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Und dass man ohne Täuschung zu leben mag,

Achtung Berlin 2024

Das Filmfestival Achtung Berlin!, bei dem wir mitt­ler­wei­le zum fünf­ten Mal Spielort sind, prä­sen­tiert zwar Produktionen aus Berlin und Brandenburg, ist aber nicht an den Ort gebunden.

Nach allen Filmvorstellungen folgt ein Q&A mit dem Filmteam.
Das Programm im fsk:

Sonntag, 14.4.

16:00 Alleine Tanzen, Biene Pilavci, Dokfilm, 98 Min. (Jubiläumsretrospektive)
[Tickets]

Alleine Tanzen

Liebes Tagebuch, mir schmerzt mein Herz. Ich will, dass es auf­hört zu schla­gen.“ Tagebucheinträge und VHS-Aufnahmen, einst stum­me Zeugen der Gewalt, ergrei­fen heu­te das Wort und tra­gen zu einem Familienkaleidoskop bei, in dem die Sehnsucht nach einer ganz nor­ma­len Familie schmerz­haft deut­lich wird, als wir zu einer Hochzeit in Griechenland flie­gen. Die sehr muti­ge, per­sön­li­che und auf­wüh­len­de Auseinandersetzung mit der eige­nen Familie gewann den Preis “Bester Dokumentarfilm”.

Regie, Buch Biene Pilavci Konzeptberatung Valeska Kölbl Kamera Armin Dierolf Schnitt Biene Pilavci Ton Manja Ebert, Magnus Pflüger Produzent:in Max Milhahn, Heike Kunze Produktion Film- und Medienproduktion GmbH, DFFB

18:30 Landshaft, Daniel Kötter, Dokfilm, 97 Min. (Berlin Spezial)
[Tickets]

Landshaft

Der Konflikt zwi­schen Armenien und Aserbaidschan um die Kontrolle über Karabach köchelt lei­se wei­ter. Vom Sewansee bis zur Goldmine von Sotk, die seit dem Blitzkrieg von 2020 von Aserbaidschan besetzt ist, ent­wirft der Film die Psychogeographie einer geo­po­li­tisch auf­ge­la­de­nen Landschaft sowie ihrer Einwohner:innen zwi­schen Extraktivismus, Krieg und Vertreibung. In Form einer Reise im Osten Armeniens folgt der Film mensch­li­chen und nicht-mensch­li­chen Akteuren auf ihrem Weg und gibt den­je­ni­gen eine Stimme, die mit Sorge beob­ach­ten, wie sich die Mächtigen hin­ter Krieg und Goldabbau auf ihre Kosten zerfleischen.

Regie, Buch, Kamera, Schnitt Daniel Kötter Ton Armen Papyan, Hayk Galstyan Musik Sarer Kaghechem, Gusam Sheram Grafikdesign Edik Boghosian Producer Nune Hovhannisyan in Zusammenarbeit mit Sona Karapoghosyan, Nune Hovhannisyan, Eviya Hovhannisyan, Armen Papyan Koproduzentin Jana Cisar Produzent Daniel Kötter

20:45 La Empresa, André Siegers, Dokfilm, 94 Min. (Wettbewerb D.)
[Tickets]

La Empresa


Ein deut­sches Filmteam begibt sich in das mexi­ka­ni­sche Dorf El Alberto. Die soge­nann­te Caminata Nocturna hat den klei­nen Ort berühmt gemacht. Eine Touristenattraktion, die auf den Erfahrungen der Dorfbewohner:innen beruht und den ille­ga­len Grenzübertritt in die Vereinigten Staaten nach­stellt. Was als loka­le Performance begann, ist inzwi­schen zu einer der Haupteinnahmequellen des Dorfes gewor­den. Während um das Filmteam her­um der Ort unbe­irrt sei­nen Geschäften nach­geht, Rechte am eige­nen Bild ver­tei­digt, im ein­träg­li­chen Tauschhandel Grenzpatrouillen, Gefahren und Reenactments lie­fert, ent­wi­ckelt sich der Aufenthalt des Filmteams zu einer unge­woll­ten Erkundung der Möglichkeiten und Grenzen fil­mi­scher Repräsentation.

Uraufführung 52. International Film Festival Rotterdam

Regie, Buch André Siegers Co-Autor Philipp Diettrich mit Ernesto Oliva, Miguel Barrera, Antonio Barrera, Yvonne Bernal, Eugenio Garcia Cruz, Francisca Garcia Cruz, Leticia Garcia Flores Kamera Philipp Diettrich Schnitt Simon Quack (BFS), André Siegers Ton Bernhard Hetzenauer Produzent:in Karsten Krause, Frank Scheuffele, Julia Cöllen Produktion Fünferfilm Koproduktion UVO Gruppe, Mischief Films

Montag, 15.4.

