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Banana Pancakes and the Lonely Planet

Ein Film von Daan Veldhuizen.

Reisen ist in Mode. Der Filmemacher Daan Veldhuizen betrach­tet das ent­le­ge­ne Dorf Muang Ngoi in Indochina und lässt Jugendliche, die da leben, auf jene tref­fen, die als Backpacker oder Individualtouristen hier­her rei­sen. Selten hat ein Film die unter­schied­li­chen Aspekte des Reisens so unauf­ge­regt, anre­gend und umfas­send auf den Punkt gebracht. Muang Ngoi ist mit sei­ner Lage am Fluss allein schon land­schaft­lich ein­zig­ar­tig, aber man kann das, was der Filmemacher beob­ach­tet, übertragen auf unge­zähl­te ande­re Länder. Der Film beginnt in der Regenzeit, wenn die Jugendlichen vor Ort mit ihren Träumen noch allein sind, und glei­tet naht­los über zu den mit dem Wetterwechsel ein­tru­deln­den Backpackers, die mit dem Lonely Planet im Gepäck hier­her zum Geheimtipp gefun­den haben und für eine kur­ze Zeit aus­stei­gen wol­len. Sie suchen unter ande­rem jene Einfachheit, die Menschen in Muang Ngoi für sich überwinden möch­ten. Shai hat stu­diert und will schnell Geld ver­die­nen mit den TouristInnen, Khao ist Bauer und will eine Familie auf­bau­en. Die bei­den Locals sind sozu­sa­gen unse­re Reisebegleiter und ste­hen für zwei mög­li­che Verhaltensmuster im Dorf. Daan Veldhuizen, der auch die Kamera führte, betrach­tet die Anreisenden ein Stück weit mit den Augen der bei­den, die da sind, und gibt über sie auch den Widersprüchlichkeiten im Dorf genügend Raum.“ trigon-Film

Laos / Niederlande 2015, 85 Min., Lao, Englisch, Französisch, Niederländisch, Hebräisch mit dt. Ut. 
Buch, Kamera & Regie: Daan Veldhuizen
Schnitt: Daan Veldhuizen, Jos Driessen

Mr. Long

Ein Film von Sabu.

The maverick direc­tor Sabu has made a hit­man fable tha­t’s like Charlie Chaplin meets Takeshi Miike. The weird thing is, it works.“ fasst Variety zusam­men. An Stelle eines eige­nen Textes möch­te ich ger­ne aus dem Berlinale-Taz-Blog von Autor Detlef Kuhlbrodt zitieren:

Die ers­ten Minuten von Mr. Long, die in Taiwan spie­len, ist man so gebannt wie bei den Hongkong-Filmen von Johnny To. Mr. Long, beginnt also wie ein Yakuza-Film und wird dann lang­sa­mer. Eben hat­te der Held, ein Auftragskiller aus Taiwan, noch acht Leute umge­bracht. Sein nächs­ter Auftrag in Japan geht schief. Schwer ver­letzt und ohne Pass fin­det er sich in einem ver­las­se­nen Viertel einer Kleinstadt wie­der, trifft einen klei­nen Jungen und des­sen dro­gen­süch­ti­ge Mutter. Der Junge hilft ihm, bringt Verbandszeug, Kleidung und Porree. Aus ein­fachs­ten Zutaten berei­tet der meist schwei­gen­de Killer (er spricht kein Japanisch) schmack­haf­te Suppen und hilft der Mutter beim Drogenentzug.

Alles scheint gut zu wer­den, bis die Gangster von frü­her auf­tau­chen. Wem „Chasuke’s Journey“ (2015), zu schön schien, wird von „Mr. Long“ begeis­tert sein. Von den Bildern, den Tempowechseln, den nicht­li­nea­ren Passagen, dem Mut zur aus­führ­li­chen Erzählung; von der Tonspur, den Schauspielern; der Komik auch. Glücklich gehe ich nach Hause.“

Die Filmographie des japa­ni­schen Regisseurs Sabu (eigent­lich Tanaka Hiroyuki) umfasst sehr ver­schie­de­ne Genres und Macharten. Im fsk-Kino zeig­ten wir sei­ne Filme The Blessing Bell (2003) und Kanikosen (2011).
Hauptdarsteller Chen Chang ist in Taiwan ein Star, er film­te u.a. mit Wong-Kar-wai und Ang Lee. Bei uns war zuletzt in The Assassin von Hou Hsiao Hsien zu sehen.

