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Vânâtoare

Ein Film von Alexandra Balteanu.

Drei Frauen ste­hen jeden Tag unter der Autobahnbrücke, die Bukarest mit der nächs­ten Stadt ver­bin­det. Während das Leben an ihnen vor­bei­rauscht, war­ten sie auf den nächs­ten Freier. Hier, zwi­schen den Betonpfählen, inmit­ten von Lärm, Dreck und Abgasen, ver­ge­hen ihre Tage, die geprägt sind von Routine, Unsicherheit, Konkurrenz und Gewalt. Nicht allein von den Freiern geht eine gro­ße Bedrohung aus, son­dern fast noch mehr von der bru­ta­len und kor­rup­ten Polizei. Die beob­ach­ten­de Haltung der Filmemacherin Balteanu, die ihre Figuren einen gan­zen Tag beglei­tet, trägt einer­seits zu einer äus­se­ren Entdramatisierung und ande­rer­seits doch gleich­zei­tig zu einer inne­ren Angespannung bei.

Aus der Jurybegründung für die bes­te Regie beim Max Ophüls Preis: Die Regieleistung ist ehr­lich, genau, dra­ma­tisch, komisch und uner­hört glaub­wür­dig. Die Kamera folgt den Protagonisten durch Momentaufnahmen ihres Lebens. Die Konflikte, die sie dabei aus­tra­gen und aus­hal­ten, wer­den mit einer Unerbittlichkeit aus­er­zählt, dass uns Zuschauern gar nichts ande­res übrig­bleibt, als uns mit ihren Leben genau­er auseinanderzusetzen.

 

Credits:

D 2016, 75. Min., rumän. OmU, 
Regie & Drehbuch: Alexandra Balteanu
Kamera: Matan Radin
Schnitt: Antonella Sarubbi
mit: Corina Moise, Iulia Lumânare, Iulia Ciochină, Sergiu Costache, Dragoş Olaru

Termine:

Vanatoare – Trailer 1 – ro – UT Deutsch

Operation Duval – Das Geheimprotokoll

Ein Film von Thomas Kruithof.

Wahlmanipulation, Geheimdienstverschwörung, Lauschangriff und Machtmissbrauch, das sind (durch­aus aktu­el­len) Themen, die die­ser defen­si­ve Polit-Thriller, bei dem Kafkas „Prozess” Pate stand, in der Hinterhand hat. Der seit 2 Jahren arbeits­lo­se Ex-Unternehmensberater und tro­cke­ne Alkoholiker Duval fragt nicht all­zu viel nach, als ihm von einem erfolg­rei­chen Ex-Kommilitonen, einem unan­ge­neh­men Nationalisten, ein Job ange­bo­ten wird. Die Arbeit, die Transkription von Telefongesprächen, ist ein­tö­nig, aber ein­fach und gut bezahlt. Zuverlässig wie eh und je schreibt der intro­ver­tier­te Mittfünfziger alles auch noch so Merkwürdige auf. Erst als es offen­sicht­lich einen Mord zu pro­to­kol­lie­ren gibt, wird er stut­zig. Doch da ist es fast schon zu spät, um aus­zu­stei­gen. Kündigung ist kei­ne Option mehr, steckt er doch schon mit­ten­drin im kri­mi­nel­len, undurch­sich­ti­gen Tun. Als die Situation auch für sei­ne weni­gen Sozialkontakte immer bedroh­li­cher wird, muss Duval sich etwa ein­fal­len lassen.

An die Seite des hier an Dustin Hoffmann erin­nern­den und ide­al besetz­ten François Cluzet hat Regie-Debütant Thomas Kruithof ein ein­drucks­vol­les Ensemble gestellt. Die wun­der­ba­re Alba Rohrwacher ist sein neu­er und eben­falls gefähr­de­ter Schwarm, Denis Podalydès und Sami Bouajila geben die geheim­nis­vol­len Chefs ver­schie­de­ner omi­nö­ser, gegen­ein­an­der agie­ren­den Organisationen. Gänzlich ohne spek­ta­ku­lä­re Action- oder Jagdszenen, ruhig und kon­zen­triert-redu­ziert machen sie das Paranoide, Schattenhafte der Lage sichtbar.