18:30 Exile never ends, Bahar Bektaş Dokfilm, 99 Min. (Wettbewerb D., Berlin-Premiere)
[Tickets]

Exile never ends

Bahars Bruder Taner sitzt in Deutschland im Gefängnis und steht kurz vor der Abschiebung in die Türkei. Bahar nutzt die Zeit des Wartens und rich­tet die Kamera auf ihre Familienangehörigen: Politische Verfolgung der ale­vi­tisch-kur­di­schen Familie in der Türkei, die Flucht nach Europa 1989, ras­sis­ti­sche Übergriffe, Depressionen und Überforderung der Eltern – all das traf die Kinder, die damit unter­schied­lich umge­hen. Die Ungewissheit über Taners Schicksal in der Türkei ist nur ein Teil der Lebenserfahrung als Familie im Exil. Die Verzerrung von Vergangenheit und Gegenwart sowie unter­schied­li­cher Geografien kon­fron­tiert die Zuschauenden mit dem Verlust von Orientierung in Zeit und Raum.

Uraufführung 45. Filmfestival Max Ophüls Preis

Regie, Buch Bahar Bektaş Co-Autor Arash Asadi, Tobias Carlsberg Kamera Meret Madörin, Antonia Kilian Schnitt Arash Asadi Ton Lara Milena Brose Musik Ahmet Aslan Producerin Bettina Morlock Redaktion Sara Günter (ZDF) Produzentin Antonia Kilian Produktion Pink Shadow Films Koproduktion ZDF – Das klei­ne Fernsehspiel

20:45 Und dass man ohne Täuschung zu leben ver­mag, Katharin Lüdin, Spielfilm, 109 Min. (Wettbewerb S., Berlin-Premiere)
[Tickets]

Und dass man ohne Täuschung zu leben mag,

Sommerliche Hitze in einer Vorstadt. Fünf Menschen tas­ten sich vor­sich­tig durch ihre kon­flikt­rei­chen Beziehungen: Schauspielerin Merit probt zusam­men mit ihrem Ex-Mann David an einem Theaterstück. Die Beziehung zwi­schen Merit und ihrer Lebensgefährtin Eva bewegt sich der­weil in einem Zustand zwi­schen schwe­len­der Krise und Leerlauf. Lion muss Rose zie­hen las­sen, David ver­sucht sich zu lösen. Sie spre­chen, aber ihre Worte tref­fen sich nicht. Sie spie­len Theater, auf der Bühne und pro­ben ihr Leben. Ängste vor der Zukunft und Spuren von Gewalt durch­set­zen ihre Gegenwart. Wie mit­ein­an­der sein, wenn Bedingungslosigkeit zu brö­ckeln beginnt? Auf ana­lo­gem 16-mm-Filmmaterial gedreht, erzählt der Film von den Wendungen und Windungen mensch­li­chen Miteinanders.

Uraufführung 76. Locarno Film Festival
Regie, Buch Katharina Lüdin Schauspiel Anna Bolk, Jenny Schily, Godehard Giese, Lorenz Hochhuth, Pauline Frierson, Wolfgang Michael, Unica-Rosa Blaue-Poppy Kamera Katharina Schelling Schnitt Katharina Lüdin Ton Stefan Bück Szenenbild Winnie Christiansen, Anne Storandt Kostümbild Jana Charlotte Tost Casting Ulrike Müller Koproduzent:in Katharina Lüdin, Ivan Madeo, Stefan Eichenberger, Urs Frey Produzent:in Jana Kreissl, Tobias Gaede Produktion Was bleibt Film Koproduktion Katharina Lüdin Filmproduktion, Contrast Film Zürich

Dienstag, 16.4.

18:30 Hausnummer Null, Lilith Kugler, 90 Min. (Wettbewerb D., Berlin-Premiere
[Tickets]

Hausnummer Null

Umsorgt von der Nachbarschaft lebt Chris gemein­sam mit sei­nem Kumpel Alex an einer Berliner S‑Bahn Station. Heroinabhängigkeit bestimmt Alltag und Freundschaft. Auch wenn bei­de immer wie­der von einem „nor­ma­len“ bür­ger­li­chen Leben träu­men, schaf­fen sie es nicht, sich aus dem Teufelskreis zu befrei­en. Erst als Chris in der Notaufnahme nur knapp über­lebt, fasst er einen Entschluss: Er beginnt einen Entzug mit anschlie­ßen­dem Drogensubstitutionsprogramm. Mit einem Einzelzimmer im betreu­ten Wohnheim in Aussicht, schöpft er neue Hoffnung. Nach sechs Jahren auf der Straße steht er den­noch vor nie da gewe­se­nen Herausforderungen. Er will zurück in die Gesellschaft.

