Bunch of Kunst – A Film About Sleaford Mods

Gleich drei Pop-Dokus erzäh­len im September Geschichten der elek­tro­ni­schen Musik. REVOLUTION OF SOUND. TANGERINE DREAM und CONNY PLANKTHE POTENTIAL OF NOISE erzäh­len von den bei­den sehr unter­schied­li­chen Linien der elek­tro­ni­schen Popmusik in Deutschland. Auf der einen Seite steht die eher an klas­si­scher Musik ori­en­tier­te „Berliner Schule“, zu der Tangerine Dreams Gründungsmitglied Edgar Froese zähl­te. Auf er ande­ren Conny Planks Studio in Wolperath, wo Plank zunächst expe­ri­men­tel­len Krautrock pro­du­zier­te, und mit den ers­ten Platten von Cluster, NEU!, Harmonia und Kraftwerk die Grundlagen einer völ­lig neu­en, groo­ve- und sound­ori­en­tier­ten elek­tro­ni­schen Popmusik leg­te. A BUNCH OF KUNSTTHE SLEAFORD MODS ist dage­gen ein hand­ge­strick­ter wir­ken­der Film über die Post-Punk-Band aus Nottingham, deren Sound nicht ganz zufäl­lig an die von Conny Plank pro­du­zier­ten ers­ten Platten von DAF erinnert.

Alle drei Filme sind natür­lich auch Promo für neue Veröffentlichungen. Edgar Froese von Tangerine Dream ist zwar 2015 ver­stor­ben, hat aber Tapes hin­ter­las­sen, an denen die letz­te Besetzung sei­ner Band wei­terf­ri­ckelt. Conny Planks Sohn Stefan, der auch für den Film über sei­nen Vater ver­ant­wort­lich zeich­net, hat Rechte an Connys Bändern geerbt, und da sich Herbert Grönemeyers exqui­si­tes Groenland-Label seit län­ge­rem dar­auf spe­zia­li­siert hat, die frü­hen Meisterwerke aus dem NEU!/Cluster/Kraftwerk/Harmonia-Umfeld zu ver­öf­fent­li­chen, wird da in nächs­ter Zeit sicher auch noch eini­ges aus­ge­gra­ben wer­den. Ein Plank-Sampler ist ange­kün­digt. Die Sleaford Mods pro­du­zie­ren im Film eine neue Platte, und alle, die sie in ihrem Proberaum gefragt haben, fin­den das neue Zeug super: „Yeah, mate, it’s fuck­in‘ great!“

Dabei ist TANGERINE DREAM zugleich der bie­ders­te und trau­rigs­te der Filme. Alexander Hacke liest einen sehr ordent­li­chen Text von Band-Gründer Edgar Froese vor, der alle his­to­ri­schen Stationen sei­nes Lebens der Reihe nach abklap­pert und dazwi­schen ein wenig New Age Philosophie streut: Zeit ist eine Illusion, eben­so die Trennung der Menschen unter­ein­an­der usw. Und ein biss­chen Musiktheorie: Die Basis der Musik ist Bach, der Basso Continuo und der Kontrapunkt usw. Persönliches ver­rät Froese selbst nicht. Am span­nends­ten sind die Momente, in denen Wegbegleiter von den ers­ten Experimenten mit elek­tro­ni­schen Musikinstrumenten erzäh­len: zunächst mit einem Rauschgenerator, der eini­ge Filter hat­te, dann mit dem legen­dä­ren EMS VCS‑3, um schließ­lich bei der Verwendung des Moog-Synthesizers als Sequenzer zu lan­den, was den typi­schen Sound der Band aus­ma­chen soll­te. Interessant sind auch Passagen über die Arbeit der Band an Soundtracks wie den für SORCERER, William Friedkins einst wegen Heiligenschändung (der Film war ein Remake von Henri-George Couzots LOHN DER ANGST) ver­ris­se­nen, inzwi­schen aber zum Kultfilm avan­cier­ten Thriller. Zu sehen gibt es nur Ausschnitte aus RISKY BUSINESS, einem Teenager-Film von 1983, aber SORCERER hät­te durch­aus mal eine Wiederaufführung ver­dient, auch wegen des inno­va­ti­ven Soundtracks, der für Tangerine Dream den Durchbruch in den USA bedeu­te­te. Obwohl die Band sich kurz danach immer wei­ter auf­löst, schil­dert REVOLUTION OF SOUND kei­nen ein­zi­gen Konflikt der Bandmitglieder unter­ein­an­der. Ab Mitte der 80er Jahre muss Edgar Froese allein wei­ter­ma­chen und umgibt sich mit wech­seln­den Massen von Studiomusikern. Die letz­ten 30 Jahre der Band wir­ken wie ein lan­ger, depres­si­ver Zerfall, der sich mit Pomp und Pseudo-Philosophie über die Runden rettet.

