Das fsk Kino ist ein unabhängiges Filmkunstkino in Berlin Kreuzberg
Zitty:
Berlins Beste 2012: Anspruchvollstes Kino
Richtiges, pures Arthouse – für Mainstream-Mätzchen ist im Kreuzberger fsk am Oranienplatz kein Platz. Das Namenskürzel steht übrigens für Flugzeugsesselkino, die erste Bestuhlung stammte von ausgemusterten Lufthansa-Maschinen. Wer also echte Entdeckungen machen möchte, ist hier richtig, mit Filmen aus aller Welt, meist in der Originalfassung mit Untertiteln. Und die dürfen gerne mal elegisch oder sperrig sein, damit genug Raum für die Assoziationen des Zuschauers bleibt. (MS)
Die drei besten Berliner Kinos sind …?
Das FSK am Oranienplatz. Da gehe ich zu Fuß hin und schaue an, was gerade läuft. Das ist das Gegenteil von DVD. Ich treffe keine Kaufentscheidung, ich entdecke etwas. (…)
(Christian Petzold im Tagesspiegel Interview 2014)
Wer in der Schulzeit „Homo Faber“ von Max Frisch lesen musste/durfte, hatte vielleicht Lust bekommen mehr von ihm zu lesen. Mir jedenfalls ging es so und auch jetzt noch nehme ich mir regelmäßig vor, „Stiller“ oder wahlweise „Mein Name sei Gantenbein“ noch einmal zu lesen. Aber auch ohne das Buch zu kennen, oder gerade deshalb, sei der Film sehr spannend, konnte ich vernehmen. Bei einer Zugreise durch die Schweiz wird der US-Amerikaner James Larkin White an der Grenze festgenommen. Der Vorwurf: Er sei der vor sieben Jahren verschwundene Bildhauer Anatol Stiller, der wegen seiner Verwicklung in eine dubiose politische Affäre gesucht wird. White bestreitet seine Schuld und beharrt darauf, nicht Stiller zu sein. Um ihn zu überführen, bittet die Staatsanwaltschaft Stillers Frau Julika um Hilfe. Aber auch sie vermag ihn nicht eindeutig zu identifizieren, in Erinnerungen wird aber mehr und mehr die Beziehung des Ehepaars offengelegt. Der Staatsanwalt hat ebenfalls eine überraschende Verbindung zu dem Verschwundenen. Dass sich die Plakate von STILLER und FRANZ K., der eine Woche vorher startet, ähneln, ist kaum ein Zufall, geht es doch bei beiden Titelhelden auch um das Abhandenkommen von sich und der Welt. „Stiller” handelt an der Oberfläche von Selbst-und Fremdwahrnehmung, also um Identität, doch darunter liegt auch eine Auseinandersetzung mit der Nachkriegszeit und der Anfangsphase des kalten Krieges und wie alles zusammenhängen könnte. Wer will, kann also durchaus Parallelen zur heutigen Zeit erkennen.
„Stefan Haupt hat die Geschichte um Stiller und White erstmals für das Kino inszeniert und konzentriert sich dabei nur auf den ersten Teil des Buches. Wer den Roman kennt und Bedenken hat(te): Das funktioniert tatsächlich erstaunlich gut. Was im Roman über das Schreiben, das Erzählen, die Worte vermittelt ist – Stiller soll im Gefängnis seine Erinnerungen und Gedanken niederschreiben, um die Ermittlungen in einem Mordfall voranzutreiben – passiert auf der Leinwand über die audiovisuelle Inszenierung und eben viel weniger über die Sprache“ Verena Schmöller | kino-zeit
Credits:
CHDE 2025, 99 Min., Deutsch Regie: Stefan Haupt Kamera: Michael Hammon Schnitt: Franziska Koeppel mit: Paula Beer, Albrecht Schuch, Marie Leuenberger, Sven Schelker, Max Simonischek
Sorda ist das spanische Wort für taub. Ein ganz normales Paar, Ángela und Héctor, wünscht sich nach längerer Partnerschaft ein ganz normales Kind. Ángela ist fast gehörlos und was an sich schon eine ungemeine Herausforderung für ein Paar werden kann, bringt die beiden an die Grenzen, die zwischen beider Welten verlaufen. Genauso, wie sich Héctor auf einer Party seiner Frau und ihrem gehörlosen Freundeskreis als Randfigur wahrnimmt, wird Ángela noch bewusster, wie isoliert sich ein Leben mit ihrem Handicap anfühlen kann. Und zu welcher Gesellschaft wird das erwartete Kind gehören, das vielleicht auch gehörlos sein wird? Die Intimität und Feinsinnigkeit des Films sind sicher auch der Tatsache geschuldet, dass die gehörlose Hauptdarstellerin Miriam Garlo und die Regisseurin Eva Libertad Schwestern sind.
