Rifkin’s Festival

Ein Film von Woody Allen.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Woody Allen beglei­tet mich seit eigent­lich schon immer. Jedenfalls seit den 70er Jahren, Spielfilme gegen Fernsehserien, zu der Zeit Take the money and run gegen Derrick. Ein Fernseher für zwei Fraktionen, im Einfamilienhaus. Freitagabend bevor Freitag/Samstagabend zu Disco wur­den. Das SS Mitglied Herbert Reinecker gegen Allen David Koenigsberg, Paranoia in der Straßenbahn gegen die ers­te Szene von Annie Hall. Jahrzehnte spä­ter macht Woody Allen mit 84 nach Stardust Memories einen wei­te­ren Film im Film, ent­spannt in San Sebastian, wäh­rend des Festivals. Wallace Shawn, der mit My din­ner with Andrew und Vanya on 42 street von Louis Malle auch im Film dem Theater treu blieb, für das er haupt­säch­lich arbei­tet (auch als Autor), spielt hier die typischs­te aller Woody Allen Verkörperungen. Intellektuell, banal, ver­korkst, hell­sich­tig, ver­wi­ckelt, allein im Kosmos für sol­che wie ihn und des­halb immer in Gesellschaft.

Wallace Shawn lebt also ein Filmfestival lang den Nachmittag eines Fauns aus. Sich sei­ner eige­nen Grenzen nicht bewußt aber die­se beharr­lich ver­fol­gend. Ein Vergnügen.

Rifkin’s Festival wur­de bereits 2019 gedreht, kommt nun aber auch end­lich in hie­si­ge Kinos. Wie so oft bei Allen ist dies ein viel­schich­ti­ger, warm­her­zi­ger Film. Noch dazu einer, der das euro­päi­sche Kino ehrt und zele­briert. In der Hauptrolle agiert Wallace Shawn. Er ist prak­tisch Woody Allen’s Alter Ego. Als Romanautor geschei­tert, als New Yorker Filmdozent nur Anhängsel sei­ner Frau Sue, beglei­tet Mort Rifkin sie zu den Filmfestspielen in San Sebastián. Dort macht Sue die PR für den neu­en Film des Regisseurs Philippe, den Mort so gar nicht aus­ste­hen kann. Er hegt auch den Verdacht, dass Sue eine Affäre hat. Als er dann die orts­an­säs­si­ge Ärztin Jo ken­nen lernt, fin­det er immer wie­der neue Gründe, wie­so er sie auf­su­chen muss. Mort sin­niert über sei­ne Beziehungen – und das in Tagträumen, die gro­ßen euro­päi­schen Filmklassikern nach­emp­fun­den sind.

(Peter Osteried, Cineman)

Credits:

ES/US/IT 2020, 92 Min., engl. OmU,
Regie: Woody Allen
Kamera: Vittorio Storaro
Schnitt: Alisa Lepselter
mit: Elena Anaya, Louis Garrel, Gina Gershon, Sergi López, Wallace Shawn, Christoph Waltz

Trailer:
RIFKIN’S FESTIVAL | Offizieller Trailer | Deutsch
im Kino mit deut­schen Untertiteln
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Eine Sekunde

Ein Film von Zhang Yimou.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Eine Sekunde Film, dafür ist der Häftling aus dem Straflager geflo­hen. Seine ihn ent­frem­de­te Tochter soll so lan­ge in dem Werk, das durch die Provinz tourt, zu sehen sein. Genauer gesagt, in der Wochenschau, und aus­ge­rech­net die­se Filmrolle stiehlt das Waisenmädchen Wu. Sie will das Material einer ande­ren, für sie wich­ti­gen Bestimmung zufüh­ren. Ohne die­se Propaganda-Rolle wie­der­um will der stol­ze Projektionist des Kinos der zwei­ten Einheit die Vorstellung nicht begin­nen. Es beginnt eine wech­sel­sei­ti­ge Jagd auf das Diebesgut, mit Verlusten auf aller Seiten. Doch aller Auseinandersetzungen zum Trotz bahnt sich auch eine neue Freundschaft an.

