuri nicht ein grandioses Gespür für Besetzung, Timing und Stil. Und es gibt Paco, den schönen Pfau, der sich inmitten des familiären Durcheinanders in eine Taube auf einem von Nenas Gemälde verliebt.“ Susanne Kim | Indiekino
Diese bewegte, manchmal chaotische Familienaufstellung ist ein Ensemblestück mit 11 Personen und einem Pfau, als wunderbares Durcheinander choreografiert. Die einem möchte sich unbedingt mitteilen, andere lügen oder schweigen, und andere weichen lieber aus. Der arme Pfau jedoch kann garnichts dafür, dass er im Mittelpunkt steht und schließlich als Katalysator für unerwartete Klarstellungen dient. Obwohl, ein wenig dumm verhält er sich schon.
Woody Allen begleitet mich seit eigentlich schon immer. Jedenfalls seit den 70er Jahren, Spielfilme gegen Fernsehserien, zu der Zeit Take the money and run gegen Derrick. Ein Fernseher für zwei Fraktionen, im Einfamilienhaus. Freitagabend bevor Freitag/Samstagabend zu Disco wurden. Das SS Mitglied Herbert Reinecker gegen Allen David Koenigsberg, Paranoia in der Straßenbahn gegen die erste Szene von Annie Hall. Jahrzehnte später macht Woody Allen mit 84 nach Stardust Memories einen weiteren Film im Film, entspannt in San Sebastian, während des Festivals. Wallace Shawn, der mit My dinner with Andrew und Vanya on 42 street von Louis Malle auch im Film dem Theater treu blieb, für das er hauptsächlich arbeitet (auch als Autor), spielt hier die typischste aller Woody Allen Verkörperungen. Intellektuell, banal, verkorkst, hellsichtig, verwickelt, allein im Kosmos für solche wie ihn und deshalb immer in Gesellschaft.
Wallace Shawn lebt also ein Filmfestival lang den Nachmittag eines Fauns aus. Sich seiner eigenen Grenzen nicht bewußt aber diese beharrlich verfolgend. Ein Vergnügen.
Rifkin’s Festival wurde bereits 2019 gedreht, kommt nun aber auch endlich in hiesige Kinos. Wie so oft bei Allen ist dies ein vielschichtiger, warmherziger Film. Noch dazu einer, der das europäische Kino ehrt und zelebriert. In der Hauptrolle agiert Wallace Shawn. Er ist praktisch Woody Allen’s Alter Ego. Als Romanautor gescheitert, als New Yorker Filmdozent nur Anhängsel seiner Frau Sue, begleitet Mort Rifkin sie zu den Filmfestspielen in San Sebastián. Dort macht Sue die PR für den neuen Film des Regisseurs Philippe, den Mort so gar nicht ausstehen kann. Er hegt auch den Verdacht, dass Sue eine Affäre hat. Als er dann die ortsansässige Ärztin Jo kennen lernt, findet er immer wieder neue Gründe, wieso er sie aufsuchen muss. Mort sinniert über seine Beziehungen – und das in Tagträumen, die großen europäischen Filmklassikern nachempfunden sind.
(Peter Osteried, Cineman)
Credits:
ES/US/IT 2020, 92 Min., engl. OmU, Regie: Woody Allen Kamera: Vittorio Storaro Schnitt: Alisa Lepselter mit: Elena Anaya, Louis Garrel, Gina Gershon, Sergi López, Wallace Shawn, Christoph Waltz
Eine Sekunde Film, dafür ist der Häftling aus dem Straflager geflohen. Seine ihn entfremdete Tochter soll so lange in dem Werk, das durch die Provinz tourt, zu sehen sein. Genauer gesagt, in der Wochenschau, und ausgerechnet diese Filmrolle stiehlt das Waisenmädchen Wu. Sie will das Material einer anderen, für sie wichtigen Bestimmung zuführen. Ohne diese Propaganda-Rolle wiederum will der stolze Projektionist des Kinos der zweiten Einheit die Vorstellung nicht beginnen. Es beginnt eine wechselseitige Jagd auf das Diebesgut, mit Verlusten auf aller Seiten. Doch aller Auseinandersetzungen zum Trotz bahnt sich auch eine neue Freundschaft an.