Japan/Hongkong/ Taiwan/D 2017, 129 Min. Mandarin, Japanisch, Taiwanesisch mit dt. Untertiteln
Regie & Buch: Sabu

Kamera: Koichi Furuya 
Schnitt: Georg Petzold 
mit:.: Chen Chang, Yiti Yao, Runyin Bai

https://filme.kinofreund.com/file/d/EZR4KK5O18FZS5SV

Abluka – Jeder misstraut jedem

Ein Film von Emin Alper.

Istanbul ist nicht wie­der­zu­er­ken­nen. Finster und unwohn­lich, fast apo­ka­lyp­tisch wirkt die Stadt, in die Kadir heim­kommt, als er nach 10 Jahren aus der Haft ent­las­sen wird – und da weiß er noch nicht, wie eng es wer­den wird um ihn. Als Informant soll er als Gegenleistung für sei­ne vor­zei­ti­ge Entlassung im Auftrag der staat­li­chen Terrorismusabwehr Müll auf Sprengsätze durch­wüh­len und die Straßen nach ver­däch­ti­gen Subjekten aus­spä­hen. Doch zunächst sucht er sei­nen jün­ge­ren Bruder Ahmet auf. Ist auch er ein ver­däch­ti­ges Subjekt, oder kann er ihm noch trau­en? Ahmet tötet als Bezirksangestellter streu­nen­de Hunde, ver­steckt aber eines Tages ein ange­schos­se­nes Tier. Eine letz­te mensch­li­che Regung, die ihn zum Ziel der Fahnder macht, und Kedir in eine gefähr­li­che Zwickmühle bringt.

Der Film erscheint wie ein Kommentar zur heu­ti­gen Türkei, wur­de jedoch vor dem Putsch 2016 gedreht. Die Muster von Misstrauen und Verrat im Film sind auch all­ge­mein­gül­tig und nicht rein auf die Türkei zuge­schnit­ten zu lesen. Wer mehr dar­über wis­sen will, kann den Regisseur selbst befra­gen. Am Fr., 8.9.17 ist Emir Alper zu Gast bei uns im Kino.

»Die Türkei, ein Albtraum: Emin Alper, des­sen ers­ter Spielfilm Beyond the Hill 2012 im Forum der Berlinale lief, zeich­net sur­rea­le, Rembrandt-glei­che Tableaux der lau­ern­den poli­ti­schen Gewalt sei­nes Landes, der Einsamkeit und Paranoia, die dar­aus resul­tiert.« Tagesspiegel

Türkei 2015 119 min. türk. OmU, 
Regie & Buch: Emin Alper
Kamera: Adam Jandrup, 
Schnitt: Osman Bayraktaroglu, 
mit: Mehmet Özgür, Berkay Ates, Tülin Özen, Müfit Kayacan

Ana, mon Amour

Ein Film von Călin Peter Netzer.