Bevor Zhang Yimous sei­ne „boden­stän­di­ge und ein­fa­che Geschichte“ vor Publikum zei­gen konn­te, hat­te der Film schon eine beweg­te Geschichte hin­ter sich. Bei der Berlinale für den Goldenen Bären nomi­niert, wur­de er kurz vor sei­ner Premiere aus „tech­ni­schen Gründen“ zurück­ge­zo­gen. Gleiches pas­sier­te dann 21 Monate und zwei Überarbeitungen spä­ter noch­mal beim „Golden Rooster and Hundred Flowers Film Festival“. Kurze Zeit spä­ter aber wur­de der heiß erwar­te­te Streifen in China mit gro­ßem Erfolg gestartet.

Hatte Zhang zuvor eini­ge opu­len­te Werke geschaf­fen, und zuletzt mit „Hero“ auch das Wuxia-Genre bedient, kön­nen wir hier zwar auch wun­der­ba­re Bilder der Sandwüste bewun­dern, aber Bilder aus der Kulturrevolution sind ins­ge­samt fürs Schwelgen wohl weni­ger geeignet.

Eine Sekunde ist eher eine Hommage an den 35mm-Film, an sei­ne Haptik, Sinnlichkeit, die stoff­li­che Verletzlichkeit des Materials, und dabei an sei­ne Möglichkeiten, sowie an das Kino die­ser Zeit. Es wird hier „Heroische Söhne und Töchter“ gezeigt, alter­na­tiv wäre nur „Der Kampf zwi­schen Nord und Süd“ mög­lich gewe­sen, denn es gibt nur weni­ge Filme fürs Landvolk. Das tut der Begeisterung jedoch kei­nen Abbruch, und der Andrang sorgt immer­hin für die ein- oder ande­re Massenszene.

Credits:

Yi miao zhong 秒钟
CN 2019, 103 Min., man­da­rin OmU
Regie: Zhang Yimou
Basierend auf dem Roman „The Criminal Lu Yanshi” von Yan Geling.
Schnitt: Yuan Du
Kamera: Zhao Xiaoding
mit: Zhang Yi, Liu Haocun, Fan We

Trailer:
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filmPOLSKA 2022

Vom 22. – 29. Juni fin­det die­ses Jahr das größ­te pol­ni­sche Filmfestival außer­halb Polens statt (mehr). Im fsk zei­gen wir alle sie­ben Wettbewerbsbeiträge und zwei Specials:

Bukolika / Bucolic Mutter und Tochter in einem bau­fäl­li­gen, abge­le­ge­nen Haus. Das gan­ze Leben mit sei­nen all­täg­li­chen Reibereien, klei­nen Ausbrüchen und grund­le­gen­den Entscheidungen.
PL 2021, R/B/K: Karol Pałka, 70 Min, OmeU,
24.06. 20:00 zu Gast: Karol Pałka
[Tickets]


Inni lud­zie / Other People Wer ein­mal einen Text der Star-Autorin Dorota Masłowska gele­sen hat, weiß, was ihn/sie erwar­tet: eine wild schlin­gern­de Handlung, Gesellschaftskritik, mas­sen­haft pop-/kul­tu­rel­le Zitate, Blicke in die Abgründe urba­ner Milieus im frü­hen 21. Jahrhundert.
PL 2021, 106 min, OmdU, R/B: Aleksandra Terpińska, D: Jacek Beler, Sonia Bohosiewicz, Magdalena Koleśnik.
25.06. 20:00
[Tickets]

Mosquito State In einem muti­gen, umwer­fend bild­ge­wal­ti­gen visu­el­len Experiment ver­knüpft Rymsza die Biografie eines Insekts mit der Zukunft der glo­ba­len Ökonomie. Er zeigt, dass neue Ansätze radi­kal gedacht wer­den müs­sen – und fin­det dafür radi­ka­le visu­el­le Mittel.
PL/USA 2020, 101 min, engl. OF m. poln. UT, R: Filip Jan Rymsza, D: Beau Knapp, Charlotte Vega, Jack Kesy u. a.
29.06. 20:00 zu Gast: Filip Jan Rymsza
[Tickets]