Bevor Zhang Yimous seine „bodenständige und einfache Geschichte“ vor Publikum zeigen konnte, hatte der Film schon eine bewegte Geschichte hinter sich. Bei der Berlinale für den Goldenen Bären nominiert, wurde er kurz vor seiner Premiere aus „technischen Gründen“ zurückgezogen. Gleiches passierte dann 21 Monate und zwei Überarbeitungen später nochmal beim „Golden Rooster and Hundred Flowers Film Festival“. Kurze Zeit später aber wurde der heiß erwartete Streifen in China mit großem Erfolg gestartet.
Hatte Zhang zuvor einige opulente Werke geschaffen, und zuletzt mit „Hero“ auch das Wuxia-Genre bedient, können wir hier zwar auch wunderbare Bilder der Sandwüste bewundern, aber Bilder aus der Kulturrevolution sind insgesamt fürs Schwelgen wohl weniger geeignet.
Eine Sekunde ist eher eine Hommage an den 35mm-Film, an seine Haptik, Sinnlichkeit, die stoffliche Verletzlichkeit des Materials, und dabei an seine Möglichkeiten, sowie an das Kino dieser Zeit. Es wird hier „Heroische Söhne und Töchter“ gezeigt, alternativ wäre nur „Der Kampf zwischen Nord und Süd“ möglich gewesen, denn es gibt nur wenige Filme fürs Landvolk. Das tut der Begeisterung jedoch keinen Abbruch, und der Andrang sorgt immerhin für die ein- oder andere Massenszene.
Credits:
Yi miao zhong 秒钟 CN 2019, 103 Min., mandarin OmU Regie: Zhang Yimou Basierend auf dem Roman „The Criminal Lu Yanshi” von Yan Geling. Schnitt: Yuan Du Kamera: Zhao Xiaoding mit: Zhang Yi, Liu Haocun, Fan We
Vom 22. – 29. Juni findet dieses Jahr das größte polnische Filmfestival außerhalb Polens statt (mehr). Im fsk zeigen wir alle sieben Wettbewerbsbeiträge und zwei Specials:
Bukolika / Bucolic Mutter und Tochter in einem baufälligen, abgelegenen Haus. Das ganze Leben mit seinen alltäglichen Reibereien, kleinen Ausbrüchen und grundlegenden Entscheidungen. PL 2021, R/B/K: Karol Pałka, 70 Min, OmeU, 24.06. 20:00 zu Gast: Karol Pałka [Tickets]
Inni ludzie / Other People Wer einmal einen Text der Star-Autorin Dorota Masłowska gelesen hat, weiß, was ihn/sie erwartet: eine wild schlingernde Handlung, Gesellschaftskritik, massenhaft pop-/kulturelle Zitate, Blicke in die Abgründe urbaner Milieus im frühen 21. Jahrhundert. PL 2021, 106 min, OmdU, R/B: Aleksandra Terpińska, D: Jacek Beler, Sonia Bohosiewicz, Magdalena Koleśnik. 25.06. 20:00 [Tickets]
Mosquito State In einem mutigen, umwerfend bildgewaltigen visuellen Experiment verknüpft Rymsza die Biografie eines Insekts mit der Zukunft der globalen Ökonomie. Er zeigt, dass neue Ansätze radikal gedacht werden müssen – und findet dafür radikale visuelle Mittel. PL/USA 2020, 101 min, engl. OF m. poln. UT, R: Filip Jan Rymsza, D: Beau Knapp, Charlotte Vega, Jack Kesy u. a. 29.06. 20:00 zu Gast: Filip Jan Rymsza [Tickets]