CONNY PLANK war das Soundgenie und der expe­ri­men­tel­le Advocatus Diaboli hin­ter Kraftwerk, NEU!, Harmonia, Cluster, Devo, Ultravox, Les Rita Mitsouko, DAF und den Eurythmics, aber auch Italo-Popstar Gianna Nanini zähl­te zu Planks Kunden, und natür­lich eine gan­ze Reihe von Krautrock-Bands, die auch in der Doku dem Vergessen anheim­ge­fal­len sind, wie Grobschnitt, Eroc oder Jane. Die CONNY PLANK-Doku kommt per­sön­li­cher und wesent­lich ent­spann­ter daher als TANGERINE DREAM, und sie schafft es bes­ser, einen Eindruck von der Arbeitsweise und dem spe­zi­fi­schen Sound von Planks Studio ver­mit­teln, unter ande­rem weil die Ausschnitte aus den ein­zel­nen Stücken län­ger sind. Vor allem aber inter­es­siert sich Stefan Plank auf­rich­tig für die Arbeit sei­nes 1985 ver­stor­be­nen Vaters, und wenn er sagt, er ver­su­che, sich mit die­sem Film ein Stück Erinnerung an sei­ne Kindheit zurück­zu­ho­len, dann nimmt man ihm das am Ende sogar ab. Einigen Musikern scheint es ähn­lich zu gehen. Die älte­ren Herren, die einst zum Hip Hop-Duo Whodini gehör­ten, erzäh­len mit Tränen in den Augen, wie sie mit 1718, ohne vor­her jemals Brooklyn ver­las­sen zu haben, zu Plank aufs Kaff kamen: „You were our litt­le brot­her, man!“ Den Musikern, mit denen Stefan Plank spricht, ist die Liebe zu Conny anzu­mer­ken, und so trau­en sie sich auch, Geschichten zu erzäh­len, die ein weni­ger ehr­li­cher Regisseur her­aus­ge­schnit­ten hät­te. Wir erfah­ren unter ande­rem, dass der Sound von Hitlers Reden auf dem Reichsparteitag ein Vorbild für die ver­zerr­ten Gesangsaufnahmen für Plank gewe­sen ist: „Das macht Menschen zu Göttern“, soll er erklärt haben, wäh­rend er die Regler nach oben schob. Vor allem aber schil­dern sie Planks Begeisterung für das Experiment und Spontaneität und erklä­ren den Anteil, den sein krea­ti­ver Geist an den Aufnahmen hat­te. „The Potential of Noise“ ist ein völ­lig gerecht­fer­tig­ter Untertitel, denn Plank hat nicht nur das Potential des „Sounds“, jen­seits von Melodie, Rhythmus und Groove ent­deckt, son­dern den Lärm, den Soundfehler, das Nichtharmonische in die (elek­tro­ni­sche) Pop-Musik gebracht.

Die Arbeitsweise der SLEAFORD MODS unter­schei­det sich nicht beson­ders von dem, was Gabi Delgado in der Conny-Plank-Doku von den Aufnahmen zum ers­ten DAF-Album erzählt: Robert Görl ent­wi­ckel­te mit Plank den Groove, Gabi impro­vi­sier­te dazu. Die Zusammenarbeit von Sänger Jason Williamsons mit sei­nen Partnern Simon Parfrement (bis 2012) und Andrew Robert Lindsay Fearn sieht offen­bar genau­so aus. Andrew macht den Groove, Jason impro­vi­siert, schreibt und edi­tiert im Proberaum, wäh­rend Jason und diver­se ande­re „mates“ ihn ansta­cheln. Alles mit dem heu­te übli­chen win­zi­gen Equipment: ein klei­nes Keyboard, ein biss­chen Software – der Sound der Sleaford Mods und vie­ler ande­rer moder­ner Electro-Bands lässt sich zur Not zum Preis einer E‑Gitarre der Mittelklasse repro­du­zie­ren, wäh­rend Tangerine Dream selbst als Trio gan­ze Lastwagenladungen vol­ler Equipment benö­tig­ten. SLEAFORD MODS – A BUNCH OF KUNST ist hei­ßer, wüten­der Stoff, der in der Tradition nord­eng­li­scher Bands wie The Fall und The Smiths steht. Aber ohne die Soundpioniere der sieb­zi­ger und acht­zi­ger Jahre gäbe es sie ver­mut­lich gar nicht. Dass die Wiederentdeckung des „Krautrock“ eben­falls über England, und vor allem über das vom ehe­ma­li­gen The Teardrop Explodes-Sänger Julian Cope geschrie­be­ne Buch „Krautrocksampler – One Head’s Guide to the Great Kosmische Musik – 1968 Onwards“ von 1995 geschah, ist auch ein Teil die­ser Geschichte.