Ostatni kom­ers / Love Tasting Es ist Juni, nur noch weni­ge Tage blei­ben bis zum gro­ßen Abschlussball. Dann wer­den sich die Wege der Gymnasiastinnen tren­nen und es wird höchs­te Zeit sich zu ent­schei­den, wohin die Lebensreise gehen soll.
PL 2020, 85 min, OmeU, R/B: Dawid Nickel, D: Mikołaj Matczak, Michał Sitnicki, Sandra Drzymalska u. a.
28.06. 20:00l
[Tickets]

Polaków port­ret włas­ny / Polish Self-Portrait Ein Dokumentar-Experiment, in denen die Protagonistinnen zu ihren eige­nen Kameraleuten wer­den und uns ein Jahr lang an ihrem Leben teil­ha­ben las­sen. Und das ist alles ande­re als ereig­nis­arm.
PL 2021, 115 min, OmeU, R: Maciej Białoruski, Jakub Drobczyński, Robert Rawłuszewicz,
26.06. 20:00 zu Gast: Maciej Białoruski & Jakub Drobczyński
[Tickets]

Sonata / Sonate In der Provinz des Karpatenvorlandes wird bei Grzegorz schon früh Autismus dia­gnos­ti­ziert. Er spricht nicht, kap­selt sich von sei­ner Umwelt ab und vege­tiert man­gels Therapie vor sich hin – bis in sei­nem Haus ein Klavier auf­taucht.
PL 2021, 118 min, OmdU, R/B: Bartosz Blaschke, D: Michał Sikorski, Małgorzata Foremniak, Łukasz Simlat
27.06. 20:00 zu Gast: Bartosz Blaschke
[Tickets]

Wszystkie nas­ze strachy / Alle unse­re Ängste Kunst und Gesellschaft sind für Daniel Rycharski untrenn­bar mit­ein­an­der ver­bun­den, doch mit sei­nen Skulpturen und Happenings eckt er bei den unmit­tel­ba­ren Nachbarn mas­siv an – vor allem, wenn er dar­in die Ausgrenzung von LGBT-Personen the­ma­ti­siert.
PL 2021, 91 Min, OmdU, R: Łukasz Ronduda, Łukasz Gutt, Kamil Grzybowski, D: Dawid Ogrodnik, Maria Maj, Andrzej Chyra.
23.06. 20:00 zu Gast: Łukasz Ronduda, Łukasz Gutt & Dawid Ogrodnik
[Tickets]

Erotica 2022 In fünf Episoden ent­wer­fen Regisseurinnen nach Drehbüchern nam­haf­ter Schriftstellerinnen – unter ihnen die Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk und Bestseller-Autorin Joanna Bator – dys­to­pi­sche Visionen über eine nicht all­zu fern lie­gen­de Zukunft. PL 2021, 137 min, OmeU, R: Anna Kazejak, Anna Jadowska, Kasia Adamik, Jagoda Szelc, Olga Chajdas, D: Agata Buzek, Monika Pikuła, Agnieszka Żulewska,
26.06. 15:00 zu Gast: Anna Jadowska
[Tickets]

Film bal­ko­no­wy / Der Balkonfilm Paweł Łoziński mon­tiert eine Kamera auf dem Balkon, kabelt ein Mikrofon an den Zaun und beginnt, den Passant*innen schein­bar plan­los und naiv Fragen nach ihrem Woher und Wohin zu stel­len. Von nun an legt er sich ein Jahr lang auf die Lauer.
PL 2021, 100 min, OmdU, R/B/K: Paweł Łoziński, S: Paweł Łoziński, Piasek & Wójcik 25.06. 15:00 zu Gast: Paweł Łoziński
[Tickets]

Termine:

Do., 7. Sep.:Fr., 8. Sep.:Sa., 9. Sep.:So., 10. Sep.:Di., 12. Sep.:Mi., 13. Sep.:Mi., 13. Dez.:Mi., 17. Jan.:Mi., 14. Feb.:Mi., 13. Mrz.:Mi., 10. Apr.:Mi., 15. Mai.:Mi., 12. Jun.:Mi., 17. Jul.:

Die Ruhelosen

Ein Film von Joachim Lafosse.