Uraufführung 45. Filmfestival Max Ophüls Preis

Regie, Buch Lilith Kugler mit Chris, Alex Kamera Stephan M. Vogt Schnitt David Mardones Ton Tobias Adam Musik Valeriia Khazan Producer Jonatan Geller-Hartung Redaktion Sara Günter (ZDF) Produzent:in Bettina Morlock, Rouven Rech, Teresa Renn Produktion Now Films, Torero Film Koproduktion ZDF – Das klei­ne Fernsehspiel

20:45 Good News, Hannes Schilling, Spielfilm, 75 Min. (Wettbewerb S., Berlin-Premiere)[Tickets]

Good News

Leo, Journalist aus Überzeugung, lässt sein Leben in Deutschland hin­ter sich, um im Süden Thailands über eine gehei­me Rebellengruppe zu berich­ten. Zwischen den Recherchen ver­bringt er dort Zeit mit Mawar, der wie­der­um von einer bes­se­ren Zukunft in Deutschland träumt. Leo hilft Marwar bei den Vorbereitungen. Doch bald stellt er fest, dass ihn die Zeit, die er in Marwars Familie ver­bringt, zu schmerz­lich an sein eige­nes Leben in Berlin erin­nert. Um schnel­ler zurück­rei­sen zu kön­nen, ver­fasst Leo den ver­spro­che­nen Artikel, ohne jedoch in Kontakt mit den Rebellen gewe­sen zu sein. Nach und nach kata­pul­tiert er sich – zwi­schen Familie, Beruf und Freundschaft – in eine mora­li­sche Abwärtsspirale.

Uraufführung 45. Filmfestival Max Ophüls Preis

Regie Hannes Schilling Buch Ghiath Al Mhitawi, Hannes Schilling Schauspiel Ilja Stahl, Sabree Matming, Dennis Scheuermann Kamera Falco Seliger Schnitt Marie Fontanel, Paul Gröbel Ton Alexander Wolf Szenenbild Pisuthpak Sukwisit Musik Lena Radivoj Produzent Jost Hering Produktion Jost Hering Filme

Mittwoch, 17.4.

18:30 For the time being, Nele Dehnenkamp, D 2023, Dokfilm, 90 Min.(Wettbewerb D., Berlin-Premiere)
[Tickets]

For the time being

Jermaine ver­büßt eine 22-jäh­ri­ge Haftstrafe im berüch­tig­ten Sing Sing-Gefängnis in der Nähe von New York. Er behaup­tet, zu Unrecht wegen Mordes ver­ur­teilt wor­den zu sein. Michelle, die ihren Jugendfreund im ste­ri­len Besuchsraum eines Hochsicherheitsgefängnisses gehei­ra­tet hat, hofft, mit ihm in Freiheit leben zu kön­nen. Unermüdlich kämpft sie dafür, sei­ne Unschuld zu bewei­sen, wäh­rend sie sich gleich­zei­tig als allein­er­zie­hen­de Mutter um ihre jugend­li­chen Kinder küm­mert. In einer zer­mür­ben­den Routine aus Telefonaten, Briefeschreiben und Besuchen in der Haftanstalt, träumt sie von einem idyl­li­schen Familienleben außer­halb der Gefängnismauern.

Uraufführung 66. DOK Leipzig

Regie, Buch Nele Dehnenkamp mit Michelle Bastien-Archer, Jermaine Archer, Paul Scott, Kaylea Scott Kamera, Schnitt Nele Dehnenkamp Ton Nele Dehnenkamp, Stefan Zierock Musik Martin Kohlstedt Produzentin Nele Dehnenkamp, Christine Duttlinger Produktion Filmakademie Baden-Württemberg Verleih Across Nations

20:45 Ellbogen Aslı Özarslan, Spielfilm (Berlin Spotlights)
[Tickets]

Ellbogen

Ellbogen erzählt die Geschichte einer jun­gen Frau, die aus der Gesellschaft ver­drängt wird und die Weichen ihres Lebens neu stel­len muss. Man will mit ihr durch die Nacht ren­nen, man will wis­sen, wie es mit ihr und mit uns allen weitergeht.