»Er [der Film] macht auch neu­gie­rig. Darauf, was das alles soll. Darauf, was wohl als nächs­tes pas­siert. Tatsächlich ist Operation Duval einer der span­nends­ten Thriller der letz­ten Zeit, obwohl er so gar nicht in die­se Zeit passt.« film-rezensionen.de

Credits:

La Mécanique de l’ombre
F 2016, 90 Min., franz. OmU
Regie: Thomas Kruithof
Buch: Yann Gozlan, Thomas Kruithof
Kamera.: Alex Lamarque
Schnitt: Jean-Baptiste Beaudoin 
mit: François Cluzet, Denis Podalydès, Sami Bouajila, Alba Rohrwacher, Simon Abkarian

Termine:

Operation Duval – Das Geheimprotokoll – Trailer 1 – Französisch – UT Deutsch

Clair Obscur

Ein Film von Yesim Ustaoglu.

Auf den ers­ten Blick könn­ten die bei­den Frauen Sehnaz und Elmas nicht unter­schied­li­cher sein. Sehnaz, eine moder­ne, libe­ra­le Frau, lebt an der Mittelmeerküste mit ihrem lang­jäh­ri­gen Partner Cem in einem schi­cken Apartment, wäh­rend sie in einem Krankenhaus als Psychiaterin arbeitet.

Elmas hin­ge­gen ist noch als Kind mit einem älte­ren Ehemann ver­hei­ra­tet wor­den, der viel auf kon­ser­va­ti­ve Werte hält. Seine Mutter lebt mit bei­den in einem Haushalt und Elmas muß sich um die pfle­ge­be­dürf­ti­ge Schwiegermutter kümmern.

Als ihr Mann an einer Kohlenmonoxyd-Vergiftung stirbt, da ein Sturm den Qualm  des Kohleofen zurück in den Schornstein gedrückt hat, wird Elmas völ­lig ver­stört und unter­kühlt auf dem Balkon gefunden.
Elmas wird wegen Mordes an ihrem Mann ver­haf­tet. Nachdem sie vom Gerichtsmediziner unter­sucht wor­den ist, wird sie zur psy­cho­lo­gi­schen Betreuung zu Chehnaz geschickt. Diese Begegnung wird bei­de Frauen grund­le­gend ver­än­dern. Sie löst einen Prozess aus, in dem sie ver­su­chen, ihre Probleme zu bewäl­ti­gen, die nur auf den ers­ten Blick unter­schied­lich erscheinen.

Aus mei­ner eige­nen Erfahrung, als Frau, Produzentin und Regisseurin, spü­re ich deut­lich, dass die erfolg­rei­che Zukunft einer Gesellschaft, wie der mei­nen, nur dann gestal­tet wer­den kann, wenn wir den destruk­ti­ven Kreislaufs tra­dier­ter Verhaltensmuster und gesell­schaft­li­cher Strukturen in unse­rem Land durch­bre­chen, statt sie unge­fragt von Generation zu Generation wei­ter­zu­ge­ben. Dies gilt ins­be­son­de­re dann, wenn die Freiheit der Frau und ihre sexu­el­len Identität dadurch gefähr­det, oder gar nicht erst zur Kenntnis genom­men wird. Denn dies ist immer gleich­be­deu­tend mit der Einschränkung indi­vi­du­el­ler Freiheit – egal ob die der Frau oder die des Mannes.
Die Geschichte von Chehnaz und Elmas, ihre Lebensläufe und auch die Therapie die sie durch­lau­fen, basiert auf einer lan­gen Recherche, auf Gesprächen mit Patienten und ihren Psychologen und Beobachtungen der Psychodrama-Therapie ver­gleich­ba­rer Fälle.”
Yeşim Ustaoğlu

