Archiv der Kategorie: archiv

Wir waren Kumpel

Wir waren Kumpel

Ein Film von Christian Johannes Koch & Jonas Matauschek.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Hast du eine am Sträußchen?“ hät­ten die Eltern gesagt, wäre Martina mit dem Wunsch, Friseuse zu wer­den, „um die Ecke gekom­men“. Martina ist eine von fünf Bergleuten, die der Film vor und nach der Schließung der ost­west­fä­li­schen Steinkohle-Zeche beglei­tet. Bis 2015 hieß sie Mark, seit ihrer Transition ist sie die ers­te und ein­zi­ge Frau, die unter Tage ein­fährt.
Er ver­brin­ge mehr Zeit mit sei­nem Kumpel Wolfgang („Locke“) als mit sei­ner Frau, rech­net Marco („Langer“) vor. Damit und mit der Arbeit ist bald Schluss, und vor­aus­schau­end macht er neben­her den Busführerschein. Locke wie­der­um ver­misst nach der Stilllegung die gemein­sa­me Zeit schmerz­lich, trotz der oft hef­ti­gen Anblafferei zwi­schen ihnen, oder viel­leicht gera­de des­halb.
Auch Thomas fällt die Umstellung nicht leicht, zumal er die Wohnung mit der alles kon­trol­lie­ren­den Mutter jetzt den gan­zen Tag teilt. Der Tamile Kirishanthan („Kiri“) floh vor über 20 Jahren aus Sri Lanka. Die Hütte und die Kumpel sind seit­dem neben sei­ner Familie ein zwei­tes Zuhause. Auch er muss sich nun umori­en­tie­ren.
Das Ende des Steinkohlebergbaus in Deutschland bedeu­te­te auch das Ende eines der unge­sün­des­ten und här­tes­ten Berufe, wie man sehen kann. Ein Arbeitsplatz in bis zu 1600m Tiefe, enge Stollen, Hitze, Kohlenstaub, Schichtbetrieb – trotz­dem rol­len die Tränen beim Abschied nicht aus Freude. Der Strukturwandel trägt neben Perspektivlosigkeit auch Einsamkeit in sich, denn die har­te Arbeit und das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun, schwei­ßen zusam­men. Der Film zeigt das in tra­gisch-humor­voll-berüh­ren­der Weise, und fin­det für den„Rückbau“ und was „danach“ pas­siert. beein­dru­cken­de Bilder.
Während Locke sich, ange­regt durch sei­ne Kinder und der FFF-Bewegung, Gedanken zum Klimaschutz macht („ein Bergmann, der Kohle geför­dert hat für Kohlekraftwerke will die Welt ret­ten – das wär doch mal was“), fährt Lange einen Schulbus, Kiri unter­rich­tet Tamilisch und Thomas kämpft mit sei­ner Mutter um die Hoheit am Herd. Nur Martina blieb dem Bergbau treu: sie arbei­tet jetzt im Salzbergwerk.

Credits:

DE 2023, 104 Min.,
Regie: Christian Johannes Koch & Jonas Matauschek
Kamera: Sebastian Klatt
Schnitt: Natali Barrey, Annette Brütsch, Jonas Matauschek

Trailer:
nach oben

Kraft der Utopie – Leben mit Le Corbusier in Chandigarh

Ein Film von Karin Bucher und Thomas Karrer.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Kurz nach der Teilung Indiens und der Befreiung aus der Kolonialherrschaft Englands soll am Fusse des Himalayas aus dem Nichts eine neue Hauptstadt für den Punjab gebaut wer­den. Die alte Hauptstadt Lahore war Pakistan zuge­teilt wor­den. Die Planstadt Chandigarh steht für die neue Demokratie, den Fortschritt und den Glauben an die Zukunft. Engagiert wur­den Architekten aus dem Westen. Zuerst Albert Mayer, dann der schwei­ze­risch-fran­zö­si­sche Architekt Le Corbusier. Absichten, Visionen und Utopien kamen zusam­men. Für Le Corbusier bot Chandigarh die ein­ma­li­ge Gelegenheit, sein Lebenswerk zu voll­enden und sei­ne städ­te­bau­li­chen Ideen umzu­set­zen. Seine Vision war die einer moder­nen, huma­nen und gerech­ten Stadt, nach dem «Mass des Menschen» erbaut, die ein kul­tu­rel­les Leben und ein har­mo­ni­sches Zusammenspiel von Mensch und Natur ermöglichte. 

