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Transit

Ein Film von Christian Petzold.

Christian Petzold hat eine Geschichte aus den vier­zi­ger-Jahren des letz­ten Jahrhundert genom­men und sie ins heu­ti­ge Marseille ver­setzt. In der Folge tau­chen in Sütterlinschrift geschrie­be­ne Briefe neben moderns­ter Polizeiausstattung auf, und vor heu­ti­gen Kreuzfahrtmonsterschiffen im Hafen wird über die aktu­el­le deut­sche Besatzung und Emigration gespro­chen. Dass es gelingt, dies weder geküns­telt noch auf­ge­setzt wir­ken zu las­sen, son­dern ledig­lich schö­ne klei­ne Irritationen aus­löst, ist eines der Besonderheiten der klu­gen Adaption von Anna Seghers titel­ge­ben­den Romans TRANSIT.
Georg ist offen­sicht­lich noch nicht lan­ge in Marseille und kommt unver­hofft zu den Papieren des bekann­ten Schriftstellers Weidel, der sich ange­sichts der aus­sichts­lo­sen poli­ti­schen Lage das Leben nahm. Mit die­sen Unterlagen könn­te sich Georg die Tickets für die wich­ti­ge Passage nach Mexiko besor­gen. Er trifft auf Marie, die Frau des Toten, die unter­des­sen eben­falls in Marseille auf eine Nachricht von ihrem Mann war­tet. Georg ver­rät ihr nichts, zum einen, um sei­ne Identität nicht preis­zu­ge­ben, zum ande­ren, da er Marie näher­kom­men möch­te. Sie hat aller­dings bereits einen Geliebten an ihrer Seite, den Arzt Richard. Beide sind bereit zur Flucht, aber sie will aber die Stadt nicht ver­las­sen, ohne über Weidel Bescheid zu wis­sen. Aber die Zeit drängt, und schon sin­gen die Talking Heads im Abspann von der ROAD TO NOWHERE.
Fluchtbewegungen damals und heu­te, unter­schied­lich gela­gert, Verlassen und ver­las­sen wer­den, räum­lich wie emo­tio­nal, und der Platz zwi­schen Verlassen und Ankommen – TRANSIT bringt sei­ne zahl­rei­chen Ebenen so schlüs­sig und ele­gant zusam­men, dass gar nicht direkt auf­fällt, wie kom­plex der Film ist.

»TRANSIT ist ein klug durch­kon­stru­ier­ter, von allem insze­na­to­ri­schem Tamtam befrei­ter Film über die Unfähigkeit zu ver­ges­sen.« Michael Kienzl | critic.de

Credits:
Deutschland 2017, 101 Min.
Regie: Christian Petzold
Buch: Christian Petzold, nach dem Roman von Anna Seghers
Kamera: Hans Fromm
Schnitt: Bettina Böhler

mit: Franz Rogowski, Paula Beer, Godehard Giese, Lilien Batman, Maryam Zaree, Barbara Auer, Matthias Brandt, Sebastian Hülk, Emilie de Preissac

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Furusato

Ein Film von Thorsten Trimpop.

Ein fei­ner schwar­zer Staub ist das kon­kre­tes­te Artfakt einer meist unsicht­ba­ren Bedrohung, das wil­de Stakkato des Geigerzählers macht sie wahr­nehm­bar. Der Staub fin­det sich auf Straßen, Wiesen und Gebäuden in der japa­ni­schen Ortschaft Minamisōma, unweit des hava­rier­ten Atomkraftwerks Fukushima. Trotz aller Gefahr sind Menschen dort­hin zurück­ge­kehrt, wo sie ihr gan­zes Leben, zum Teil seit vie­len Generationen, ver­bracht haben und blei­ben wol­len. Tempel wer­den in Stand gehal­ten, Pferde, denen schon die Strahlenkrankheit zusetzt, gepflegt, ein Aktivist ver­sucht zu hel­fen und klagt zugleich an, ein Mitarbeiter des staat­li­chen Energiekonzerns will Rechenschaft able­gen. Im Nachbeben der Katastrophe ver­misst FURUSATO ein Verhältnis zwi­schen Technologie und dem, was man so Leben nennt. Eine Abschreitung zwei­er Landschaften, einer äuße­ren Natur, deren Beschädigung sich nur mit­tel­bar mani­fes­tiert, und einer inne­ren in Aufruhr, Betrachtungen zwi­schen Halbwertszeit und mensch­li­che­ren Dimensionen von Vergänglichkeit.