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Hat er sei­ne Pillen genom­men oder nicht? Habe er, beteu­ert Damien, aber Leïla kann ihm nicht glau­ben. Jeden Tag gibt es mehr klei­ne Anzeichen für die nächs­te mani­sche Episode, ihr Mann ent­glei­tet ihr Stück für Stück.
Der erfolg­rei­che Maler und die Restauratorin leben mit ihrem Sohn Amine in einem geräu­mi­gen Hof auf dem Land nahe dem Meer. Damiens Bipolarität macht allen drei­en ein­zeln das Leben schwer, und dazu das Zusammenleben schwie­rig. Sie strei­ten, sie schrei­en, aber sie lie­ben sich auch lei­den­schaft­lich. Die Liebe zu erhal­ten, ist schon für ande­re schwie­rig genug, mit die­ser Krankheit aber eine extre­me Herausforderung. Als eine gro­ße Ausstellung sei­ner Werke ansteht, ver­wei­gert der eupho­ri­sche, ener­gie­ge­la­de­ne Damien voll­ends die Medikation. Leïla ist am Ende und lässt ihn ins Krankenhaus ein­wei­sen, nicht zum ers­ten Mal. Aber auch sei­ne Abwesenheit macht sie fer­tig. Was kommt danach? Was pas­siert, wenn eine Krankheit die Kontrolle über­nimmt, über die Umgebung, die Beziehungen?
„Der gequäl­te männ­li­che Künstler wird vom Kino regel­mä­ßig ver­wöhnt: In zahl­lo­sen Filmen wer­den krea­ti­ve Männer beschrie­ben, die sich im Dienste ihres Genies schlecht beneh­men, wobei die unschö­ne Realität ihrer psy­chi­schen Gesundheit oder die Auswirkungen ihres Verhaltens auf ande­re nur ein Lippenbekenntnis ist. Mit die­sem außer­ge­wöhn­lich bewe­gen­den und klug beob­ach­te­ten Film bie­tet der bel­gi­sche Filmemacher Joachim Lafosse so etwas wie ein Korrektiv, und zwar ein span­nen­des, ver­stö­ren­des.“
Dave Calhoun | timeout

Credits:

Les Intranquilles
BE/LU/FR 2021, 118 Min., frz. OmU,
Regie: Joachim Lafosse
Kamera: Jean-François Hensgens
Schnitt: Marie-Hélène Dozo
mit: Leïla Bekhti, Damien Bonnard, Gabriel Merz Chammah, Patrick Descamps

Trailer:
The Restless / Les Intranquilles (2021) – Trailer (English subs)
im Kino mit deut­schen Untertiteln
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Der menschliche Faktor

Ein Film von Ronny Trocker.

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Jan und Nina lei­ten eine Werbeagentur und leben mit ihren Kindern Emma und Max in Hamburg. Ein Ausflug in ihr gelieb­tes Wochenenddomizil an der Belgischen Küste beginnt dra­ma­tisch: es ist jemand ins Haus ein­ge­drun­gen, und hat bei Ankunft der Familie die Flucht ergrif­fen. Außer dass Max‘ zah­me Ratte den Schreckmoment eben­falls zur Flucht nutzt, ist aber kein Schaden zu ent­de­cken. Trotzdem ist das Sicherheitsgefühl an die­sem Ort ver­schwun­den, und wei­te­re Vertrauensverluste fol­gen.
Nun ken­nen wir ja den „Rashomon-Effekt“: ein Ereignis wird von allen Beteiligten unter­schied­lich erlebt und beschrie­ben, was zu ver­schie­de­nen Interpretationen und Handlungsoptionen führt. Allerdings sehen wir hier nun nicht nur nach und nach die Sichtweisen der fünf – ja, Ratte Zorro ist auch dabei und hat eine recht plau­si­ble Sicht auf die Dinge – Anwesenden, son­dern auch ande­re Geheimnisse kom­men ans Licht, wie Jans heim­li­che Zusage zu einem deli­ka­ten Auftrag, gegen den Willen sei­ner Partnerin.

