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Oslo Stories: Sehnsucht

Ein Film von Dag Johan Haugerud.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Am stärks­ten im Fokus steht das freund­li­che Verwischen von Grenzen zwi­schen den Identitäten und Orientierungen im Film Sehnsucht / Sex. Es ist zugleich der lus­tigs­te Teil der Trilogie. Der Film star­tet mit Aufnahmen vom Osloer Umland: Auffahrtstraßen, Industriegebiet, im Gemeindeschwimmbad zie­hen Menschen ihre Bahnen. Dann beginnt ein namen­lo­ser Mann , Schornsteinfeger, Familienvater, Mitte vier­zig, von sei­nem ver­wir­ren­den Traum zu erzäh­len – ein­fach so, beim Mittagessen im Pausenraum.
David Bowie und er, erzählt der Mann, sei­en sich in sei­nem Traum in einer Toilette begeg­net, und Bowie hät­te ihn gemus­tert, als wäre er, der Schornsteinfeger, eine Frau. Die Blicke sei­en nicht abwer­tend gewe­sen, ein­fach nur anders. Nein, eigent­lich sogar ange­nehm.
Sein bes­ter Freund, eben­falls Schornsteinfeger, Familienvater, Mitte vier­zig, hört ihm auf­merk­sam und ver­ständ­nis­voll zu. Dann erzählt er, wie ihm jüngst ein Klient nach geta­ner Arbeit Zeichen gege­ben habe, an ihm inter­es­siert zu sein. Erst habe er gezö­gert, dann hät­ten sie Sex gehabt. »Wie er mich ange­se­hen hat, das habe ich noch nie erlebt«, sagt der Freund. »Als hät­te er Lust auf mich. Regelrecht scham­los.«
Später erzählt der Freund auch sei­ner Ehefrau von dem Sex. Sein Argument: Gerade weil es mit einem Mann gewe­sen sei und er ganz offen dar­über spre­che, habe er sie nicht betro­gen. Doch das sieht die Ehefrau ganz anders….“
Hannah Pilarczyk | Der Spiegel
Und natür­lich besteht auch hier viel Gesprächsbedarf.

Credits:

OT: Sex
DE 2023, 90 Min., norw. OmU
Regie: Dag Johan Haugerud
Kamera: Cecilie Semec
Schnitt: Jens Christian Fodstad
mit: Jan Gunnar Røise, Thorbjørn Harr, Siri Forberg, Birgitte Larsen

Trailer:
Sex Trailer | OIFF 2024
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Oslo Stories: Träume

Ein Film von Dag Johan Haugerud.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Nach Oslo-Stories: Liebe, die­sem Filmjuwel, dass sich bis­her viel zu vie­le haben ent­ge­hen las­sen, kommt hier schon der nächs­te Teil von Dag Johan Haugeruds Oslo-Trilogie ins Kino, und er bringt wert­vol­les Gepäck mit – den Goldenen Bären der letz­ten Berlinale. Die Tradition des Festivals, expli­zit poli­tisch zu lesen­de Filme aus­zu­zeich­nen, wur­de dies­mal unter­bro­chen. Träume ist des­we­gen nicht min­der auf­re­gend.
Die 17-jäh­ri­ge Johanne ver­liebt sich Hals über Kopf in ihre neue Lehrerin. Im spä­te­ren Verlangen, die­se wich­ti­ge Zeit für sich fest­zu­hal­ten, ver­packt sie die Erlebnisse in eine Erzählung. Als erst ihre Mutter, und spä­ter auch ihre Großmutter, eine bekann­te Dichterin, den Text lesen, ist die Aufregung groß. Bewunderung und Stolz, Sorge und sogar Konkurrenzangst wech­seln sich ab, und zwi­schen den Frauen drei­er Generationen gibt es viel Gesprächsbedarf.
Träume ist einer­seits ein sehr ein­fa­cher Film, der eine klei­ne Geschichte ohne dra­ma­ti­sche Wendungen erzählt. Andererseits ist Träume ein sehr kom­ple­xer Film, der auf meh­re­ren klug ver­schach­tel­ten Ebenen dar­über nach­denkt, wie Texte, die Realität, die sie beschrei­ben, und die Menschen, die sie ver­fas­sen oder rezi­pie­ren, mit­ein­an­der ver­bun­den sind, und wie ihre Bedeutungen einer per­ma­nen­ten Veränderung unter­wor­fen sind – je nach­dem wer was wann war­um wo sagt oder hört, oder auch ver­schweigt. Und schließ­lich ist Träume ein sehr freund­li­cher, tröst­li­cher Film, der von Wandelbarkeit erzählt. Wo die meis­ten Filme ver­su­chen, eine mehr­deu­ti­ge und unor­dent­li­che Realität in eine sinn­haf­te Geschichte zu ver­wan­deln, unter­nimmt Träume das Gegenteil. Jede Szene, jede Person, jede Form des Diskurses fügt der Welt, die Träume abbil­det, eine neue Facette hin­zu, macht sie grö­ßer, offe­ner, viel­fäl­ti­ger. Für mich hät­te Träume ein­fach immer wei­ter gehen kön­nen.“ Hendrike Bake | indiekino