„Was heißt es, als gehörlose Frau in einer hörenden Mehrheitsgesellschaft Mutter zu sein? Diese Frage stellt sich Protagonistin Ángela in Eva Libertads Sorda, als sie und ihr hörender Partner Hector gemeinsam ein Kind erwarten. Inspiriert von Gesprächen mit ihrer gehörlosen Schwester Garlo, die auch die Hauptrolle übernimmt, untersucht Libertad die Vereinbarkeit der hörenden und gehörlosen Welt, teils anhand von Bevormundung und Ausgrenzung, die Ángela erfährt, insbesondere aber durch ein nuanciertes und emotionales Porträt einer liebevollen Paar- und Familiendynamik, die zwischen den Welten balanciert.” (Charlie Hain, Filmlöwin)
SORDA erhielt den Panorama Publikumspreis für den besten Spielfilm der Berlinale 2025.
Credits:
ES 2025, 99 Min., Spanisch, Spanische Gebärdensprache mit deutschen Untertiteln Regie, Buch: Eva Libertad Kamera: Gina Ferrer García Schnitt: Marta Velasco mit: Miriam Garlo, Álvaro Cervantes, Elena Irureta, Joaquín Notario
Trailer:
Trailer SORDA, von Eva Libertad (OV/de), ab 6. November im Kino
Wer aufregende und spektakuläre Ballwechsel zwischen Weltklasse-Spielern beim Tischtennis sehen will, ist hier genau richtig. Wer mehr über merkwürdige Vorgänge im Profisport erfahren möchte, ist hier ebenfalls richtig. Und auch der Einfluss der Weltpolitik macht vor Tischtennis nicht halt. Zwei Ereignisse prägen diesen Film: die Bundesliga- und Championsleague-Wildcard für den neu gegründeten TTC Neu-Ulm und der Ausschluss russischer Spieler (und Vereine) von internationalen Turnieren. Ein Jahr lang blieb Jonas Egert unauffällig an der Seite des Teams und seiner neu verpflichteten internationalen Top-Stars, bis der Höhenflug des Vereins ein jähes Ende fand.
„Atemberaubend wie ein Profi-Match, großartig fotografiert und montiert. Mehr als ein herausragender Sportfilm – ein nervenzehrender Ping-Pong-Thriller der Spitzenklasse.“ (Ysabel Fantou, DOK.fest München)
Credits:
DE 2025, 116 Min. Regie, Buch: Jonas Egert Kamera: Felix Riedelsheimer Schnitt: Anja Pohl
Filme über Kafka und Kafka-Verfilmungen gibt es einige, Kafka-Biografien und andere Sekundärliteratur bergeweise, lustig veranschaulicht in „Franz K.“ bei einem der Ausflüge ins skurrile Heute. Agnieszka Holland und Autor Marek Epstein haben einen sehr lebendigen Ansatz für ihre Film-Version gewählt, die erscheint wie eine Kurzgeschichtensammlung. Immer wieder springt der Film durch die Zeit, zeigt Aus- und Anschnitte von dem, was so bekannt ist aus dem Leben des hochsensiblen Autors. Mit großer Experimentierfreude und vielen Ideen lässt er uns teilhaben am privaten wie beruflichen Umfeld und interpretiert Auszüge seines Werkes visuell, ohne jedoch das zu befürchtende Feuerwerk „kafkaesker“ Bildsprache zu strapazieren. Von Familie, Freundschaft, Druck und Angst, innerem und äußerem Zwang wird erzählt, oft verspielt, dabei aber auch angemessen ernsthaft, so wie bei der Thematisierung der zunehmend bedrohlichen Lage der Juden in Europa.