Credits:

Tereddüt
Deutschland, Frankreich, Polen, Türkei 2016, 105 Min., türk. OmU
Regie: Yesim Ustaoglu
Drehbuch: Yesim Ustaoglu
Kamera: Michael Hammon
Schnitt: Svetolik Zajc, Agnieszka Glinska

mit: Okan Yalabik, Mehmet Kurtulus, Funda Eryigit, Ecem Uzun

Termine:

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CLAIR OBSCUR – Offizieller Trailer

Straub / Huillet – Sagen Sie’s den Steinen

Die Filme von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub

Danièle Huillet (1936−2006) und Jean-Marie Straub (*1933) haben in 50 Jahren gemein­sa­mer Arbeit eines der ein­fluss­reichs­ten und kon­tro­ver­ses­ten Werke des moder­nen Kinos geschaf­fen. Ein Werk, das zunächst von den Widerständen her ver­stan­den wur­de, die es dem Üblichen und Gefälligen bot, das aber gleich­zei­tig eine Parteinahme ist für das, was da ist: für Körper und ihre Gesten, Stimmen und ihre Akzente, für Texte von Hölderlin, Pavese, Brecht u.a., für die Gemälde Cézannes, die Musik Bachs und Schönbergs, für den Wind und die Steine.
Der Programmzyklus Sagen Sie’s den Steinen ‒ Zur Gegenwart des Werks von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub stif­tet zur Wiederentdeckung eines Werkes an, das lan­ge als her­me­tisch galt und sich nun als offen, ver­spielt und radi­kal zeit­ge­nös­sisch erweist.
Zum Programm gehört eine voll­stän­di­ge, chro­no­lo­gi­sche Retrospektive (ab 15.10.) an vier Spielstätten: Akademie der Künste, Zeughauskino, Brotfabrik und fsk-Kino. (Tobias Hering)

4.11.2017 | 16:30 Uhr | fsk Kino
Europa 2005 27 Octobre, R: Huillet/Straub, 2006, 12´, Joachim Gatti, R: Jean-Marie Straub, 2009, 1´, Corneille-Brecht, R: Jean-Marie Straub, 2009, 26´, O som­ma luce, R: Jean-Marie Straub, 2009, 17´, Gast: Christophe Clavert

4.11.2017 | 18:00 Uhr | fsk Kino
Un héri­tier, R: Jean-Marie Straub, 2010, 21´, L’Inconsolable, R: Jean-Marie Straub, 2010, 15´, Schakale und Araber, R: Jean-Marie Straub, 2011, 11´, La Madre, R: Jean-Marie Straub, 2011, 20´ Gast: Christophe Clavert

4.11.2017 | 20:00 Uhr | fsk Kino
Un con­te de Michel de Montaigne, R: Jean-Marie Straub, 2013, 35´, Dialogue d’Ombres, R: Jean-Marie Straub, 2013, 28´, À pro­pos de Venise, R: Jean-Marie Straub, 2013, 24´, Gast: Christophe Clavert

5.11.2017 | 16:00 Uhr | fsk Kino
Short Stay, R: Ted Fendt, 2016, 61´ Gast: Ted Fendt

5.11.2017 | 18:00 Uhr | fsk Kino
La guer­re d’Algérie!, R: Jean-Marie Straub, 2014, 2´, Kommunisten, R: Jean-Marie Straub, 2014, 70´, Gast: Christophe Clavert

5.11.2017 | 20:00 Uhr | fsk Kino
Machorka-Muff, R: Huillet/Straub, 1962, 17´, L’Aquarium et la Nation, R: Jean-Marie Straub, 2015, 31´, Gast: Christophe Clavert,
Moderation: Claudia Pummer

Teheran Tabu

Ein Film von Ali Soozandeh. 