Die drei „Oslo-Stories“ bil­den eine ein­zig­ar­ti­ge Filmtrilogie. Liebe (Venedig Wettbewerb 2024), Träume (Berlinale Goldener Bär 2025) und Sehnsucht / Sex (Berlinale Panorama 2024) sind drei jeweils eigen­stän­di­ge Filme mit neu­en Figuren und einer unab­hän­gi­gen Geschichte, und jeder ist ein Ereignis. Getrennt von­ein­an­der wer­fen sie jeweils einen neu­en Blick auf die Dinge, die unser Leben bestim­men. Erzählen von Liebe, Sehnsucht und Träumen, hin­ter­fra­gen Identität, Gender und Sexualität, ent­wer­fen mit fas­zi­nie­ren­den Charakteren und klu­gen Dialogen gewitzt und nah­bar Utopien, wie wir auch zusam­men­le­ben könn­ten. Und Oslo sehen wir aus der Perspektive der Protagonisten: inner­städ­tisch bei Träume, hoch auf den Dächern bei Sehnsucht / Sex und in Liebe wird stän­dig der Oslofjord mit der Fähre überquert.

Goldener Bär – Berlinale 2025

Credits:

NO 2024, 110 Min., nor­we­gi­sche OmU
Regie: Dag Johan Haugerud

Kamera: Cecilie Semec
Schnitt: Jens Christian Fodstad
mit: Ella Øverbye, Selome Emnetu, Ane Dahl Torp, Anne Marit Jacobsen

Trailer:
DREAMS (SEX LOVE) International Trailer

Im Kino mit deut­schen Untertiteln.

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Oslo-Stories: Liebe

Ein Film von Dag Johan Haugerud.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Dag Johan Haugeruds Trilogie Oslo Stories besteht aus drei jeweils eigen­stän­di­gen Filmen mit einer unab­hän­gi­gen Geschichte. Der Teil Träume („Der mit der Lehrerin“, ab 8.5.) hat gera­de den Goldenen Bären gewon­nen, Sehnsucht heist im Original Sex („Der mit den Dachdeckern“, Panorama 2024, ab 22.5.) und zuerst nun der Teil Liebe („Der mit der Fähre“ Venedig 2024)

Oslo Stories: LIEBE ist ein roman­ti­scher Film, der Sexualität, Beziehungen und Liebe erforscht und sich um einen schwu­len Krankenpfleger und eine hete­ro­se­xu­el­le Ärztin dreht. In vie­ler­lei Hinsicht ist die­ser Film uto­pisch: Er han­delt vom Streben nach sexu­el­ler und emo­tio­na­ler Nähe zu ande­ren, ohne sich dabei unbe­dingt an die gesell­schaft­li­chen Normen und Konventionen zu hal­ten, die Beziehungen regeln. Die weib­li­che Sexualität, die in vie­len Teilen der Gesellschaft sowohl von Männern als auch von Frauen stän­dig unter die Lupe genom­men und in Frage gestellt wird, ist ein zen­tra­ler Schwerpunkt des Films. Wir haben noch nicht den Punkt erreicht, an dem Frauen Entscheidungen in Bezug auf ihre Sexualität und ihr Liebesleben tref­fen kön­nen, ohne sich ver­tei­di­gen oder erklä­ren zu müs­sen. Der Film deu­tet auch an, dass bestimm­te Erfahrungen und Praktiken inner­halb der homo­se­xu­el­len Gemeinschaft wert­vol­le Erkenntnisse für die Gesellschaft im Allgemeinen bie­ten könn­ten.
Aber im Kern geht es in dem Film um die Frage, wie man Gutes tun kann. Ich glau­be, dass Fiktion eine ent­schei­den­de Rolle dabei spielt, sich alter­na­ti­ve Welten und Prspektiven vor­zu­stel­len. Sie ermög­licht es den Menschen, sich aus­zu­drü­cken und auf unge­wöhn­li­che Weise zu han­deln. Für mich besteht eine wich­ti­ge Funktion der Fiktion dar­in, neue Denkweisen im wirk­li­chen Leben zu inspi­rie­ren. Mit Oslo Stories: LIEBE – und der gesam­ten Trilogie – war es mein vor­ran­gi­ges Ziel, zu ver­mit­teln, dass neue Denk- und Verhaltensweisen mög­lich sind.