Zum 70-jäh­ri­gen Bestehen der Planstadt von Le Corbusier fra­gen wir nach, ob in Chandigarh die­se Vision Realität gewor­den ist. Der Film beglei­tet Menschen auf ihren Wegen durch die Stadt und sucht Orte und Schauplätze auf, an denen sich das schil­lern­de Zusammenspiel von altem Traum und neu­em Leben, von Utopie und Alltag, von Zerfall und lei­ser Poesie zei­gen. Ein Zeitzeuge erin­nert sich an die Gründerzeit. Die Direktorin des Le Corbusier Centers, ein Künstler, ein Schauspieler und ein Architekt erzäh­len vom Wagnis, sich hier nie­der­zu­las­sen und reflek­tie­ren ihr Leben in und mit Chandigarh. Auf Streifzügen tref­fen wir Bewohner:innen, die unse­ren Blick auf die Stadt erwei­tern und tau­chen in das all­täg­li­che Leben ein, wel­ches sich die bau­li­chen Strukturen zu eigen gemacht hat. 

Credits:

CH 2023, 84 Min., engl., deut­sche OmU
Regie & Kamera: Karin Bucher, Thomas Karrer
Schnitt: Fabian Kaiser, Thomas Karrer, Mirjam Krakenberger

Trailer:
nach oben

Die Unsichtbaren

Ein Film von Matthias Freier. 

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Matthias Freier hat bis­her vor allem Werbespots und Musikvideos gedreht, unter ande­rem für Jochen Distelmeyer, Die Fantastischen Vier und Samy Deluxe. Sein True-Crime-Dokumentarfilm DIE UNSICHTBAREN han­delt von einem der spek­ta­ku­lärs­ten Kriminalfälle der neun­zi­ger Jahre, ist aber vor allem eine Hommage an Freiers Stiefmutter, die Kriminalkommissarin Marianne Atzeroth-Freier, die gegen den Widerstand ihres Dienststellenleiters und die Ignoranz der älte­ren männ­li­chen Kollegen in der Hamburger Mordkommission den Fall um eine Entführung und zwei ver­schwun­de­ne Frauen auf­klär­te. „Janne“, wie die Kommissarin genannt wur­de, hat­te als Streifenpolizistin ange­fan­gen, dann bei der „Sitte“ die Opfer von sexua­li­sier­ter Gewalt betreut. Während die männ­li­chen Kollegen den Aussagen eines Entführungsopfers nicht ver­trau­ten („Ich sag dir gleich, wir glau­ben der kein Wort.“),
nahm Atzeroth-Freier die Aussagen des Opfers als Erste ernst und kam schnell dem Täter, einem Hamburger Pelzhändler, auf die Spur. Bald stell­te sich her­aus, dass zwei wei­te­re Frauen ver­schwun­den und mit dem Entführer bekannt waren.
Die grau­sa­men Details des Falls füll­ten bis Mitte der 90er Jahre die Spalten nicht nur der Boulevardpresse. Freiers Film ver­mei­det jede spe­ku­la­ti­ve Ausbeutung der Geschichte, und kon­zen­triert sich auf die Ermittlungen, auf die Nachlässigkeiten, den – hier töd­li­chen – män­ner­bünd­le­ri­schen Sexismus auf dem Polizeirevier und Jannes per­sön­li­ches Verhältnis zu den Angehörigen der Opfer. Dokumente und Interviews sind sorg­fäl­tig aus­ge­wählt und sen­si­bel geführt, die Spielszenen mit ruhi­gem Understatement insze­niert. Im True-Crime-Genre ist das alles ande­re als selbst­ver-
ständ­lich. DIE UNSICHTBAREN ist ein exzel­len­ter, sehr span­nen­der und immer noch rele­van­ter Film über die Durchsetzungskraft einer inte­gren Polizistin.
Tom Dorow | indiekino

Credits:

DE 2023, 97 Min.
Regie: Matthias Freier
Kamera: Kay Madsen
Schnitt: Marielle Pohlmann

Trailer:
nach oben

Einzeltäter (Teil 1–3)

Dokumentarfilmreihe von Julian Vogel | 87min | 67min | 85min | DE 2023
Mit anschlie­ßen­dem Filmgespräch nach dem 3. Teil.

