Die Maske

Ein Film von Małgorzata Szumowska.

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Die Kamera fährt durch eine Scheibe und zeigt bewe­gungs­lo­se Gesichter, von denen man zunächst ver­mu­ten könn­te, dass es sich um Passagiere einer früh­mor­gend­li­chen Straßenbahn han­delt. Dann ent­hüllt sie den wah­ren Charakter der Szenerie: Ein Supermarkt lockt mit Flat-Screen-Glotzen, aller­dings nur für Schnäppchenjäger*Innen, die bereit sind, sich beim Run auf die Ware bis auf die Unterwäsche aus­zu­zie­hen. Und so spie­len sich bizar­re Szenen ab: Halbnackte Körper bal­gen sich um die Geräte und fügen ein­an­der aller­lei Gemeinheiten zu, um sich die begehr­ten Stromfresser zu sichern. Jacek (Mateusz Kosciukiewicz), der zu Heavy Metal in sei­nem klei­nen roten Polski Fiat durch die Gegend bret­tert, erkämpft sich einen. Jacek und Dagmara (Malgorzata Gorol) sind Lula und Sailor aufm Dorf, aller­dings wer­den sie nur von der Stumpfheit der Mitbewohner des plat­ten Landes bedroht. Aber ist die harm­lo­ser als die Alptraumlandschaft eines David Lynch? Nein. Die rie­si­ge, im Bau befind­li­che, die Landschaft erschla­gen­de Jesus Statue, ent­hüllt einen Realitätsverlust und Rückfall in ver­ges­sen geglaub­te Zeiten, die das 21. Jahrhundert so unap­pe­tit­lich machen. Jacek arbei­tet auf der Baustelle bis zum Sturz vom Gerüst, dem Wendepunkt des Films, der den Anfang sei­ner Passionsgeschichte bedeu­tet. Er wird von den Toten auf­er­ste­hen, uner­kannt unter sei­nes­glei­chen wei­len und die Suche fort­set­zen, die Małgorzata Szumowskas Protagonisten in „Body“ ange­fan­gen haben. Der ruhi­ge Strom der Filmerzählung wird immer wie­der von Tableaus unter­bro­chen, die das Geschehen unge­mein ver­dich­ten, man schaut sie erst an wie etwas Fremdes, um dann die Homogenität zu erken­nen und zu genie­ßen. Die Sicherheit der Filmemacherin, aus den ver­meint­lich nicht zusam­men­füg­ba­ren Teilen etwas zu erschaf­fen, was über der Summe die­ser steht, ist erstaunlich.

Małgorzata Szumowskas Thema sind Menschen, die Schwierigkeiten haben, ihre Existenz mit dem nöti­gen Glauben zu unter­füt­tern, sie zwei­feln, stol­pern und sie fal­len. Aber es gibt ein Licht am Ende des Tunnels und es ist kein Zug. Die Regisseurin ver­spricht ihren Figuren kein Paradies, aber Ehrlichkeit und Würde. Gleichzeitig demon­tiert sie die pol­ni­sche Staatsreligion und beschäf­tigt sich mit der Absurdität des Geschehens in und um die star­re Festung Katholizismus, die der­zeit gut im Futter steht.

Leider scha­de: Die Christus-König-Statue, 2010 nahe Świebodzin aus dem Boden gestampft, ist die größ­te (6 m über Christus-Erlöser-Statue in Rio). Allein 3 m Höhe mißt die Krone, die den Anspruch auf welt­li­chen Einfluß unterstreicht. 

Credits:

Twarz
Polen 2018, 91 Min., poln. OmU
Regie:Małgorzata Szumowska
Buch: Małgorzata Szumowska, Michał Englert
Kamera: Michał Englert
Montage: Jacek Drosio
mit: Mateusz Kościukiewicz
Agnieszka Podsiadlik
Małgorzata Gorol
Roman Gancarczyk
Dariusz Chojnacki
Robert Talarczyk
Anna Tomaszewska
Martyna Krzysztofik 

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Of Fathers and Sons

Ein Film von Talal Derki.

