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Der Mann, der seine Haut verkaufte

Ein Film von Kaouther Ben Hania.

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Nicht umsonst ret­tet man, wenn es heißt, „sei­ne Haut zu ret­ten“, eigent­lich sein Leben. Von die­ser ein­fa­chen Redensart aus­ge­hend, lässt die tune­si­sche Regisseurin Kaouther Ben Hania das jun­ge syri­sche Paar Sam und Abeer in wei­che, war­me Farben getaucht, in einem voll besetz­ten Zugabteil spon­tan ihre Liebe fei­ern, um Sam im nächs­ten Moment im Gefängnis zu zei­gen. Es ist das Jahr 2011, das syri­sche Regime will sich jun­ger, frei­heits­lie­ben­der Männer ent­le­di­gen. Sam, her­aus­ra­gend gespielt von Yahya Mahayni, der für sei­ne Rolle den Orizzonti-Preis als bes­ter Hauptdarsteller bei den Filmfestspielen in Venedig gewann, gelingt die Flucht in den Libanon. Dort hängt er fest und arbei­tet in einer Hühnerfabrik am Band. Oft geht er auf Vernissagen, um sich am Buffet das Abendessen zu sichern. Dort lernt er an der Bar den berühm­ten Künstler Jeffrey Godefroi ken­nen, der ihm einen Pakt vor­schlägt:
Sam lässt sich von ihm sein Schengen-Visum auf den Rücken täto­wie­ren und kann mit die­sem dann nach Europa ein­rei­sen. Er muss Godefroi aller­dings zu jeder sei­ner Ausstellungen zur Verfügung ste­hen. Der Mensch Sam soll zum Kunstobjekt wer­den, für das es eige­ne Regeln und Verträge gibt. Kaouther Ben Hania erzählt die­se faus­ti­sche Geschichte mit allen inter­sek­tio­nel­len Referenzen an unser herr­schen­des System. Godefroi ist Belgier mit dem rich­ti­gen Pass und genug Macht, um sei­ne Sichtweise in die Welt zu tra­gen. Dass er Sam als Mittel zum Zweck benutzt, ist Teil sei­ner künst­le­ri­schen Aussage: Nicht er sei zynisch und betrei­be Menschenhandel, das System täte es. Abeer (Dea Liane) hat mitt­ler­wei­le einen jun­gen Diplomaten gehei­ra­tet, um heil aus dem vom Krieg zer­stör­ten Land her­aus­zu­kom­men, nun muss sie sich ihrem Ehemann unter­ord­nen. Wer hat bei all die­sen Entscheidungen wel­che Wahl gehabt, sich zu
wel­chem Preis ver­kauft? Und was darf Kunst? Die Filmemacherin insze­niert ein dia­bo­li­sches Spiel in gran­dio­sen Bildern, lässt das kul­tur­be­geis­ter­te Publikum durch die hei­li­gen, per­fekt aus­ge­leuch­te­ten Tempel der Kunst schrei­ten, in denen Sam jeden Tag sei­nen sei­de­nen Morgenmantel fal­len las­sen muss, um ange­starrt, belacht, foto­gra­fiert, in Führungen bespro­chen zu wer­den: das sen­sa­tio­nel­le Kunstwerk im gol­de­nen Käfig der Kunstblase. Die Mitspieler*innen nip­pen ritu­ell an Sektkelchen, eine Menschenrechtsorganisation tritt auf den Plan, um für die Würde der syri­schen Geflüchteten zu demons­trie­ren, schließ­lich wird Sam an einen rei­chen Sammler ver­kauft, der ihn wie­der­um auf einer Aktion feil bie­tet. Dieser Satire setzt Kaouther Ben Hania immer wie­der die unsterb­li­che Liebe von Abeer und Sam gegen­über.
Dabei treibt sie die Farce auf die Spitze, um im letz­ten Moment wie eine Königin den wei­ßen Handschuh der Romantik fal­len zu las­sen. Denn nur die Haut die berührt wird, lebt.“ indie­ki­no | Susanne Kim