Ostatni komers / Love Tasting Es ist Juni, nur noch wenige Tage bleiben bis zum großen Abschlussball. Dann werden sich die Wege der Gymnasiastinnen trennen und es wird höchste Zeit sich zu entscheiden, wohin die Lebensreise gehen soll. PL 2020, 85 min, OmeU, R/B: Dawid Nickel, D: Mikołaj Matczak, Michał Sitnicki, Sandra Drzymalska u. a. 28.06. 20:00l [Tickets]
Polaków portret własny / Polish Self-PortraitEin Dokumentar-Experiment, in denen die Protagonistinnen zu ihren eigenen Kameraleuten werden und uns ein Jahr lang an ihrem Leben teilhaben lassen. Und das ist alles andere als ereignisarm. PL 2021, 115 min, OmeU, R: Maciej Białoruski, Jakub Drobczyński, Robert Rawłuszewicz, 26.06. 20:00 zu Gast: Maciej Białoruski & Jakub Drobczyński [Tickets]
Sonata / Sonate In der Provinz des Karpatenvorlandes wird bei Grzegorz schon früh Autismus diagnostiziert. Er spricht nicht, kapselt sich von seiner Umwelt ab und vegetiert mangels Therapie vor sich hin – bis in seinem Haus ein Klavier auftaucht. PL 2021, 118 min, OmdU, R/B: Bartosz Blaschke, D: Michał Sikorski, Małgorzata Foremniak, Łukasz Simlat 27.06. 20:00 zu Gast: Bartosz Blaschke [Tickets]
Wszystkie nasze strachy / Alle unsere Ängste Kunst und Gesellschaft sind für Daniel Rycharski untrennbar miteinander verbunden, doch mit seinen Skulpturen und Happenings eckt er bei den unmittelbaren Nachbarn massiv an – vor allem, wenn er darin die Ausgrenzung von LGBT-Personen thematisiert. PL 2021, 91 Min, OmdU, R: Łukasz Ronduda, Łukasz Gutt, Kamil Grzybowski, D: Dawid Ogrodnik, Maria Maj, Andrzej Chyra. 23.06. 20:00 zu Gast: Łukasz Ronduda, Łukasz Gutt & Dawid Ogrodnik [Tickets]
Erotica 2022In fünf Episoden entwerfen Regisseurinnen nach Drehbüchern namhafter Schriftstellerinnen – unter ihnen die Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk und Bestseller-Autorin Joanna Bator – dystopische Visionen über eine nicht allzu fern liegende Zukunft. PL 2021, 137 min, OmeU, R: Anna Kazejak, Anna Jadowska, Kasia Adamik, Jagoda Szelc, Olga Chajdas, D: Agata Buzek, Monika Pikuła, Agnieszka Żulewska, 26.06. 15:00 zu Gast: Anna Jadowska [Tickets]
Film balkonowy / Der Balkonfilm Paweł Łoziński montiert eine Kamera auf dem Balkon, kabelt ein Mikrofon an den Zaun und beginnt, den Passant*innen scheinbar planlos und naiv Fragen nach ihrem Woher und Wohin zu stellen. Von nun an legt er sich ein Jahr lang auf die Lauer. PL 2021, 100 min, OmdU, R/B/K: Paweł Łoziński, S: Paweł Łoziński, Piasek & Wójcik 25.06. 15:00 zu Gast: Paweł Łoziński [Tickets]