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Abu Osama, zur Drehzeit Mitte 40, lebt mit sei­nen zwei Frauen und 12 Kindern in Syrien. Der Fachmann für Autobomben und Minenentschärfung hat die Al-Nusra-Front mit­be­grün­det und träumt vom Kalifat. Besonders stolz wäre er, wür­den sei­ne gelieb­ten acht Söhne an der Errichtung mit­ar­bei­ten, wes­halb sie so früh wie mög­lich zu Kämpfern aus­ge­bil­det wer­den sol­len. Als beson­de­res Geschenk und Zeichen Gottes wer­tet er, dass sein Jüngster an einem 9. September zur Welt kam.
Talal Derki stammt aus Damaskus, stu­dier­te Regie in Athen und lebt seit 2014 in Deutschland. Nach sei­nem Dokumentarfilm „Rückkehr nach Homs“ woll­te er eine tie­fe­re Innenansicht von Dschihadisten bekom­men, und sich dabei vor allem der Situation von Kindern wid­men. Als er auf Abu Osama traf, gab er sich als got­tes­fürch­ti­ger Reporter aus, der von Ruhm und Macht der Islamisten berich­ten wol­le, und durf­te nach eini­ger Zeit unge­hin­dert beim männ­li­chen Teil der Familie dre­hen. Besonderes Augenmerk rich­te­te er dabei auf die bei­den ältes­ten Jungen, Osama (13) und Ayman (12). Im Zeitraum von zwei Jahren leb­ten er und sein Kameramann Kahtan Hasson 300 Tage den streng reli­giö­sen Alltag mit. Dies und die stets vor­han­de­ne Gefahr der Enttarnung brach­ten den Regisseur oft­mals an sei­ne psy­chi­schen Grenzen.
„Wenn wir Bilder aus die­sem Krieg sehen, haben wir häu­fig das Gefühl, dies sei eine irrea­le Parallelwelt. Deshalb woll­te ich in OF FATHERS AND SONSDIE KINDER DES KALIFATS eine direk­te Beziehung zwi­schen Protagonisten und Publikum her­stel­len. Ich woll­te die Zuschauer – durch die Bilder mei­ner Kamera – mit­neh­men auf mei­ne Reise. … Ich bin Osama und Ayman in ein Trainingscamp für jun­ge Kämpfer gefolgt und habe ange­fan­gen zu ver­ste­hen, wie die Kinder beein­flusst wer­den, und dass sie tat­säch­lich kei­ne Chance haben, sich frei zu ent­schei­den. Wie wer­de ich zu dem, der ich bin? Wo ist Hoffnung? Wie wird die Zukunft aus­se­hen? Welche Wahl haben wir?” Talal Derki

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Credits:

Deutschland 2018, 98 Min., arab. OmU
Regie: Talal Derki
Kamera: Kahtan Hassoun
Schnitt: Anne Fabini

Termine:

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OF FATHERS AND SONSDIE KINDER DES KALIFATS – Trailer (Kinostart 21.März 2019)

Roma

Ein Film von Alfonso Cuaron.

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Roma heißt das Stadtviertel in Mexiko-Stadt, wo sich die Handlung des Films abspielt. Genauer: das räum­li­che Zentrum des Films ist ein Haus einer wohl­ha­ben­den Familie in die­sem Stadtviertel, wobei die Hauseinfahrt eine beson­de­re Rolle spielt, dort beginnt auch der Film: im Off hört man, wie geschrubbt wird, bald fließt das Wasser in das Filmbild, dar­in spie­gelt sich der freie Himmel, den ein Flugzeug durch­quert: Enge und Weite oder Zwang und Freiheit? Erst dann sieht man die Hauptfigur des Films, Cleo, die Hausangestellte der Familie, sie wischt den Hundekot weg, ver­geb­lich, denn der Hund wird dort gleich wie­der sein Geschäft machen. Die Hauseinfahrt ist auch der Ort, an dem der Vater ein­ge­führt wird: er braucht meh­re­re Anläufe, um das brei­te Auto in den viel zu engen Gang zu manö­vrie­ren. Die Mutter wird es spä­ter nicht ohne Dellen schaf­fen, das ist ihr dann aber auch egal, zu die­sem Zeitpunkt ist schon viel Schlimmeres passiert.
Der Film erzählt das Leben die­ser mexi­ka­ni­schen Familie in den 70er Jahren mit der beson­de­ren Perspektive auf Cleo. Sie ist einer­seits die Putzfrau, Köchin, das Kindermädchen der Familie und manch­mal ver­schwim­men die Grenzen, fast wirkt es dann, als wäre sie ein Familienmitglied, wenn alle zusam­men vor dem Fernseher sit­zen – solan­ge, bis es was zu tun gibt, dann sind die Rollen wie­der klar verteilt.