Tom Dorow

Deutschland 2017, 103 min
Sprache: Englisch
Genre: Biografie, Dokumentarfilm, Musikfilm
Regie: Christine Franz
Drehbuch: Christine Franz
Kamera: Christine Franz
Darsteller: Andrew Fearn, Sleaford Mods, Steve Underwood

Körper und Seele

Ein Film von Ildikó Enyedi.

Der Gewinner des Goldenen Bären – Berlinale 2017.

Ein Hirsch und eine Hirschkuh strei­fen durch den win­ter­li­chen Wald, essen und trin­ken und schau­en sich, wie die Inszenierung uns sug­ge­riert, mal lie­be­voll, mal besorgt (und alles ande­re, was wir in sie hin­ein­se­hen wol­len) mit ihren gro­ßen Knopfaugen an. Ein wun­der­ba­res Spiel mit Projektionen. Auf der ande­ren Seite, die die­sel­be ist, sehen wir einem Personalchef eines Schlachthofes und einer neu­en Angestellten für Qualitätsprüfung und bei deren vor­sich­ti­gen Annäherungen zu. Es stellt sich her­aus, dass die Tierszene, zwar unab­hän­gig von ein­an­der geträumt und doch der gemein­sa­me Traum bei­der Protagonisten ist. Schon ist zu befürch­ten, dass mit sol­chen Analogien ein lieb­li­cher Kitsch in Bezug auf Beziehung und Liebe auf uns nie­der­geht. Zunächst bleibt es auch ein Rätsel, war­um gera­de das nicht pas­siert. Am Ende liegt es wahr­schein­lich dar­an, dass mit har­ten Kontrasten immer wie­der die dicho­to­mi­sche Erzählung geer­det und auf die Dissonanzen, Unstimmigkeiten, Gegensätze hin­ge­wie­sen wird und letzt­lich der Frage nach­ge­gan­gen wird, wie die ein­zel­nen Teile, der Körper und die Seele, har­mo­ni­siert wer­den können.

In ihrem Regiedebüt „Mein 20. Jahrhundert“ waren es die Sterne, die sich ins Geschehen ein­misch­ten, und auch dies­mal haben sur­rea­le neben den rea­lis­ti­schen Einschlägen einen fes­ten Platz; eine unsicht­ba­re Schicksals­macht scheint über das Wohl der Figuren zu wachen. So ist „Körper und Seele“, mit dem Ildikó Enyedi im Februar 2017 den „Goldenen Bären“ bei der „Berlinale“ gewann, ein Werk, in dem Form und Inhalt mit sel­te­ner Meisterschaft zusam­men­tref­fen. Dieser Film über eine zar­te Liebe ver­rät in jeder fein kom­po­nier­ten, in war­men Farben leuch­ten­den Einstellung die Liebe zum Erzählen und zum Kino – der Welt, in der es tat­säch­lich mög­lich ist, sich gemein­sam in Träume zu ver­sen­ken. Marius Nobach | FILMDIENST

Testről és lélekről
Ungarn 2017, unga­ri­sche OmU, 116 Min.

Regie, Buch: Ildikó Enyedi
Kamera: Máté Herbai
Schnitt: Károly Szalai

Mit:
Alexandra Borbély (Mária)
Géza Morcsányi (Endre)
Réka Tenki (Klára)
Zoltán Schneider (Jenő)
Ervin Nagy (Sándor)
Itala Békés (Zsóka, Putzfrau)
Éva Bata (Jenős Frau)
Pál Mácsai (Detektiv)
Zsuzsa Járó (Zsuzsa)
Nóra Rainer-Micsinyei (Sári, Arbeiterin im Schlachthaus)


 

 

What our fathers did: A Nazi legacy

Ein Film von David Evans.