„Die tschechisch-deutsch-polnische Produktion fängt die Härte und Grausamkeit der damaligen Zeit ein, ist häufig jedoch auch überraschend humorvoll. Neben dem in sich gekehrten, zerrissenen, hin und wieder pedantischen Franz lernen wir dessen ausgelassene Seite kennen, etwa wenn der Schriftsteller fröhlich lachend in einer freundschaftlichen Runde aus Der Prozess vorliest. Ein schöner Gegenentwurf zur Melancholie und zur verstörenden Schwere, die häufig unser Kafka-Bild prägen.“Andreas Köhnemann | kino-zeit
Credits:
DECZ 2025, 127 Min., Deutsch, Tschechisch OmU Regie: Agnieszka Holland Drehbuch: Marek Epstein Kamera: Tomasz Naumiuk mit: Idan Weiss, Peter Kurth, Jenovéfa Boková, Ivan Trojan, Sandra Korzeniak, Katharina Stark
Deutschland steht an einem historischen Wendepunkt: Erstmals seit 1945 wird im Jahr 2025 ein migrationspolitischer Entschließungsantrag im Bundestag angenommen – mit Unterstützung der AfD, die vom Verfassungsschutz wegen rechtsextremer Bestrebungen beobachtet wird. Die Erklärung zur Begrenzung der Zuwanderung sieht unter anderem eine vollständige Schließung der deutschen Grenzen vor. Ein Paradigmenwechsel kündigt sich an: weg vom Schutz von Geflüchteten, hin zu Abschottung und Abschreckung.
Kein Land für Niemand – Abschottung eines Einwanderungslandes begibt sich auf die Suche nach den Ursachen dieser politischen Zäsur und nimmt die Zuschauer*innen mit auf eine aufrüttelnde Reise. Die Dokumentation beginnt an den europäischen Außengrenzen, wo eine andauernde humanitäre Katastrophe auf staatliche Ignoranz trifft, aber auch auf ziviles Engagement. Sie begleitet einen Rettungseinsatz auf dem Mittelmeer, dokumentiert die katastrophale Lage aus der Luft und erzählt die Geschichten von Überlebenden, die trotz Gewalt und tödlicher Risiken den Weg nach Deutschland gefunden haben.
Während Deutschland dazu beiträgt, eine europäische Festung zu errichten, gerät die politische Landschaft ins Wanken. Von emotionalisierten Medienberichten bis zu hilflos nach rechts rudernden Politiker*innen zeichnet sich eine gesellschaftliche Erzählung ab, die sich gegen Migrant*innen und Schutzsuchende richtet. Ist Migration überhaupt das große Problem, zu dem es gemacht wird? Oder offenbart die Abschottungspolitik tiefere gesellschaftliche Ängste?
In eindringlichen Geschichten zeigt der Film eine zunehmend beängstigende Realität aus Sicht von Geflüchteten und analysiert die Dynamiken hinter dem historischen Rechtsruck. Im Dialog mit Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen und Publizist*innen fordert Kein Land für Niemand – Abschottung eines Einwanderungslandes dazu auf, den brutalen Status quo und die scheinbar unaufhaltsame Radikalisierung der Migrations- und Asyldebatte in Frage zu stellen.