„Während sich das Quartett in der Gefahr zunächst näher kommt, um dann aber zuneh­mend die Bodenhaftung zu ver­lie­ren, irri­tiert Regisseur Ronny Trocker über­dies mit einer nicht-linea­ren Erzählweise, die das anfäng­li­che Familiendrama all­mäh­lich in einen auf expli­zi­te Horroreffekte ver­zich­ten­den Thriller ver­wan­delt. Die Bedrohung aus dem Inneren der Figuren droht dabei in die ohne­hin mul­ti­per­spek­ti­visch aus­fran­sen­de Handlung durch­zu­drin­gen. Selbst die Tatsache des Einbruchs gerät ins Wanken. Vielleicht waren es gar kei­ne Diebe, son­dern Aktivisten, die Jans Kampagne für die extre­mis­ti­sche Partei ableh­nen? Oder doch nur eine kol­lek­ti­ve Einbildung von Menschen, die zu lan­ge anein­an­der vor­bei­ge­lebt haben?
… ein psy­cho­lo­gisch kon­zen­trier­ter, aber gera­de durch sei­nen unspek­ta­ku­lä­ren Gestus beun­ru­hi­gen­der und zutiefst beein­dru­cken­der Film.“ Alexandra Wach | Filmdienst

Credits:

DE, DK, IT 2022, 102 Min., frz., dt. OmU,
Buch & Regie: Ronny Trocker

Kamera: Klemens Hufnagl
Schnitt: Julia Drack
mit Mark Waschke, Sabine Timoteo, Jule Hermann, Wanja Valentin Kub

Trailer:
DER MENSCHLICHE FAKTOR Trailer HD
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Zum Tod meiner Mutter

Ein Film von Jessica Krummacher.

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Einfach Sterben ist es nicht. Es ist nicht ein­fach zu ster­ben.
Julianes Mutter ist erst 64 Jahre alt. Sie ist schwer krank und lebt in einem Pflegeheim. Jetzt will sie ster­ben und hört auf zu essen und zu trin­ken. Juliane beglei­tet ihre Mutter dabei. Freunde und Bekannte kom­men zu Besuch. Sie neh­men Abschied. Juliane auch, ganz lang­sam. Das Sterben dau­ert, dabei ist es recht fried­lich, manch­mal pro­vo­zie­rend. Der Ausgang steht bereits fest. Ihre Mutter wird bald nicht mehr da sein, wäh­rend Julianes Leben wei­ter­geht. Sie möch­te ihrer Mutter hel­fen und doch weiß sie, dass sie ihr das Sterben nicht abneh­men kann. Aus Tagen wer­den Wochen. Tochter und Mutter sind sich unend­lich nah, kör­per­lich und geis­tig. Bis etwas sie trennt: der ersehn­te Tod.
Jessica Krummacher erzählt in ihrem zwei­ten Spielfilm vom Sterben, so wie es sich in der Realität ver­hält. Vom Loslassen eines gelieb­ten Menschen. Bis am Ende alles still ist.