Tickets: [Teil1: München] [Teil 2: Halle] [Teil3: Hanau]
(Die Filme müs­sen ein­zeln gebucht wer­den. Wer alle 3 Filme schau­en will, kann jeweils den Tarif „Alle 3 Teile schau­en” im letz­ten Bestellschritt wählen)

Kamera: Luise Schröder, Julian Vogel
Ton: Oscar Stiebitz, Julian Vogel
Schnitt: Gregor Bartsch, Sebastian Winkels

München 2016, Halle 2019 und Hanau 2020. Drei rechts­extre­me Anschläge von soge­nann­ten „Einsamen Wölfen“: Vermeintliche Einzeltäter, die sich schein­bar ohne in klas­si­sche extre­mis­ti­sche Strukturen ein­ge­bun­den zu sein, im Internet radi­ka­li­sie­ren und im öffent­li­chen Raum plötz­lich zuschlu­gen. Es sind Geschichten, die mitt­ler­wei­le die Schlagzeilen domi­nie­ren: Der rech­te Terror gilt zur Zeit laut Verfassungsschutz als größ­te Bedrohung der Demokratie in Deutschland. Und das, obwohl sol­che Täter noch bis vor Kurzem oft als psy­chisch kran­ke, „ver­wirr­te“ Einzeltäter ein­ge­stuft wur­den und ihnen so ihr Rassismus abge­spro­chen wur­de. Diese Zeiten sind vor­bei: Frank Walter Steinmeier sprach nach dem Anschlag in Hanau von einem „Angriff auf uns alle“. Doch wer sind „wir alle“?

Die Trilogie „Einzeltäter (Teil 1–3)“ nimmt unab­hän­gig von­ein­an­der die Perspektive der Menschen ein, deren Angehörige tat­säch­lich das Ziel der Angriffe waren und deren Leben nie mehr sein wird wie zuvor.

EINZELTÄTER TEIL 1: MÜNCHEN

Arbnor hat sei­ne Schwester 2016 beim Anschlag am Olympia Einkaufszentrum ver­lo­ren, Hasan und Sibel ihren Sohn. Lange muss­ten die Angehörigen dar­um kämp­fen, dass der Staat den ras­sis­ti­schen Hintergrund der Tat aner­kennt. Erst nach den Anschlägen von Halle und Hanau hat­ten sie Erfolg.


EINZELTÄTER TEIL 2: HALLE

KurzsynopsisKarsten hat sei­nen ein­zi­gen Sohn Kevin beim Anschlag von Halle ver­lo­ren. Während die Öffentlichkeit zuschaut, wie dem rechts­extre­men Täter der Prozess gemacht wird, kämpft er um einen Umgang mit sei­ner Trauer. Halt fin­det er in der Fanszene des Halleschen FC.


EINZELTÄTER TEIL 3: HANAU

Der ras­sis­ti­sche Anschlag vom 19. Februar 2020 hat Hanau-Kesselstadt ver­än­dert. Hier leben Menschen ver­schie­de­ner Herkunft, hier star­ben sechs der neun Opfer. Nach dem Anschlag hält man hier zusam­men, ver­sucht mit den Folgen der Tat umzu­ge­hen, und kämpft um Aufklärung. Und hier leben der Vater des Täters und Hinterbliebene der Opfer in unmit­tel­ba­rer Nachbarschaft.


Regiekommentar

Seit Ende 2018 beschäf­ti­ge ich mich mit Menschen, die bei rechts­ra­di­ka­len Anschlägen ver­meint­li­cher “Einzeltäter” Angehörige ver­lo­ren haben. Ich kam damals in Kontakt mit Hinterbliebenen des ras­sis­ti­schen Anschlags vom Olympia Einkaufszentrum in München„ der bis zum Anschlag von Halle von Staat und Ermittlungsbehörden als unpo­li­ti­scher Amoklauf ein­ge­ord­net wor­den war. Ich ver­such­te einen Film zu rea­li­sie­ren, der den Angehörigen von München eine Stimme gibt. Deren ver­zwei­fel­ter Kampf um Anerkennung änder­te sich mit dem anti­se­mi­ti­schen und ras­sis­ti­schen Anschlag von Halle 2019. In Folge des Anschlags wur­de der Rechtsextremismus durch den Verfassungsschutz als aktu­ell größ­te Bedrohung der Sicherheitslage in Deutschland ein­ge­stuft. Nach dem Anschlag von Hanau 2020 schließ­lich fand der Kampf von Betroffenen von rech­ter Gewalt end­gül­tig Eingang in die brei­te Öffentlichkeit und ich ent­schloss mich, mei­nen Film auf die­se drei Taten auszuweiten.