[Pres­se­zo­ne]

In „What our fathers did: A Nazi lega­cy“ kreu­zen sich die Wege der Nachfahren von Opfern und Tätern. Philippe Sands ist der Enkel einer Familie jüdi­schen Glaubens aus Lwiw (Lemberg) in der Ukraine, in Großbritannien auf­ge­wach­sen, ein bekann­ter Jurist mit Schwerpunkt auf Menschen- und Staatsrecht. Sein Buch ‚Torture Team‘ doku­men­tiert die Arbeit der Juristen, die die Grundlagen für die Legalisierung der Folterpraktiken schu­fen, die sich Bush für den ‚Krieg gegen den Terror‘ wünsch­te. Bei Recherchen zu einem ande­ren Buch lern­te Sands Niklas Frank ken­nen, den Sohn des füh­ren­den Juristen des drit­ten Reichs, glü­hen­den Hitler-Verehrers und Generalgouverneurs von Polen, Hans Frank. Niklas mach­te ihn mit Horst von Wächter bekannt, einem Freund. Wächters Vater war Gouverneur von Galizien, eben­falls Jurist und Offi der SS. Lwiw gehör­te zu sei­nem Machtbereich.

Alle drei bege­ben sich auf eine Reise in die Vergangenheit, an die­sen Ort. Die bei­den Freunde kön­nen unter­schied­li­cher nicht sein, geprägt durch ihre kon­trä­ren Familienbeziehungen domi­nie­ren bei Frank Abscheu und Hass, bei Wächter Liebe und Realitätsverleugnung gegen­über den Eltern. 

Man hört und sieht, dass er kei­ne Erkenntnisse zulas­sen möch­te, die ihn aus dem Gefängnis der Vergangenheit befrei­en würden. 

GB 2015 96 Min., engl. OmU
Regie : David Evans

Drehbuch : Philippe Sands
Kamera : Philipp Blaubach, Matt Gray, Sam Hardy
Schnitt : David Charap
Protagonisten : Philippe Sands, Niklas Frank, Horst von Wächter

Stromaufwärts

A film by Marion Hänsel.  In french with ger­man subtitles.

[Pressezone]

Homer and Joé, two taci­turn men aged around fif­ty, sail a small boat up a river in Croatia. Until recent­ly, neither knew of the other’s exis­tence, but now their father has died it turns out they are half-brot­hers. Looking for traces of the man of who shaped their lives so dif­fer­ent­ly, they encoun­ter a third tra­vel­ler, the mys­te­rious Irishman Sean, and their tour through the wild land­scape of Croatia beco­mes a real psy­cho­lo­gi­cal challenge.

»Certain peo­p­le find it diff­cult to talk about them­sel­ves for many dif­fe­rent reasons. My cha­rac­ters, Homer and Joé, half­brot­hers, are such peo­p­le. Homer, trau­ma­tis­ed by an absent father who igno­red his exis­tence, Joé by the vio­lence of this same father. e lack of words, of ver­bal com­mu­ni­ca­ti­on inte­rests me and can be found in a num­ber of my lms. e silen­ces, what is left unsaid, lea­ves room for the spectator’s inter­pre­ta­ti­on, their per­so­nal ima­gi­na­ti­on. I like that. As to the nar­ra­ti­on, I have the impres­si­on that I am dig­ging into earth that I alre­a­dy know but that I want to go deeper. If Joé and Homer are half-brot­hers, it is not by chan­ce. In some of my pre­vious Films, blood-ties, filia­ti­on, the image of the father or his absence are stron­gly pre­sent. Upstream is part of this same lineage.« Marion Hänsel

 

(En amont du fleuve)
Belgien/Niederlande/Kroatien 2016, 90 Min.
Regie: Marion Hänsel
Buch: Marion Hänsel, Hubert Mingarelli
Mit: Olivier Gourmet, Sergi López, John Lynch
Kamera: Didier Frateur
Schnitt: Michèle Hubinon
Produktion: Marion Hänsel, Digna Sinke

Trailer Stromaufwärts from Peripher Filmverleih on Vimeo.

dokfilmwoche 2017

Zum fünf­ten Mal ver­sam­melt die dok­film­wo­che zwi­schen 31. August und 6. September im fsk Kino und Sputnik aktu­el­le doku­men­ta­ri­sche Arbeiten, die die Welt und ihre Zustände zwi­schen Diesseits und Jenseits ver­mes­sen, in Formen die so unter­schied­lich sind, wie die Bilder, die sie dabei zu Tage fördern.

Mehr auf der dok­film­wo­chen-Webseite

Hier eine ers­te Übersicht:

Von der Geburtsvorbereitung über die rich­ti­gen Umgangsformen bis zur Bestattung zei­gen Jörg Adolph und Ralf Bücheler Versuche in die mehr und weni­ger all­täg­li­chen Verrichtungen des­sen ein­zu­füh­ren, was man am Ende Leben nennt. (LEBEN GEBRAUCHSANLEITUNG).