Credits:
Deutschland, USA 2016, 94 Min., japan. OmU
Regie: Thorsten Trimpop
Kamera: Thorsten Trimpop
Schnitt: Stefan Oliveira-Pita

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Festival der Demokratie

Ein Film von Lars Kollros, Alexandra Zaitseva. 

Am 7. und 8. Juli 2017 tra­fen sich die Regierungsvertreter*innen der EU und die 19 wich­tigs­ten Industrie- und Schwellenländer der Erde in Hamburg. Innensenator Andy Grote kün­dig­te das G20-Treffen als „Festival der Demokratie“ an. Über 30.000 Polizist*innen waren in der Stadt um das Treffen zu schüt­zen, 100.000 Menschen tra­fen sich, um dage­gen zu demons­trie­ren. In der Öffentlichkeit domi­nier­ten in den Tagen Bilder von bren­nen­den Barrikaden und ran­da­lier­den Gipfelgegnern die Berichterstattung, man sprach von „skru­pel­lo­sen Gewaltakten von Kriminellen“ (und mein­te damit nicht die Polizisten). Lars Kollros and Alexandra Zaitseva beglei­te­ten die Demonstrationen mit Ihren Kameras, sehen wir nach, was da los war.
 
D 2017 90 Min.
Regie: Lars Kollros, Alexandra Zaitseva
Kamera: Lars Kollros, AlexandraZaitseva, Alex Uhlig, Esther Lang
 

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True Warriors

Ein Film von Niklas Schenck und Ronja von Wurmb-Seibel.

Bei der Premiere eines Theaterstücks über Selbstmordanschläge im fran­zö­si­schen Kulturzentrum in Kabul sprengt sich ein jun­ger Selbstmordattentäter in die Luft, Manche Zuschauer klat­schen – sie hal­ten die Explosion für eine beson­ders rea­lis­ti­sche Inszenierung. Erst als Panik aus­bricht, ver­ste­hen alle was pas­siert ist. 3 Menschen ster­ben, 40 wer­den ver­letzt. Die Regisseure arbei­te­ten in Kabul mit der Theatergruppe zusam­men und beschlie­ßen nun, mit den Beteiligten die Auswirkungen des Attentates zu dokumentieren.

 

D 2017„90 Min., Engl., Dari OmU,
R.: Niklas Schenck, Ronja von Wurmb-Seibel

 

Über Leben in Demmin

Ein Film von Martin Farkas.

