Baden Baden

Ein Film von Rachel Lang.

’Baden-Baden‘‚ ist ein etwas merk­wür­di­ger Name. Zumal Baden-Baden zu Baden gehört. Wahrscheinlich liegt hier der Hund begra­ben. Es gibt ein schö­nes Elektronikalbum von Michaela Melian mit dem Titel „Baden-Baden“. Und jetzt den Film. Ein wun­der­voll flu­si­ger Film übers zer­streu­te Dribbeln durch den Sommer. Charmant nost­al­gisch und von berüh­ren­der Fremdheit. Die Protagonistin Ana fährt zu ihrer Großmutter nach Strasbourg, dem Ort, an dem sie sich zuhau­se fühlt.  Aufgrund eines Unfalls muß die Besuchte aber ins Krankenhaus. Ana beschließt, wäh­rend der Abwesenheit das Bad zu reno­vie­ren. Zwischen die­ser kon­kre­ten Aufgabe mit ihren prak­ti­schen Anforderungen des Kleinkloppens und Neuaufbauens und der Frage, wohin es in ihrem (Erwerbs)leben eigent­lich geht, von dem sie gera­de eine Auszeit genom­men hat (bzw. gefeu­ert wur­de), ver­streicht die Zeit sorg­fäl­tig und unauf­ge­regt. Während die Sonne des Sommers wärmt und Geborgenheit spen­det. Der ver­trau­te Ort und der Blick auf die Jahre zuvor füh­ren zu Begegnungen mit den alten Liebhabern. Selbst die glän­zen in ihrer ner­vi­gen Selbstbezogenheit im hel­len Licht, als wären sie gera­de erst neu in Anas Leben getre­ten. Spielerisch wird noch ein­mal aus der Vergangenheit geschöpft, ohne die Folgen fürch­ten zu müs­sen. Und dann kommt es in die­sem sorg­fäl­tig cho­reo­gra­fier­ten Reigen zum Jahresanfang noch zu der Begegnung mit dem schüch­ter­nen Mann im Baumarkt, der tat­säch­lich in der Nähe von Baden-Baden liegt.

F/BE 2016, 94 Min. frz. OmU
Regie: Rachel Lang
Kamera: Fiona Braillon
Schnitt: Sophie Vercruysse
mit: Salomé Richard, Claude Gensac, Swann Arlaud, Olivier Chantreau, Lazare Gousseau, Jorijn Vriesendorp, Driss Ramdi, Noémie Rosset u.a.

Baden Baden Trailer OmU

Das unbekannte Mädchen

Ein Film von Jean-Pierre und Luc Dardenne.

Jenny, eine jun­ge Ärztin, führt eine Praxis ver­tre­tungs­wei­se in einer bel­gi­schen Vorstadt. Als eines Abends nach Sprechstundenschluss es noch ein­mal klin­gelt, macht sie nicht auf, im Glauben, dass es sich nicht um einen Notfall han­delt. Am nächs­ten Tag erfährt sie von der Polizei, dass eine nicht iden­ti­fi­zier­te Person tot auf­ge­fun­den wur­de, offen­bar die jun­ge Frau, die am Vorabend in ihre Praxis wollte.

Sich (mit)schuldig füh­lend, fängt die Ärztin an, Nachforschungen anzu­stel­len, um zumin­dest den Namen der Toten zu ermit­teln. Bald schon gerät sie dabei immer tie­fer in ver­schie­de­ne Milieus. Anfangs läuft sie Gefahr, sich in ihrer Recherche zu ver­lie­ren, spä­ter jedoch beginnt ihre Umwelt auf ihre Hartnäckigkeit zu reagieren.

Der Film spielt wie immer an einem Durchgangsort, der eine gro­ße Unbehaustheit aus­strahlt, dort, wo eigent­lich nie­mand woh­nen will und wenn doch, gezwun­gen ist, sich ein­zu­rich­ten. Wie so häu­fig dreht es sich bei den Dardennes um Schuld, Trost, Zuwendung, den unab­läs­si­gen Kampf gegen Windmühlen und hier beson­ders auch um die Selbstfindung der Personen. Schön, wie es ihnen immer wie­der gelingt, nicht ‑wie in vie­len Sozialdramen- pla­ka­tiv zu typi­sie­ren, son­dern eine Vielschichtigkeit zu bewah­ren und dabei einen zärt­li­chen Blick auf ihre Protagonisten und ihre Welt zu wer­fen, nicht aber auf die Verhältnisse, in denen sie leben müssen.