Kaouther Ben Hania:
„Ich las­se in die­sem Film zwei Welten auf­ein­an­der­tref­fen, die mich bei­de fas­zi­nie­ren: die der zeit­ge­nös­si­schen Kunst und die des all­täg­li­chen Überlebens von Geflüchteten. Wir haben es hier mit zwei in sich abge­schot­te­ten Welten zu tun, die von völ­lig unter­schied­li­chen Codes regiert wer­den. Auf der einen Seite haben wir eine eta­blier­te, eli­tä­re Welt, in der „Freiheit“ ein Schlüsselbegriff ist; auf der ande­ren Seite haben wir eine Welt des Überlebens, die von aktu­el­len Ereignissen beein­flusst wird und in der das Fehlen von Wahlmöglichkeiten die täg­li­che Sorge der Geflüchteten ist.
Das Aufeinandertreffen die­ser bei­den Welten for­dert ein Nachdenken über unser Verständnis von Freiheit offen ein. Sam, der Geflüchtete, weiß das sehr wohl, wenn er dem Künstler Jeffrey sagt: „Du bist auf der rich­ti­gen Seite der Welt gebo­ren.“ Das Problem ist, dass wir in einer Welt leben, in der die Menschen nicht gleich sind. Trotz aller Reden über Gleichheit und Menschenrechte sor­gen die immer kom­ple­xe­ren his­to­ri­schen und geo­po­li­ti­schen Zusammenhänge dafür, dass es unwei­ger­lich zwei Arten von Menschen gibt: die Privilegierten und die Verdammten.
Der Film zeigt einen faus­tia­ni­schen Handel zwi­schen einem Privilegierten und einem Verdammten. Sam Ali kehrt dem Teufel den Rücken zu, weil er kei­ne ande­re Wahl hat, und gerät so in die eli­tä­re und über­ko­dier­te Sphäre der zeit­ge­nös­si­schen Kunst, indem er eine durch­aus zwei­fel­haf­te Wahl trifft. Sein schein­bar nai­ver und unge­bil­de­ter Blick zeigt uns die­se Welt aus einem ande­ren Blickwinkel als dem, durch den das kul­tu­rel­le Establishment sich gewöhn­lich zeigt.
Einen wie Sam, der so stolz und ehr­lich ist, kann es in den Wahnsinn trei­ben, so zum Objekt zu wer­den. Er wird ent­blößt, ver­kauft, hin und her gescho­ben. Diesem außer­ge­wöhn­li­chen Schicksal, ver­stärkt durch den hoch emo­tio­na­len zusätz­li­chen Konflikt sei­ner Gefühle zu Abeer, begeg­net Sam Ali, indem er alles dar­an setzt sei­ne Würde und sei­ne Freiheit wiederzuerlangen.“

Credits:

TN/FR/BE 2020, 104‘ min., Arabisch/Englisch/Französisch OmU, Regie: Kaouther Ben Hania, Kamera: Nestor Salazar, Schnitt: Marie-Hélène Dozo, mit Yahya Mahayni, Dea Liane, Koen De Bouw, Monica Bellucci

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SAF

Ein Film von Ali Vatansever. 

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Das Stadtviertel Fikirtepe liegt auf der asia­ti­schen Seite Istanbuls (und im Stadtteil Kadiköy, einer Partnergemeinde Friedrichshain-Kreuzbergs) und galt frü­her als wenig attrak­tiv. Inzwischen jedoch wer­den die Grundstücke immer wert­vol­ler, die Bewohner ver­drängt und gewach­se­ne Nachbarschaften aus­ein­an­der­ge­ris­sen. Staatliche Unternehmen bau­en hier jetzt ein Hochhaus nach dem ande­ren. In die noch nicht abge­ris­se­nen, oder noch im Rohbau befind­li­chen Wohnungen zie­hen häu­fig syri­sche und ande­re Geflüchtete ein, die für gerin­gen Lohn auf den Baustellen arbei­ten.
Hier leben in Ali Vatansevers zwei­tem Spielfilm Kamil und Remziye im eige­nen Haus – noch. Viele ihrer Nachbarn haben schon dem Druck nach­ge­ge­ben, das ange­bo­te­ne Geld genom­men und zogen weg. Bei den ver­blie­be­nen Stadtteilinitinativen gegen die rasan­te Gentrifizierung enga­giert sich das Ehepaar nur halb­her­zig. Sie haben genug damit zu tun, ihren Lebensunterhalt zusam­men zu bekom­men. Die schwan­ge­re Remziye geht in rei­chen Haushalten put­zen, Kamil bleibt nichts ande­res übrig, als gegen Dumpinglohn aus­ge­rech­net auf einer der Baustellen zu arbei­ten. Dabei gerät der gut­her­zi­ge Mann mehr oder weni­ger unver­schul­det zwi­schen ver­schie­de­ne Fronten, bis er eines Tages ver­schwin­det. Seine Frau macht sich auf die Suche und muss schwie­ri­ge Entscheidungen tref­fen.
„Eine benach­tei­lig­te Gemeinschaft zieht weg, eine ande­re zieht ein. Sie tei­len das glei­che Schicksal, aber sie tun sich nicht zusam­men. Beginnend mit der phy­si­schen Umwandlung des Geländes, zeich­net der Film ein umfas­sen­de­res Bild der mensch­li­chen Beziehungen, Umsiedlung, Einwanderung und Arbeit. Es hat vier Jahre gedau­ert, den Film zu schrei­ben; ich war selbst Zeuge all die­ser radi­ka­len Veränderungen. Es ist nicht nur die Geografie, die sich ver­än­dert, son­dern auch das Leben der Menschen. … Die grund­le­gen­de Frage war: Wie kann man an einem so schwie­ri­gen Ort mensch­lich blei­ben, wenn man von Monstern umge­ben ist?“
Ali Vatansever