Die letz­ten Kriegstage in Demmin müs­sen ein apo­ka­lyp­ti­scher Alptraum gewe­sen sein. Hunderte von Demminern und Demminerinnen nah­men sich zwi­schen dem 30. April und dem 4. Mai 1945, teil­wei­se noch bevor die rus­si­sche Armee die Stadt erobert hat­te, das Leben, oft ermor­de­ten sie auch ihre Kinder. Über 600 Menschen wur­den nach dem Abzug der rus­si­schen Armee in Massengräbern bei­gesetzt. Zahlreiche Frauen waren ver­ge­wal­tigt wor­den, die Stadt zum größ­ten Teil nie­der­ge­brannt und geplün­dert. Neonazi-Gruppen ver­an­stal­ten jedes Jahr einen „Gedenkmarsch“ in Demmin, der von Gegendemonstranten und meh­re­ren Hundertschaften der Polizei beglei­tet wird. Der Filmemacher Martin Farkas hat mit Zeitzeugen aus Demmin und mit jun­gen Demminern gespro­chen. Die alten Leute begin­nen nur zöger­lich über das Erlebte zu reden, dabei haben sie alle Entsetzliches erlebt. Eltern zerr­ten ihre Kinder auf Dachböden und ver­gif­te­ten sie, oder ban­den sie sich um den Leib und ertränk­ten sich mit ihnen in der Peene. Einige der inter­view­ten Überlebenden sind um Haaresbreite ent­kom­men, weil älte­re Geschwister mit ihnen recht­zei­tig flo­hen. Zu DDR-Zeiten konn­te das Thema nicht ange­spro­chen wer­den, heu­te nut­zen es die Faschisten zur Propaganda. Die alten Demminer schüt­teln ver­zwei­felt den Kopf: „Jetzt fan­gen die schon wie­der an.“ In der von sozia­lis­ti­schen Stadtplanern und Nachwende-Investoren see­len­los wie­der auf­ge­bau­ten Stadt spricht Martin Farkas auch mit einem jun­gen Neonazi-Paar, das sich dar­über auf­regt, als Nazis „abge­stem­pelt“ zu wer­den, mit all­täg­li­chen Rechtsradikalen wie einem Bäcker, der sich sehr vor­sieht, was er vor der Kamera sagt, und mit einem Möbelrestaurateur, der gern für sich bleibt, die Nazis ver­ab­scheut, und eine per­sön­li­che Überlebensstrategie in die­ser Gesellschaft ent­wi­ckelt hat. ÜBER LEBEN IN DEMMIN ist ein Film über das Schweigen, das neue Dämonen züch­tet, über alte und neue Alpträume.
Tom Dorow | Indiekino

 

Credits:
Deutschland 2017, 90 min
Regie: Martin Farkas
Drehbuch: Jens Stubenrauch, Petra Felber, Barbara Denz, Martin Farkas
Kamera: Roman Schauerte
Schnitt: Jörg Hauschild, Catrin Vogt
Musik: Mathis Nitschke

Termine:

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Thelma

Ein Film von Joachim Trier.

Thelma ver­lässt ihre streng reli­giö­se Familie und das Zuhause in der länd­li­chen Idylle der nor­we­gi­schen Wäldern, um in Oslo ein Studium zu begin­nen. Das Leben auf dem Campus bie­tet bis­lang nicht gekann­te Freiheiten und lockt die zurück­hal­ten­de jun­ge Frau mit neu­en, auf­re­gen­den Versuchungen. Zu ihrer Kommilitonin Anja ent­wi­ckelt sie eine ihr unbe­kann­te Vertrautheit und ver­liebt sich über bei­de Ohren in sie. Gleichzeitig lei­det Thelma plötz­lich unter uner­klär­li­chen, epi­lep­sie­ar­ti­gen Anfällen. Diese schei­nen an Häufigkeit und Intensität zuzu­neh­men, je mehr sie ihre neu­ge­won­ne­ne Freiheit aus­kos­tet. Das, und rat­lo­se Ärzte, lässt sie an über­na­tür­li­che Kräfte als Auslöser der unheim­li­chen und letzt­lich gefähr­li­chen Anfälle glau­ben. Die besorgt- kon­trol­lie­ren­den Anrufe und Besuche der Eltern las­sen zudem erah­nen, dass die mehr wis­sen als sie selbst.

Joachim Trier (Auf Anfang | Oslo, 31. August | Louder than Bombs) hat einen ganz auf die Hauptfigur zuge­schnit­te­nen Mystery-Thriller geschaf­fen, der mit viel Empathie und wenig Spezialeffekten psy­chi­schen Druck und nahen­den see­li­schen Zusammenbruch mit Fantasy-Horror-Elementen zusam­men­bringt, in sei­ner eige­nen, für die­ses Genre unge­wöhn­lich lei­sen Art, ver­stö­rend, aber nie­mals aus­beu­te­risch, und dabei stets spannend.