Tehran Taboo“ ist eine Momentaufnahme der aktu­el­len Lebensrealität in Teheran – dar­ge­stellt mit den Mitteln der roto­sko­pier­ten Animation (ähn­lich wie bei Ari Folmans „Waltz with Bashir“). Zerrissen zwi­schen dem Wunsch nach indi­vi­du­el­ler Freiheit und der über­le­bens­not­wen­di­gen Anpassung schla­gen sich die vier Hauptfiguren des Films durch das Leben: weil ihr Mann wegen Drogenhandel im Gefängnis sitzt, arbei­tet Pari als Prostituierte, um sich und ihren Sohn Elias über Wasser zu hal­ten. Sara möch­te zuerst ein­mal arbei­ten und nicht sofort Kinder bekom­men und ver­sucht des­halb mit allen Mitteln den ihr auf­ge­zwun­ge­nen Familienplan ihres Mannes zu ver­hin­dern. Der mit­tel­lo­se Musiker Babak hat ein ver­track­tes Problem: nach einem One-Night-Stand for­dert die jun­ge Donya von ihm, die OP zu bezah­len, bei der das Jungfernhäutchen wie­der­her­ge­stellt wird. – Besonders anschau­lich zeigt sich in die­sen vier lose mit­ein­an­der ver­knüpf­ten Geschichten die Doppelmoral einer Gesellschaft, die ins­be­son­de­re den Frauen einen stren­gen Sittenkodex auf­er­legt, Sexualität tabui­siert und zugleich den Männern vie­le Ausflüchte ermöglicht.

Das Bild, dass die west­li­che Bevölkerung vom Iran hat ist immer sehr ver­zerrt und vol­ler Klischees. Es ist geprägt durch Stereotypen, die von „1001 Nacht“ bis zum nuklea­ren Disput mit dem stren­gen isla­mi­schen Regime rei­chen. Aber die Realität, die man auf den Straßen Teherans erlebt ist viel­fäl­ti­ger. Frauen im Iran haben oft einen bes­se­ren Bildungsgrad als Männer und eine viel sicht­ba­re­re Rolle im täg­li­chen Leben als in vie­len ande­ren Islamischen Ländern, wie z.B. Saudi Arabien. Aber es gibt nicht die eine moder­ne ira­ni­sche Frau. Es gibt vie­le Typen, von der reli­giö­sen Fundamentalistin bis zur west­lich gepräg­ten Feministin. Natürlich hat letz­te­re nicht die Möglichkeit, sich in der Öffentlichkeit Gehör zu ver­schaf­fen. Mein beson­de­res Interesse galt der Rolle der Frau im gesell­schaft­li­chen Spiel der Tugenden. Sie sind die­je­ni­gen, die am meis­ten lei­den. Von Frauen wird grund­sätz­lich erwar­tet, dass sie sich selbst und ihren Kindern Regeln und Tabus auf­er­le­gen, die ihre Freiheit und die der nächs­ten Generation ein­gren­zen.“ Ali Soozandeh

 

Credits:

Deutschland/ Österreich 2017, 96 Min., far­si OmU
Regie & Buch: Ali Soozandeh
Kamera: Martin Gschlacht
Schnitt: Frank Geiger,Andrea Mertens
Darsteller: Elmira Rafizadeh, Zar Amir Ebrahimi, Arash Marandi, Negar Nasseri, Bilal Yasar, Morteza Tavakoli, Alireza Bayram, Klaus Ofczarek

Termine:


Animals – Stadt Land Tier

Ein Film von Greg Zglinski. Ab 16.11. im fsk.