Roma erhielt bei den Filmfestspielen in Venedig den Goldenen Löwen und bei den Golden Globe Awards den Preis für den Besten fremd­spra­chi­gen Film und Alfonso Cuarón (Y Tu Mamá También, Gravity) den Preis für die bes­te Regie.

 

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Credits:

MX/US 2018, 135 Min., span. OmU
Regie: Alfonso Cuaron
Drehbuch: Alfonso Cuaron
Kamera: Alfonso Cuarón, Galo Olivares
Schnitt: Alfonso Cuarón, Adam Gough
Darsteller: Yalitza Aparicio, Marina de Tavira, Diego Cortina Autrey

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Ein königlicher Tausch

Ein Film von Marc Dugain.

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Frankreich, am Hof von Versailles, 1721. Um den Frieden mit Spanien zu sichern, ersinnt Herzog Philipp von Orléans (Olivier Gourmet), Regent, bis Ludwig XV. alt genug ist, um König zu wer­den, einen Plan: Seine zwölf­jäh­ri­ge Tochter Louise Elisabeth (Anamaria Vartolmei) wird nach Madrid geschickt, um den gleich­alt­ri­gen Don Luis (Kacey Mottet Klein) zu hei­ra­ten, Sohn des spa­ni­schen Königs Philipp V. (Lambert Wilson). Im Gegenzug wird die erst vier Jahre jun­ge Tochter Philipps, Maria Anna Victoria (Juliane Lepoureau) nach Paris geschickt, um Gemahlin des zukünf­ti­gen Königs Ludwig XV. zu werden.

An der Grenze der bei­den Länder fin­det der so genann­te Austausch der Prinzessinnen statt, bei­de Mädchen fin­den sich plötz­lich in völ­lig unge­wohn­ter Umgebung wie­der, müs­sen sich als Gemahlin bewei­sen, ohne recht zu wis­sen, was ihnen geschieht. Während Maria Anna Victoria ohne­hin viel zu jung zum Kinderbekommen ist, wird am spa­ni­schen Hof von Louise Elisabeth erwar­tet, dass sie mög­lichst bald für einen Thronfolger sorgt. Doch wäh­rend sie mit den Avancen von Don Luis, der es sei­nem viri­len Vater end­lich nach­tun möch­te, so gar nichts anzu­fan­gen weiß, ist die lieb­li­che Maria Anna Victoria hin­ge­ris­sen von Ludwig XV. Der wie­der­um hat wenig Interesse an Mädchen und schon gar nicht an sei­ner kind­li­chen Gemahlin und wird von unter­schied­lichs­ten Seiten beeinflusst.

Eine erstaun­li­che, tat­säch­lich wah­re his­to­ri­sche Episode hat Chantal Thomas für ihren his­to­ri­schen Roman aus­ge­gra­ben, der nun die Basis für Marc Dugains Film lie­fert. Vor ein paar Jahren hat­te Thomas auch die Vorlage für den dama­li­gen Berlinale-Eröffnungsfilm „Leb wohl, mei­ne Königin!“ gelie­fert, der von Marie-Antoinette und ihrer Vorleserin han­del­te. Einige Jahre frü­her spielt nun „Ein könig­li­cher Tausch“, indem erneut zwei Frauen, bzw. jun­ge Mädchen die Hauptrolle spie­len, die zum Spielball des Hofes werden.

Als rei­ne Verhandlungsmasse wer­den die Mädchen – und natür­lich auch die jun­gen Männer – benutzt, zwi­schen den Reichen hin und her gescho­ben, als Friedensbeweis, als Gebärmaschinen behan­delt, ihre eige­nen Gefühle oder Wünsche kom­plett igno­riert. Ganz selbst­ver­ständ­lich geschieht das, weil es schon immer so war, weil es Gott so wünscht, so betont es gera­de Philipp V. immer wie­der, den Lambert Wilson, als beein­dru­ckends­ter erwach­se­ner Schauspieler im Film, vol­ler Wehleidigkeit und Pathos spielt.
Michael Meyns | programmkino.de

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Credits:

L’échange des princesses
Frankreich/Belgien 2017, 100 min., frz. OmU
Regie: Marc Dugain
Kamera: Gilles Porte
Schnitt: Monica Coleman
Buch: Chantal Thomas & Marc Dugain, nach dem Roman von Chantal Thomas
mit: Lambert Wilson, Anamaria Vartolomei, Olivier Gourmet, Catherine Mouchet, Kacey Mottet Klein, Juliane Lepoureau

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Can you ever forgive me?