Drei Bauern und ihre Arbeit beforscht fil­misch Sigmund Steiner, und bringt dar­in auch die Figur des eige­nen abwe­sen­den Vaters zum Erscheinen. (HOLZ, ERDE, FLEISCH)

Drei Söhne zeigt David Evans und por­trä­tiert sie auf weit unter­schied­li­chen Wegen mit einer his­to­ri­schen Last umzu­ge­hen (WHAT OUR FATHERS DID)

Der Schauspieler Eric Caravaca spürt sei­ner mit drei Jahren ver­stor­be­nen gro­ßen Schwester nach und stösst dabei auf fran­zö­si­sche Kolonialgeschichte (CARRE 35).

Einen fer­nen Dialog zwi­schen ihren leib­li­chen Eltern, die sich seit 25 Jahren nicht mehr gese­hen haben insze­niert Carlotta Kittel und schreibt damit ihre eige­nen Geschichte, durch Widerstände (ER SIE ICH)

Eli Roland Sachs hat sei­nen Bruder an einen Gott namens Allah ver­lo­ren, nun sucht er ihn wie­der­zu­fin­den (BRUDER JAKOB)

In Argentinien fin­det Nora Fingscheidt eine men­no­ni­ti­sche Gemeinschaft, die ihren Wunsch eines Lebens fern­ab der Welt und in Gott gegen den unaus­weich­li­chen Wandel ver­tei­di­gen. (OHNE DIESE WELT)

Ganz im Diesseits befragt Merzak Allouache Menschen nach ihren Orientierungen auf etwas, das jen­seits die­ser Welt liegt und ent­deckt dabei eine ganz eige­ne Ökonomie. (INVESTIGATING PARADISE).

Den Weg eines jun­gen Rekruten im argen­ti­ni­schen Militär fängt Manuel Abramovich in ein­dring­li­chen Bildern ein, und erzählt von einem Coming of Age in einer tota­len Institution (SOLDADO)

Nach trot­zi­gen Resten von Leben in dem, was von der einst größ­ten Mangan Mine der Welt hält Rati Oneli aus­schau (CITY OF THE SUN)

In der Gegend um Fukushima berich­tet Thorsten Trimpop vom Verhältnis zwi­schen Bewohner*innen und einer Landschaft zwi­schen tie­fer tra­di­tio­nel­ler Verbundenheit und jüngs­ter Kontamination. (FURUSATO)

Zusammen mit Dorfbewohner*innen aus der Minderheit der Bunong erar­bei­tet Mehdi Sahebi ein Bild des Landraubs in Kambodscha und sei­ner viel­fa­chen Verheerungen. (MIRR)

In tra­di­tio­nel­len ira­ni­schen Häusern ist Hashti ein zen­tra­ler Raum der in die ande­ren Bereiche lei­tet. Daniel Kötter betrach­tet den Stadtrand von Teheran als Zone des Übergangs im Haus der isla­mi­schen Republik. (HASHTI TEHRAN)

Michael Glawogger woll­te einen Film dre­hen, der ein Bild zeich­net, das von kei­nem ande­ren Thema zusam­men­ge­lei­tet wird als der eige­nen Neugier. Nach sei­nem plötz­li­chen Tod hat Monika Willi aus dem ver­blie­ben Material ein fas­zi­nie­ren­des Kaleidoskop mon­tiert. (UNTITLED).

Hier der Trailer:

Dokfilmwoche 2017 – Trailer from Peripher Filmverleih on Vimeo.

Die Wunde

Ein Film von John Trengove.