Hat er seine Pillen genommen oder nicht? Habe er, beteuert Damien, aber Leïla kann ihm nicht glauben. Jeden Tag gibt es mehr kleine Anzeichen für die nächste manische Episode, ihr Mann entgleitet ihr Stück für Stück. Der erfolgreiche Maler und die Restauratorin leben mit ihrem Sohn Amine in einem geräumigen Hof auf dem Land nahe dem Meer. Damiens Bipolarität macht allen dreien einzeln das Leben schwer, und dazu das Zusammenleben schwierig. Sie streiten, sie schreien, aber sie lieben sich auch leidenschaftlich. Die Liebe zu erhalten, ist schon für andere schwierig genug, mit dieser Krankheit aber eine extreme Herausforderung. Als eine große Ausstellung seiner Werke ansteht, verweigert der euphorische, energiegeladene Damien vollends die Medikation. Leïla ist am Ende und lässt ihn ins Krankenhaus einweisen, nicht zum ersten Mal. Aber auch seine Abwesenheit macht sie fertig. Was kommt danach? Was passiert, wenn eine Krankheit die Kontrolle übernimmt, über die Umgebung, die Beziehungen? „Der gequälte männliche Künstler wird vom Kino regelmäßig verwöhnt: In zahllosen Filmen werden kreative Männer beschrieben, die sich im Dienste ihres Genies schlecht benehmen, wobei die unschöne Realität ihrer psychischen Gesundheit oder die Auswirkungen ihres Verhaltens auf andere nur ein Lippenbekenntnis ist. Mit diesem außergewöhnlich bewegenden und klug beobachteten Film bietet der belgische Filmemacher Joachim Lafosse so etwas wie ein Korrektiv, und zwar ein spannendes, verstörendes.“ Dave Calhoun | timeout
Credits:
Les Intranquilles BE/LU/FR 2021, 118 Min., frz. OmU, Regie: Joachim Lafosse Kamera: Jean-François Hensgens Schnitt: Marie-Hélène Dozo mit: Leïla Bekhti, Damien Bonnard, Gabriel Merz Chammah, Patrick Descamps
Trailer:
The Restless / Les Intranquilles (2021) – Trailer (English subs)
Jan und Nina leiten eine Werbeagentur und leben mit ihren Kindern Emma und Max in Hamburg. Ein Ausflug in ihr geliebtes Wochenenddomizil an der Belgischen Küste beginnt dramatisch: es ist jemand ins Haus eingedrungen, und hat bei Ankunft der Familie die Flucht ergriffen. Außer dass Max‘ zahme Ratte den Schreckmoment ebenfalls zur Flucht nutzt, ist aber kein Schaden zu entdecken. Trotzdem ist das Sicherheitsgefühl an diesem Ort verschwunden, und weitere Vertrauensverluste folgen. Nun kennen wir ja den „Rashomon-Effekt“: ein Ereignis wird von allen Beteiligten unterschiedlich erlebt und beschrieben, was zu verschiedenen Interpretationen und Handlungsoptionen führt. Allerdings sehen wir hier nun nicht nur nach und nach die Sichtweisen der fünf – ja, Ratte Zorro ist auch dabei und hat eine recht plausible Sicht auf die Dinge – Anwesenden, sondern auch andere Geheimnisse kommen ans Licht, wie Jans heimliche Zusage zu einem delikaten Auftrag, gegen den Willen seiner Partnerin.