Ein Film von Marielle Heller.

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Allein die­ses PS macht den Brief unbe­zahl­bar“ – die Buchhändlerin ist begeis­tert, als ihr das ver­bli­che­ne Schriftstück zum Kauf ange­bo­ten wird – nicht ahnend, dass die Verkäuferin ein gro­ßes Fälschungstalent in sich trägt.

Lee Israel war als Schriftstellerin in der Welt bekann­ter Persönlichkeiten bio­gra­fisch unter­wegs. Sie ist nicht nett, eine Misanthropin, die ger­ne zuviel trinkt, und für ihre Katze Jersey mehr Gefühle hat als für ihre Verlegerin, Kolleginnen oder auch die Ex-Freundin. Ihre Spitzen gegen den Literaturbetrieb tref­fen ins Schwarze, bei stets sicht­ba­rer eige­ner Verletzlichkeit. Zeitweilig im Himmel der Bestsellerlisten, lan­den ihre Biografien schließ­lich in der Hölle der Ramschtische, und die Schulden drü­cken eben­so wie die per­sön­li­che Abwertung, kann sie doch die not­wen­di­ge Behandlung für Jersey nicht mehr bezah­len, von den Mietschulden ganz zu schwei­gen. Mehr zufäl­lig kommt ihr da die Idee, Briefe bekann­ter, selbst­re­dend ver­stor­be­ner Persönlichkeiten wie Dorothy Parker oder Ernest Hemingway zu fäl­schen, um sie, mit Hilfe ihres exzen­tri­schen Freundes Jack, zu ver­kau­fen. Sie ist gera­de­zu per­fekt dar­in, und geht mit hoher Präzision ans Werk (sie legt sich alle ori­gi­nal-Schreibmaschinentypen zu). Bibliothekare und Sammler sind ganz ent­zückt über neue und unbe­kann­te Seiten ihrer Idole, und auch das Schwindlerpaar hat einen Heidenspaß bei der Geschichte – bis alles auf­fliegt. Lee Israel wird ver­ur­teilt und schreibt spä­ter ihr erfolg­reichs­tes Buch über die­se Zeit: CAN YOU EVER FORGIVE ME?.

Es gibt wun­der­ba­re Bar-Sequenzen, in denen die kratz­bürs­tig-ver­lo­re­ne, aber auch lie­bens­wer­te les­bi­sche Einzelgängerin Lee und der extra­va­gan­te, unan­ge­pass­te schwu­le Dandy Jack ihre Pläne schmie­den. Trockener Humor kenn­zeich­net Gespräche wie Verkäufe der Fälschungen. Lees Privatleben ver­läuft aller­dings eher tra­gisch, geprägt von Einsamkeit und der Angst, Gefühle zu zei­gen. Sie steht sich selbst im Weg und schafft es nicht, Beziehungen trotz offen­sicht­li­cher gegen­sei­ti­ger Anziehung einzugehen.

In der Lebensgeschichte von Lee Israel steckt zu glei­chen Teilen bit­te­rer Humor und berüh­ren­de Melancholie. Vor Gericht erzähl­te die 2014 in New York City ver­stor­be­ne Autorin, ihre Zeit als Fälscherin sei in vie­ler­lei Hinsicht „die bes­te Zeit ihres Lebens“ gewe­sen. Allerdings erleb­te Israel die­ses Gefühl der Anerkennung aber eben auch nur dann, wenn sie vor­gab, nicht sie selbst zu sein. Oder wie es ihr Freund und Komplize Jack ein­mal so tref­fend for­mu­liert: „Niemand wür­de Briefe von Lee Israel kau­fen!“ Diese emo­tio­na­le Ambivalenz fin­det sich nun auch in Marielle Hellers Inszenierung wieder.