Es ist immer wie­der beein­dru­ckend, mit wel­cher Souveränität und schnör­kel­lo­sen Klarheit es den Brüdern Jean-Pierre und Luc Dardenne gelingt, das jewei­li­ge Milieu ihrer Filme und die mora­li­schen Konflikte ihrer Figuren in der Exposition zu kon­tu­rie­ren.“ (Filmdienst)

 

La fil­le inconnu
Belgien / Frankreich 2016, 106 Min., frz. OmU

Regie: Jean-Pierre und Luc Dardenne
Kamera: Alain Marcoen
Schnitt: Marie-Hélène Dozo
Darsteller: Adèle Haenel, Fabrizio Rongione, Thomas Doret, Morgan Marinne, Christelle Cornil

DAS UNBEKANNTE MÄDCHEN – OmU Trailer

Continuity

Ein Film von Omer fast. Ab 17.11. im fsk.

Omer Fast ist Videokünstler. Im Martin-Gropius-Bau gibt es ab 18.11. unter dem Titel „Reden ist nicht immer die Lösung“ eine Ausstellung mit sie­ben sei­ner Projekte zu sehen. Die letz­te Berlinale hat­te 2 Filme von ihm im Programm: Das vor kur­zem im Kino gelau­fe­ne Vexierspiel „Remainder“ lief im Panorama, der ungleich kom­ple­xe­re „Continuity“ ent­spre­chend beim Forum Expanded. Weiterlesen

Ich, Daniel Blake

Ein Film von Ken Loach.

[im Indiekino Club]

Nach einem Herzinfarkt darf der 59-jäh­ri­ge Schreiner Daniel Blake nicht mehr arbei­ten. Er bean­tragt die ihm zuste­hen­den staat­li­chen Leistungen und ver­sinkt dabei lang­sam im Treibsand der Bürokratie und ihrer kaf­ka­es­ken Strukturen. Anstatt pro­fes­sio­nel­ler Betreuung durch die dafür zustän­di­gen Behörden fin­det er sich in der Rolle des Don Quijotes wie­der. Dabei lernt er eine allein­er­zie­hen­den Mutter ken­nen, die in der glei­chen Lage steckt (kei­ne Liebesgeschichte). „I, Daniel Blake“ ist durch und durch ein Ken Loach Film, das Mitgefühl für sei­ne Protagonisten spie­gelt sich in jeder Einstellung. Er doku­men­tiert ihren Kampf um mensch­li­che Würde und Grundrechte in einem Staat, der für die Gewinnmaximierung Weniger opti­miert wur­de und den Interessen der Mehrheit mit Ruhigstellungsstrategien begeg­net. Wer dabei nach unten durch­rutscht, darf sich als Paria betrach­ten. Loach macht Filme dar­über, wie ein­fach es sein kann, dort zu lan­den. Darüber, das es sta­tis­tisch wahr­schein­li­cher ist, einen Herzinfarkt zu bekom­men und den Arbeitsplatz zu ver­lie­ren als Aufsteiger der Woche oder Lottokönig zu wer­den. Als Bedürftiger gerät man aber an ein Sozialsystem, das dem Namen nicht mehr gerecht wird. Und Ken Loach bleibt mit sei­nen gera­de mal 80 Jahren ein bewun­derns­wer­ter Regisseur, der die Hauptrolle dem eher unbe­kann­ten Stand-up Comedian Dave Johns anver­trau­te. Seine Darstellung der Titelfigur berührt unge­mein und hat gleich­zei­tig einen Witz, der sei­ne Widerborstigkeit unter­streicht, sich nicht unter­krie­gen zu lassen.

Mein lang­jäh­ri­ger Ko-Autor Paul Laverty und ich hat­ten viel über die Stolpersteine der Sozialhilfe gehört. Also tour­ten wir durch England und tra­fen uns mit Leuten in Jobcentern und Ausspeisungsstellen. Ihre Geschichten haben uns scho­ckiert. Unzählige sind unwür­di­gen Mechanismen aus­ge­setzt, aber kaum einer spricht dar­über. …Die Jobcenter-Angestellten müs­sen ein gewis­ses Sanktionspensum erfül­len. Wenn sie das nicht schaf­fen, wer­den sie auf eine „Optimierungsliste“ gesetzt und ste­hen unter Druck, ihre Straffrequenz zu erhö­hen. Es ist eine Zermürbungsstrategie. Wenn das Amt einen Sozialhilfeanwärter als arbeits­taug­lich ein­stuft, die­ser aber mit einem ärzt­li­chen Attest Einspruch erhebt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass er sich durch­set­zen kann, rela­tiv hoch. Also ver­sucht man, es gar nicht so weit kom­men zu las­sen.“ Ken Loach


OT: I, Daniel Blake

Frankreich/Großbritannien 2016, 100 Min., engl. OmU
Regie: Ken Loach
Drehbuch: Paul Laverty
Kamera: Robbie Ryan
Schnitt: Jonathan Morris
Darsteller: Hayley Squires, Colin Coombs, Micky McGregor, Dave Johns, Briana Shann

 

Les Sauteurs – Those Who Jump

Ein Film von Moritz Siebert, Estephan Wagner, Abou Bakar Sidibé, Ab 17. November im fsk.
Am 18.+ 22.11. in Anwesenheit der Regisseure.