»Dieser Thriller der beson­de­ren Art strotzt vor insze­na­to­ri­scher Finesse und ist zugleich eine tief­grün­di­ge Allegorie auf das Erwachsenwerden und jenen mal mehr, mal weni­ger lau­ten Knall, der bei vie­len dazu­ge­hört. In Thelmas Fall ist es ein lei­ser Urknall.« epd-Film

»Thelma tran­szen­diert nicht nur das Horror-Genre, son­dern erzählt auch eine der inten­sivs­ten Liebesgeschichten ver­gan­ge­ner Kinojahre. … , um als pure kine­ma­to­gra­fi­sche Kraft sein Publikum zu affi­zie­ren, wie es schon lan­ge kein Film mehr geschafft hat. Der grau­sa­me düs­te­re Kinowinter hat sein ers­tes Leinwandwunder!« Sascha Keilholz | critic.de


 
Credits:

Frankreich/Dänemark/Schweden/Norwegen 2017, 116 Min., nor­weg. OmU
Regie: Joachim Trier
Buch: Joachim Trier, Eskil Vogt
Kamera: Jakob Ihre
Schnitt: Oliver Bugge Coutté
Musik: Ola Fløttum
mit: Eili Harboe, Okay Kaya, Kaya Wilkins, Ellen Dorrit Petersen, Henrik Rafaelsen
 
Termine:

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Loveless

Ein Film von Andrei Zvyagintsev. 

Zhenya und Boris, ein Paar aus der geho­be­nen rus­si­schen Mittelschicht, ste­hen vor den Trümmern ihrer Ehe. Längst ist die frü­he­re Zuneigung bit­te­ren Anschuldigungen gewi­chen, die gemein­sa­me Wohnung steht zum Verkauf, bei­de sind bereits in neu­en Beziehungen. Im Zentrum des Debakels und gleich­zei­tig völ­lig abseits steht ihr 12jähriger Sohn Alyosha. Keiner der Eltern will ihn in ein neu­es Leben mit­neh­men, ein Internat steht zur Debatte. Als die Vorwürfe zwi­schen Zhenya und Boris erneut eska­lie­ren, ver­schwin­det Alyosha plötz­lich, was die Polizei taten­los hin­nimmt. Im Rahmen einer groß ange­leg­ten Suchaktion von Freiwilligen müs­sen sich die Ex-Partner wider Willen zusam­men­tun, um das letz­te, was sie noch ver­bin­det, aufzuspüren….
Als Geschichte erkal­te­ter Beziehungen und Kommentar auf die moder­ne (nicht nur die rus­si­sche) Gegenwart insze­nier­te Regisseur Andrey Zvyagintsev mit LOVELESS den Nachfolger sei­nes bild­ge­wal­ti­gen Dramas „Leviathan“ . Mit sorg­fäl­ti­gem Realismus ent­wirft er auch dies­mal ein Tableau zwi­schen­mensch­li­cher Gleichgültigkeit wie ein Dokument emo­tio­na­len Rückzugs, dem vor allem Unbeteiligte, hier das unge­lieb­te Kind, zum Opfer fal­len. Dabei wer­den wäh­rend die Tage der Suche die Motive und Hintergründe der Eltern kla­rer. Zhenya und Boris sind kei­ne Monster, son­dern ganz gewöhn­li­che, feh­ler­haf­te Menschen in einer auf Egoismus und Macht aus­ge­rich­te­ten Gesellschaft.

»Neljubow ist ein Film von Andrej Swjaginzew über ein ver­schwun­de­nes Kind. Swjaginzew trifft damit einen wun­den Punkt an der Schnittstelle zwi­schen Politik, Propaganda und kol­lek­ti­vem Trauma. … Er ent­larvt nicht, son­dern stellt fest, er beschul­digt nicht, son­dern stellt eine Diagnose.« Sergej Medwedew | decoder.org

Loveless wur­de u.a. im Wettbewerb von Cannes mit dem Preis der Jury aus­ge­zeich­net und ist als bes­ter nicht-eng­lisch­spra­chi­ger Film bei den Oscars nominiert.


 
Credits:
Originaltitel: Nelyubov  Frankreich/Russland 2017, 127 Min.,
Regie: Andrei Zvyagintsev

Buch: Oieg Negin
Kamera: Mikhail Krichman
Schnitt: Anna Mass
mit: Maryana Spivak, 
Matvey Novikov,
Aleksey Rozin
 
Termine:
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Wind River

Ein Film von Taylor Sheridan.