Rituale sind fes­te Bestandteile im sozia­len Leben tra­di­tio­nel­ler Gesellschaften. Sie mar­kie­ren den Wechsel von einer Lebensphase in die nächs­te und fol­gen einem fes­ten Zeremoniell. Die Normalität ist außer Kraft gesetzt, die Zeit suspendiert.
Sehr beein­dru­ckend und fast doku­men­ta­risch beginnt John Trengoves Film mit solch eimen Ritual, näm­lich dem der Beschneidung jun­ger Männer, weiß bemalt und in geschürz­tem Gewand, denen böse Geister, Jugend und Zartheit aus­ge­trie­ben wer­den sol­len. Man könn­te es auch ein Schlachtfest nen­nen. Das gan­ze fin­det auf dem Land statt, nahe einem Dorf der Xhosa, die in Südafrika ansäs­sig sind. Nach dem blu­ti­gen Höhepunkt beginnt eine Zeit der Kontemplation in klei­nen Hütten im Wald, um die Wunden hei­len zu las­sen und zu ler­nen, was man als Mann wis­sen muß: Bäume fäl­len, Tiere töten, Schmerzen nie­der­rin­gen und unmas­ku­li­ne Neigungen unter­drü­cken. Durch die­se Zeit wer­den sie von Älteren beglei­tet, die sie pfle­gen und anlei­ten. Einer von ihnen ist Xolani, er lebt in Queenstown, und soll sich beson­ders um Kwanda aus Johannesburg küm­mern, den der Vater für ver­zär­telt hält, ein Städter halt. Kwanda steht dem, was er durch­zu­ste­hen hat, kri­tisch gegen­über, läßt es aber über sich erge­hen. Ist das Ritual nur ein bru­ta­les Überbleibsel aus der Vergangenheit oder schärft es tat­säch­lich das Bewusstsein für das Erwachsenwerden, dafür, die Verantwortung für das eige­ne Leben zu übernehmen?
Wie Waldgeister schlei­chen die Gruppen der jun­gen Erwachsenen mit ihren Begleitern durch die Landschaft. Während sie nicht wis­sen, wohin die Reise geht, lädt sich das Verhältnis zwi­schen Xolani und Kwanda lang­sam auf. Begehren, Provokation und Aggression wech­seln sich ab. Die bei­den sind ziem­lich unter­schied­li­che Städter: Für den Älteren bedeu­tet die Stadt öko­no­mi­sche Basis und Fluchtort, weil sei­ne Homosexualität im Dorf nichts zu suchen hat. Der jün­ge­re genießt die Freiheit , die für ihn selbst­ver­ständ­lich ist. Als Brandbeschleuniger taucht Vija auf, ein Bilderbuchmacho, der auf dem Land lebt, eine Familie gegrün­det etc.. Sein Verhältnis zu Xolani dreht sich nicht nur um Sex, aber er nutzt des­sen Sehnsucht und Sensibilität ganz selbst­ver­ständ­lich für sich aus. „Die Wunde“ spie­gelt unglaub­lich facet­ten­reich eine Gesellschaft, die von Gewalt und Herrschaftsansprüchen domi­niert wird und dabei wie eine Platte mit Sprung auf der Stelle tritt. Eben eine Männergesellschaft.

Südafrika / Deutschland / Niederlande / Frankreich 2016
Xhosa mit dt. Untertiteln, 88 Min.
Regie: John Trengove
Buch: John Trengove, Thando Mgqolozana, Malusi Bengu
Kamera: Paul Özgür 
Schnitt: Matthew Swanepoel
Mit: Nakhane Touré, Bongile Mantsai, Niza Jay Ncoyini

Die Wunde – Trailer für die offi­zi­el­le Website from Salzgeber & Co. Medien GmbH on Vimeo.

Banana Pancakes and the Lonely Planet

Ein Film von Daan Veldhuizen.

Reisen ist in Mode. Der Filmemacher Daan Veldhuizen betrach­tet das ent­le­ge­ne Dorf Muang Ngoi in Indochina und lässt Jugendliche, die da leben, auf jene tref­fen, die als Backpacker oder Individualtouristen hier­her rei­sen. Selten hat ein Film die unter­schied­li­chen Aspekte des Reisens so unauf­ge­regt, anre­gend und umfas­send auf den Punkt gebracht. Muang Ngoi ist mit sei­ner Lage am Fluss allein schon land­schaft­lich ein­zig­ar­tig, aber man kann das, was der Filmemacher beob­ach­tet, übertragen auf unge­zähl­te ande­re Länder. Der Film beginnt in der Regenzeit, wenn die Jugendlichen vor Ort mit ihren Träumen noch allein sind, und glei­tet naht­los über zu den mit dem Wetterwechsel ein­tru­deln­den Backpackers, die mit dem Lonely Planet im Gepäck hier­her zum Geheimtipp gefun­den haben und für eine kur­ze Zeit aus­stei­gen wol­len. Sie suchen unter ande­rem jene Einfachheit, die Menschen in Muang Ngoi für sich überwinden möch­ten. Shai hat stu­diert und will schnell Geld ver­die­nen mit den TouristInnen, Khao ist Bauer und will eine Familie auf­bau­en. Die bei­den Locals sind sozu­sa­gen unse­re Reisebegleiter und ste­hen für zwei mög­li­che Verhaltensmuster im Dorf. Daan Veldhuizen, der auch die Kamera führte, betrach­tet die Anreisenden ein Stück weit mit den Augen der bei­den, die da sind, und gibt über sie auch den Widersprüchlichkeiten im Dorf genügend Raum.“ trigon-Film

Laos / Niederlande 2015, 85 Min., Lao, Englisch, Französisch, Niederländisch, Hebräisch mit dt. Ut. 
Buch, Kamera & Regie: Daan Veldhuizen
Schnitt: Daan Veldhuizen, Jos Driessen

Mr. Long

Ein Film von Sabu.