Im Grunde ist alles ganz ein­fach: Kinderbuchautorin Anna und ihr Lebensgefährte, der Chefkoch Nick, fah­ren für eine län­ge­re Auszeit in ein Haus in den Schweizer Bergen. Zum Einen möch­te sie unge­stört an ihrem ers­ten „Erwachsenenbuch” schrei­ben und er neue, ursprüng­li­che und regio­na­le Rezepte sam­meln, zum Anderen soll ihre Beziehung eine Auffrischung erfah­ren. Anna ver­däch­tigt Nick näm­lich, eine Affäre mit der Nachbarin Andrea zu haben. Und da begin­nen schon die Merkwürdigkeiten: Andrea stürzt sich, als das Paar ihre Wiener Wohnung ver­lässt, aus dem Fenster. Wir sehen sie kip­pen, hören den Aufprall, und doch, beim Blick aus dem Fenster gibt es nichts zu sehen. Und dann noch die Sache mit dem Schaf, das unaus­weich­bar auf der Straße steht und einen Unfall pro­vo­ziert. Erstmal scheint es glimpf­lich aus­zu­ge­hen, spä­ter jedoch wird es ein Unfall mit schwer­wie­gen­den Folgen sein. Dazu kommt noch die kom­men­tie­ren­de Katze: kurz­um, wir fra­gen uns, was mag real sein, und was sich nur im Kopf oder in den Wach-/Schlaf- oder Komaträumen der Protagonisten abspie­len? Ganz unbe­küm­mert sen­det TIERE, den Zglinski nach einem hin­ter­las­se­nen Drehbuch von Jörg Kalt (Crash Test Dummies) insze­nier­te, selt­sa­me, komi­sche und unheim­li­che Nachrichten aus dem Reich des Fantastischen, wo sich die Genres mischen und Traum und Wirklichkeit inein­an­der übergehen.

Das Hauptverdienst jedoch liegt bei Karina Resslers Schnitt: Virtuos akzen­tu­iert sie die Gedächtnislücken, die enig­ma­ti­schen Wiederholungen der Geschichte, bis der Zuschauer selbst nicht mehr weiss, was er sieht. (…) Wodurch Zglinskis kom­plex ver­rät­sel­te Story ein­drück­lich die exis­ten­zi­el­le Erkenntnis ver­mit­telt, dass das Bild, das wir uns vom ande­ren machen, oft genau­so wenig mit der Wirklichkeit zu tun hat wie Märchen und Horrorphantasien.” Christina Tilmann, Neue Zürcher Zeitung


 
OT: Tiere
Schweiz / Österreich / Polen 2017, 95 Min., Farbe,  deutsch und frz mit dt. Ut.
Regie: Greg Zglinski

Buch: Jörg Kalt, Greg Zglinski
Kamera: Piotr Jaxa
Schnitt: Karina Ressler

mit:
Birgit Minichmayr (Anna)
Philipp Hochmair (Nick)
Mona Petri (Mischa/Andrea/Eisverkäuferin)
Mehdi Nebbou (Tarek)
Michael Ostrowski (Harald)
 

 

Animals – Stadt Land Tier – Trailer 1 – Deutsch

Untitled

Ein Film von Michael Glawogger und Monika Willi.