.

Leider ist der Eintrag nur auf Amerikanisches Englisch verfügbar.

Documentary series by Julian Vogel | 87min | 67min | 85min | DE 2023

Camera: Luise Schröder, Julian Vogel
Sound: Oscar Stiebitz, Julian Vogel
Editor: Gregor Bartsch, Sebastian Winkels

Munich 2016, Halle 2019 and Hanau 2020: three right-wing extre­mist attacks by so-cal­led „lone wol­ves: Alleged lone per­pe­tra­tors who, see­mingly wit­hout being part of clas­sic extre­mist struc­tures, radi­cal­i­zed them­sel­ves on the Internet and sud­den­ly struck in public spaces. These are sto­ries that now domi­na­te the head­lines: Right-wing ter­ror is curr­ent­ly con­side­red the grea­test thre­at to demo­cra­cy in Germany, accor­ding to the Office for the Protection of the Constitution. And this despi­te the fact that until recent­ly such per­pe­tra­tors were often clas­si­fied as men­tal­ly ill, „con­fu­sed” lone per­pe­tra­tors and thus denied their racism. These times are over: After the attack in Hanau, Frank Walter Steinmeier spo­ke of an „attack on all of us”. But who are „all of us”?

The tri­lo­gy „EINZELTÄTER (Parts 1–3)” inde­pendent­ly takes the per­spec­ti­ve of the peo­p­le who­se rela­ti­ves were actual­ly the tar­get of the attacks and who­se lives will never be the same again.

EINZELTÄTER Part 1: MÜNCHEN

Arbnor lost his sis­ter in the 2016 attack at the Olympia shop­ping cen­ter, Hasan and Sibel lost their son. For a long time, the rela­ti­ves had to fight for the sta­te to reco­gni­ze the racist back­ground of the crime. Only after the attacks in Halle and Hanau did they succeed.

EINZELTÄTER Part 2: HALLE

EKarsten lost his only son Kevin in the Halle attack. While the public wat­ches the tri­al of the right-wing extre­mist per­pe­tra­tor, he strug­gles to deal with his grief. He finds sup­port in the Halle FC fan scene.

EINZELTÄTER Part 3: HANAU

The racist attack of February 19, 2020 has chan­ged Hanau-Kesselstadt. People of dif­fe­rent ori­g­ins live here, and six of the nine vic­tims died here. After the attack, peo­p­le here stick tog­e­ther, try to deal with the con­se­quen­ces of the act, and fight for cla­ri­fi­ca­ti­on. And this is whe­re the father of the per­pe­tra­tor and the sur­vi­ving rela­ti­ves of the vic­tims live in the imme­dia­te vicinity.

Since 2018, I have been in cont­act with sur­vi­vors of the racist attack in Munich in 2016, which was initi­al­ly clas­si­fied by the inves­ti­ga­ting aut­ho­ri­ties as a non-poli­ti­cal ram­pa­ge. This chan­ged with the attack in Halle in 2019, in the wake of which the Munich act was clas­si­fied as right-wing vio­lence and right-wing extre­mism as the grea­test thre­at to the secu­ri­ty situa­ti­on. After the attack of Hanau 2020, which brought the pro­blem of right-wing „lone per­pe­tra­tors” ulti­m­ate­ly into public con­scious­ness, I deci­ded to make a docu­men­ta­ry film that accom­pa­nies the mour­ning work of the bere­a­ved and their rela­ti­onship to the social dimen­si­on of the­se three acts. The result was a tri­lo­gy. The fami­lies in Munich and Hanau are united by the fact that their mour­ning work is inter­wo­ven with the fight against racism. In Halle, the situa­ti­on is dif­fe­rent: Kevin’s father Karsten has to deal with the death of his child becau­se someone wan­ted to strike a mino­ri­ty to which he hims­elf does not belong. For me, his grief was no less tou­ch­ing than the grief of the other peo­p­le affec­ted. It was imortant to me to also dedi­ca­te mys­elf to his story