The maverick direc­tor Sabu has made a hit­man fable tha­t’s like Charlie Chaplin meets Takeshi Miike. The weird thing is, it works.“ fasst Variety zusam­men. An Stelle eines eige­nen Textes möch­te ich ger­ne aus dem Berlinale-Taz-Blog von Autor Detlef Kuhlbrodt zitieren:

Die ers­ten Minuten von Mr. Long, die in Taiwan spie­len, ist man so gebannt wie bei den Hongkong-Filmen von Johnny To. Mr. Long, beginnt also wie ein Yakuza-Film und wird dann lang­sa­mer. Eben hat­te der Held, ein Auftragskiller aus Taiwan, noch acht Leute umge­bracht. Sein nächs­ter Auftrag in Japan geht schief. Schwer ver­letzt und ohne Pass fin­det er sich in einem ver­las­se­nen Viertel einer Kleinstadt wie­der, trifft einen klei­nen Jungen und des­sen dro­gen­süch­ti­ge Mutter. Der Junge hilft ihm, bringt Verbandszeug, Kleidung und Porree. Aus ein­fachs­ten Zutaten berei­tet der meist schwei­gen­de Killer (er spricht kein Japanisch) schmack­haf­te Suppen und hilft der Mutter beim Drogenentzug.

Alles scheint gut zu wer­den, bis die Gangster von frü­her auf­tau­chen. Wem „Chasuke’s Journey“ (2015), zu schön schien, wird von „Mr. Long“ begeis­tert sein. Von den Bildern, den Tempowechseln, den nicht­li­nea­ren Passagen, dem Mut zur aus­führ­li­chen Erzählung; von der Tonspur, den Schauspielern; der Komik auch. Glücklich gehe ich nach Hause.“

Die Filmographie des japa­ni­schen Regisseurs Sabu (eigent­lich Tanaka Hiroyuki) umfasst sehr ver­schie­de­ne Genres und Macharten. Im fsk-Kino zeig­ten wir sei­ne Filme The Blessing Bell (2003) und Kanikosen (2011).
Hauptdarsteller Chen Chang ist in Taiwan ein Star, er film­te u.a. mit Wong-Kar-wai und Ang Lee. Bei uns war zuletzt in The Assassin von Hou Hsiao Hsien zu sehen.

Japan/Hongkong/ Taiwan/D 2017, 129 Min. Mandarin, Japanisch, Taiwanesisch mit dt. Untertiteln
Regie & Buch: Sabu

Kamera: Koichi Furuya 
Schnitt: Georg Petzold 
mit:.: Chen Chang, Yiti Yao, Runyin Bai

https://filme.kinofreund.com/file/d/EZR4KK5O18FZS5SV

Abluka – Jeder misstraut jedem

Ein Film von Emin Alper.

Istanbul ist nicht wie­der­zu­er­ken­nen. Finster und unwohn­lich, fast apo­ka­lyp­tisch wirkt die Stadt, in die Kadir heim­kommt, als er nach 10 Jahren aus der Haft ent­las­sen wird – und da weiß er noch nicht, wie eng es wer­den wird um ihn. Als Informant soll er als Gegenleistung für sei­ne vor­zei­ti­ge Entlassung im Auftrag der staat­li­chen Terrorismusabwehr Müll auf Sprengsätze durch­wüh­len und die Straßen nach ver­däch­ti­gen Subjekten aus­spä­hen. Doch zunächst sucht er sei­nen jün­ge­ren Bruder Ahmet auf. Ist auch er ein ver­däch­ti­ges Subjekt, oder kann er ihm noch trau­en? Ahmet tötet als Bezirksangestellter streu­nen­de Hunde, ver­steckt aber eines Tages ein ange­schos­se­nes Tier. Eine letz­te mensch­li­che Regung, die ihn zum Ziel der Fahnder macht, und Kedir in eine gefähr­li­che Zwickmühle bringt.