„Während sich das Quartett in der Gefahr zunächst näher kommt, um dann aber zunehmend die Bodenhaftung zu verlieren, irritiert Regisseur Ronny Trocker überdies mit einer nicht-linearen Erzählweise, die das anfängliche Familiendrama allmählich in einen auf explizite Horroreffekte verzichtenden Thriller verwandelt. Die Bedrohung aus dem Inneren der Figuren droht dabei in die ohnehin multiperspektivisch ausfransende Handlung durchzudringen. Selbst die Tatsache des Einbruchs gerät ins Wanken. Vielleicht waren es gar keine Diebe, sondern Aktivisten, die Jans Kampagne für die extremistische Partei ablehnen? Oder doch nur eine kollektive Einbildung von Menschen, die zu lange aneinander vorbeigelebt haben? … ein psychologisch konzentrierter, aber gerade durch seinen unspektakulären Gestus beunruhigender und zutiefst beeindruckender Film.“ Alexandra Wach | Filmdienst
Credits:
DE, DK, IT 2022, 102 Min., frz., dt. OmU, Buch & Regie: Ronny Trocker Kamera: Klemens Hufnagl Schnitt: Julia Drack mit Mark Waschke, Sabine Timoteo, Jule Hermann, Wanja Valentin Kub
Einfach Sterben ist es nicht. Es ist nicht einfach zu sterben. Julianes Mutter ist erst 64 Jahre alt. Sie ist schwer krank und lebt in einem Pflegeheim. Jetzt will sie sterben und hört auf zu essen und zu trinken. Juliane begleitet ihre Mutter dabei. Freunde und Bekannte kommen zu Besuch. Sie nehmen Abschied. Juliane auch, ganz langsam. Das Sterben dauert, dabei ist es recht friedlich, manchmal provozierend. Der Ausgang steht bereits fest. Ihre Mutter wird bald nicht mehr da sein, während Julianes Leben weitergeht. Sie möchte ihrer Mutter helfen und doch weiß sie, dass sie ihr das Sterben nicht abnehmen kann. Aus Tagen werden Wochen. Tochter und Mutter sind sich unendlich nah, körperlich und geistig. Bis etwas sie trennt: der ersehnte Tod. Jessica Krummacher erzählt in ihrem zweiten Spielfilm vom Sterben, so wie es sich in der Realität verhält. Vom Loslassen eines geliebten Menschen. Bis am Ende alles still ist.
„Womöglich hat sich noch kein Film so intensiv und umfassend mit dem Ableben befasst wie Zum Tod meiner Mutter. Mit seiner Unfassbarkeit und Alltäglichkeit. Mit der Nähe und Intimität, aber auch dem Befremden, das einsetzt, wenn ein Mensch, der schon immer da war, weniger wird, sich auflöst und bald verschwunden sein wird. Aber auch mit der Unmöglichkeit, das Sterben zu teilen, selbst wenn man bis zur Erschöpfung an der Seite ist und dabei in eine ganz eigene Daseinsform abdriftet. „Es ist unmöglich, in dein Leid einzudringen“, sagt Juliane einmal. Zum Tod meiner Mutter ist aber nicht nur ein Film, der zwei Körper in ihrem Zusammenspiel betrachtet. Er unternimmt auch eine sprachliche Annäherung an den Tod. Immer wieder wird er in Worten umkreist, wird nach einem Ausdruck gesucht, um zu beschreiben, was passiert und doch nie ganz zu fassen ist.“ Esther Buss | Filmdienst Am Sonntag, 12.6. ist Jessica Krummacher bei uns zu Gast, um über ihren Film zu sprechen.
Credits:
DE 2022, 135 Min., OmenglU, Buch & Regie: Jessica Krummacher Kamera: Gerald Kerkletz, Schnitt: Anne Fabini, mit: Birte Schnöink, Elsie de Brauw, Christian Löber, Gina Haller, Nicole Johannhanwahr, Thomas Wehling, Susanne Bredehöft u. a.