Womöglich hat sich noch kein Film so inten­siv und umfas­send mit dem Ableben befasst wie Zum Tod mei­ner Mutter. Mit sei­ner Unfassbarkeit und Alltäglichkeit. Mit der Nähe und Intimität, aber auch dem Befremden, das ein­setzt, wenn ein Mensch, der schon immer da war, weni­ger wird, sich auf­löst und bald ver­schwun­den sein wird. Aber auch mit der Unmöglichkeit, das Sterben zu tei­len, selbst wenn man bis zur Erschöpfung an der Seite ist und dabei in eine ganz eige­ne Daseinsform abdrif­tet. „Es ist unmög­lich, in dein Leid ein­zu­drin­gen“, sagt Juliane ein­mal.
Zum Tod mei­ner Mutter ist aber nicht nur ein Film, der zwei Körper in ihrem Zusammenspiel betrach­tet. Er unter­nimmt auch eine sprach­li­che Annäherung an den Tod. Immer wie­der wird er in Worten umkreist, wird nach einem Ausdruck gesucht, um zu beschrei­ben, was pas­siert und doch nie ganz zu fas­sen ist.“ Esther Buss | Filmdienst
Am Sonntag, 12.6. ist Jessica Krummacher bei uns zu Gast, um über ihren Film zu sprechen.

Credits:

DE 2022, 135 Min., OmenglU,
Buch & Regie: Jessica Krummacher
Kamera: Gerald Kerkletz,
Schnitt: Anne Fabini,
mit: Birte Schnöink, Elsie de Brauw, Christian Löber, Gina Haller, Nicole Johannhanwahr, Thomas Wehling, Susanne Bredehöft u. a.

Trailer:
Zum Tod mei­ner Mutter (offi­zi­el­ler Trailer)
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Axiom

Ein Film von Jöns Jönsson.

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Julius ist ein rede­ge­wand­ter jun­ger Museumswärter, der sich all­seits gro­ßer Beliebtheit erfreut. Eines Tages lädt er sei­ne Kolleg*innen zu einem Segeltörn auf dem Boot sei­ner ade­li­gen Familie ein. Die Stimmung kippt. Julius ist nicht der, der er zu sein vor­gibt.
Moritz von Treuenfels ist die per­fek­te Besetzung für die Rolle des char­man­ten jun­gen Mannes, dem man zunächst ger­ne folgt, bevor einem unver­se­hens immer unwoh­ler wird. Denn Julius’ dyna­mi­sche Haltung zum Leben bringt aller­hand Widersprüche mit sich. In sei­nem fein­sin­nig geschrie­be­nen und insze­nier­ten Film über Identität und Sozialverhalten setzt Jöns Jönsson die Idee vom „Fake it till you make it“ der Zerreißprobe aus. Julius beein­druckt mit Weltgewandtheit und Eloquenz, er ver­kör­pert das moder­ne Ideal eines Menschen, der sich selbst stän­dig neu erfin­det. Doch sei­ne Verhaltensmuster ste­hen in Konflikt mit gesell­schaft­li­chen Regeln. Mit einer Flexibilität, ähn­lich der des Protagonisten, erkun­det Axiom die­sen ver­stö­ren­den Widerspruch – ein fas­zi­nie­ren­der Film, der Herz und Verstand erschüt­tert.
„Auf die Idee zu AXIOM kam ich durch eine kur­ze Anekdote, die mir ein Freund vor vie­len Jahren erzählt hat. Ein Bekannter von ihm hat­te einen neu­en Kollegen, der immer etwas Interessantes zu sagen hat­te. Ein cha­ris­ma­ti­scher, sym­pa­thi­scher Typ, mit dem man sich ger­ne befreun­de­te. Eines Tages hat er sei­ne Kolleg*innen zu einem Segelboot ein­ge­la­den, doch der Ausflug fand nie statt. Es hat dann noch etwas gedau­ert, bis sie her­aus­ge­fun­den haben, was mit dem Typen nicht stimm­te.
AXIOM ist ein Film über das Menschsein, wie ich es sehe, zusam­men­ge­fasst in dem Satz “Fake it till you make it”, der für mich sehr tref­fend unser aller Verhalten von der Geburt an cha­rak­te­ri­siert. Die Vorstellung solch einer Person, die auf wider­sprüch­li­che Weise so ver­bun­den mit ihrer Umwelt und doch so iso­liert von ihr ist, hat mich fas­zi­niert und zum Nachdenken bewegt. Dies brach­te mich schließ­lich an einen Punkt, an dem ich jede Art von “wah­rer Identität” voll­stän­dig in Frage stel­len muss­te, ganz im Sinne des Schriftstellers Luigi Pirandello, der vor­schlug, dass wir alle für jede neue Person, die wir tref­fen, eine neue Identität erfin­den.“
Jöns Jönsson