DE/TK/FR 2024, 86 Min., Deutsch Türkisch OmU, Regie: Aslı Özarslan, Kamera: Andac Karabeyoglu-Thomas, Schnitt: David J. Achilles, Ana Branea, mit Melia Kara, Doğa Gürer, Jale Arıkan, Haydar Şahin, Orhan Kiliç

Zwischen uns der Fluss

Zwischen uns der Fluss

Ein Film von Michael Klier.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Alice (Lena Urzendowsky) wur­de nach einer Umweltaktion des zivi­len Ungehorsams beschul­digt und zum Sozialdienst ver­ur­teilt. Sie soll sich um Cam (Kotti Yun) küm­mern, die nach einem ras­sis­ti­schen Überfall trau­ma­ti­siert ist. Als Cam sich gegen eine Verlängerung des Klinikaufenthalts ent­schei­det, nimmt Alice die ver­schlos­se­ne Frau mit zu sich ins gut­bür­ger­li­che Villenviertel in Dresden. Dort löst sich etwas in Cam; in die­ser idyl­lisch geschütz­ten Umgebung kann sie erwa­chen. Alice küm­mert sich und ist zuneh­mend fas­zi­niert. Die uner­war­te­te Zuneigung ist spür­bar. Doch das Verhältnis wan­delt sich und Cam hält Alice’s Fürsorge einen kri­ti­schen Spiegel vor – und wird ihren eige­nen Weg gehen. 

Zwei sehr unter­schied­li­che jun­ge Frauen, die sich gegen­sei­tig for­dern, sich schließ­lich ein­an­der öff­nen und auf unge­wöhn­li­che Art inein­an­der wie­der­erken­nen. In kla­ren, medi­ta­ti­ven und lyri­schen Bildern, die mehr und mehr zu einem Flow wer­den, ent­steht ein inten­si­ves, irr­lich­tern­des Generationenporträt und eine hin­ter­grün­di­ge Hommage an die Elbe von Dresden.

Credits:

DE 2023, 94 Min.,
Regie: Michael Klier
Kamera: Jenny Lou Ziegel, Markus Koop
Schnitt: Gaya von Schwarze
mit: Kotti Yun, Lena Urzendowsky, Laura Tonke, Jeremias Meyer, Vu Dinh

Trailer:
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Opus

Opus – Ryuichi Sakamoto

Ein Film von Neo Sora.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Ein musi­ka­li­scher Dokumentarfilm über Sakamotos letz­tes Konzert, bei dem nur er und sein Klavier zu hören waren. Ein stil­ler, nach­denk­li­cher und berüh­ren­der Film über das Leben und die Erfüllung durch die Musik. 

Credits:

JP 2023, 103 Min.,
Regie: Neo Sora
Kamera: Bill Kirstein
Schnitt: Takuya Kawakami

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Helke Sander: Aufräumen

Ein Film von Claudia Richarz.
Am 11.3. mit anschlie­ßen­dem Filmgespräch mit Claudia Richarz und Helke Sander. Moderation: Tobias Büchner.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Es beginnt beim Bestatter: Helke Sander sucht sich einen Sarg aus, kein Zeichen von Fatalismus oder Morbidität, son­dern von Selbstbestimmung bis zum Ende. Eigentlich wür­de sie ger­ne ein­fach in einem Tuch begra­ben wer­den, so wie es bei Muslimen Tradition ist, doch für eine Deutsche auf einem deut­schen Friedhof gel­ten stren­ge Regeln.

Dass sie auch hier die Regeln hin­ter­fragt passt zu einer Frau, die in einem Moment sagt: „Wer nach­denkt, radi­ka­li­siert sich auch.“ Nachgedacht hat Helke Sander viel, beson­ders in den 60er Jahren, als die Studentenrevolten ihren Anfang nah­men, Revolten, die aber bei aller Radikalität oft von einem imma­nen­ten Sexismus geprägt waren. Das Patriarchat ließ sich bei den Eltern ger­ne ankla­gen, bei sich selbst waren die Muster nicht so schnell weg­zu­be­kom­men. Und so kam es 1968 zu Helke Sanders legen­dä­rer Rede vor dem SDS, dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund. Sie for­der­te die Männer im Saal auf, sich nicht nur für die Befreiung der unter­drück­ten Völker in Vietnam oder anders­wo ein­zu­set­zen, nicht nur auf das gro­ße Ganze zu schau­en, son­dern auch das klei­ne, das wenig Spektakuläre im Auge zu behal­ten: Die Realität der Frauen in Deutschland, in Frankfurt und Berlin.