Credits:

DE, RO, TR 2021, 108 min., tür­ki­sche OmU
Buch und Regie: Ali Vatansever
Kamera: Tudor Vladimir Panduru
mit Erol Afsin, Saadet Aksoy, Kida Khodr Ramadan

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Filme von Derek Jarman

80 Jahre alt wäre der Maler, Autor, Regisseur und poli­ti­sche Aktivist Derek Jarman am 31.1.22 gewor­den. Er starb 1986 an den Folgen sei­ner AIDS-Erkrankung, die er auch in sei­nen Filmen zur Sprache brach­te. BLUE, sein letz­ter und for­mal wohl extrems­ter Film, wur­de von der Krankheit, durch die er erblin­de­te, bestimmt. Die Ton- Musik- und Sprechcollage vor mono­chrom blau­er Leinwand ist poli­tisch und per­sön­lich, poe­tisch und dis­kur­siv zugleich.

Jarmans Filme gel­ten als radi­kal, zor­nig und enga­giert. Er führ­te einen ste­ti­gen Kampf gegen die Thatcher-Regierung und zeig­te sich hier­bei als Queer- und AIDS-Aktivist, aber sein Thema war vor allem auch die Liebe, beson­ders die ver­hin­der­te, und körperliche.

Wir zei­gen sechs sei­ner Werke, die neu restau­riert und digi­ta­li­siert wur­den. Dazu gibt eine Doku über ihn, von Regisseur Julien Isaac und Tilda Swinton, die ohne Jarman nicht zu den­ken wäre (und umge­kehrt), und in allen sechs Filme mitwirkt:

Caravaggio (1986, 93‘), der bio­gra­fi­sche Ausschnitt vom ita­lie­ni­schen Maler ist wohl sein bekann­tes­tes Werk. (21.1. 17:45) [Tickets]

The Garden (1990, 95‘) ist eine sinn­li­che, sub­jek­ti­ve, schwu­le Passionsgeschichte mit Garten-nahem Atomkraftwerk.(22.1. 17:45) [Tickets]

Edward II (1991, 90‘) hat bei Jarman einen etwas ande­ren Stand als bei Mel Gibson seinerzeit.(23.1. 17:45) [Tickets]

Wittgenstein (1993, 75‘) – „hei­te­re, dia­log­si­che­re, her­vor­ra­gend gespiel­te Gesamtschau auf das Leben eines phi­lo­so­phi­schen Außenseiters“ (Lexikon des intern. Films) (24.1. 17:45) [Tickets]

War Requiem (1989, 92‘) ist die fil­mi­sche Umsetzung Benjamins Brittons Musikstücks, mit Laurence Olivier in sei­ner letz­ten Rolle. (25.1. 17:45) [Tickets]

Blue DF (1993, 74‘), gespro­chen von Derek Jarman, Tilda Swinton, Nigel Terry, John Quentin, und in der deut­schen Fassung von Ulrich Matthes, Sylvester Groth, Wolfgang Condrus, Eva Mattes. (22. & 23.1. 15:45) Blue OV [Tickets]

Derek (2008, 76‘) – ein Brief, ein Interview, eine Rückschau und Hommage (26.1. 17:45) [Tickets]

  • alle Filme lau­fen in Originalfassung mit deut­schen Untertiteln, Blue in dt. und engl. Fassung

End of Season

ein Film von Elmar Imanov. 