Ob Heldin, Antiheldin, Opfer, Täterin – all die­se kate­go­ri­sie­ren­den Begrifflichkeiten tref­fen auf Israel genau­so wenig zu wie auf ihren Komplizen Jack Hock.« (Antje Wessels | filmstarts.de)

mehr über die Schriftstellerin und den Fall hier:
https://www.npr.org/templates/story/story.php?storyId=94461486

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Credits:

US 2018, 107 Min., engl. OmU,
Regie: Marielle Heller,
Buch Nicole Holofcener, Jeff Witty basie­rend auf der Autobiografie von Lee Israel
Kamera: Brandon Trost
Schnitt: Anne McCabe
mit: Melissa McCarthy, Richard E. Grant, Ben Falcone
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Termine:

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Trailer:

 

Asche ist reines Weiß

Ein Film von Jia Zhang-Ke. Ab 28 Februar im fsk.

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Fast ein wenig lang­wei­lig ist es, die Filme von Jia Zhang-Ke Meisterwerke zu nen­nen, doch was will man machen?(Michael Meyns |programmkino.de)

Qiao (Zhao Tao) ist weib­li­ches Mitglied einer Gemeinschaft mit aus­ge­präg­ten mafiö­sen Strukturen, dem soge­nann­ten Jiang-Hu-Milieu – eine rei­ne Männergesellschaft mit star­ren, ritu­el­len und bru­ta­len Regeln. Im Verlauf einer Auseinandersetzung mit einem ver­fein­de­tem Clan ret­tet sie ihrem Geliebten Bin (Liao Fan) das Leben, wird ver­haf­tet und ver­büßt aus Loyalität und Liebe zu ihm eine fünf­jäh­ri­ge Haftstrafe. Nach ihrer Entlassung reist sie Bin in den Süden Chinas hin­ter­her, der inzwi­schen mit einer ande­ren Frau zusam­men ist.

Der Film spielt in der Zeitspanne von 2001 bis 2018. Er ist dar­in ein­ge­bet­tet und im Grunde nicht vor­stell­bar ohne den zeit­li­chen und poli­ti­schen Hintergrund. Die Erzählung ist unauf­lös­lich dar­in ver­zahnt. Die Figuren schei­nen ori­en­tie­rungs­los und ent­wur­zelt zu sein, als ob ein­zig ihre insta­bi­le Parallelwelt ihnen noch Halt bie­ten könn­te. Nicht umsonst spielt ein Teil des Films im Staudammgebiet am Jangtsekiang im Jahr 2006, in einer Welt, die kurz dar­auf ver­schwun­den sein wird:

Die rie­si­gen Wohnhäuser, die hier kilo­me­ter­lang das Ufer säu­men, wird es irgend­wann, sobald die Schleusen geöff­net wer­den, nicht mehr geben. Ein Ort mit einer Halbwertszeit, ein Ort, der nie rich­tig ent­ste­hen konn­te, weil er immer schon im Sterben lag. Die gigan­ti­schen natio­na­len Bauprojekte der Regierung set­zen hier eine gan­ze Welt aufs Spiel, eine Welt mit schwa­chen Wurzeln, eine Welt mit fest­ge­leg­ter Dauer.

Diese Episode aus Jias drei­ak­ti­gem Film ist die mit Abstand ein­drück­lichs­te. Hier ver­wächst sich Qiaos per­sön­li­che Geschichte am schöns­ten und zugleich gespens­tischs­ten mit dem poli­ti­schen Raum, in den sie ihre Kerben schlägt. Ihr ent­wur­zel­ter Zustand zwi­schen Vergangenheit und Zukunft kor­re­liert mit einem Raum, der aus kei­ner sta­bi­len Vergangenheit her­aus ent­stand und dem kei­ne Zukunft in Aussicht gestellt ist.”
(Lukas Stern/critic.de)

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Credits:

CN/FR 2018, 141 Min., chin. OmU
Regie: Jia Zhang-Ke
Kamera: Eric Gautier
Schnitt: Matthieu Laclau
mit: Tao Zhao, Fan Liao, Zheng Xu, Casper Liang

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Termine:

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ASH IS PUREST WHITELES ETERNELS (Official Trailer OV/d, f)

Carré 35

Ein Film von Eric Caravaca.