Dort stu­dier­te Sander im legen­dä­ren ers­ten Jahrgang der Filmhochschule DFFB, in dem unter ande­rem Wolfgang Petersen, Harun Farocki, Hartmut Bitomsky und auch der spä­te­re RAF-Terrorist Holger Meins stu­dier­ten. Erste Filme dreh­te Sander noch in den 70er Jahre, ihren bekann­tes­ten 1978. In „Die all­sei­tig redu­zier­te Persönlichkeit – Redupers“ spielt sie sel­ber die Hauptrolle einer allein­er­zie­hen­den Frau, die in West-Berlin als Fotografin arbei­tet und ver­sucht, Kind, Beruf, Privatleben und poli­ti­sches Bewusstsein unter einen Hut zu bringen.

Nicht nur durch ihr eige­nes Mitwirken vor der Kamera wird deut­lich, wie auto­bio­gra­phisch die­ser Film war: Anfang der 60er Jahre zog Sander nach Finnland, bekam ein Kind und kehr­te spä­ter als allein­er­zie­hen­de Mutter nach Berlin zurück. In der Rückschau bli­cken sie und Zeitgenossinnen durch­aus selbst­kri­tisch auf die­se Zeit zurück, geben zu, dass die Kinder nicht immer die Aufmerksamkeit beka­men, die sie viel­leicht hät­ten bekom­men sollen.

Das Private und das Politische unter einen Hut zu brin­gen, das war damals schon schwie­rig, das ist es auch heu­te noch, doch die Fortschritte, die seit den 60er Jahre in der Gesellschaft, aber auch in der Filmbranche zu beob­ach­ten sind, zei­gen, dass der Einsatz von Helke Sander und ande­ren nicht umsonst war. Heute gibt es die Initiative ProQuote, heu­te gibt es Kinderbetruung am Filmset und manch ande­re Errungenschaft. Wie Claudia Richarz in ihrem Dokumentarfilm „Helke Sander: Aufräumen“ über­zeu­gend zeigt: Nicht zuletzt dank Helke Sander.

Michael Meyns | programmkino.de

Credits:

GB 2023, 101 Min.
Regie: Claudia Richarz
Kamera: Claudia Richarz, Martin Gressmann, Volker Sattel
Schnitt: Martin Kayser-Landwehr, Magdolna Rokob

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Squaring the Circle - The Story of Hipgnosis

Squaring the Circle: The Story of Hipgnosis

Ein Film von Anton Corbijn.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Es begann mit einem Knall: Als die bri­ti­sche Polizei 1964 eine ille­ga­le Party in der Underground-Szene von Cambridge gewalt­sam been­det, sind die bei­den Kunststudenten Aubrey „Po“ Powell und Storm Thorgerson die Einzigen, die nicht die Flucht ergrei­fen und den Beamten die Stirn bie­ten. Fortan ist das Duo unzer­trenn­lich. Gemeinsam grün­den sie das Grafik-Label „Hipgnosis“ und desi­gnen die ers­ten Cover für die noch unbe­kann­ten Rocker von Pink Floyd. Mit avant­gar­dis­ti­schem Stil und dem kom­pro­miss­lo­sen Primat der Kunst vor dem Kommerz wer­den Po und Storm zu Lieblingen der Bands – und zum Schrecken der Musikstudios und ‑pro­du­zen­ten. Der Erfolg aber gibt ihnen Recht. Pink Floyd wer­den Weltstars, ihre Cover erlan­gen Kultstatus.

Credits:

GB 2022, 101 Min., engl. OmU,
Regie: Anton Corbijn
Kamera: Stuart Luck, Martijn van Broekhuizen
Schnitt: Andrew Hulme
mit: Paul McCartney, Aubrey Powell, Jimmy Page, Noel Gallagher, Robert Plant, Roger Waters, u.a.

Trailer:
Squaring the Circle: The Story of Hipgnosis (2022)
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Wir waren Kumpel