Dag Johan Haugerud

Credits:

Love
NO 2024, 119 Min, Norwegische OmU
Regie: Dag Johan Haugerud
Kamera: Cecilie Semec
Schnitt: Jens Christian Fodstad,
mit: Andrea Bræin Hovig, Tayo Cittadella Jacobsen, Marte Engebrigtsen, Lars Jacob Holm, Thomas Gullestad

Trailer:
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Der Code

Der Code

Ein Film von Assaf Lapid.

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Der ande­re Planet, mit nichts in die­ser Welt ver­gleich­bar – das war für ihn Auschwitz. Hier erleb­te Yehiel De-Nur die Schrecken der Shoah, die er nach dem Krieg unter dem Pseudonym Ka.tzetnik lite­ra­risch radi­kal ver­ar­bei­te­te. Über Gewalt, Folter und Kannibalismus schrei­bend wur­de er immer wie­der zum Häftling, wäh­rend er gleich­zei­tig ein bür­ger­li­ches Leben führte.

Die radi­ka­le Aufspaltung in zwei Persönlichkeiten war Yehiel De-Nurs (geb. Feiner) Strategie, um mit sei­nem Trauma umzu­ge­hen. Wenn er als Ka.tzetnik abge­kap­selt und in Häftlingskleidung sei­ne inter­na­tio­na­len Bestseller ver­fass­te, war er wie­der auf dem „ande­ren Planeten“, den die Kunstfigur mit dem KZ im Namen nie ver­las­sen hat­te. Die Bücher von Ka.tzetnik haben Israel bewegt. Er reflek­tier­te dar­in Gewaltexzesse, deren Nähe zu sexu­ell kon­no­tier­ter Gewalt, die Abgründe des Menschlichen, und pro­vo­ziert dabei – als Holocaust-Überlebender – mit Titeln wie „Ich bin der SS-Mann. Eine Vision“ (Ein ande­rer bekann­ter Titel des Buches ist: „Shvitti. Eine Vision“). Auch der Name der Indie-Band „Joy Division“ geht auf ein Buch von Ka.tzetnik zurück.
De-Nur hin­ge­gen fass­te als beschei­de­ner Ehemann und lieb­vol­ler Vater in Israel wie­der Fuß. Erst der Eichmann-Prozess, wo De-Nur und Ka-Tzetnik im Zeugenstand erst­mals auf­ein­an­der­tra­fen, brach­te die­ses Konstrukt zum Einsturz. Der auch 30 Jahre nach dem Krieg noch von sei­nem Trauma Verfolgte hoff­te, in den Niederlanden durch eine LSD-Therapie end­lich Frieden zu fin­den.
Die Dokumentar-Biografie über­setzt die­se Persönlichkeitsspaltung in Bilder. Während wir in Berichten von Zeitzeuginnen und Forscherinnen der Person De-Nur begeg­nen, füh­ren uns ani­mier­te Sequenzen in die Gedankenwelt des Autors und sei­ner lite­ra­ri­schen Figur Ka.tzetnik. Dabei wird nicht nur die Frage nach Möglichkeiten der Traumabewältigung gestellt, son­dern auch nach dem Wert sub­jek­ti­ver Wahrheit.
Rainer Mende

Credits:

The Return from the Other Plaent
DE/IL 2023, 81 Min., eng­lisch, hebrä­isch, jid­disch, nie­der­län­disch OmU
Regie: Assaf Lapid

Kamera: Talia Tulik Galon, Jörg Adams
Schnitt: Nohar Avigail Haseen, Assaf Lapid 

Trailer:
The Return from the Other Planet_English Trailer
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Primadonna – Das Mädchen von morgen

Ein Film von Marta Savina. 