Credits:
DE 2025, 111 Min., OmU Regie: Max Ahrens & Maik Lüdemann Kamera: Nils Kohstall, Maik Lüdemann Schnitt: Lino Thaesler
Trailer:
Kein Land für Niemand – Abschottung eines Einwanderungslandes (Trailer)
Satelliten melden eine Atomrakete, die sich Richtung USA bewegt. Der Countdown bis zum möglichen Einschlag in Chicago tickt; fiebrige Geschäftigkeit bricht bei den für die Verteidigung verantwortlichen Institutionen und Personen aus. Das Prozedere ist eingeübt, trotzdem werden die Experten nervös, als der erste Versuch, die Rakete abzuschießen, misslingt. Und bald stellt sich die Frage nach einem präventiven Gegenschlag. Der Film verfolgt an der Seite mehrerer Protagonisten, von Soldaten auf einer Basis der National Missile Defense bis hoch zum US-Präsidenten, in zeitlichen Schleifen die verzweifelten Aktivitäten bis zum Ablaufen des Countdowns. Dabei rundet sich der atemlos spannende Thriller zur eindringlichen Mahnung, wie schnell aus gegenseitiger nuklearer Abschreckung ein potenziell vernichtender Atomkonflikt werden könnte und dass Aufrüstung als Mittel, Sicherheit und Frieden zu gewährleisten, ein zweischneidiges Schwert ist. (Filmdienst)
Credits:
US 2025, 112 Min., Englisch OmU Regie: Kathryn Bigelow Kamera: Barry Ackroyd Schnitt: Kirk Baxter mit: Idris Elba, Rebecca Ferguson, Gabriel Basso, Jason Clarke, Greta Lee, Jared Harris, Tracy Letts, Anthony Ramos, Moses Ingram und Jonah Hauer-King
Ein abgelegenes, mehr als baufälliges Haus irgendwo im Herzen Amerikas soll das neue zu Hause werden: Grace (Jennifer Lawrence) und Jackson (Robert Pattinson) sind freilebende, frei denkende Künstlernaturen, sie schreibt, er macht Musik, die der Großstadt und ihren Versuchungen entkommen wollen. Die Zivilisation wirkt sehr fern, allein Jacksons alternde Mutter Pam (Sissy Spacek) lebt nicht allzu weit weg.
Anfangs wirkt die selbstgewählte Einsamkeit auch mehr als stimulierend auf das Paar, der Alkohol fließt in Strömen, der Sex ist wild und bald wird ein Kind geboren. Und damit beginnen die Probleme, langsam, aber unaufhaltbar. Immer irritierter wirkt Grace, immer weniger bereit, sich in die von der Gesellschaft vorgegebene Rolle der sorgenden Mutter zu fügen, während Jackson immer häufiger der Arbeit (aber auch der Affären) wegen verschwunden ist und die Einsamkeit Grace zusätzlich belastet.
Acht Jahre ist es her, dass die schottische Regisseurin Lynne Ramsay zuletzt einen Film drehen konnte, den düsteren Thriller „You Were Never Really Here“, in dem Joaquin Phoenix so gut war wie selten und sich ganz der Vision Ramsays hingab. Ähnliches lässt sich nun über Jennifer Lawrence sagen, um die es in den letzten Jahren ein wenig ruhiger wurde, die sich nun aber mit einer fulminanten Darstellung zurückmeldet, die ebenso exzessiv wirkt, wie der Film.
Den baut Ramsay wie immer nicht linear, sondern impressionistisch auf, sie erzählt stringent, sondern elliptisch, springt zwischen Szenen, die in der Zukunft liegen und der Gegenwart hin und her, deutet in sporadischen Rückblenden die Anfänge der Beziehung zwischen Grace und Jackson an, vor allem aber zum Leben ihrer Schwiegermutter Pam und dessen inzwischen verstorbenen Mann Harry (Nick Nolte).
„Im ersten Jahr drehen wir alle ein bisschen durch“ sagt Pam einmal zu ihrer Schwiegertochter, wobei nicht ganz klar ist, ob sie vom ersten Jahr der Ehe oder vom ersten Jahr nach der Geburt eines Kindes spricht – oder Beidem. Die Geschichte wiederholt sich jedenfalls, die Muster einer Beziehung ändern sich nur schwer. Während Pam offenbar Probleme mit Harry hatte, aber dennoch bis zu dessen Tod mit ihm zusammenblieb (und noch Monate später seine Hemden bügelt), kann sich Grace nur schwer dazu durchringen, den Konventionen zu entsprechen, sich in ihre Rolle als Mutter und Hausfrau zu fügen.
Hätte ein Mann diesen Film gedreht, würde man ihm wohl vorhalten, sich am zunehmend labilen Zustand einer langsam in eine Psychose abdriftenden Frau zu laben und ihr Leid auszustellen. Als Blick einer Frau auf eine andere Frau wirkt „Die My Love“ jedoch bei allem Exzess wie ein sensibler, zunehmend tragischer Blick auf eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs, die sich mit allem was sie hat, den von Männern gemachten Konventionen widersetzt. Dass es am Ende Lynne Ramsay selbst ist, die eine wunderbar sanfte Version des legendären Joy Divison Songs „Love will tear us apart“ singt, bringt die Intentionen dieses oft anstrengenden, aber ebenso mitreißenden Films schließlich auf den Punkt.