Wir waren Kumpel

Ein Film von Christian Johannes Koch & Jonas Matauschek.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Hast du eine am Sträußchen?“ hät­ten die Eltern gesagt, wäre Martina mit dem Wunsch, Friseuse zu wer­den, „um die Ecke gekom­men“. Martina ist eine von fünf Bergleuten, die der Film vor und nach der Schließung der ost­west­fä­li­schen Steinkohle-Zeche beglei­tet. Bis 2015 hieß sie Mark, seit ihrer Transition ist sie die ers­te und ein­zi­ge Frau, die unter Tage ein­fährt.
Er ver­brin­ge mehr Zeit mit sei­nem Kumpel Wolfgang („Locke“) als mit sei­ner Frau, rech­net Marco („Langer“) vor. Damit und mit der Arbeit ist bald Schluss, und vor­aus­schau­end macht er neben­her den Busführerschein. Locke wie­der­um ver­misst nach der Stilllegung die gemein­sa­me Zeit schmerz­lich, trotz der oft hef­ti­gen Anblafferei zwi­schen ihnen, oder viel­leicht gera­de des­halb.
Auch Thomas fällt die Umstellung nicht leicht, zumal er die Wohnung mit der alles kon­trol­lie­ren­den Mutter jetzt den gan­zen Tag teilt. Der Tamile Kirishanthan („Kiri“) floh vor über 20 Jahren aus Sri Lanka. Die Hütte und die Kumpel sind seit­dem neben sei­ner Familie ein zwei­tes Zuhause. Auch er muss sich nun umori­en­tie­ren.
Das Ende des Steinkohlebergbaus in Deutschland bedeu­te­te auch das Ende eines der unge­sün­des­ten und här­tes­ten Berufe, wie man sehen kann. Ein Arbeitsplatz in bis zu 1600m Tiefe, enge Stollen, Hitze, Kohlenstaub, Schichtbetrieb – trotz­dem rol­len die Tränen beim Abschied nicht aus Freude. Der Strukturwandel trägt neben Perspektivlosigkeit auch Einsamkeit in sich, denn die har­te Arbeit und das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun, schwei­ßen zusam­men. Der Film zeigt das in tra­gisch-humor­voll-berüh­ren­der Weise, und fin­det für den„Rückbau“ und was „danach“ pas­siert. beein­dru­cken­de Bilder.
Während Locke sich, ange­regt durch sei­ne Kinder und der FFF-Bewegung, Gedanken zum Klimaschutz macht („ein Bergmann, der Kohle geför­dert hat für Kohlekraftwerke will die Welt ret­ten – das wär doch mal was“), fährt Lange einen Schulbus, Kiri unter­rich­tet Tamilisch und Thomas kämpft mit sei­ner Mutter um die Hoheit am Herd. Nur Martina blieb dem Bergbau treu: sie arbei­tet jetzt im Salzbergwerk.

Credits:

DE 2023, 104 Min.,
Regie: Christian Johannes Koch & Jonas Matauschek
Kamera: Sebastian Klatt
Schnitt: Natali Barrey, Annette Brütsch, Jonas Matauschek

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Club Zero

Ein Film von Jessica Hausner.

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Miss Novak beginnt an einer inter­na­tio­na­len Privatschule zu unter­rich­ten, wo sie mit ihrem Unterricht über bewuss­te Ernährung die Essgewohnheiten der Schüler grund­le­gend verändert. Ohne den Verdacht der ande­ren Lehrer und der Eltern zu wecken, gera­ten eini­ge der Schüler in ihren Bann, bis sie schließ­lich selbst Teil des geheim­nis­vol­len Club Zero wer­den.
„Die jun­gen Menschen von heu­te fürch­ten um ihre Zukunft. Sie kämp­fen um sie. Sie wol­len han­deln, Verantwortung über­neh­men, Macht über ihr Leben haben, etwas bewir­ken. Sie wol­len einen Sinn fin­den. Sie wol­len den Planeten ret­ten
und damit auch ihre Zukunft. Sie wer­den poli­tisch, man­che schlie­ßen sich radi­ka­len Gruppen an. Sie wol­len nicht war­ten, bis es zu spät ist. Ich ver­ste­he das, und ich habe gro­ßes Mitgefühl für die­se Generation. (…)
Es gibt bei mir kei­ne mora­li­sche Verurteilung, kei­ne Erlösung. Und ich den­ke, das Thema Ernährung berührt einen Nerv. Essen ist extrem intim, wie Nacktsein oder Sex. Es ist auch tabui­siert. (…)
Essen ist etwas sehr Persönliches, aber gleich­zei­tig auch etwas sehr Soziales. Stellen Sie sich vor, Sie tref­fen sich mit Freunden zum Abendessen und sind die ein­zi­ge Person an die­sem Abend, die nicht isst. Das kann dazu füh­ren, dass die ande­ren sich ange­grif­fen füh­len. Und war­um? Weil Sie einen gehei­men Code bre­chen, eine gesell­schaft­li­che Regel igno­rie­ren und damit die ande­ren in Frage stel­len. Wir alle glau­ben an etwas, nie­mand ist frei von Aberglauben. Jeder von uns gehört zu einer Gruppe, die bestimm­te Grundsätze oder Codes hat. Wir müs­sen die Subjektivität unse­rer Überzeugungen ver­ste­hen, um zu begrei­fen, wie sehr Miss Novak und die Kinder von ihren Glaubenssätzen über­zeugt sind. Ihre »Lebensmittelreligion« ist ein Beispiel für einen radi­ka­len Glauben. (…)
Es gibt eine gewis­se Art von Absurdität, die unse­rer Existenz inne­wohnt. Aus einem distan­zier­te­ren Blickwinkel betrach­tet, erschei­nen vie­le Dinge, an die wir glau­ben und die wir tun, lächer­lich, absurd oder ver­geb­lich. In mei­nen Filmen ver­su­che ich immer, eine distan­zier­te Perspektive zu fin­den, um dies zu reflek­tie­ren. Ganz im Sinne von Bertold Brechts Verfremdungseffekt. Club Zero wird aus einer Perspektive erzählt, die das Alltägliche ver­frem­det: bis hin zur Absurdität. Daraus ergibt sich auch der schwar­ze Humor des Films.” Jessica Hausner