Das sie beim ers­ten Treffen über Nietzsche spre­chen ist nicht das ein­zi­ge Ungewöhnliche an der Begegnung zwi­schen Toma und Ana, bei­de Studenten, bei­de jung und doch belas­tet durch die Geschichte, durch ihre Eltern, durch die Erbschaft eines Landes, das erst vor kur­zem der Diktatur ent­kom­men ist. Während aus einem Nebenzimmer Sexgeräusche zu hören sind, hat Ana einen Anfall, unbe­stimm­te Magenschmerzen pla­gen sie, und wer­den sie noch jah­re­lang ver­fol­gen, wäh­rend sich ihre Beziehung ent­wi­ckelt und schließ­lich zugrun­de geht. Was wir hier sehen ist mög­li­cher­wei­se eine Rückblende, viel­leicht auch nur eine Erinnerung von Toma, der auf der Coach sei­nes Psychiaters liegt, die Beziehung zu Ana ist vor­bei, sei­ne Haare sind inzwi­schen deut­lich lich­ter als der unge­stü­me Lockenschopf, den er in den zeit­lich frü­he­ren Szenen der Geschichte trug. Jahrelang war es Ana, die bei einer Psychotherapeutin nach Antworten auf ihre Störungen such­te, die von einer mal inzes­tuö­sen, mal miss­bräuch­li­chen Beziehung zu ihrem Vater berich­te­te, die kaum pro­ble­ma­ti­scher war, als das Verhältnis von Toma zu sei­nen Eltern. Fließend wird zwi­schen der Gegenwart und unter­schied­lich weit zurück­lie­gen­den Vergangenheiten hin- und her­ge­schnit­ten (Cutterin Dana Bunescu bekam 2017 den Silbernen Bären), Bezüge zwi­schen heu­te und ges­tern ange­deu­tet, vor allem die Frage auf­ge­wor­fen, inwie­fern die Vergangenheit die Gegenwart beein­flusst. Und genau dies ist das Thema des zeit­ge­nös­si­schen rumä­ni­schen Kinos, das immer wie­der davon erzählt, wie die Ceausescu-Diktatur und die mit ihr ein­her­ge­hen­de Korruption die Menschen präg­te und auch heu­te, inzwi­schen ein Viertel Jahrhundert nach dem Tod des Diktators noch beein­flusst. (…) Fließend sind dabei die Übergänge zwi­schen brei­te­ren gesell­schaft­li­chen Entwicklungen und der per­sön­li­chen Ebene, die bei Netzer im Zentrum steht. Gleich bei­de Elternpaare von Ana und Toma sind gelin­de gesagt zer­rüt­tet und über­tra­gen – zwar unbe­wusst aber unaus­weich­lich – ihre Verhaltensweisen auf die nächs­te Generation. Fast schon fata­lis­tisch wäre das zu nen­nen, wenn es nicht so fas­zi­nie­rend, so genau und klug und wahr­haf­tig beob­ach­tet wäre, wie es Netzer in sei­nem her­aus­ra­gen­den Film tut. Michael Meyns | programmkino.de

Rumänien 2017, 127 Min. , rum. OmU 
Regie: Calin Peter Netzer
Kamera: Andrei Butică 
Schnitt: Dana Bunescu 
mit: Mircea Postelnicu, Diana Cavallioti, Carmen Tanase, Vasile Muraru

Western

Ein Film Valeska Grisebach.

Sie hat erst drei Spielfilme gedreht, und doch stellt sich schon in den ers­ten Minuten von Western das typi­sche Valeska-Grisebach-Gefühl ein. Es mag das Tempo sein, die genaue Beobachtung, eine Art zu spre­chen und die Betonung, oder auch die Bilder, die die­sen Eindruck erwe­cken, was sehr schön ist und mir gefällt. Nun hat ihr neu­er Film einen ande­ren Ansatz als Mein Stern und Sehnsucht. Er lehnt sich, wie der Titel schon sagt, an ein Genre an, samt Pferd, Lagerfeuer und Konfrontation in der Fremde.
Meinhard ist ein Loner, wie er im (Film-)Buche steht. Ungebunden wie er ist, kann er selbst­be­stimmt, ruhig und schein­bar über­legt sei­nen Weg gehen, auch mal gegen den Strom. Er stösst als Neuer zu dem Bautrupp, der nach Bulgarien fährt, um in den dor­ti­gen Bergen ein klei­nes Wasserkraftwerk zu errich­ten. Die Unterkunft bau­en und die deut­sche Fahne his­sen ist eins – zag­haf­te Einwände aus sei­nem Mund dazu wer­den nicht ger­ne gehört. Der Kontakt mit den Einheimischen ist eigent­lich nicht vor­ge­se­hen, lässt sich aber nicht ganz ver­mei­den. Meinhard for­ciert ihn frei­wil­lig als ein­zi­ger aus dem Lager. Er schafft trotz der Sprachbarriere eine Annäherung, die zwar ganz prak­ti­sche Probleme lösen könn­te, sei­ne Arbeitskollegen aber irri­tiert. Besonders Vorarbeiter Vincent fühlt sich pro­vo­ziert. Sein Gegenpart hin­ge­gen möch­te eigent­lich lie­ber sei­nen eige­nen Weg suchen, als sich mit ihm auseinanderzusetzen.

” … Was wie ein Film im zurück­hal­ten­den Beobachtermodus erscheint, bei dem das Leben ins Bild hin­ein­schwappt, ist viel mehr als das: eine lebens­lus­ti­ge Erforschung des Anderen. Grisebach ist nicht nur offen für das Alberne und das Sentimentale, das um die Ecke schaut, wenn sich Leute kaum ver­ste­hen, aber unbe­dingt ver­ste­hen wol­len. Sie for­dert glei­cher­ma­ßen Konflikte wie Annäherungen her­aus: die Geschichte, die unter ande­rem Wasserknappheit und eine aus­blei­ben­de Kiesellieferung als phy­si­sche Krisenherde zu bie­ten hat, nimmt sich viel Zeit für die Schilderung der zärt­li­chen Sehnsucht nach pri­mä­rer Verständigung, …” Frédéric Jaeger | critic.de

Deutschland, Österreich, Bulgarien, 2017, 121 Min., deutsch,bulgarisch,englische OmU

Regie & Buch: Valeska Grisebach

Kamera: Bernhard Keller
Schnitt: Bettina Böhler

Mit Meinhard Neumann, Reinhardt Wetrek, Syuleyman Alilov Letifov, Veneta Frangipova, Viara Borisova

WESTERN (Offizieller Trailer)

Dragon Inn

Zwei Klassiker des Wuxia-Genres wur­den vom Taiwan Film Institut sorg­fäl­tig restau­riert und als hoch­auf­lö­sen­de (4K) Kopie remas­te­red. Beide Filme sind von King Hu ( 胡金銓 胡金铨, Hú Jīnquán) und ste­hen jetzt auch mit deut­scher Untertitelung neu zu Verfügung.

[indie­ki­no Club]

Sein drit­ter Film, DRAGON INN, brach sei­ner­zeit sämt­li­che Zuschauerrekorde in diver­sen asia­ti­schen Ländern und gilt als rich­tungs­wei­send für das Genre des Martial Arts Actionfilms. Die poe­ti­schen Bilder und die cho­reo­gra­fier­ten Kamfszenen such­ten ihres­glei­chen. Eine Besonderheit in sei­nen Filmen war auch der Einsatz weib­li­cher Helden, die sich als Kämpfer gleich­be­rech­tigt in der Männerwelt beweg­ten und bei aller Härte nie ihre Weiblichkeit verloren.

 

Das durf­te auch bei dem als Meisterwerk geprie­se­ne A TOUCH OF ZEN, der in den Wettbewerb von Cannes ein­ge­la­den wur­de, erlebt wer­den. Das Lexikon des inter­na­tio­na­len Films schwärmt: »Ein Abenteuerfilm in per­fek­ter Inszenierung, der auf­wen­dig aus­ge­stat­te­ten Historienfilm, fan­tas­ti­sche Gespenstergeschichte, rasan­te Schwertkämpfe und Zen-Buddhismus zu einer reiz­vol­len Einheit ver­bin­det. Kameratechnisch teils vir­tu­os, ver­dich­tet der Film die tri­via­len Handlungsmuster auf einer meta­pho­ri­schen Ebene zu einer Fabel über Sinn und Zweck von Gewalt.« Wir zei­gen bei­de Filme in Sondervorstellungen.

Hier gibt es einen aus­führ­li­chen Beitrag im Filmdienst

 

DRAGON INN (Die Herberge zum Drachentor | 龍門客棧 / 龙门客栈 Lóngmén Kèzhàn) TW 1967 111 Min. OmU

A TOUCH OF ZEN (Ein Hauch von Zen | 俠女 Hsia Nu) TW 1971 180 Min. OmU

Trailer Dragon Inn

Trailer A Touch of Zen

Träum was Schönes

Ein Film von Marco Bellocchio. Ab 17.8. im fsk.

Turin 1969. Der neun­jäh­ri­ge Massimo liebt sei­ne Mutter über alles. Gleich in der ers­ten Szene sehen wir bei­de lei­den­schaft­lich zu einem Twist tan­zen, abends schau­en sie gemein­sam die fran­zö­si­sche Fernseh-Serie „Belphégor oder Das Geheimnis des Louvre“. Doch zwi­schen­durch gibt es immer wie­der Irritationen: ein über­trie­be­nes Versteckspiel, eine end­lo­se Fahrt in der Straßenbahn. Massimos Mutter ist eine trau­ri­ge Frau, sie lei­det an Depressionen. Und dann ist sie eines Tages tot, für den Buben bricht eine Welt zusam­men, er wei­gert sich, den Verlust zu akzeptieren.

Erzählt wird die Geschichte als Rückblende. In einer Rahmenhandlung, die im Jahr 1999 ange­sie­delt ist, muss der erwach­se­ne Massimo die Wohnung sei­nes ver­stor­be­nen Vaters auf­lö­sen. Dabei drän­gen vie­le Erinnerungen ins Bewusstsein: wie Massimo mit sei­nem Vater ins Fußballstadion geht, wie er in den 1990er Jahren als Journalist arbei­tet, erst von gro­ßen Sportereignissen berich­tet, dann vom Krieg in Sarajevo. Von nun kehrt der Film immer wie­der zur Rahmenhandlung zurück: Massimo lei­det unter Panikattacken und lernt so die bezau­bern­de Internistin Elisa ken­nen. Kann sie ihm hel­fen, sei­ne Dämonen zu ver­trei­ben? Massimo muss sich noch ein­mal sei­ner Vergangenheit stel­len, um wie­der ins Leben zurückzufinden.

Marco Bellocchio, Jahrgang 1939, ist einer der bedeu­tends­ten Regisseure Italiens, seit über 50 Jahren dreht er Filme. Gleich sein Debüt „Mit der Faust in der Tasche“, 1965 ent­stan­den, ist ein Meisterwerk, und auch sein neu­er Film ist von einer Komplexität und einem Anspruch, die sel­ten gewor­den sind im aktu­el­len ita­lie­ni­schen Kino. In „Träum was Schönes – Fai bei sogni“ geht es um Trauer und Verlust, um unbe­wäl­tig­te Vergangenheit und die Herausforderungen der Gegenwart. Wie soll man sein Leben leben? Und wie kann man glück­lich sein, wenn man sich mit sei­ner Vergangenheit nicht aus­ge­söhnt hat? Gewichtige Fragen, denen Bellocchio mit Humor und gro­ßem Verständnis für die mensch­li­che Psyche nach­geht. Der Regisseur ver­folgt Massimos Streben nach Glück und gleich­zei­tig sein Bedürfnis, sich vor Verletzungen zu schützen.

Die ver­schie­de­nen Zeitebenen wir­ken dabei nie kom­pli­ziert. Vielmehr wech­seln sie sich spie­le­risch ab und ver­voll­stän­di­gen sich meis­ter­haft zu einem genau­en Porträt der Hauptfigur. Spaß machen auch immer klei­ne Beobachtungen am Wegesrand, in denen sich die Zuschauer viel­leicht selbst ent­de­cken. So dient das wirk­lich furcht­erre­gen­de Monster in „Belphégor“ dem klei­nen Massimo als Beschützer, sein grau­sa­mes Ende nimmt das der Mutter vor­weg. Die packen­de Schwimmbadszene aus Jacques Tourneurs Horror-Klassiker „Katzenmenschen“ (1942) – plötz­lich geht das Licht aus und Simone Simon schwimmt allein im Dunkeln – nimmt der Film am Schluss auf. Man muss die­se Anspielungen nicht erken­nen, die Szene funk­tio­nie­ren auch so. Abgerundet wird der meis­ter­lich insze­nier­te Film durch die per­fek­ten Hauptdarsteller, Bérénice Bejo und Valerio Mastandrea vor allem, aber auch Nicolò Cabras, Darsteller des klei­nen Massimo, ist eine Wucht.

Michael Ranze

OT: Fai bei sogni
Italien 2016, 134 Min., ita. OmU
Regie: Marco Bellocchio
Kamera: Daniele Ciprì
Schnitt: Francesca Calvelli
Darsteller: Valerio Mastandrea, Bérénice Bejo, Nicolò Cabras

Das Gesetz der Familie

Ein Film von Adam Smith.

Chad Cutler ist ein char­man­ter Mann, Fahrer beim Cutler-Clan, und der ältes­te Sohn von Oberhaupt Colby Cutler. Immer, wenn es sehr schnell und sehr ein­falls­reich sein muss und ger­ne auch, um die Polizei zum Narren zu hal­ten, dreht er ordent­lich auf – Ryan Goslings „Driver“ sähe blass dage­gen aus – aber das ist hier nicht das gro­ße Thema. Haupteinnahmequelle der Bewohner der wider­wil­lig gedul­de­ten Wohnwagensiedlung am Rand einer Kleinstadt im rei­chen Gloucestershire sind Raubzüge und Einbrüche, und für die Flucht danach ist der desi­gnier­te „Thronfolger“ uner­setz­lich. Chad und sei­ne Frau möch­ten die­sem Leben aller­dings ent­kom­men. Ihre Kinder sol­len, anders als ihr Vater, lesen und und Schreiben ler­nen, eine Ausbildung bekom­men und in einer ordent­li­chen Umgebung auf­wach­sen. Aber so frei­geis­tig und unab­hän­gig das Outlaw-Dasein aus­sieht, so auto­ri­tär und ein­engend kann es nach innen sein. Colby Cutler hät­te viel gegen die­sen Kontrollentzugsversuch, wenn er davon wüss­te, und er hält alle Trümpfe in der Hand. Er hat sei­ne eige­nen Gesetze, und obwohl alle Welt von den Diebeszügen weiß, kann nie­mand ihm bis­her bei­kom­men. Außerdem liebt und ach­tet Chads Sohn Tyson sei­nen Großvater mehr als jeden und alles ande­re, zumal der ihn nur zu ger­ne vom ver­hass­ten Schulunterricht fern­hält, und die gesam­te Nachbarschaft fürch­tet ihn. Trotz Furcht vor dem Vater ver­sucht Chad hin­ter des­sen Rücken ein neu­es Leben vor­zu­be­rei­ten, ein Ausstieg aus der Rebellenalltag-Familientradition. Aber garan­tiert nicht ein­zig die gegen­sei­ti­ge Abhängigkeit inner­halb der Familie das Überleben aller?
Anstatt eine Doku über eine kon­kret exis­tie­ren­de iri­sche Traveller-Familie zu dre­hen, haben Regisseur Smith und Autor Siddons sich ent­schlos­sen, deren Charaktere als Blaupause für die­ses Großvater-Vater-Sohn Drama zu neh­men. So ver­wun­dert es nicht, dass Fragen nach den Verhältnissen von Innen und Außen, Macht und Manipulation, Bindung und Abhängigkeit, Zuneigung und Verantwortung auf­ge­wor­fen wer­den, und kei­ne ein­fa­che Lösung der Konflikte in Sichtweite ist.

Casting two Irishmen in the leads is a bit of a red her­ring, as both Fassbender and Gleeson honour the West Country ori­g­ins of the sto­ry. Their accents may not be per­fect, but the spar­ring bet­ween father and son, with vio­lence just under­neath the sur­face, is con­vin­cing.«” Dave Calhoun, Time Out

 

OT: Trespass against us
UK 2016, 99 Min., engl. OmU
Regie: Adam Smith
Musik: Tom Rowlands (The Chemical Brothers)
Darsteller. Michael Fassbender, Brendan Gleeson, Georgie Smith, Lyndsey Marshal, Rory Kinnear

Helle Nächte

Ein Film von Thomas Arslan.

Die häu­fig gera­de­zu hys­te­ri­schen nega­ti­ven Reaktionen auf Filme, die der Berliner Schule zuge­schrie­ben wer­den, haben in der Regel nichts ande­res im Sinn, als von den eige­nen künst­le­ri­schen Konventionen und lang­wei­li­gen Ambitionen abzu­len­ken und die­se so durch die Hintertür zu bestä­ti­gen und zu zemen­tie­ren. Schade eigent­lich, weil sol­che Übersprungsichtweisen einen offe­nen und ein­fühl­sa­men Blick auf die Filme verhindern.
Michael ist nach Norwegen gekom­men, weil sein Vater dort gelebt hat. Die bei­den Männer hat­ten sich zwar nichts zu sagen, aber wenigs­tens zur Beerdigung möch­te der Sohn anrei­sen. Eine gute Gelegenheit, um sei­nen Sohn Luis mit­zu­neh­men – der wie­der­um zu sei­nem Großvater ein inni­ge­res Verhältnis hat­te als zu sei­nem Vater Michael. So beginnt ein Roadmovie, das sich weni­ger nach vor­ne als sich viel­mehr im Kreis bewegt und eigent­lich immer lang­sa­mer wird und der Stillstand droht.
Natürlich spie­gelt sich in der Bewegung und in der Landschaft die Beziehung von Vater und Sohn, und das könn­te alles sehr platt wir­ken, wür­de es auf ein ver­söhn­li­ches Ziel hin­aus­lau­fen. Doch Thomas Arslan insze­niert sei­ne Erzählung aus einer beob­ach­ten­den Haltung her­aus und dekli­niert auf­kom­men­de Konflikte und die Charaktere nicht durch, sodass deren Unsicherheit und Hilflosigkeit nicht behaup­tet wir­ken und letzt­lich dem Zuschauer viel Raum gewährt wird, den er jetzt nur noch nut­zen muss.