Michael Meyns | programmkino.de
Credits:
CA 2024, 118 Min., Englisch OmU Regie: Lynne Ramsay Kamera: Seamus McGarvey Schnitt: Toni Froschhammer mit : Jennifer Lawrence, Robert Pattinson, Lakeith Stanfield, Sissy Spacek
Trailer:
DIEMYLOVE | Offizieller Teaser-Trailer | Ab 13. November im Kino
Als am Set eines Films ein verbrannter Koran gefunden wird, laufen die Dreharbeiten aus dem Ruder. Die Praktikantin Elif wird in ein gefährliches Spiel aus Geheimnissen, Anschuldigungen und Lügen hineingezogen. Mehmet Akif Büyükatalays doppelbödiger, provokanter Verschwörungsthriller spielt mit dem Film-im-Film-Motiv und steckt voller unerwarteter Wendungen. Eine präzise Reflexion über die Macht der Bilder und die Dynamik von Wahrnehmung, Projektion und gesellschaftlicher Hysterie.
Credits:
DE 2025, 104 Min., Deutsch, Englisch, Türkisch, Kurdisch, Arabisch OmU Regie: Mehmet Akif Büyükatalay Kamera: Christian Kochmann Schnitt: Denys Darahan, Andreas Menn mit Devrim Lingnau, Mehdi Meskar, Serkan Kaya, Nicolette Krebitz, Aziz Çapkurt, Nazmi Kırık
Arjun Talwar kam vor vielen Jahren nach Polen. Er arbeitet in Warschau und hat Polnisch gelernt. Die kleine Straße, in der er lebt, kennt er wie seine Westentasche – sie ist ein Mikrokosmos, der die polnische Gesellschaft im 21. Jahrhundert spiegelt. Was auch bedeutet: Talwar ist zwar Teil dieses Mikrokosmos, fühlt sich aber immer noch als Fremder. Freund*innen ausländischer Herkunft teilen seine Erfahrungen – sie können in der multikulturell gewordenen Touristen-Stadt Warschau zwar arbeiten, einkaufen und ihre Freizeit verbringen, werden aber das Gefühl nicht los, dauerhaft im Abseits zu stehen. Talwar nimmt für seinen Film-Essay die Kamera in die Hand und beginnt, im raschen Wechsel zwischen Orten, Szenen und Jahreszeiten diesen Mikrokosmos zu erforschen. Dabei entdeckt er Menschen, Orte und Phänomene, die er bisher übersehen hatte. Er erzählt von Freunden, die an ihrer missglückten Integration gescheitert sind, und findet Menschen, die sein Schicksal teilen. Abwechselnd beobachtet er seine unmittelbare Umgebung und sich selbst. Dabei stellt er im Off-Kommentar immer wieder die Frage: Muss ich mich ändern oder muss die polnische Gesellschaft sich ändern, damit Zugezogene selbstverständlch Teil der Gemeinschaft werden können? [Rainer Mende]
„Seit über dreizehn Jahren lebt Arjun Talwar in der Ulica Wilcza in Warschau. In BRIEFEAUSDERWILCZA macht er diese Straße zu einem sozialen und emotionalen Resonanzraum. Mit ruhiger Kamera und persönlichem Voice-Over führt Talwar Gespräche mit Nachbarinnen, Händlerinnen, Freundinnen, Straßenmusikerinnen. Es entstehen beiläufige, oft intime Dialoge über Kindheit, Politik, Trauer, Heimat und Identität – darüber, was Zugehörigkeit ausmacht und was sie erschwert. Verwoben mit diesen Straßenszenen ist Talwars eigene Geschichte: die Entscheidung, gemeinsam mit seinem besten Freund Adi nach Polen zu ziehen, seine Faszination für die polnische Kultur und die unterschiedlichen Wege, die ihre Leben schließlich nahmen. Mit feinem Humor und präzisem Blick versammelt der Dokumentarfilm Stimmen, Körper und Sprachen in ihrer Nähe und Unterschiedlichkeit. Am Ende bleibt eine leise, offene Frage: „Wie viele Jahre muss jemand an einem Ort leben, um von dort zu sein?” Vision Kino
„Ich habe alles genau geplant“ behauptet JB (Josh O’Connor), als er seinen Kumpanen von seinem Plan erzählt. Er ist der Anführer, das Mastermind, doch selbst wenn man mit den Filmen von Kelly Reichardt nicht vertraut sein sollte, ahnt man schon nach wenigen Minuten von „The Mastermind“, dass der Titel ironisch gemeint ist.