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Fidan ist Ärztin, ihr Mann Samir Schauspieler ohne Engagement, Sohn Mahmut stu­diert und fühlt sich zu Höherem beru­fen. Die Kleinfamilie lebt zusam­men in einer klei­nen Wohnung in Baku, hat sich aber längst aus­ein­an­der­ge­lebt. Einen Tag lang beglei­ten wir das Trio, dabei soll ein Ausflug ans Kaspische Meer Familienleben sug­ge­rie­ren. Fidan muss sich außer­dem ent­schei­den, ob sie das Arbeitsangebot einer deut­schen Klinik annimmt. Während ihr Mann am Strand ein­schläft, schwimmt sie aufs Meer hin­aus und ver­schwin­det.
Traditionelle Mentalität und Lebensweise, jahr­zehn­te­lang das Fundament für regio­na­le Identitäten, trifft nun, auch durch den neu­en Öl-Reichtum Aserbaidschans begrün­det, auf eine moder­ne­re und kapi­ta­lis­ti­sche­re Sichtweise. Die Veränderungen in der Gesellschaft wird hier durch die vor­sich­ti­ge Beobachtung von Beziehungen und Dynamiken inner­halb der Familie auf­ge­zeigt. Die Irritation über den Grad des offen­sicht­li­chen Verlustes der Kommunikationsfähigkeit weicht jedoch zum Ende hin einer empa­thi­schen, melan­cho­li­schen Stimmung.
„Für sei­ne zutiefst rät­sel­haf­te Darstellung des fami­liä­ren Zerfalls, sei­ne oft über­ra­schen­de erzäh­le­ri­sche Schrägheit und sei­ne erfri­schen­de Beschwörung einer Welt, in der jedes Heim eine pri­va­te Kammer frus­trier­ter Sehnsucht ist – vor allem für Frauen.“ – dafür erhielt der Film den Preis der inter­na­tio­na­len Filmkritik beim Filmfestival Rotterdam

Credits:

DE/GE/AZ 2019, 92 Min., aser­bai­dscha­ni­sche OmU
Regie: Elmar Imanov
Kamera: Berta Valin Escofet und Driss Azhari
Schnitt: Ioseb „Soso” Bliadze
mit Rasim Jafarov, Zulfiyye Gurbanova, Mir-Mövsüm Mirzazade

Trailer:
END OF SEASON – Offizieller Trailer
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Petite Maman

ein Film von Céline Sciamma. 

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Auch „Petite Maman“ ist, wie der etwas anders gela­ger­te „Europe“, eine fan­tas­ti­sche Geschichte, die schon beim Wettbewerb der Berlinale 2021 vie­le ver­zau­ber­te. Es dau­ert ein wenig, bis man begreift, dass Celine Sciamma uns hier einen Zeitreise-Film prä­sen­tiert, mit der ein­fa­chen Prämisse, dass die acht­jäh­ri­ge Nelly im Haus der ver­stor­be­nen Großmutter auf ihre gleich­alt­ri­ge Mutter trifft und mit ihr die Tage ver­bingt. Die Mutter trau­ert um ihre Mutter und ist plötz­lich ver­schwun­den, bis sie als Nellys Spielgefährtin wie­der auf­taucht. Eine Zeitmaschine, die uns Gegenwärtigkeit schenkt, und eine heil­sa­me, ima­gi­nier­te Erinnerung her­vor­ruft, so ist der Plan der Regisseurin.

Zu Beginn ein Abschied, zum Ende ein Wiedersehen: Solch eine Klammer setzt Sciamma um ihren Film, die Linearität ver­spricht. „Petite Maman“ unter­läuft sie aller­dings und schlägt ande­re Pfade ein, berich­tet mit schlich­ten wie zau­ber­haf­ten Bildern von den rites de pas­sa­ge, fei­ert Übergangsszenarien und Herbstfarben, die der Winter dem­nächst ver­trei­ben wird. Doch nur dem Anschein nach hat die­ser Film nicht die Wucht, die „Porträt einer jun­gen Frau in Flammen“ aus­zeich­net. „Petite Maman“ hat es ganz schön in sich. Seine Kraft will nur anders ent­deckt wer­den, wenn er über Sehnsucht und Trauer fabu­liert, über Lichtschalter, die Kinder in ein Morgen tele­por­tie­ren, und Geheimnisse, die sich nicht ver­ste­cken, son­dern denen nur ein Gegenüber fehlt, dem sie erzählt wer­den wol­len.“ Anne Küper | critic.de