Der Film erscheint wie ein Kommentar zur heu­ti­gen Türkei, wur­de jedoch vor dem Putsch 2016 gedreht. Die Muster von Misstrauen und Verrat im Film sind auch all­ge­mein­gül­tig und nicht rein auf die Türkei zuge­schnit­ten zu lesen. Wer mehr dar­über wis­sen will, kann den Regisseur selbst befra­gen. Am Fr., 8.9.17 ist Emir Alper zu Gast bei uns im Kino.

»Die Türkei, ein Albtraum: Emin Alper, des­sen ers­ter Spielfilm Beyond the Hill 2012 im Forum der Berlinale lief, zeich­net sur­rea­le, Rembrandt-glei­che Tableaux der lau­ern­den poli­ti­schen Gewalt sei­nes Landes, der Einsamkeit und Paranoia, die dar­aus resul­tiert.« Tagesspiegel

Türkei 2015 119 min. türk. OmU, 
Regie & Buch: Emin Alper
Kamera: Adam Jandrup, 
Schnitt: Osman Bayraktaroglu, 
mit: Mehmet Özgür, Berkay Ates, Tülin Özen, Müfit Kayacan

Ana, mon Amour

Ein Film von Călin Peter Netzer.

Das sie beim ers­ten Treffen über Nietzsche spre­chen ist nicht das ein­zi­ge Ungewöhnliche an der Begegnung zwi­schen Toma und Ana, bei­de Studenten, bei­de jung und doch belas­tet durch die Geschichte, durch ihre Eltern, durch die Erbschaft eines Landes, das erst vor kur­zem der Diktatur ent­kom­men ist. Während aus einem Nebenzimmer Sexgeräusche zu hören sind, hat Ana einen Anfall, unbe­stimm­te Magenschmerzen pla­gen sie, und wer­den sie noch jah­re­lang ver­fol­gen, wäh­rend sich ihre Beziehung ent­wi­ckelt und schließ­lich zugrun­de geht. Was wir hier sehen ist mög­li­cher­wei­se eine Rückblende, viel­leicht auch nur eine Erinnerung von Toma, der auf der Coach sei­nes Psychiaters liegt, die Beziehung zu Ana ist vor­bei, sei­ne Haare sind inzwi­schen deut­lich lich­ter als der unge­stü­me Lockenschopf, den er in den zeit­lich frü­he­ren Szenen der Geschichte trug. Jahrelang war es Ana, die bei einer Psychotherapeutin nach Antworten auf ihre Störungen such­te, die von einer mal inzes­tuö­sen, mal miss­bräuch­li­chen Beziehung zu ihrem Vater berich­te­te, die kaum pro­ble­ma­ti­scher war, als das Verhältnis von Toma zu sei­nen Eltern. Fließend wird zwi­schen der Gegenwart und unter­schied­lich weit zurück­lie­gen­den Vergangenheiten hin- und her­ge­schnit­ten (Cutterin Dana Bunescu bekam 2017 den Silbernen Bären), Bezüge zwi­schen heu­te und ges­tern ange­deu­tet, vor allem die Frage auf­ge­wor­fen, inwie­fern die Vergangenheit die Gegenwart beein­flusst. Und genau dies ist das Thema des zeit­ge­nös­si­schen rumä­ni­schen Kinos, das immer wie­der davon erzählt, wie die Ceausescu-Diktatur und die mit ihr ein­her­ge­hen­de Korruption die Menschen präg­te und auch heu­te, inzwi­schen ein Viertel Jahrhundert nach dem Tod des Diktators noch beein­flusst. (…) Fließend sind dabei die Übergänge zwi­schen brei­te­ren gesell­schaft­li­chen Entwicklungen und der per­sön­li­chen Ebene, die bei Netzer im Zentrum steht. Gleich bei­de Elternpaare von Ana und Toma sind gelin­de gesagt zer­rüt­tet und über­tra­gen – zwar unbe­wusst aber unaus­weich­lich – ihre Verhaltensweisen auf die nächs­te Generation. Fast schon fata­lis­tisch wäre das zu nen­nen, wenn es nicht so fas­zi­nie­rend, so genau und klug und wahr­haf­tig beob­ach­tet wäre, wie es Netzer in sei­nem her­aus­ra­gen­den Film tut. Michael Meyns | programmkino.de

Rumänien 2017, 127 Min. , rum. OmU 
Regie: Calin Peter Netzer
Kamera: Andrei Butică 
Schnitt: Dana Bunescu 
mit: Mircea Postelnicu, Diana Cavallioti, Carmen Tanase, Vasile Muraru