Blagas Lessons

Eine Frage der Würde – Blaga’s Lessons

Ein Film von Stephan Komandarev.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Es ist ein­fach, sich über Maschen und Opfer von Telefonbetrügern lus­tig zu machen, aber wirk­lich gefeit gegen die auch plum­pes­ten Methoden ist wohl nie­mand. Die ehe­ma­li­ge Lehrerin Blaga ist eigent­lich auch nicht naiv, lässt sich aber von einem recht absur­den Telefontrick über­rum­peln. Sie ver­liert das gan­ze Geld, das für die Grabstätte ihres kürz­lich ver­stor­be­nen Mannes vor­ge­se­hen war. Willig, ande­re zu war­nen, erzählt die Betrogene bei einer Nachbarschafts-Veranstaltung der ört­li­chen Polizei von ihrer Erfahrung, ern­tet aber groß­flä­chig nur Spott und Hohn. Selbst ihr im Ausland leben­der Sohn macht nur Vorhaltungen. Es fällt ihm nicht ein, die Mutter zu unter­stüt­zen. Blaga, schwer gede­mü­tigt und immer noch auf der Suche nach Geld für das Grab, weiß von der Polizei, wie die Betrüger Helfer aqui­rie­ren. Sie fin­det eine ent­spre­chen­de Announce und bewirbt sich.
„Beim wich­ti­gen Festival im tsche­chi­schen Karlovy Vary wur­de Eine Frage der Würde – Blaga’s Lessons mit drei Preisen aus­ge­zeich­net, völ­lig zurecht. Denn dem Bulgaren gelingt hier ein har­scher, mal sozi­al­rea­lis­ti­scher, mal wie eine Farce wir­ken­der Film über eine 70jährige Frau, die im mora­li­schen Niemandsland des post­so­zia­lis­ti­schen Bulgariens um ihre Würde kämpft – und sie ver­liert. …
Filme wie Eine Frage der Würde kamen in den letz­ten 20 Jahren oft aus Rumänien, Regisseure wie Cristi Puiu, Cristian Mungiu oder Corneliu Porumboiu hiel­ten der gesell­schaft­li­chen Entwicklung ihres Landes eines unge­schön­ten Spiegel vor, sezier­ten die Abgründe des Kapitalismus und die Spätfolgen des Sozialismus. Ganz ähn­li­ches macht nun auch der 57jährige bul­ga­ri­sche Regisseur Stephan Komandarev, der zu Beginn sei­ner Karriere Dokumentarfilme dreh­te, seit eini­gen Jahren nun mit zuneh­men­dem Erfolg Spielfilme, die aber einem doku­men­ta­ri­schen Blick ver­haf­tet sind.“ Michael Meyns | programmkino.de – „die­se inten­si­ven, klei­nen Filme sind es, für die das Kino gemacht wur­de.“ Sebastian Seidler | kino-zeit

Credits:

BG/DE 2023, 119 Min., bul­ga­ri­sche OmU
Regie: Stephan Komandarev
Kamera: Vesselin Hristov
Schnitt: Nina Altaparmakova
mit Eli Skorcheva, Ivan Barnev, Gerasim Georgiev, Stefan Denolyubov, Rozalia Abgarian, Ivaylo Hristov

Trailer:
Eine Frage der Würde (Blaga’s Lessons )| offi­zi­el­ler Trailer mit dt. Untertitel
nach oben