[Credits] [Termine] [Trailer]

Der Schauspieler Eric Caravaca (Philipp Garrels Lover for a Day) spürt dem Schicksal sei­ner ihm unbe­kann­ten, früh ver­stor­be­nen Schwester nach. Dabei trifft er auf selt­sa­me Ungereimtheiten. In den Erzählungen sei­ner Familie kommt sie nicht oder nur wenig vor, selbst alle Bilder von ihr wur­den ver­nich­tet und Erinnerungen schei­nen wie aus­ge­löscht. Im Mittelpunkt steht die Mutter, die nur wider­wil­lig ihre Version der Ereignisse zum Tod sei­ner Schwester preis­gibt. Schnell wird klar, dass sich Erinnerung und Realität nicht decken. Bei sei­nen beharr­li­chen Nachforschungen ent­deckt und öff­net er ver­bor­ge­ne Türen, Gespenster der Vergangenheit, die auch ihn in sei­nem bis­he­ri­gen Leben unbe­wusst beglei­te­ten. Nicht nur an die­ser Stelle stellt der Film ein wun­der­ba­res Lehrstück über die Tradierung von Schuld und Scham dar.
Bei der Suche nach den wah­ren Vorkommnissen wird, aus­ge­hend von der Familiengeschichte und ihren kom­ple­xen Lebensumständen jener Zeit, zugleich die fran­zö­si­sche Kolonialgeschichte des 20. Jahrhunderts beleuch­tet. Dabei kris­tal­li­siert sich eine Spiegelung inner­halb der fami­liä­ren Geschehnisse und der poli­ti­schen Zustände her­aus. Weder sei­ne Mutter, die Sicherheit und Schutz in der für Außenstehende kaum zu glau­ben­den Verweigerung fin­det, ihre Vergangenheit zu betrach­ten, noch scheint Frankreich in der Lage zu sein, sich der Schuld sei­ner kolo­nia­len Zeit zu stel­len. – Im Grunde erzählt Eric Caravaca eine Geschichte über die extre­me Verdrängung von Vergangenheit, die dem Protagonisten ein­zig durch das Durchstoßen eine mini­ma­le Chance eröff­net, sich und sei­ne Biographie anzu­neh­men. Wenn es zum Schluss Anzeichen gibt, dass die Mutter, schein­bar ange­regt durch die Mitwirkung im Film, ihre Vergangenheit annimmt, ist auch das nur ein fra­gi­les Ereignis, denn sie, so der Filmemacher nach der Vorführung auf dem Filmfestival in München, ver­wei­ge­re stand­haft, sich den Film anzuschauen.
(Michael Schmitz | indiekino.de)

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Credits:

DE/FR 2017, 67 Min. frz. OmU,
Regie: Eric Caravaca
Kamera: Jerzy Palacz
Schnitt: Simon Jacquet

Termine:

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Trailer:

Plot 35 / Carré 35 (2017) – Trailer (English Subs)

Im Kino mit deut­schen Untertiteln

Rafiki

Ein Film von Wanuri Kanihu.

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Zwei jun­ge Frauen, deren Väter sich im kon­kur­rie­ren­dem, poli­ti­schem Wahlkampf befin­den, ver­lie­ben sich inein­an­der, was in ihrer Heimat unter Strafe steht. Auch der Film war infol­ge des­sen eine Zeitlang in Kenia ver­bo­ten. Kena (Samantha Mugatsia) ist vor­wie­gend mit Jungs zusam­men, wäh­rend Ziki (Sheila Munyiva) mit ihren Freundinnen auf der Straße tanzt. Dann kreu­zen sich ihre Blicke, und schon ist es um sie gesche­hen. Ab jetzt ver­brin­gen sie die meis­te Zeit mit­ein­an­der. Der Film hält sich nicht lan­ge mit viel Vorgeplänkel auf. Er ist schnell, direkt und vor allem bunt. Die Erzählung ver­blüfft durch eine Einfachheit, die leicht mit Naivität ver­wech­selt wer­den könn­te. Doch die Probleme und Schwierigkeiten wer­den nicht igno­riert oder ver­drängt, son­dern wer­den benannt oder ange­deu­tet, dann aber ein­fach und sicht­bar über­sprun­gen, was den Protagonistinnen viel Freiheit ein­räumt. Es ist so, wie es ist. Manchmal, aber sel­ten, ist ihre Unbekümmertheit ein wenig vor­sich­tig, denn völ­lig offen kön­nen sie ihre Liebe nicht zei­gen. Der Film ist dann beson­ders inter­es­sant, wenn er die dis­si­den­te Seite des zele­brier­ten Hedonismus sicht­bar wer­den lässt, deren Existenz der Miesepeter in uns beharr­lich anzweifelt.