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Sizilien in den 1960-er Jahren. Den gesell­schaft­li­chen, auch vom Gesetz gestütz­ten Vorstellungen nach ver­liert eine unver­hei­ra­te­te Frau mit dem ers­tem Sex auch ihre Ehre, die nur durch eine Heirat wie­der her­ge­stellt wer­den kann, Vergewaltigungsopfer nicht aus­ge­nom­men (Matrimonio ripa­ra­to­re – repa­rie­ren­de Heirat). Das erleb­te sei­ner­zeit die 17-jäh­ri­ge Franca Viola, an deren Fall sich PRIMADONNA anlehnt.
Im Film heißt sie Lia, ist zurück­hal­tend, aber eigen­wil­lig und weiß, was sie will, Felder bestel­len liegt ihr bei­spiels­wei­se mehr als Hausarbeit. Nach einem kur­zen Flirt mit Lorenzo, dem char­man­ten Sohn des mafiö­sen Großunternehmers im Dorf, erkennt sie schnell, das es gar nicht passt. Der jun­ge Mann aber gibt nicht auf: er ent­führt und ver­ge­wal­tigt sie.
Um her­nach ihre „Ehre wie­der­her­zu­stel­len“ soll sie ihn hei­ra­ten. Unterstützt von ihren Eltern wei­gert sich Lia, und da lässt sei­ne Familie sie ihre Macht spü­ren. Es kommt es zu Drohungen, Beleidigungen, Ausgrenzung und Schlimmeren. Schließlich macht Lia den uner­wart­ba­ren Schritt: sie zeigt Lorenzo an.
In ihrem Spielfilmdebüt, dem Cinema!Italia! 2024 Publikumspreisgewinner, folgt Marta Savina Lia in ihrem bäu­er­li­chen Alltag, beob­ach­tet ihr Schweigen über die Vergewaltigung und umge­kehrt den media­len Rummel um den Prozess. Gegen alle Wahrscheinlichkeit bekommt Lia Recht, und ist damit ein Vorbild für ande­re. In der Realität dau­er­te es noch lan­ge, bis der Artikel 544* aus dem ita­lie­ni­schen Strafgesetzbuch gestri­chen wur­de.
Für jedes Delikt des ers­ten Abschnitts (…) löscht die Ehe, die der Urheber einer Verletzung mit der ver­letz­ten Person ein­geht, das Verbrechen aus, auch in Bezug auf die­je­ni­gen, die an der glei­chen Straftat teil­ge­nom­men haben.

Credits:

IT 2023, 102 Min., Italienische OmU
Regie: Marta Savina
Kamera: Francesca Amitrano
Schnitt: Paola Freddi

mit: Claudia Gusmano, Fabrizio Ferracane, Manuela Ventura, Dario Aita

Trailer:
Trailer „Primadonna”
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Köln 75