Reality

Ein Film von Tina Satter.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Reality Winner war 25, als sie, über­zeugt davon, im Namen der Demokratie zu han­deln, gehei­me Informationen über die Einflussnahme Russlands auf den US-Wahlkampf 2016 öffent­lich mach­te. Die Gerichte sahen das anders und ver­ur­teil­ten sie 2018 zu 63 Monaten Haft.
Größter Wunsch der in Farsi, Dari und Pashto aus­ge­bil­de­ten Linguistin der US-Airforce war es, als Übersetzerin in Afghanistan ein­ge­setzt zu wer­den. Mit der Stelle bei einem Informationsdienstleister der NSA woll­te sie dem einen Schritt näher kom­men. Dort stieß sie auf die bri­san­ten Papiere. Tina Satters Film folgt als re-Enactment den trans­skri­bier­ten Tonaufzeichnungen von Hausdurchsuchung und Festnahme der jun­gen Frau, auch unter Kennzeichnung der öffent­lich nicht zugäng­li­chen geschwärz­ten Stellen. Das absur­de Spiel mit dem Machtgefälle zeich­net sich durch ein Gemenge aus unge­schickt-jovia­lem Smalltalk, patrio­tisch-auto­ri­tä­rem Auftreten, Unbeholfenheit und per­fi­den Drohungen auf FBI-Seite aus, wäh­rend Reality ver­zwei­felt ver­sucht, dem mit vor­ge­täusch­ter Ahnungslosigkeit, Notlügen und Höflichkeit zu ent­kom­men. Auf der Bildebene fin­den wir, abge­se­hen von einer Automatikwaffe in Pink sowie Büchern in ara­bi­scher Schrift, Accessoires eines nor­ma­len, allein leben­den All-American-Girls vor, die ihre Hunde und Yoga liebt.

Und so sehr auf „Reality“ auch die Bezeichnung Kammerspiel zutrifft, so fas­zi­nie­rend sind doch gera­de die film­spe­zi­fi­schen Mittel. Die Kamera von Paul Yee … erfasst durch Nah- und Großaufnahmen jede kleins­te Irritation und Verunsicherung in den Gesichtern der Beteiligten. In ande­ren Einstellungen wird wie­der­um die Taktik des FBI sicht­bar: Reality ist stets von Männern, die sie beob­ach­ten oder aus­fra­gen, umge­ben, wäh­rend ihr Haus durch­sucht wird. … Was Reality zusätz­lich zu einem fil­mi­schen Ereignis macht, sind die prä­zi­sen Schauspielleistungen. Sydney Sweeney (Euphoria) hat die Titelrolle offen­sicht­lich mit jeder Faser ihres Körpers ver­in­ner­licht. Sie lie­fert eine kom­ple­xe, authen­ti­sche Darbietung, sou­ve­rän flan­kiert von Josh Hamilton und Marchánt Davis in den Parts der gegen­sätz­li­chen Agenten …“
Andreas Köhnemann | kino-zeit.de

Credits:

US 2023, 85 Min., eng­li­sche OmU
Regie: Tina Satter
Kamera: Paul Yee
Schnitt: Jennifer Vecchiarello, Ron Dulin
mit Sydney Sweeney, Josh Hamilton, Marchánt Davis

Trailer:
REALITY (offi­zi­el­ler OmU Trailer) – mit Sydney Sweeney in einem Film von Tina Satter
nach oben

The Royal Hotel

Ein Film von Kitty Green. 

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Anzügliche Bemerkungen und sexis­ti­sche Witze sind sicher nicht aus­schließ­lich in Hotelbars im aus­tra­li­schen Outback an der Tagesordnung, aber hier­her hat es die bei­den ame­ri­ka­ni­schen Rucksacktouristinnen Hanna und Liv nun ein­mal ver­schla­gen. „Work and Travel“ heißt das Programm, das sie nach ihrer, vom aus­gie­bi­gen Feiern ver­ur­sach­ten finan­zi­el­len Pleite, für ein paar Wochen hin­ter die Bar des „Royal Hotel“ in einer abge­le­ge­nen Bergbaugegend geschickt hat. Ihre eng­li­schen Vorgängerinnen schei­nen die Zeit hier genos­sen zu haben, und nun freu­en sich die Barbesucher, unschwer zu über­se­hen, auf das „Frischfleisch“.
Die gebür­ti­ge Australierin Kitty Green hat mit The Assistant den wahr­schein­lich bes­ten Spielfilm zu Thema ME TOO gedreht, wo sie nicht Einzelne als allei­ni­ge Täter sah, son­dern alles durch­setzt von der Akzeptanz des Missbrauchs. Im „Royal Hotel“ wer­den raue­re Töne ange­schla­gen, aber auch hier muss der Thriller kei­ne Gewalttaten schil­dern, um in Fahrt zu kom­men. Von der Bedrohlichkeit der Situation, die sich nach anfäng­li­chen, fast ver­zwei­felt gesuch­ten Urlaubsgefühlen breit macht, will Liv nichts wis­sen. Hanna fühlt sich jedoch immer unwoh­ler. Stets taxiert sie den Grad ihrer Bedrohung und die Grenzen im Umgang mit den Gästen. War das nur ein Scherz, eine Drohung, ab wann ist über­grif­fig? Eine all­täg­li­che Situation, aber ein­fach abhau­en geht hier in der Wüste, wo nur alle drei Tage ein Bus fährt, nicht, und so ist die jun­ge Frau 247 in Habt-Acht-Stellung.