Am 3. Dezember 2013 brach Michael Glawogger gemein­sam mit Kameramann Attila Boa und Tonmann Manuel Siebert auf, um Untitled‚ zu dre­hen, einen Dokumentarfilm, der Glawoggers bis­her radi­kals­tem Konzept folg­te. Geplant war eine Reise um die Welt, die ein Jahr dau­ern und durch nichts unter­bro­chen wer­den soll­te. Der Film, der dar­aus ent­stand, ver­moch­te die Welt so zu zei­gen, wie sie dem klei­nen Filmteam in die­ser zufäl­li­gen, maxi­mal offe­nen Versuchsanordnung ent­ge­gen­tre­ten wür­de. Natürlich gab es eine unge­fäh­re Reiseroute, und es gab eini­ge vor­her fest­ge­leg­te Drehorte. Aber dane­ben und dar­über­hin­aus gab es kein Thema, kei­ne Handlung, kei­nen „roten Faden“. Glawogger woll­te die Welt ein­fan­gen, wie sie war, ohne Erwartung, ohne fil­tern­de Brille. Einen „Film ohne Namen“ wünsch­te er sich, die Möglichkeit ein Jahr lang umher­zu­fah­ren und ohne ein vor­ge­ge­be­nes Thema oder Sujet zu dre­hen, war für ihn die Glücksform des Filmemachens. Nachdem der Regisseur wäh­rend der Reise an Malaria ver­starb, hat sei­ne lang­jäh­ri­ge Mitarbeiterin Monika Willi den Film mon­tiert, der aus dem ver­blie­be­nen Material so asso­zia­ti­ve wie ein­dring­li­che Bögen schlägt, beglei­tet von hin­ter­las­se­nen Tagebucheinträgen. Ein Testament der Welt und eines ganz eige­nen Blicks dar­auf, von Körpern in Arbeit und Spiel, in Anstrengung und Glück, von Momenten von Freiheit und ihren Bedingtheiten.

So, dach­te ich, kann ein Film sein. Eine Bewegung, die nur sel­ten unter­bro­chen wird – und wenn, dann von einem mar­kan­ten Ereignis. Nicht war­ten, son­dern immer wei­ter­fah­ren. Denn nur in der größt­mög­li­chen Bewegung kom­men die Geschichten auf einen zu. Nur wenn das Leben von selbst anhält, muss man auch inne­hal­ten und solan­ge ver­har­ren, bis man erlebt hat, was es zu erle­ben gibt, und gefilmt hat, was es zu fil­men gilt.“ Michael Glawogger

Die ers­ten Quicktime-Movies, die ich ihm schick­te, ver­dien­ten es weder Rohschnitt noch Sequenz genannt zu wer­den. Ich nann­te sie Flächen. Das gefiel uns, und so gestal­te­te ich Flächen, bis sie uns wie­der lang­wei­lig wur­den. Aber auf die­se Weise schritt die Stilfindung vor­an, nicht nur im Schneideraum, son­dern auch drau­ßen, beim Dreh. Alles war ja neu, das Konzept bot kei­nen Halt, dage­gen viel Raum für Zweifel.“ Monika Willi

Österreich / Deutschland 2017, engl. dt. OmU, 107 Min .
Regie: Michael Glawogger, Monika Willi
Kamera: Attila Boa
Schnitt: Monika Willi

UNTITLED – Offizieller Trailer

Casting

Ein Film von Nicolas Wackerbarth.

Weil Fassbinder bald 75 gewor­den wäre, wäre er nicht schon mit 37 Jahren gestor­ben, soll einer sei­ner Filme neu ver­filmt wer­den, für’s Öffentlich-Rechtliche, Bildungsauftrag sozu­sa­gen. Bekommen hat den Regie-Job die 47-jäh­ri­ge Vera, es ist erst ihr drit­ter Film und sie will sich des­halb ganz sicher sein mit dem, was sie da tut. Zum zen­tra­len Problem vor dem eigent­li­chen Dreh gestal­tet sich aller­dings die Frage, wer die weib­li­che Hauptrolle spie­len soll. Keine der Schauspielerinnen passt Vera, jede Vorsprech-Situation wird viel­mehr zum Machtkampf, indem mal die Schauspielerin, mal die Regisseurin unter­liegt. Je mehr Vorsprech-Situationen, des­to bes­ser wie­der­um für Gerwin, den männ­li­chen Anspielpartner (gespielt vom Andreas Lust), der zwar den Schauspielberuf an den Nagel gehan­gen hat, momen­tan aber drin­gend Geld braucht und des­halb froh ist, wenn noch ein paar bezahl­te Stunden dazu kom­men. Je län­ger das Casting dau­ert, des­to ange­spann­ter wird aller­dings die Grundstimmung. – Dabei zuzu­schau­en macht vor allem des­halb Spaß, weil jede/r den Wechsel zwi­schen einer Szene aus dem Fassbinder-Film nach­spie­len und „sich selbst“ spie­len so vir­tu­os spielt, dass man hofft, Vera möge sich noch lan­ge nicht ent­schei­den können.