Credits:

FR 2021, 72 Min., frz. OmU
Regie, Buch: Céline Sciamma
Kamera: Claire Mathon
Schnitt: Julien Lacheray
mit Joséphine Sanz, Gabrielle Sanz, Nina Meurisse, Stéphane Varupenne, Margot Abascal

Trailer:
Petite Maman – Official Trailer
im Kino mit deut­schen Untertitlen
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The other Side of the River

ein Film von Antonia Kilian.

[Indiekino Club] [Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Als die deut­sche Kamerafrau Antonia Kilian 2016 die Fernsehbilder von der Befreiung der nord­sy­ri­schen Stadt Manbidsch aus den Händen der Terrorgruppe IS im Fernsehen sieht, ist sie fas­zi­niert: Frauen haben den soge­nann­ten Islamischen Staat aus der Stadt getrie­ben – Frauen in Uniform, bewaff­net mit Granaten und femi­nis­ti­schen Werten.
„Ich möch­te alle Frauen in Manbidsch befrei­en“, sagt die 20-jäh­ri­ge Hala Mustafa, die Kilian ken­nen­lernt, als sie in die auto­no­me kur­di­sche Region Rojava in Syrien reist, wo jene Frauen ihre mili­tä­ri­sche Ausbildung erhal­ten – femi­nis­ti­sche Schulungen inklu­si­ve. Hala lernt hier, eine Soldatin zu wer­den, um in ihrer Heimatstadt auf der ande­ren Seite des Euphrat als Polizistin zu arbei­ten. Ihr größ­ter Wunsch ist es, ihre vier Schwestern aus dem Elternhaus zu holen, wo sie wei­ter­hin zwangs­ver­hei­ra­tet und unter­drückt wer­den. …
Eine femi­nis­ti­sche Militärakademie vol­ler jun­ger Frauen, die ihr Schicksal selbst in die Hand neh­men: Nicht nur für die Regisseurin von The other Side of the River … ist die kur­di­sche Frauenakademie in Rojava Utopie und Projektionsfläche. „Ich hat­te gro­ße Träume“, sagt Antonia Kilian im Off, „aber kei­ne Ahnung von der Realität.“ Geduldig schaut Kilian mit ihrer Handheld-Kamera zu, wie Hala sich vol­ler Entschlossenheit durch die­se gewalt­vol­le Welt bewegt, in der sie nie mehr macht- und hilf­los sein will. Den hin­ge­bungs­vol­len Nahaufnahmen der Gesichter Halas und ihrer jün­ge­ren Schwestern merkt man die Bewunderung für ihre Protagonistinnen an, in die sich zuse­hends auch Sorge mischt. Denn Krieg ist nun mal Krieg, und selbst die femi­nis­tischs­te Revolution hat auch ihre Schattenseiten.“ Eva Szulkowski | indiekino

Bester Dokumentarfilm bein Deutschen Filmpreis 2022

Credits:

DE/FI 2021, 92 Min., Arabisch, Kurdisch, Deutsch mit deut­schen Untertiteln
Regie: Antonia Kilian
Kamera: Antonia Kilian
Ton: Nadya Derwish
Schnitt: Arash Asadi


Trailer:
The Other Side Of The River | offi­zi­el­ler deut­scher Trailer
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Are You Lonesome Tonight?

ein Film von Wen Shipei .

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Wie es so kom­men kann, Xueming will sich nur eine Zigarette anzün­den, doch genau in die­ser Sekunde tritt plötz­lich der Mann ins Scheinwerferlicht sei­nes Lieferwagens – brem­sen hilft nicht mehr. Geschockt begeht er Fahrerflucht, aber von nun an führt das Leben den von Schuldgefühlen geplag­ten Haustechniker in eine neue Richtung.
Frau Liang erstat­tet eine Vermisstenanzeige, als ihr Mann nicht nach Hause kommt. Ein paar Tage spä­ter fällt ihre Klimaanlage aus, eine Katastrophe in der schwül­war­men Stadt (Originaltitel: „Es war ein­mal in den Tropen“). Sie kann schwer­lich ahnen, dass dies kein Zufall ist, son­dern von dem jun­gen Reparateur her­bei­ge­führt wur­de. Es ist Xueming, der sei­ne Tat zu beich­ten will, es aber nicht schafft. Beide freun­den sich an, und es stellt sich her­aus, dass die Todesursache von Herrn Liang auch nicht so klar ist, wie es schien. Als schließ­lich die Leiche von Herrn Liang auf­taucht, kommt auch noch ein Kommissar ins Spiel, und ein Koffer vol­ler Geld hat dar­in auch sei­ne Rolle.
Der Debutfilm von Wen Shipei ist ein schmut­zi­ger, aber far­ben­präch­ti­ger Noir-Thriller, der im Rückblick erzählt wird und sich auch in klei­nen Spiralen aus Vorahnungen und Erinnerungsfetzen durch die Zeit bewegt. Mißtrauen ist in der gezeig­ten Gesellschaft immer ein guter Ratgeber, aber unse­re Held*innen schla­gen sich nach bes­tem Wissen und Gewissen durch den manch­mal erstaun­lich lee­ren Dschungel der Stadt.
„…eines der erstaun­lichs­ten Debuts der letz­ten Jahre, mit einem ganz eige­nen Rhythmus, einem umwer­fen­den Gefühl für hyp­no­ti­sche Bilder. Von Wen Shipei lässt sich noch eini­ges erwar­ten.“ Tom Dorow, indiekino

Credits:

Originaltitel: Re dai wang shi
CN 2021, 95 Min., man­da­rin OmU
Regie: Wen Shipei
Kamera: Cedric Cheung-Lau, Xiaosu Han, Zhang Heng, Andreas Thalhammer
Schnitt: Zhu Lin, Will Wei, Dong Jie, Noé Dodson, Cao Hangchen

mit: Eddie Peng, Peiyao Jiang, Zhang Yu, Sylvia Chang 


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Moleküle der Erinnerung – Venedig, wie es niemand kennt

ein Film von Andrea Segre.

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Beim ers­ten Lockdown vor einem Jahr stran­det Regisseur Andrea Segre im ver­las­se­nen Venedig. Er ist gera­de für Dreharbeiten in der Luganenstadt, als sie sich schlag­ar­tig ver­än­dert: kei­ne Touristen, ein lee­rer Canale Grande und auf der Piazza San Marco sind nur noch die Schreie der Möwen zu hören. Seinen ursprüng­li­chen Film kann er nicht wei­ter­dre­hen, und beginnt statt­des­sen mit einer Annäherung an sei­ne Familiengeschichte, die hier ihren Anfang nahm.
„Andrea Segres ein­ma­lig poe­ti­sche Doku ist mehr als ein Corona-Tagebuch. Geschickt spielt der Regisseur mit Super8-Aufnahmen sei­nes Vaters, mischt ele­gant alte Fotografien von Venedig mit sei­nen neu­en Aufnahmen, unter­legt mit Teho Teardos dräu­en­der Musik. Letztlich ent­steht eine berü­ckend melan­cho­li­sche Liebeserklärung an den schweig­sa­men Vater und an Venedig. Der ver­stor­be­ne Vater, ein Wissenschaftler, stu­dier­te Molekülbewegungen und arbei­te­te als Chemiker in Venedig.
Der Großvater war Jude, die Großmutter nicht. Die Shoa beglei­te­te sie als lebens­lan­ger Schrecken, erzählt Segres Off-Stimme bei sei­ner Annäherung an die Familiengeschichte. ‚Während mei­nes gan­zen absur­den Lebens, das ich gelebt hat­te, war über Jahre hin­weg ein dunk­ler Wind von irgend­wo tief in mei­ner Zukunft auf mich zuge­kom­men‘. Nicht umsonst beginnt der ver­sier­te Filmemacher mit die­sem Zitat aus Albert Camus‘ Roman ‚Der Fremde‘. Der bar­ba­ri­sche Zivilisationsbruch des Jahrhunderts hat auch in sei­ner Biographie Spuren hin­ter­las­sen.“ Luitgard Koch | programmkino.de

Credits:

IT 2020, 68 Min., ital. OmU,
Buch & Regie: Andrea Segre
Kamera: Matteo Calore, Andrea Segre
Schnitt: Chiara Russo

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The Assistant

Ein Film von Kitty Green.

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Ein wei­te­rer Tag im Büro: Jane, die neue Assistentin eines mäch­ti­gen Medienmoguls, war als Erste da und wird am Ende des Films als Letzte wie­der gehen. Sie erle­digt ihre Aufgaben, erträgt die stän­di­gen Feindseligkeiten ihrer Kollegen und wid­met sich dem wach­sen­den Stapel an Arbeit mit Sorgfalt und Präzision: Terminpläne aus­dru­cken, Reisen orga­ni­sie­ren, Mittagessen bestel­len, das Büro ihres Chefs auf­räu­men. Ohne dass er jemals auf der Leinwand erscheint, ist der Chef all­ge­gen­wär­tig, bei Jane eben­so wie bei den Zuschauer*innen. Wir hören ihn durch das Telefon, als er Jane zurecht­weist, und wir sehen eine gan­ze Reihe attrak­ti­ver Frauen, die auf sei­ne Anweisung hin in die Firma kom­men. Als Janes Misstrauen und ihr Unbehagen über­hand­neh­men, offen­bart sich, dass sie Teil eines miss­bräuch­li­chen Systems ist.
Mit visu­el­ler Strenge und erzäh­le­ri­scher Ruhe rich­tet Kitty Greens fes­seln­des Spielfilmdebüt den Fokus auf die repres­si­ven Vorgänge am Arbeitsplatz. Sie schil­dert den Missbrauch, der hin­ter geschlos­se­nen Türen statt­fin­det, aus der Perspektive der­je­ni­gen, die ihn wil­lent­lich oder unwil­lent­lich ermög­li­chen. Am Ende haben wir viel­leicht nicht viel gese­hen, aber umso mehr verstanden.

Kritik in der Zeit


Credits:

US 2019, 87 Min., engl. OmU,
Regie: Kitty Green
Kamera: Michael Latham
Schnitt: Kitty Green, Blair McClendon
mit Julia Garner, Matthew Macfadyen, Makenzie Leigh, Kristine Froseth


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Niemand ist bei den Kälbern

ein Film von Sabrina Sarabi.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Kulturlandschaft, soweit das Auge blickt, unter­bro­chen von Gehöften hier und da, moder­ne Windmühlen sind fürs Vertikale zustän­dig, und das Fest der frei­wil­li­gen Feuerwehr ist der Höhepunkt des Sommers. Hier, in einem Ort im Nordosten des Landes, lebt und arbei­tet Christin mit ihrem lang­jäh­ri­gen Freund Jan auf dem Milchbetrieb sei­nes Vaters. Daneben ver­sorgt sie noch ihren alko­hol­kran­ken Vater und ist selbst mitt­ler­wei­le einem heim­li­chen Schluck Kirschlikör nicht abge­neigt. Als der Windkraftanlagentechniker Klaus auf­taucht, macht die jun­ge Frau ihm Avancen. Er fragt sie nach ihren Träumen, und sie muss pas­sen – und plötz­lich wird ihr klar, dass es so für sie nicht wei­ter­ge­hen kann – aber was kann sie wie ändern?
„Mit beein­dru­cken­der Präzision fängt Sabrina Sarabi die sozia­le Kälte die­ses Arbeitsalltags ein und lässt ihre Protagonistin wie­der ein Gespür für ihr eige­nes Begehren ent­wi­ckeln. Sie kommt ihren Figuren dabei immer näher, bis die­se ihren stil­len Aggressionen schließ­lich frei­en Lauf las­sen.
Hauptdarstellerin Saskia Rosendahl gibt dem Verloren sein ihrer Christin eine ner­vö­se Energie, bei der die Lebenslust unter der Routine und Abgeklärtheit durch­scheint.“ Jonas Nestroy | IFFMH
Saskia Rosendahl wur­de bei den Intern. Filmfestspielen in Locarno der Preis als Beste Darstellerin verliehen.

Credits:


DE 2021, 116 Min., dt. O.m.engl. U., optio­na­le Audiodeskription bei Greta
Buch und Regie: Sabrina Sarabi
nach dem Roman von Alina Herbing
Kamera: Max Preiss
Schnitt: Heike Parplies
mit: Saskia Rosendahl, Rik Okon, Godehard Giese, Enno Trebs, Peter Moltzen, Anne Weinknecht

Trailer:
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