Panisch läuft eine jun­ge Frau bar­fuß durch die eisi­ge, nächt­li­che Schneelandschaft. In der Ödnis von Wyoming, dem länd­lich gepräg­ten Westen der USA, rennt sie um ihr Leben. Die bit­ter­kal­te Luft in ihren Lungen lässt die Äderchen plat­zen. Sie erstickt im Wind-River-Reservat der Native Americans an ihrem eige­nen Blut. Tage spä­ter fin­det Wildhüter Cory Lambert (Jeremy Renner) die Leiche der ver­ge­wal­tig­ten, geschän­de­ten 18jährigen Natalie Hanson (Kelsey Asbille). Der Fährtenleser ver­lor selbst vor eini­ger Zeit sei­ne 16-jäh­ri­ge Tochter. Sie gilt als ver­misst. Ihre Leiche wur­de nie gefun­den. Das schreck­li­che Trauma ver­folgt ihn.

Seine Ehe zer­brach an die­sem Schicksalsschlag. Seitdem lebt er getrennt von sei­ner Frau Wilma (Julia Jones), Angehörige eines der Stämme, die hier hoff­nungs­los leben müs­sen. Die trost­lo­se Gegend bie­tet nie­man­dem eine Zukunft. Dass eine uner­fah­re­ne FBI-Agentin (Elisabeth Olsen) aus Florida zur Untersuchung des Falls geschickt wird, zeigt Cory wel­chen Stellenwert die Regierung den Ermittlungen bei­misst. Doch Jane Benner, die frisch von Ausbildung kommt, bemerkt bald, dass sie ohne sei­ne Hilfe auf die­sem für sie frem­den Terrain nichts aus­rich­ten kann. Und für den ein­sa­men, umsich­ti­gen Jäger Lambert bie­tet sich so die Gelegenheit dem Verschwinden sei­ner Tochter auf die Spur zu kom­men. Ein düs­te­rer Racheprozess bis hin zum ner­ven­zer­rei­ßen­den Showdown beginnt.

Das unglei­che Ermittlerduo Jeremy Renner und die 25jährige Elizabeth Olsen stand bereits in den action­rei­chen „Avengers“-Filmen von Marvel gemein­sam vor der Kamera. In Taylor Sheridans ful­mi­nan­tem Regiedebüt ver­lei­hen die bei­den ihren Szenen, ohne Superheldenstatus, ernst­haf­tes Gewicht und dra­ma­tur­gi­sche Tiefe. An ihrer Seite agie­ren bemer­kens­wer­te Nebendarsteller, wie etwa Gil Birmingham als trau­ern­der Vater der Ermordeten. Als Angehöriger der Komantschen gehört er zur Riege ame­ri­ka­ni­scher Ureinwohner, die zur Glaubwürdigkeit des Films bei­tra­gen. Marlon Brando schick­te einst zu sei­ner Oscarverleihung die india­ni­sche Aktivistin „Sacheen Littlefeather“. Sie ver­lang­te in sei­nem Namen „mehr Respekt gegen­über den ame­ri­ka­ni­schen Ureinwohnern durch die Filmindustrie“. Und den beweist Sheridans kom­pro­miss­lo­ses Independent-Kino mit sei­nem auf­wüh­len­den Rachethriller aus dem größ­ten Reservat der USA ausnahmslos.