Vom Berg Gurugu blickt man auf die spa­ni­sche Enklave Melilla an der nord­afri­ka­ni­schen Mittelmeerküste. Afrika und die Europäische Union wer­den hier durch eine hoch­ge­si­cher­te Grenzanlage, bestehend aus drei Zäunen, von­ein­an­der getrennt. In den Wäldern des Bergausläufers leben Geflüchtete, meist aus der Subsahara-Region, die ver­su­chen, die­se Weiterlesen

Right now, wrong then

Ein Film von Hong Sang-soo.

Es hat nicht sol­len sein.“ Was retro­spek­tiv über vie­le Beziehungen gesagt wird, die schei­tern bevor sie rich­tig begon­nen haben, trifft auch auf das Verhältnis Ham Chun-su und Yoon Hee-jung zu. Er ist Regisseur und wegen einer Filmvorführung in Suwon. Dummerweise reist er einen Tag zu früh an und lernt zufäl­lig die Künstlerin Hee-jung ken­nen. Die bei­den ver­brin­gen den Tag zusam­men, besu­chen ihr Atelier, essen Sushi, trin­ken Soju und gehen am Abend mit Freundinnen aus. So kom­men sie ein­an­der näher, Weiterlesen

Sparrows

Ein Film von Rúnar Rúnarsson. Ab 24. November 2016 im Kino.

Die Geschichte eines 16-jäh­ri­gen Jungen, der gezwun­gen ist, von sei­ner Mutter aus Reykjavik in sei­ne alte Heimat, den abge­schie­de­nen Nordwesten Islands, zu sei­nem leib­li­chen Vater zu zie­hen. Dort spie­gelt die raue Landschaft die schwie­ri­gen Beziehungen sowohl zu sei­nem Vater, als auch zu sei­nen Freunden wider, mit denen er sich aus­ein­an­der­set­zen muss. Er Weiterlesen

Cahier Africain

Ein Film von Heidi Specogna.

Im wahrs­ten Sinne des Wortes steht ein Notizheft im Mittelpunkt der Dokumentation, ein Heft, in dem die zahl­lo­sen Verbrechen und Vergewaltigungen auf­ge­lis­tet wur­den, die von Soldaten des benach­bar­ten Kongos in der Zentralafrikanischen Republik ver­übt wur­den. Dieses Heft, von einer Menschenrechtsaktivistin in lang­jäh­ri­gen, aus offen­sicht­li­chen Gründen auch gefähr­li­cher Arbeit ange­legt, dien­te als ent­schei­den­des Beweismittel in Weiterlesen

Die Wildente

Ein Film von Simon Stone. Ab 27.10. im fsk.

Nehmen Sie einem Durchschnittsmenschen die Lebenslüge, und Sie neh­men ihm zu glei­cher Zeit das Glück.“ so heißt es in dem gleich­na­mi­gen Stück des Norwegers Henrik Ibsen, das die­ser Verfilmung zu Grunde liegt. Wie wir sehen wer­den, gilt dies nicht nur für Christian, der aus den USA zur Hochzeit sei­nes Vaters nach Hause in sein Heimatdorf zurück­kehrt. Seine geschei­ter­te Ehe und sei­ne Alkoholsucht ver­heim­licht er dort lie­ber. Da er die Heirat sei­nes Vaters mit einer viel zu jun­gen Frau und bis­he­ri­gen Angestellten für unan­ge­mes­sen hält, ver­bringt Christian die Weiterlesen

Dieses Sommergefühl

Ein Film von Mikhaël Hers. Ab 3.11.16 im fsk.

Durch ihren plötz­li­chen Tod wird die jun­ge Französin Sasha aus dem Leben von Lawrence geris­sen. Vollkommen unvor­be­rei­tet bleibt er rat­los allein zurück im Leben. Er hält Konktakt zu Sashas Familie und all­mäh­lich ent­wi­ckelt sich eine tie­fe Freundschaft zwi­schen ihm und Sashas Schwester Zoé. Im Fluss der Zeit ver­än­dern sich bei­der Leben: wäh­rend Zoé mit ihrem Mann eine Familie grün­det, zieht Lawrence aus Berlin, streift Paris und ent­schei­det sich schließ­lich dafür, zurück in sein Heimatland Amerika zu gehen. Sommer ver­ge­hen und begin­nen und Weiterlesen