Credits:

DE 2021, 113 Min., dt. OmeU
Regie & Buch: Jöns Jönsson
Kamera: Johannes Louis
Schnitt: Stefan Oliveira-Pita
mit: Moritz von Treuenfels, Ricarda Seifried, Thomas Schubert, Zejhun Demirov, Sebastian Klein, Leo Meier, Ines Marie Westernströer

Trailer:
From: Cineuropa
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France

Ein Film von Bruno Dumont.

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Wie wun­der­bar kann man sich über sie aus­tau­schen, was sie tun, wie sie es tun, wie sie sich prä­sen­tie­ren. Watching the Detektive: Die Belustigung oder der Aufreger über öffent­li­che Medienvertreter ist selbst schon zur eige­nen Unterhaltungsform gewor­den. Bruno Dumont ver­sucht sich an der Überdrehung die­ser Entertainment- schrau­be. Lea Seydoux spielt France, eine sehr pro­mi­nen­te Fernsehmoderatorin, die immer dahin geht, „wo es weh­tut“. Das ist wahl­wei­se eine Regierungskonferenz, ein Kriegsgebiet oder eine Seenotrettungsaktion. Immer mit­ten­drin, nah am Sujet, per­fekt in Szene gesetzt zeigt sie der Gemeinde, was die sehen will, Sensation, Aktion und Anteilnahme. Aber der Film geht wei­ter. France de Meure ist immer etwas zu schrill, zu uner­schro­cken, zu schnell, zu beliebt, dabei stets unter­stützt, oder auch getrie­ben, von ihrer, alles mit „geni­al“ kom­men­tie­ren­den Assistentin. Aber nicht alles ist per­fekt. Die Wohnung ist eine rie­si­ge Designer-Gruft, die Ehe nur noch ein lang­wei­li­ger Witz, und ein Unfall schafft es schließ­lich, sie völ­lig aus der Bahn zu wer­fen. Aber aus der Katastrophe erwächst ja immer auch eine neue Chance, sagt jeden­falls das „Positive Denken“.

Das Systemische, von dem die­se Satire zeugt, umfasst die Zuschauerschaften, die als Fans ins Bild tre­ten, eben­so wie die, die im Kino vor dem Film sit­zen. Weil er sich dabei angreif­bar macht, gerät Dumont womög­lich selbst unter die Räder. Das wäre nicht das Schlechteste für eine Farce, die davon erzählt, dass nie­mand über­le­gen ist.“
Frédéric Jaeger | critic.de

Credits:

FR 2021, 133 Min., frz. OmU
Regie: Bruno Dumont
Kamera: David Chambille
Schnitt: Nicolas Bier
Mit: Léa Seydoux, Blanche Garin, Benjamin Biolay, Emanuele Arioli, Gaëtan Amiel, Juliane Köhler, Jawad Zemar

Trailer:
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The United States of America

Ein Film von James Benning.