Konsequent geht Kitty Green dann das gan­ze Spektrum an Verhalten durch, das sich in einer sol­chen Situation ergibt: von der höf­li­chen Frage nach einem Date, die mit einem Nein sowie­so schon rech­net, bis zu aggres­si­ven Trinkgeldspielchen und vie­len wei­te­ren Situationen, in denen sich (sehr all­ge­mein gespro­chen) männ­li­ches Interesse so äußert, dass Hannah und Liv sich die gan­ze Zeit dazu ver­hal­ten müs­sen – bis Hanna sich schließ­lich als Girl mit der Axt in einer Rolle wie­der­fin­det, die sie sonst von sich wohl nicht ent­deckt hät­te. Wir woll­ten doch ein­fach nur so weit weg von Zuhause wie mög­lich, sagt Liv ein­mal. Das hat sich anders erfüllt als gedacht. Gutes Drehbuch, gut gespielt, auf eine raw­kus way nuan­ciert.“
Bert Rebhandl | Cargo

Credits:

AU 2023, 91 Min., eng­li­sche OmU
Regie: Kitty Green
Kamera: Michael Latham
Schnitt: Kasra Rassoulzadegan
mit Jessica Henwick, Julia Garner, Hugo Weaving, Bree Bain, Toby Wallace

Trailer:
nach oben

Im toten Winkel

Ein Film von Ayşe Polat. 

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Im kur­di­schen Gebiet im Nordosten der Türkei dreht eine deut­sche Regisseurin einen Dokumentarfilm über „ima­gi­nä­re Denkmäler“, über Rituale und Erzählungen, die der Erinnerung an ver­schwun­de­ne oder ver­schlepp­te Menschen die­nen. Am Rande der Interviews ereig­nen sich merk­wür­di­ge Dinge, und als die Situation der Filmcrew letzt­end­lich zu bedroh­lich erscheint, packen sie eilig die Koffer. Die Brücke zum zwei­ten Teil schla­gen Leyla, die Übersetzerin des Teams und Melek, ein klei­nes Mädchen, dem sie Unterricht gibt, und deren Vater in üble undurch­sich­ti­ge poli­ti­sche Machenschaften ver­wi­ckelt ist. Im drit­ten Teil wid­met sich der Film fast ganz die­ser Familie.
Im Toten Winkel ist ein sub­til ver­schach­tel­ter poli­ti­scher Thriller, in des­sen Mittelpunkt Melek zu ste­hen scheint. Ohne sie deu­ten zu kön­nen, erkennt sie die Geschehnisse um sie her­um son­der­ba­rer­wei­se bes­ser als die Erwachsenen, die ihre Erlebnisse und Geister-Erzählungen nur als kind­li­che Fantasien abtun kön­nen. Wie von Geisterhand erschei­nen auch die tech­nisch und mul­ti-per­spek­ti­visch, oft absen­der­los anmu­ten­den Bilder, die zum Mittel der Überwachung, Bedrohung und Einschüchterung ein­ge­setzt wer­den, und Paranoia erzeu­gen.
„Der blin­de Fleck heißt Trauma, trans­ge­ne­ra­tio­nal. Die deutsch-kur­di­sche Regisseurin, Drehbuchautorin und Produzentin Ayşe Polat insze­niert ihn in Perfektion.“
Berlinale | Wettbewerb Encounters
JİTEM ist ein Geheimdienst, des­sen Existenz der tür­ki­sche Staat leug­net. Ayşe Polat gibt die­ser inof­fi­zi­el­len Organisation Gesichter, baut sogar eine Szene ein, in der die Agenten auf Polizisten tref­fen – eine Szene, die sub­til impli­ziert, dass der tür­ki­sche Staat sehr wohl invol­viert ist. Mit Im toten Winkel ist es ihr gelun­gen, Politik, Medientheorie und Genrekino zu ver­schrän­ken, und es ist kei­ne Begleitbroschüre nötig, damit der Film funk­tio­niert, denn er ist trotz aller Komplexität hoch­span­nend.“
Mathis Raabe | kino-zeit