Rafiki posi­tio­niert sich als ein­deu­tig femi­nis­ti­sches Werk, das kri­tisch auf die Männergesellschaft Kenias schaut, aber auch auf die Selbstregulation der Frauen, die sich ent­we­der von Haus aus selbst oder gegen­sei­tig in Schach halten…Doch bei allem klu­gen Betrachten der Umstände bleibt Rafiki ein futu­ris­ti­scher Film, der hoff­nungs­voll in die Zukunft blickt und auch das Gemeinsame, das Menschliche in allem sucht. Diese Hoffnung liegt in Ziki und Kena und in der Jugend, die die alten Werte hin­ter­fragt und sich auf­lehnt gegen die engen Grenzen.“
(aus Kino-zeit.de |Beatrice Behn)

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Credits:

Kenia 2018, 83 Min., engl., swa­hi­li OmU
Regie: Wanuri Kanihu
Kamera Christopher Wessels
Schnitt Isabelle Dedieu, Ronelle Loots
Darsteller: Samantha Mugatsia, Sheila Munyiva, Jimmi Gathu, Nini Wacera, Dennis Musyoka, Patricia Amira, Neville Misati u.v.m.

Termine:

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Trailer:

Rafiki – Trailer für die offi­zi­el­le Website from Salzgeber & Co. Medien GmbH on Vimeo.

 

Das Mädchen, das lesen konnte

Ein Film von Marine Francen.

[Credits] [Indiekino Club] [Trailer]

Eine Utopie, und ein Film wie ein Gemälde : „You want to take cer­tain shots and hang them on the wall“ schreibt Screen Int.. Dass es auf dem fran­zö­si­schen Land um 1851 so sau­ber und schön nur sel­ten war, dürf­te klar sein, aber Das Mädchen, das Lesen konn­te ist auch kein zeit­ge­treu­er Historienfilm, son­dern eine Literaturverfilmung beson­de­rer Art.

Für ihren Debütfilm hat die Französin Marine Francen eine Vorlage gewählt, deren Ursprung etwas nebu­lös ist. Wahrscheinlich sind die Vorgänge auch nicht wirk­lich von einem rea­len Ereignis inspi­riert, aber vor­stell­bar wäre es schon. Wir bli­cken zurück ins Jahr 1851: Louis Napoléon will sich als Napoléon III zum Kaiser der Franzosen krö­nen las­sen, doch die Republikaner im Land kämp­fen gegen die­ses Geschichts-Rollback. Der Bürgerkrieg erreicht auch abge­le­ge­ne Landstriche. In ein auf­stän­di­sches Dorf in der Provence fal­len die umher­zie­hen Truppen Napoleons ein und ver­schlep­pen alle Männer. Die ver­las­se­nen und geschock­ten Frauen trau­ern, aber die Arbeit muss trotz­dem getan wer­den. Gemeinsam ler­nen sie alles, was sonst den Männern oblag, und auch wenn es zu Beginn oft schwer fällt, funk­tio­niert die Frauengemeinschaft auf Dauer sehr gut. Trotzdem ver­mis­sen sie ihre Gatten, Verlobte, Söhne und Freunde, zudem sind sie wie abge­schnit­ten vom Rest der Welt sind sie auch. Neben unbe­frie­dig­tem kör­per­li­chem Begehren stellt sich nach eini­ger Zeit auch die Frage, wie das Dorf in zukünf­tig wei­ter exis­tie­ren soll. Die jün­ge­ren schlie­ßen einen Pakt: soll­te doch eines Tages noch ein Mann vor­bei kom­men, gehört er allen. Und dann ver­schlägt es den Schmied Jean in die­ses Tal.