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Wie schön, end­lich wie­der ein neu­er „Benning“.
Es beginnt mit „Heron Bay, Alabama“ und endet mit „Kelly, Wyoming“. dazwi­schen lie­gen wei­te­re 50 Einstellungen, beti­telt mit US-ame­ri­ka­ni­sche Bundesstaaten, ein­schließ­lich Puerto Rico und District of Columbia, die offi­zi­ell kei­ne sind.
Manche der, erwart­bar wun­der­bar kom­po­nier­ten, sta­ti­schen Einstellungen von Landschaft, Städten, Wegen und sons­ti­gen Orten wer­den unter­legt und ergänzt durch Erinnerungen, Songs, zwei poli­ti­schen Reden (u.a. Woody Guthrie, Martin Luther King, Dwight D. Eisenhower, Alicia Keys).
1975 fuhr Benning zusam­men mit Regisseurin Bette Gordon durch die USA, das durch die Windschutzscheibe gefilm­te Werk hieß „The United States of America“. Jetzt wird mit der Neuauflage glei­chen Namens das Bild aktua­li­siert.
„Nicht zuletzt war James Benning immer schon auch ein Spieler und Humorist. In die­sem Film beglückt er sei­ne Fans mit vie­len augen­zwin­kern­den Referenzen und Anspielungen auf frü­he­re Arbeiten. Der größ­ten Spaß, den er sich her­aus­nimmt, ist aber eine gewich­ti­ge Verschiebung im Verständnis des gesam­ten Films aus der Rückschau. Genaueres ver­ra­ten wer­den soll hier aus Spoiling-Gründen nicht. Aber bit­te blei­ben Sie auf­merk­sam bis zum Abspann! Es könn­te sein, dass Sie „The United States of America“ danach gleich ein zwei­tes Mal sehen wol­len.“
Silvia Hallensleben | Der Tagesspiegel

Credits:

USA 2022, 98 Min., eng­li­sche OV (kaum Dialog)
Regie: James Benning

Trailer:
The United States of America | Clip | Berlinale 2022
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Stand up my Beauty

ein Film von Heidi Specogna. Filmgespräch mit Heidi Specogna am So., 22.5.22

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Nardos Wude Tesfaw hat­te Glück. Sie ent­kam dem Schicksal, das gut ein Drittel der Mädchen in Äthiopien trifft und wur­de nicht schon als Kind ver­hei­ra­tet. Statt des­sen schaff­te sie es als Jugendliche, durch Schwerstarbeit auf eige­nen Füßen zu ste­hen und schließ­lich zu machen, was sie kann und und will: Musik. Nardos singt in einem Club in Addis Abeba in der Azmari-Tradition, eine Art gesun­ge­nes Gespräch, und tourt aber auch mit ihrer Band Ethiocolor durch die Welt (und trat z.B. beim Jazz-Fest in Moers auf). Die Sängerin ist wohl bekannt, kann sich und ihre zwei Kinder finan­zi­ell aller­dings gera­de so durch­brin­gen.
Ihr Traum ist es, eige­ne Lieder zu zu schrei­ben, und Texte, die von der Situation der Frauen im Land han­deln, zusam­men mit der Dichterin Gennet in Musik umzu­set­zen. Dazu fährt sie durchs Land und spricht mit vie­len Frauen und Mädchen, die Zwangsverheiratung ist dabei ein zen­tra­les Thema.
Heidi Specogna beglei­tet ihre Reisen fünf Jahre lang, wobei die Grundlage dafür, sagt die Regisseurin, das gegen­sei­ti­ge Vertrauen war, das sich wäh­rend ihrer Recherche auf­ge­bau­te.
Gleichzeitig hält der Film die rasan­ten Entwicklungen in der Mega-Stadt Addis-Abbeba wäh­rend die­ses Zeitraumes fest.
„… Specogna macht kei­ne Bilder über die Köpfe der Frauen hin­weg. Vielmehr unter­läuft sie kon­se­quent jede euro­zen­tri­sche Perspektive, indem die Musik von Nardos den Rhythmus bestimmt, die Bilder sich an Gennets Poesie anschmie­gen und die Montage das Individuell-Biografische ein­fühl­sam mit der gesell­schaft­li­chen Perspektive zu ver­bin­den weiß. „Stand Up My Beauty“ fächert sich auf, lässt Raum für Prozesse, nur um sie im nächs­ten Moment zu Zeitbildern zu ver­dich­ten.“
Sebastian Seidler | Film Bulletin

Credits:

DE/CH 2021, 110 Min., amha­rische OmU
Regie: Heidi Specogna

Kamera: Johann Feindt
Schnitt: Kaya Inan

Trailer:
STAND UP MY BEAUTY – Offizieller Trailer (OV/d)
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