Credits:

DE 2023, 118 Min., Deutsch, Türkisch, Kurdisch, Englisch OmU
Regie: Ayşe Polat
Kamera: Patrick Orth
Schnitt: Serhad Mutlu, Jörg Volkmar
mit Katja Bürkle, Ahmet Varlı, Çağla Yurga, Aybi Era, Maximilian Hemmersdorfer, Nihan Okutucu, Tudan Ürper, Mutallip Müjdeci, Rıza Akın, Aziz Çapkurt

Trailer:
Im toten Winkel | Trailer | Kinostart: 4. Januar 2024
nach oben
Knochen und Namen

Knochen und Namen

Ein Film von Fabian Stumm.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Knochen und Namen sind was bleibt, erfährt Jonathan vom Bestattungsunternehmer. Aber es geht im Film eher dar­um, was jetzt ist und was spä­ter dar­aus wird. Dem Leben zuschau­en, wäh­rend es einen beob­ach­tet, wie man so lebt. Fabian Stumm bekam den Heiner-Carow-Preis der DEFA Stiftung auf der letz­ten Berlinale.
„Boris (Fabian Stumm) arbei­tet an einem neu­en Film für die fran­zö­si­sche Regisseurin Jeanne (Marie-Lou Sellem). Darin geht es um einen Mann, der sei­ne Frau für einen ande­ren Mann ver­lässt. Auch wenn ihr Film Dramatisches erzäh­le, »es ist nicht schwer«, sagt die Regisseurin und kom­men­tiert damit auch Knochen und Namen. Jonathan (Knut Berger), Boris Partner, ist der­weil auf Recherchetour für sei­nen neu­en Roman, der vor­der­grün­dig von einer »Krankheit und einer Reise« han­delt. Er trifft sich mit Menschen, die einen Verlust erlit­ten haben oder damit ihren Unterhalt ver­die­nen. In zwi­schen­mensch­li­chen Tableaus, oft vor wei­ßen Wänden mit mini­ma­lis­ti­scher Inneneinrichtung gefilmt, ent­wirft der Film das lose Porträt des Paares im zuneh­men­den Krisenmodus und zugleich einer Gruppe von Suchenden. Jonathans Schwester, die allein­er­zie­hen­de Natascha (Doreen Fietz), ver­sucht sich beruf­lich neu zu ori­en­tie­ren. Ihre Tochter Josie (Alma Meyer-Prescott) wie­der­um begeg­net dem nahen­den Ende ihrer Kindheit mit Schabernack, klaut Apfelshampoo oder ver­führt ihre bes­te Freundin zu Telefonstreichen, die ziem­lich pein­lich enden.
Fabian Stumms Debüt ist ein klei­ner, groß­ar­ti­ger Film, und das im bes­ten aller Sinne. Ihm gelingt etwas Seltenes: mit Humor und dop­pel­tem Boden von eigent­lich schwe­ren Themen zu erzäh­len und mit ihnen zu spie­len. Als Jonathan sei­nem Partner wäh­rend eines Radiointerviews die Liebe gesteht, ist Boris gera­de Kaffee holen.“ Jens Balkenborg, epd Film
„Ich woll­te mich mit den Säulen aus­ein­an­der­set­zen, die mein Leben aus­ma­chen. Mich erin­nern, was dar­an gut und sta­bil ist, was mir Angst oder mich trau­rig macht und war­um das so ist. In gewis­sem Sinne hat der Film mich mit mir selbst aus­ge­söhnt und neu ver­bün­det“ Fabian Stumm

Credits:

DE 2023, 104 Min., dt., frz. OmU
Regie: Fabian Stumm
Kamera: Michael Bennett
Schnitt: Kaspar Panizza
mit Fabian Stumm, Knut Berger, Marie-Lou Sellem, Susie Meyer, Magnus Mariuson, Doreen Fietz, Alma Meyer-Prescott, Anneke Kim Sarnau, Godehard Giese

Trailer:
KNOCHEN UND NAMEN Trailer Deutsch | German [HD]
nach oben