Der Film han­delt von Liebe, Solidarität und Selbstbewusstsein, von Verlangen und Einsamkeit, und auch von Neid, Eifersucht und Unsicherheit. Als nach Jahren eini­ge der ent­führ­ten Männer ins Dorf zurück­keh­ren, erscheint dies, trotz aller Freude und Erleichterung wie eine Vertreibung aus dem Paradies der Unabhängigkeit.

Wovon Violette Ailhaud (die offi­zi­el­le Autorin) erzählt, ist die Verteidigung der Freiheit in all ihren Erscheinungsformen. Dieses Thema kennt kei­ne Grenzen und kei­ne Epoche, und ich woll­te auch die­se Aktualität erfas­sen.” Marine Francen

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Credits:

Le Semeur
Frankreich 2017, 98 Min., franz. OmU
Regie: Marine Francen
Buch: Jacques Fieschi, Marine Francen, Jacqueline Surchat, nach der Novelle von Violette Ailhaud
Kamera: Alain Duplantier
Schnitt: Minori Akimoto
Darsteller: Pauline Burlet, Géraldine Pailhas, Alban Lenoir, Iliana Zabeth, Francoise Lebrun, Barbara Probst

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Termine:

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Trailer:

 

Die Geheimnisse des Schönen Leo

Ein Film von Benedikt Schwarzer.

[Credits] [Termine] [Trailer]

Leo Wagner war CSU-Bundestagsabgeordneter und enger Vertrauter von Franz Josef Strauß. Seine Vorzeigefamilie ließ er in Wahlprospekten abbil­den. Doch der schö­ne Schein trüg­te: die Ehe war zer­rüt­tet und sein aus­schwei­fen­des Kölner Nachtleben kos­te­te ihn mehr Geld, als er besaß. Er ver­wi­ckel­te sich bald in dubio­se Geschäfte und ver­kauf­te Informationen an die Stasi. War er jener ent­schei­den­de Verräter, der 1972 das Misstrauensvotum der CDU/CSU gegen Bundeskanzler Willy Brandt schei­tern ließ? Dieser Frage geht sein Enkel, der Regisseur Benedikt Schwarzer nach, und lässt dabei Parteifreunde und Leo Wagners Führungsoffizier bei der Stasi zu Wort kom­men. Benedikt Schwarzers Recheren über den CSU-Politiker eröff­nen einen Blick auf die Widersprüche und Abgründe der Bonner Republik – und lüf­ten schließ­lich ein Familiengeheimnis, das kei­nes der bei­den Kinder von Leo Wagner ahnen konnte.

Meinen Großvater habe ich als Kind nie rich­tig ken­nen­ge­lernt. Mit der Zeit wur­de mir jedoch klar, dass durch ihn in mei­ner Familie Politik und Privatleben auf schmerz­vol­le Weise auf­ein­an­der geprallt sind. Familie dient im Wahlkampf zur Repräsentation. Ansonsten muss sie im Stillen funk­tio­nie­ren. Der Preis für Politiker-Karrieren ist hoch. Mein Großvater steht durch­aus pro­to­ty­pisch für sei­ne Generation. Und Nationalsozialismus, Krieg und der Wechsel von Held zum Täter 1945 bedeu­te­te auch eine bestimm­te Prägung und Zugzwänge, gera­de als Mann. Es muss in ihm rumort haben. Doch was sein Leben und sei­ne Entscheidungen für mich bedeu­ten, das wur­de mir erst bei der inten­si­ven Beschäftigung mit mei­ner Mutter so rich­tig klar. Manche Fragen hat­te ich nie zuvor gestellt. Umso mehr über­rasch­ten mich die Antworten. Meine eige­nen Recherchen führ­ten mich dazu immer wei­ter in unbe­kann­tes Terrain, zwi­schen Familie und Politik, Stasi und Rotlichtmilieu. So wur­de der Versuch mei­nen toten Großvater ken­nen­zu­ler­nen zu einer bewe­gen­den Reise des ganz Persönlichen und der gro­ßen Historie.“ Benedikt Schwarzer

Am 17.1. fin­det im Anschluss an die Vorführung ein Filmgespräch mit dem Regisseur Benedikt Schwarzer statt.

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Credits:

Deutschland 2018, 80 Minuten
Regie & Buch: Benedikt Schwarzer
Kamera: Julian Krubasik
Schnitt: Natascha Cartolaro

Termine:

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Trailer:

Die Geheimnisse des Schönen Leo – Offizieller Trailer