Credits:

AT, UK, DE, FR, DK 2023, 110 Min., eng­li­sche OmU
Regie: Jessica Hausner
Kamera: Martin Gschlacht
Schnitt: Karina Ressler
mit: Mia Wasikowska, Sidse Babette Knudsen, Elsa Zylberstein, Lukas Turtur, Mathieu Demy, Amir El-Masry, Ksenia Devriendt, Luke Barker

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Slow

Ein Film von Marija Kavtaradze.

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Elena ist (wie ihre Interpretin Greta Grineviciute) mit Leib und Seele Tänzerin und Choreografin. Bei einem Tanzworkshop für gehör­lo­se Jugendliche lernt sie den Gebärdendolmetscher Dovydas ken­nen. Die bei­den mögen sich sofort, ver­brin­gen eini­ge Zeit mit­ein­an­der und kom­men sich näher, bis er sei­ne Grenzen auf­zeigt. Dovydas ist ase­xu­ell. Er hat zwar ein Bedürfnis nach kör­per­li­cher Nähe, aber kei­nes nach Sex – eine Herausforderung für Elena, wie für die fri­sche roman­ti­sche Beziehung über­haupt. Unspektakulär und warm­her­zig erzählt Regisseurin Marija Kavtaradze von einer unge­wöhn­li­chen sinn­li­chen Liebe, die ihre Sprache und ihren Weg ent­lang bei­der Wünsche fin­den will, und den ganz nor­ma­len Fallstricken unter­wegs.
„Doch dass, bloß weil zwei, die sich lie­ben, sich etwas vor­neh­men, es noch lan­ge nicht nach Plan ver­lau­fen muss, weiß Marija Kavtaradze in ihrer gra­zil geschrie­be­nen Geschichte eben­so zu illus­trie­ren. Die litaui­sche Filmemacherin benö­tigt in ihrem zwei­ten lan­gen Spielfilm als Regisseurin … kei­ne Einfälle rie­si­ger Tragödien, um alles durch­drin­gen­de Emotionen auf die Leinwand zu zau­bern, insze­na­to­ri­sche Ruhe und Vertrauen in die Dialoge sowie die, die sie spre­chen, genü­gen ihr dazu.“
Jakob Dibold | Ray Filmmagazin
„… es ist erfri­schend, einen Film zu sehen, der „ein­fach nur“ erfolg­reich eine rea­li­täts­ge­treue Beziehung dar­stellt, ohne in die­se gezwun­gen wir­ken­de erzäh­le­ri­sche Wendungen ein­zu­bau­en.“ Maximilian Schröter | film-rezensionen.de

Credits:

LT/ES/SE 2023, 108 Min., litaui­sche OmU
Regie: Marija Kavtaradze
Kamera: Laurynas Bareiša
Schnitt: Silvija Vilkaitė
mit: Greta Grinevičiūtė, Kęstutis Cicėnas

Trailer:
SLOW Trailer Deutsch | German [HD]
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Julie – eine Frau gibt nicht auf

Ein Film von Eric Gravel. 