Gut 80 Stunden Produktionsmaterial waren letz­ten Endes in den 21 Drehtagen im rea­len SWR-Studio zusam­men­ge­kom­men, erklär­te Wackerbarth im anschlie­ßen­den Q & A im Delphi-Filmpalast. Verdichtet auf 91 sehr kurz­wei­li­ge Filmminuten gehö­ren sie zwei­fels­oh­ne zum Besten, was die­ser Berlinale-Jahrgang bis­her zu bie­ten hat­te. Oder um es noch ein­mal in den Worten Veras zu sagen – ohne Ironie, ver­steht sich: ‚Das ist aber super! Das gefällt mir sehr, sehr gut, muss ich sagen.‘“ Simon Hauck | kino-zeit.de 

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D 2017, 91 Min. 
Regie: Nicolas Wackerbarth 
Kamera: Jürgen Carle 
Schnitt: Saskia Metten 
Mit: Andreas Lust, Judith Engel, Ursina Lardi, Corinna Kirchhoff, Andrea Sawatzki, Milena Dreissig, Nicole Marischka, Stephan Grossmann, Marie-Lou Sellem

Termine:

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Casting (Offizieller Trailer)

Die Welt sehen

Ein Film von Muriel und Delphine Coulin.

[Pressezone]

Zwei jun­ge Soldatinnen, Aurore und Marine, kom­men von ihrem Einsatz aus Afghanistan zurück. Mit ihrer Truppe ver­brin­gen sie drei Tage in einem Fünf-Sterne-Hotel auf Zypern. Hier, inmit­ten von Touristen, sol­len sie ler­nen, das Erlebte hin­ter sich zu las­sen. Im Militärjargon: »Dekompression«. Doch so leicht ist es nicht, den Krieg zu vergessen.

»Was sieht man im Krieg? Gar nichts. Erstens, weil im Camp über lan­ge Strecken kei­ne Kampfhandlungen statt­fin­den. Zweitens, weil man während des Kampfes überhaupt nichts sieht – man kämpft um sein Leben. Und schließ­lich, weil jeder aus sei­ner eige­nen Perspektive sieht, was geschieht, also nur eine par­ti­el­le Sicht der Realität. Während der »Dekompression« neh­men Aurore und Marine an Einsatznachbesprechungen teil, nach denen sie anders darüber den­ken wer­den, was sie gese­hen haben. Die Psycholog*innen ver­wen­den Virtual-Reality-Videotechnologie, die die Erlebnisse der Soldat*innen in Echtzeit bebil­dert. Das Ziel ist, dass sie sich durch Worte und Bilder von ihren schmerz­haf­ten Erinnerungen distan­zie­ren können. (…) Es ist unmöglich – und viel­leicht auch nicht wünschenswert – den Krieg zu ver­ges­sen, die­se Kriege, an denen wir direkt oder aus der Distanz betei­ligt waren. Wir wer­den täglich dar­an erin­nert. In Voir du pays geht es um die­se Frage: Wie kann man überhaupt sein Leben bewältigen, wenn man sol­che Gewalt erlebt hat?«
Delphine und Muriel Coulin

Gewinner des Spielfilmpreises des
Internationalen Frauenfilmfestivals Dortmund Köln 2017

Kritiken: Tagesspiegel - FAZ- tazBR

Voir du pays
Frankreich 2016, 102 Min., frz. OmU
Kamera: Jean-Louis Vialard, Benoît Dervaux
Schnitt: Laurence Briaud
Darsteller*innen:
Soko, Ariane Labed, Ginger Romàn, Karim Leklou, Andreas
Konstantinou
frei­ge­ge­ben ab 12 Jahren (FSK Prüfkarte)

Termine:

 

Trailer „Die Welt sehen” OmU from Peripher Filmverleih on Vimeo.