Nach lan­ger Zeit kratzt damit wie­der ein sehens­wer­ter Film am heroi­sie­ren­den Mythos der US-Pionierzeit und zeigt die Wunden der kolo­nia­len Freiheit. Wenn im Abspann dar­auf hin­ge­wie­sen wird, dass kei­ne Statistik über die ver­miss­ten Frauen aus den Reservaten exis­tiert, brand­markt er Rassismus und Sexismus glei­cher­ma­ßen. Die Ursachen des Elends in den Reservaten, ange­fan­gen von Alkoholismus, Drogen und Arbeitslosigkeit, lässt er anklin­gen. Landraub, Zwangsumsiedlung, Ausbeutung und gna­den­lo­se Unterdrückung der Kultur zei­gen ihre Fratze. Und die jüngs­te Geschichte passt ins Bild. Vergebens kämpf­ten Sioux mona­te­lang mit ande­ren Stämmen und Umweltschützern gegen eine Pipeline, die von North Dakota durch meh­re­re Bundesstaaten bis nach Illinois ver­lau­fen soll. Sie wehr­ten sich dage­gen, weil sie durch hei­li­ge Stätten auf dem Land ihrer Vorfahren führt. Zudem befürch­te­ten sie eine Verseuchung ihres Trinkwassers durch Lecks in der Leitung. Und tat­säch­lich sind unter­ir­disch bereits 800.000 Liter Öl ausgelaufen.

Luitgard Koch | programmkino.de
 


 
Credits:
USA 2017, 107 Min., engl. OmU

Regie: Taylor Sheridan
Drehbuch: Taylor Sheridan
Kamera: Ben Richardson
Schnitt: Gary Roach
Musik: Warren Ellis
mit: Jeremy Renner, Elizabeth Olsen, Gil Birmingham, Jon Bernthal
 
Termine:
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Der seidene Faden

Ein Film von Paul Thomas Anderson.

Der Modedesigner Reynolds Woodcock (Daniel Day-Lewis) ist ein Gesamtkunstwerk. Mit dem glei­chen Perfektionismus, mit dem er sei­ne Kreationen ent­wirft, macht Reynolds auch sei­ne Morgentoilette und nimmt sein Frühstück ein. Reynolds Woodcock beim Frühstück zuzu­se­hen bedeu­tet Zeugin einer in jah­re­lan­ger Arbeit fein jus­tier­ten Routine zu wer­den, die voll­kom­men auf die Bedürfnisse des sen­si­blen Genies aus­ge­rich­tet ist. Jeder Misston, jede Belanglosigkeit könn­te den krea­ti­ven Fluss unterbrechen.

DER SEIDENE FADEN spielt im England der 50er Jahre, die bei Paul Thomas Anderson vor allem eine ästhe­ti­sche Idee sind. In opu­len­ten Bildern ent­fal­tet der Regisseur von PUNCH-DRUNK LOVE und THE MASTER das Königreich der Haute Couture, dem Reynolds vor­steht. Alles hier ist exqui­sit: die Farben, die Texturen, die Stoffe, die Tapeten, die Flügeltüren, der Lapsang Souchong, der zum Frühstück gereicht wird. Die Schneiderinnen, die jeden Morgen über den Dienstboteneingang das feu­da­le House-of-Woodcock betre­ten, sind die treu­en Vasallinnen, und das Oberkommando hat Reynolds Schwester Cyril (Leslie Manville) inne. Die gera­de aktu­el­le Geliebte des Meisters spielt in die­sem Szenario eine unter­ge­ord­ne­te Rolle und wird aus­ge­tauscht, sobald sie zu stö­ren beginnt. Das ändert sich, als Reynolds Alma (Vicky Krieps) begeg­net, einer jun­gen Immigrantin aus Osteuropa. Sie wird sein Model und sei­ne Geliebte, und anders als ihre Vorgängerinnen, schafft sie es, sich einen unver­zicht­ba­ren Platz in den Obsessionen des Meisters zu erarbeiten.