Georg Friedrich und Tristan Gölbel sind ein aus­ge­zeich­ne­tes Team, weil sie rela­tiv frei von schau­spie­le­ri­schen Manierismen sind. Statt einer etwas ange­be­ri­schen Souveränität im Spiel haben sie sich eine Brüchigkeit bewahrt, die einem für kur­ze Momente das Herz zer­rei­ßen kann.“
„Einmal fährt die Kamera minu­ten­lang eine Straße ent­lang, die durch eine immer stär­ker vom Nebel ein­ge­deck­te, end­lo­se Bergkulisse führt. Arslan lässt uns die Leere und Abgeschiedenheit am eige­nen Leib spü­ren. Es fühlt sich nicht so viel anders an als die Enge eines bür­ger­li­chen Wohnzimmers. Wenn über­all nur ein gro­ßes Nichts ist, wer­den die Figuren auto­ma­tisch auf sich selbst zurück­ge­wor­fen.“ (Michael Kienzl, critic.de)

Deutschland / Norwegen 2017, 86 Min.

Regie, Buch: Thomas Arslan
Kamera: Reinhold Vorschneider
Schnitt: Reinaldo Pinto Almeida

mit:
Georg Friedrich (Michael)
Tristan Göbel (Luis)
Marie Leuenberger (Leyla)
Hanna Karlberg (Cecilia)

The Party

Ein Film von Sally Potter.

[Indiekino club]

Janet ist gera­de zur Ministerin im Schattenkabinett ernannt wor­den – die Krönung ihrer poli­ti­schen Laufbahn. Mit ihrem Mann Bill und ein paar engen Freunden soll das gefei­ert wer­den. Die Gäste tref­fen in ihrem Londoner Haus ein, doch die Party nimmt einen ande­ren Verlauf als erwar­tet. Bill platzt mit gleich zwei explo­si­ven Enthüllungen her­aus, die nicht nur Janets Existenz in den Grundfesten erschüt­tern. Liebe, Freundschaften, poli­ti­sche Überzeugungen und Lebensentwürfe ste­hen zur Disposition. Unter der kul­ti­vier­ten links­li­be­ra­len Oberfläche bro­delt es, und in der Auseinandersetzung wer­den schließ­lich schar­fe Geschütze auf­ge­fah­ren – durch­aus im Wortsinn.
In ihrem ach­ten Kinofilm lädt die bri­ti­sche Regisseurin und Drehbuchautorin Sally Potter, die zuletzt 2009 mit Rage im Wettbewerb der Berlinale ver­tre­ten war, nam­haf­te Akteure zur Party. Was als Komödie mit hin­ter­sin­ni­gem Witz und schar­fen Dialogen beginnt, kippt in die Tragödie. Wenn dem Leben mit Argumenten nicht mehr bei­zu­kom­men ist, wird unver­se­hens um den Fortbestand der nur schein­bar gefes­tig­ten Existenzen gerungen.

Großbritannien 2017, 71 Min., engl. OmU
Regie, Buch: Sally Potter
Kamera: Alexey Rodionov
Schnitt: Anders Refn, Emilie Orsini

mit:
Patricia Clarkson (April)
Bruno Ganz (Gottfried)
Cherry Jones (Martha)
Emily Mortimer (Jinny)
Cillian Murphy (Tom)
Kristin Scott Thomas (Janet)
Timothy Spall (Bill)