Verleih mit Unterstützung des:

 

 

The Square

Ein Film von Ruben Östlund.

Vielfach als Gesellschaftssatire gelobt, ist der Gewinnerfilm der Goldenen Palme in Cannes doch weit mehr als nur böse, komisch und absurd. Er mutet auch uns Zuschauenden Fragen nach Eigenverantwortung, Moral und Integrität zu.

Der Museums-Chefkurator Christian ist smart, erfolg­reich und bemüht, alles rich­tig zu machen: ver­läß­lich sein, ver­ant­wor­tungs­voll han­deln, empa­thisch auf sei­ne Umgebung zu reagie­ren. Er liebt sei­ne Arbeit und die Auseinandersetzung mit der Kunst. Jetzt aber lau­ern Hindernisse und Fallstricke auf sei­nem Weg: eine neue Ausstellung im Stockholmer Museum für zeit­ge­nös­si­sche Kunst ist zu bewer­ben, lei­der ist die Künstlerin zu unbe­kannt und ihr Werk wenig pro­vo­ka­tiv. Ein beson­de­res Gala-Diner zu Ehren der Sponsoren des Kunsttempels for­dert ihn her­aus. Die Journalistin Anne, mit der er eine Nacht ver­brach­te, stellt sein Verhältnis zu Frauen auf den Prüfstand, und auch sei­ne zwei Töchter bean­spru­chen ihn. Bei einem per­for­mance-arti­gen Straßenraub ver­liert er Smartphone und Portemonnaie, doch mit Hilfe der Kollegen kann die Beute mit­tels moder­ner Technik geor­tet wer­den. Die danach getrof­fe­nen Maßnahmen kata­pul­tie­ren ihn aller­dings aus sei­ner Komfortzone, und auch das Promotionsvideo für die Ausstellung und die Performance beim Festessen ent­wi­ckeln sich desaströs.

In Ruben Östlunds Filmen geht es meist um eine gro­ße Verunsicherung – er schickt sei­ne Protagonisten in unan­ge­neh­me und kon­flikt­rei­che Situationen, aus denen sie dann nur mit viel Mühe wie­der her­aus­fin­den. Das war bei Play – Nur ein Spiel und bei Höhere Gewalt so und ist es auch hier (ein „Gesamtwerk, das die libe­ra­le Gesellschaft mit sich selbst kon­fron­tiert” – Cargo #35). Schön ist das für die Figuren nicht, aber immer­hin sind es unge­fäh­re Alter Egos des Regisseurs, er weiß um ihre Lage und fühlt mit ihnen. Bei The Square hat er die Schrauben aller­dings noch ein wenig ange­zo­gen, und Christian rutscht Stück für Stück tie­fer in sei­nen Schlamassel hin­ein, was sehr erkennt­nis­reich und dabei wahl­wei­se ver­gnüg­lich, pein­lich oder schmerz­haft ist. Eines ist es aber, trotz ande­rer Verlautbarungen und Rezensionen, mit­nich­ten: eine Abrechnung mit moder­ner Kunst oder Political Correctness.

Ach ja, der Titel: der im Film als Teil der neu­en Ausstellung vor­kom­men­de „Square” ist eine Installation von Östlund und sei­nem Produzenten Kalle Bomann von 2014, die inzwi­schen in zwei Schwedischen und Norwegischen Städten zu erle­ben ist, ein Platz, wo man sich an die eige­ne Verantwortung für die Gesellschaft erin­nern und sicher füh­len soll.


 
Credits:
 

Schweden 2017, schw. OmU, 142 Min.
Regie & Buch: Ruben Östlund
Darsteller: Claes Bang, Elisabeth Moss, Dominic West, Terry Notary, Christopher Laesso, Jan Lindwall
 
Termine: