„Nicht umsonst rettet man, wenn es heißt, „seine Haut zu retten“, eigentlich sein Leben. Von dieser einfachen Redensart ausgehend, lässt die tunesische Regisseurin Kaouther Ben Hania das junge syrische Paar Sam und Abeer in weiche, warme Farben getaucht, in einem voll besetzten Zugabteil spontan ihre Liebe feiern, um Sam im nächsten Moment im Gefängnis zu zeigen. Es ist das Jahr 2011, das syrische Regime will sich junger, freiheitsliebender Männer entledigen. Sam, herausragend gespielt von Yahya Mahayni, der für seine Rolle den Orizzonti-Preis als bester Hauptdarsteller bei den Filmfestspielen in Venedig gewann, gelingt die Flucht in den Libanon. Dort hängt er fest und arbeitet in einer Hühnerfabrik am Band. Oft geht er auf Vernissagen, um sich am Buffet das Abendessen zu sichern. Dort lernt er an der Bar den berühmten Künstler Jeffrey Godefroi kennen, der ihm einen Pakt vorschlägt:
Sam lässt sich von ihm sein Schengen-Visum auf den Rücken tätowieren und kann mit diesem dann nach Europa einreisen. Er muss Godefroi allerdings zu jeder seiner Ausstellungen zur Verfügung stehen. Der Mensch Sam soll zum Kunstobjekt werden, für das es eigene Regeln und Verträge gibt. Kaouther Ben Hania erzählt diese faustische Geschichte mit allen intersektionellen Referenzen an unser herrschendes System. Godefroi ist Belgier mit dem richtigen Pass und genug Macht, um seine Sichtweise in die Welt zu tragen. Dass er Sam als Mittel zum Zweck benutzt, ist Teil seiner künstlerischen Aussage: Nicht er sei zynisch und betreibe Menschenhandel, das System täte es. Abeer (Dea Liane) hat mittlerweile einen jungen Diplomaten geheiratet, um heil aus dem vom Krieg zerstörten Land herauszukommen, nun muss sie sich ihrem Ehemann unterordnen. Wer hat bei all diesen Entscheidungen welche Wahl gehabt, sich zu
welchem Preis verkauft? Und was darf Kunst? Die Filmemacherin inszeniert ein diabolisches Spiel in grandiosen Bildern, lässt das kulturbegeisterte Publikum durch die heiligen, perfekt ausgeleuchteten Tempel der Kunst schreiten, in denen Sam jeden Tag seinen seidenen Morgenmantel fallen lassen muss, um angestarrt, belacht, fotografiert, in Führungen besprochen zu werden: das sensationelle Kunstwerk im goldenen Käfig der Kunstblase. Die Mitspieler*innen nippen rituell an Sektkelchen, eine Menschenrechtsorganisation tritt auf den Plan, um für die Würde der syrischen Geflüchteten zu demonstrieren, schließlich wird Sam an einen reichen Sammler verkauft, der ihn wiederum auf einer Aktion feil bietet. Dieser Satire setzt Kaouther Ben Hania immer wieder die unsterbliche Liebe von Abeer und Sam gegenüber.
Dabei treibt sie die Farce auf die Spitze, um im letzten Moment wie eine Königin den weißen Handschuh der Romantik fallen zu lassen. Denn nur die Haut die berührt wird, lebt.“ indiekino | Susanne Kim
Kaouther Ben Hania:
„Ich lasse in diesem Film zwei Welten aufeinandertreffen, die mich beide faszinieren: die der zeitgenössischen Kunst und die des alltäglichen Überlebens von Geflüchteten. Wir haben es hier mit zwei in sich abgeschotteten Welten zu tun, die von völlig unterschiedlichen Codes regiert werden. Auf der einen Seite haben wir eine etablierte, elitäre Welt, in der „Freiheit“ ein Schlüsselbegriff ist; auf der anderen Seite haben wir eine Welt des Überlebens, die von aktuellen Ereignissen beeinflusst wird und in der das Fehlen von Wahlmöglichkeiten die tägliche Sorge der Geflüchteten ist.
Das Aufeinandertreffen dieser beiden Welten fordert ein Nachdenken über unser Verständnis von Freiheit offen ein. Sam, der Geflüchtete, weiß das sehr wohl, wenn er dem Künstler Jeffrey sagt: „Du bist auf der richtigen Seite der Welt geboren.“ Das Problem ist, dass wir in einer Welt leben, in der die Menschen nicht gleich sind. Trotz aller Reden über Gleichheit und Menschenrechte sorgen die immer komplexeren historischen und geopolitischen Zusammenhänge dafür, dass es unweigerlich zwei Arten von Menschen gibt: die Privilegierten und die Verdammten.
Der Film zeigt einen faustianischen Handel zwischen einem Privilegierten und einem Verdammten. Sam Ali kehrt dem Teufel den Rücken zu, weil er keine andere Wahl hat, und gerät so in die elitäre und überkodierte Sphäre der zeitgenössischen Kunst, indem er eine durchaus zweifelhafte Wahl trifft. Sein scheinbar naiver und ungebildeter Blick zeigt uns diese Welt aus einem anderen Blickwinkel als dem, durch den das kulturelle Establishment sich gewöhnlich zeigt.
Einen wie Sam, der so stolz und ehrlich ist, kann es in den Wahnsinn treiben, so zum Objekt zu werden. Er wird entblößt, verkauft, hin und her geschoben. Diesem außergewöhnlichen Schicksal, verstärkt durch den hoch emotionalen zusätzlichen Konflikt seiner Gefühle zu Abeer, begegnet Sam Ali, indem er alles daran setzt seine Würde und seine Freiheit wiederzuerlangen.“



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