Zusammen mit seiner Frau Terri (Alana Haim) und den zwei Kindern lebt JB in einer Kleinstadt in Massachusetts, es ist 1970, Richard Nixon sitzt im Weißen Haus, im fernen Vietnam tobt seit Jahren ein Krieg, gegen den auf den Straßen zu Hause mit zunehmender Vehemenz protestiert wird. Eigentlich ist JB Schreiner, doch einen festen Job hat er nicht. Sein Vater (Bill Camp), ein geachteter Richter, und seine Mutter (Hope Davis) unterstützen ihn, finanzieren ein Leben, das dahinplätschert, ohne Ziel und Plan.
Der geplante Einbruch in einem kleinen lokalen Museum, wo die Gemälde des selbst in seiner Heimat wenig bekannten amerikanischen Malers Arthur Dove Ziel von JBs Plan sind, soll alles ändern, aber was genau? Erstaunlicherweise gelingt der Plan, zumindest landen die vier Gemälde am Ende in JBs Familien-Kombi.
Kurz darauf sind seine Komplizen schon in Polizeigewahrsam und JB auf der Flucht. Seine Frau und die Kinder lädt er bei den Schwiegereltern ab und fährt los, mit dem Ziel Kanada, wohin es in den frühen 70ern vor allem Kriegsdienstverweigerer zog, wo aber auch ein Dieb Unterschlupf finden könnte.
Schon des öfteren hat Kelly Reichardt Genrefilme gedreht, die den Regeln ihres Genres folgten, sie aber gleichzeitig unterliefen und damit die ihnen zu Grunde liegende Ideologie hinterfragten. „Meek’s Cutoff“ war ein Anti-Western, „Night Moves“ ein Anti-Thriller, nun also ein Anti-Heist-Film. Das alle drei Genre traditionell starke, souveräne Männer-Figuren in den Mittelpunkt stellen, die auf Grund ihrer Cleverness und Maskulinität ihre Ziele erreichen, macht die Genre-Dekonstruktionen bei Kelly Reichardt zu Reflexionen über die Krise der Männlichkeit.
Perfekt besetzt wirkt dabei in diesem Fall Josh O’Connor, der schon als etwas verhuschter junger Prince Charles in „The Crown“ Männlichkeit eher vorgab, als wirklich verkörperte und auch in Spielfilmen wie „La Chimera“ oder zuletzt „Challengers“ Männer-Figuren spielte, die an den Erwartungen an ihr Geschlecht zu scheitern drohten.
Betont passiv spielt O’Connor in „The Mastermind“, wirkt weniger in Kontrolle, als Getrieben von den Ereignissen, die er selbst, ohne die Konsequenzen wirklich zu durchschauen, in Bewegung gesetzt hat. Immer deutet Reichardt dabei den historischen Kontex an, zeigt TV-Berichte aus Vietnam, lässt JB an Demonstrationen gegen den Krieg vorbeifahren. In welchem Zusammenhang das persönliche Schicksal JBs und die gesellschaftliche Realität der USA um 1970 stehen lässt Reichardt offen, sie bietet Interpretationsmöglichkeiten an, hält sich selbst aber zurück. Man kann „The Mastermind“ daher auch einfach nur als Tragikomödie über einen Mann lesen, der sich selbst überschätzt oder als Genrefilm, der die Konventionen seiner Form dekonstruiert. Vor allem aber ist es ein weiterer, sehr spezieller Kelly Reichardt-Film, inzwischen fast selbst ein eigenes Genre.
Michael Meyns
Credits:
US 2025, 110 Min., engl. OmU Regie & Schnitt: Kelly Reichardt Kamera: Christopher Blauvelt mit: Josh O’Connor, Alana Haim, Hope Davis, John Magaro, Gaby Hoffmann, Bill Camp
Trailer:
THEMASTERMIND | Offizieller Trailer | Ab 16. Oktober im Kino
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