Julius ist ein redegewandter junger Museumswärter, der sich allseits großer Beliebtheit erfreut. Eines Tages lädt er seine Kolleg*innen zu einem Segeltörn auf dem Boot seiner adeligen Familie ein. Die Stimmung kippt. Julius ist nicht der, der er zu sein vorgibt. Moritz von Treuenfels ist die perfekte Besetzung für die Rolle des charmanten jungen Mannes, dem man zunächst gerne folgt, bevor einem unversehens immer unwohler wird. Denn Julius’ dynamische Haltung zum Leben bringt allerhand Widersprüche mit sich. In seinem feinsinnig geschriebenen und inszenierten Film über Identität und Sozialverhalten setzt Jöns Jönsson die Idee vom „Fake it till you make it“ der Zerreißprobe aus. Julius beeindruckt mit Weltgewandtheit und Eloquenz, er verkörpert das moderne Ideal eines Menschen, der sich selbst ständig neu erfindet. Doch seine Verhaltensmuster stehen in Konflikt mit gesellschaftlichen Regeln. Mit einer Flexibilität, ähnlich der des Protagonisten, erkundet Axiom diesen verstörenden Widerspruch – ein faszinierender Film, der Herz und Verstand erschüttert. „Auf die Idee zu AXIOM kam ich durch eine kurze Anekdote, die mir ein Freund vor vielen Jahren erzählt hat. Ein Bekannter von ihm hatte einen neuen Kollegen, der immer etwas Interessantes zu sagen hatte. Ein charismatischer, sympathischer Typ, mit dem man sich gerne befreundete. Eines Tages hat er seine Kolleg*innen zu einem Segelboot eingeladen, doch der Ausflug fand nie statt. Es hat dann noch etwas gedauert, bis sie herausgefunden haben, was mit dem Typen nicht stimmte. AXIOM ist ein Film über das Menschsein, wie ich es sehe, zusammengefasst in dem Satz “Fake it till you make it”, der für mich sehr treffend unser aller Verhalten von der Geburt an charakterisiert. Die Vorstellung solch einer Person, die auf widersprüchliche Weise so verbunden mit ihrer Umwelt und doch so isoliert von ihr ist, hat mich fasziniert und zum Nachdenken bewegt. Dies brachte mich schließlich an einen Punkt, an dem ich jede Art von “wahrer Identität” vollständig in Frage stellen musste, ganz im Sinne des Schriftstellers Luigi Pirandello, der vorschlug, dass wir alle für jede neue Person, die wir treffen, eine neue Identität erfinden.“ Jöns Jönsson
Credits:
DE 2021, 113 Min., dt. OmeU Regie & Buch: Jöns Jönsson Kamera: Johannes Louis Schnitt: Stefan Oliveira-Pita mit: Moritz von Treuenfels, Ricarda Seifried, Thomas Schubert, Zejhun Demirov, Sebastian Klein, Leo Meier, Ines Marie Westernströer
Wie wunderbar kann man sich über sie austauschen, was sie tun, wie sie es tun, wie sie sich präsentieren. Watching the Detektive: Die Belustigung oder der Aufreger über öffentliche Medienvertreter ist selbst schon zur eigenen Unterhaltungsform geworden. Bruno Dumont versucht sich an der Überdrehung dieser Entertainment- schraube. Lea Seydoux spielt France, eine sehr prominente Fernsehmoderatorin, die immer dahin geht, „wo es wehtut“. Das ist wahlweise eine Regierungskonferenz, ein Kriegsgebiet oder eine Seenotrettungsaktion. Immer mittendrin, nah am Sujet, perfekt in Szene gesetzt zeigt sie der Gemeinde, was die sehen will, Sensation, Aktion und Anteilnahme. Aber der Film geht weiter. France de Meure ist immer etwas zu schrill, zu unerschrocken, zu schnell, zu beliebt, dabei stets unterstützt, oder auch getrieben, von ihrer, alles mit „genial“ kommentierenden Assistentin. Aber nicht alles ist perfekt. Die Wohnung ist eine riesige Designer-Gruft, die Ehe nur noch ein langweiliger Witz, und ein Unfall schafft es schließlich, sie völlig aus der Bahn zu werfen. Aber aus der Katastrophe erwächst ja immer auch eine neue Chance, sagt jedenfalls das „Positive Denken“.
„Das Systemische, von dem diese Satire zeugt, umfasst die Zuschauerschaften, die als Fans ins Bild treten, ebenso wie die, die im Kino vor dem Film sitzen. Weil er sich dabei angreifbar macht, gerät Dumont womöglich selbst unter die Räder. Das wäre nicht das Schlechteste für eine Farce, die davon erzählt, dass niemand überlegen ist.“ Frédéric Jaeger | critic.de
Credits:
FR 2021, 133 Min., frz. OmU Regie: Bruno Dumont Kamera: David Chambille Schnitt: Nicolas Bier Mit: Léa Seydoux, Blanche Garin, Benjamin Biolay, Emanuele Arioli, Gaëtan Amiel, Juliane Köhler, Jawad Zemar
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