Anderson erzählt in DER SEIDENE FADEN eine kom­ple­xe, feti­schis­ti­sche Liebesgeschichte, in die gehei­me Obsessionen wie ver­steck­te Botschaften in den Saum eines Kleides ein­ge­ar­bei­tet sind. Von Anfang an leben Alma und Reynolds eine Dreiecksbeziehung – mit Reynolds Kreationen als drit­ter Person. Anstelle einer ers­ten Sexszene steht eine Anprobe, ein ritua­li­sier­tes Vermessen, von dem bei­de wis­sen, was es bedeu­tet. Bekleiden und Bekleidet wer­den sind ero­ti­sche Handlungen. „Ich kann stun­den­lang ste­hen“ und „In sei­nen Kleidern bin ich schön“ sagt Alma, und Reynolds ver­folgt ihren Gang auf dem Catwalk mit dem Blick eines Liebenden. Die Idylle bekommt jedoch Risse, als sich her­aus­stellt, dass Alma ein eige­nes Wesen ist und die eiser­nen Regeln des House-of-Woodcock durch­ein­an­der bringt. Statt die hei­li­ge Ruhe des Frühstücksrituals zu respek­tie­ren, rum­pelt sie gut­ge­launt her­um, und gießt den Tee von zu weit oben ein, was ein stö­ren­des Geräusch ver­ur­sacht. Als Reynolds belei­digt abrauscht, sagt sie zu Cyril die blas­phe­mi­schen Worte „Ich fin­de, er ist zu empfindlich!“

DER SEIDENE FADEN ist eine viel­fäl­tig schil­lern­de Angelegenheit. Eine hym­nisch-hedo­nis­ti­sche Feier von Farbe, Form und Stil. Ein iro­nisch-amü­sier­tes Porträt selbst­ver­lieb­ter Männlichkeit. Konstruktion und Dekonstruktion eines Genies. Vor allem aber ist DER SEIDENE FADEN eine gothic romance, eine über­bor­den­de Luxus-Liebesgeschichte mit mor­bi­den Aspekten und vol­ler psy­cho­lo­gi­scher Abgründe. Bei Anderson sind es gera­de die­se Abgründe, die das unglei­che Paar eine Art von Gleichgewicht fin­den las­sen. Der Fantasie von durch­the­ra­pier­ten Musterpartnern, das immer respekt­voll in Ich-Botschaften kom­mu­ni­zie­ren, setzt er ein Liebespaar ent­ge­gen, das nach sei­nen eige­nen, mög­li­cher­wei­se per­vers erschei­nen­den Regeln funk­tio­niert, zusam­men­ge­hal­ten von einem für alle ande­ren unsicht­ba­ren Faden, dem PHANTOM THREAD.
Hendrike Bake | indiekino
 


 
Credits:
Phantom Thread
USA 2017, 130 Min., engl. OmU
Regie, Buch & Kamera: Paul Thomas Anderson
Schnitt: Dylan Tichenor
mit: Daniel Day-Lewis, Camilla Rutherford, Lesley Manville, Vicky Krieps
 
Termine:
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Er Sie Ich

Ein Film von Carlotta Kittel. 

Auf ein hals­bre­che­ri­sches Experiment mit unge­wis­sem Ausgang lässt sich Carlotta Kittel mit ihrem Film ein. Auf der Suche nach Wahrheiten bit­tet sie mal ihre Mutter Angela, mal ihren Vater Christian vor die Kamera und befragt sie in Einzelinterviews zu sehr sen­si­blen und per­sön­li­chen Themen. Ausgangspunkt ist das Jahr 1986, als Angela mit Carlotta schwan­ger ist und sich für das Kind ent­schei­det. Schnell wird klar, dass die drei nie­mals als eine Familie unter einem Dach leben wer­den. Die Eltern haben seit­dem nicht dar­über gespro­chen, was damals eigent­lich pas­siert ist. Die Ergebnisse der Einzelinterviews spielt sie dem jeweils ande­ren Elternteil vor und filmt die Reaktionen. Entstanden ist ein span­nen­der Film über gefühl­te Wahrheiten und wah­re Gefühle, in dem die Eltern offen und scho­nungs­los über ent­täusch­te Erwartungen, über ihre Vorstellungen von Beziehung, Glück, Familie und Liebe reden. Ein Film über zwei Menschen, zwei Wahrnehmungen und zwei Erinnerungswelten.

Credits:

D 2017, 88 Min.
Regie: Carlotta Kittel
Kamera: Andac Karabeyoglu
Schnitt: Andrea Herda Muñoz, Carlotta Kittel

Termine:

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Trailer ER SIE ICH from Carlotta Kittel on Vimeo.