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Julie gibt alles, um die Erziehung ihrer zwei Kinder in einer länd­li­chen Vorstadt mit dem Job in einem Pariser Luxushotel gut unter einen Hut zu brin­gen, und der Exmann ist ihr kei­ne gro­ße Hilfe. Aber sie ist eine Kämpferin, und sie hat ein Ziel. Nur, dass aus­ge­rech­net an dem Tag, an dem sie ein Jobinterview für die erträum­te Stelle in ihrem erlern­ten Beruf bekommt, ein Streik der öffent­li­chen Verkehrsmittel beginnt und alles lahm­legt. Julies sorg­fäl­tig orga­ni­sier­ter, fra­gi­ler Zeitplan droht zusam­men­zu­bre­chen.
Unter gewal­ti­gem Druck orga­ni­siert, rennt, impro­vi­siert sie, stets auf Kante und auch rück­sichts­los, denn sie hat viel zu ver­lie­ren. Dabei darf sie sich von all der Hektik und dem Stress nichts anmer­ken las­sen, nicht bei den Kindern, nicht im Hotel, und schon gar nicht beim Vorstellungsgespräch.
Für die­se Tour-de-Force wur­de Laure Calamy in Venedig aus­ge­zeich­net, eben­so wie Eric Gravel für die Regie. Der hyp­no­ti­sche Score von Irène Drésel bekam den fran­zö­si­schen Filmpreis César, so auch die her­aus­for­dern­de Schnittarbeit (Mathilde van de Moortel).

Kommen Sie wegen des sozia­len Realismus, blei­ben Sie wegen der thril­ler­ar­ti­gen Spannung, denn Julies Tage wer­den zu einer auf­re­gen­den Analyse der ver­hee­ren­den Auswirkungen des Kapitalismus. Lauf, Julie, lauf!“
Edinburgh Filmfestival

Arbeit, Kinder, rück­stän­di­ge Hypotheken, ein beschis­se­ner Ex. Der Film ist so authen­tisch und nach­voll­zieh­bar – so genau beob­ach­tet, dass ich, um ehr­lich zu sein, annahm, er sei von einer Frau gemacht wor­den.“
Cath Clarke | The Guardian

Credits:

À plein temps
FR 2022, 88 Min., franz. OmU
Regie: Eric Gravel
Kamera: Victor Seguin
Schnitt: Mathilde Van de Moortel
mit: Laure Calamy, Anne Suarez, Geneviève Mnich, Nolan Arizmendi, Sasha Lemaitre Cremaschi, Cyril Gueï

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Kraft der Utopie – Leben mit Le Corbusier in Chandigarh

Ein Film von Karin Bucher und Thomas Karrer.

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Kurz nach der Teilung Indiens und der Befreiung aus der Kolonialherrschaft Englands soll am Fusse des Himalayas aus dem Nichts eine neue Hauptstadt für den Punjab gebaut wer­den. Die alte Hauptstadt Lahore war Pakistan zuge­teilt wor­den. Die Planstadt Chandigarh steht für die neue Demokratie, den Fortschritt und den Glauben an die Zukunft. Engagiert wur­den Architekten aus dem Westen. Zuerst Albert Mayer, dann der schwei­ze­risch-fran­zö­si­sche Architekt Le Corbusier. Absichten, Visionen und Utopien kamen zusam­men. Für Le Corbusier bot Chandigarh die ein­ma­li­ge Gelegenheit, sein Lebenswerk zu voll­enden und sei­ne städ­te­bau­li­chen Ideen umzu­set­zen. Seine Vision war die einer moder­nen, huma­nen und gerech­ten Stadt, nach dem «Mass des Menschen» erbaut, die ein kul­tu­rel­les Leben und ein har­mo­ni­sches Zusammenspiel von Mensch und Natur ermöglichte. 

Zum 70-jäh­ri­gen Bestehen der Planstadt von Le Corbusier fra­gen wir nach, ob in Chandigarh die­se Vision Realität gewor­den ist. Der Film beglei­tet Menschen auf ihren Wegen durch die Stadt und sucht Orte und Schauplätze auf, an denen sich das schil­lern­de Zusammenspiel von altem Traum und neu­em Leben, von Utopie und Alltag, von Zerfall und lei­ser Poesie zei­gen. Ein Zeitzeuge erin­nert sich an die Gründerzeit. Die Direktorin des Le Corbusier Centers, ein Künstler, ein Schauspieler und ein Architekt erzäh­len vom Wagnis, sich hier nie­der­zu­las­sen und reflek­tie­ren ihr Leben in und mit Chandigarh. Auf Streifzügen tref­fen wir Bewohner:innen, die unse­ren Blick auf die Stadt erwei­tern und tau­chen in das all­täg­li­che Leben ein, wel­ches sich die bau­li­chen Strukturen zu eigen gemacht hat. 

Credits:

CH 2023, 84 Min., engl., deut­sche OmU
Regie & Kamera: Karin Bucher, Thomas Karrer
Schnitt: Fabian Kaiser, Thomas Karrer, Mirjam Krakenberger

Trailer:
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