Köln 75

Ein Film von Ido Fluk. Am Freitag, 

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Gerade ein­mal 16 Jahre jung ist Vera Brandes 1973, als sie in Köln beginnt, als Veranstalterin von Jazz-Konzerten zu arbei­ten. Eher zufäl­lig hat sie ihre Leidenschaft ent­deckt, ihre gro­ße Klappe und Unverblümtheit sorgt dafür, dass auch Musiker, die ihre Väter sein könn­ten, sich von dem Teenager mit­rei­ßen las­sen.
Sie ist fas­zi­niert von der Welt der Musik, beson­ders dem Jazz. Und so plant sie, am 24. Januar 1975 ein Konzert in der Kölner Oper zu orga­ni­sie­ren, bei dem Keith Jarrett ein­mal mehr bewei­sen soll, war­um er als eben­so revo­lu­tio­nä­rer Musiker wie John Coltrane oder Miles Davis gilt.
Manchmal sind Entstehungsgeschichten fast noch bes­ser als das eigent­li­che Ereignis, im Fall von Keith Jarretts legen­dä­rem „Köln Concert“ ist es eher so, dass die Umstände spek­ta­ku­lär, das Ergebnis dage­gen eine Sensation waren. Die meist­ver­kauf­te Jazz-Platte eines Solo-Künstlers sind die Aufnahme der gut 60 Minuten, die Jarrett Ende Januar in Köln auf der Bühne ver­brach­te, allein impro­vi­sie­rend und das auf einem grenz­wer­ti­gen Flügel.
Ganz so her­un­ter­ge­kom­men, wie das im Film gezeig­te Modell war der Flügel zwar wohl nicht, ansons­ten hat Autor und Regisseur Ido Fluk in sei­nem bio­gra­phi­schen Musikfilm Köln 75 die Realität aber kaum mytho­lo­gi­sie­ren müs­sen, um einen oft fes­seln­den Film zu dre­hen. Einen Wermutstropfen gibt es aller­dings: Die Rechte an der Musik von Keith Jarrett und vor allem dem Köln Concert, stan­den nicht zur Verfügung, die beson­de­re Qualität des musi­ka­li­schen Ansatzes Jarrett wird dadurch nur aus zwei­ter Hand deut­lich. Was aller­dings zur bes­ten Szenen des Films führt: In einer lan­gen Einstellungen führt der zwi­schen­zeit­lich als Erzähler fun­gie­ren­de ame­ri­ka­ni­sche Musik-Journalist Michael Watts (Michael Chernus) ein­mal quer durch die Geschichte des Jazz, vom Big Band-Sound über kon­trol­lier­te Improvisationen im Korsett von Standards, zum expe­ri­men­tel­len Free Jazz eines Miles Davis, bis hin zum völ­lig los gelös­ten Ansatz Keith Jarretts, der ver­sucht, völ­lig neue, noch nie gehör­te Musik zu spie­len und das jeden Abend.
Auch John Magaro als Jarrett und Alexander Scheer als des­sen Manager Manfred Eicher (der bald danach das Label ECM mit­be­grün­den soll­te, bei dem das „Köln Concert“ zum Millionen-Erfolg wer­den soll­te) gelingt es mit­rei­ßend, die beson­de­re Qualität Jarretts in Worte zu fas­sen.“
M. Meyns | programmkino.de

Credits:

DE/BE/PL 2024, 115 Min.,
Regie: Ido Fluk
Kamera: Jens Harant
Schnitt: Anja Siemens
mit Mala Emde, John Magaro, Michael Chernus, Alexander Scheer, Ulrich Tukur

Trailer:
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September & July

Ein Film von Ariane Labed. 

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Die Schwestern September (Pascale Kann) und July (Mia Tharia) erschei­nen in Kleidern, die an die Zwillinge aus Stanley Kubricks „The Shining“ erin­nern. Ihre Mutter Sheela (Rakhee Thakrar), eine etwas distan­zier­te Fotografin, hält die­se Szene fest. Bereits hier spürt man die beson­de­re Dynamik, die Regisseurin Ariane Labed in ihrem Debüt-Langfilm September Says erforscht. Die Schwestern sind eng ver­bun­den, obwohl sie unter­schied­li­cher kaum sein könn­ten: September ist beschüt­zend und vor­sich­tig, wäh­rend July mit Neugier und Offenheit auf die Welt blickt. Diese unter­schied­li­chen Persönlichkeiten for­dern ihre Mutter, die das Temperament der bei­den oft nur schwer bän­di­gen kann. Als September von der Schule sus­pen­diert wird, beginnt July ihre Unabhängigkeit zu fes­ti­gen – was Spannungen zwi­schen den bei­den Schwestern aus­löst. Die drei Frauen zie­hen sich schließ­lich in ein altes Ferienhaus in Irland zurück, wo sie sich mit einer Reihe sur­rea­ler Erlebnisse kon­fron­tiert sehen.

September Says“ ent­fal­tet sich durch Labeds kraft­vol­le Bildsprache, die mit einer psy­cho­lo­gisch dich­ten Atmosphäre und einer Prise schwar­zen Humors spielt. Themen wie weib­li­che Selbstbestimmung und die Weitergabe fami­liä­rer Prägungen zie­hen sich durch die Handlung, ohne in eine klas­si­sche Befreiungsgeschichte zu mün­den. Ariane Labed, die als Schauspielerin durch die Greek New Wave bekannt wur­de, beweist hier ihr Talent als Regisseurin, die das Groteske und das Ungewohnte im Alltäglichen auf­spürt. September Says ist eine kraft­vol­le Erkundung weib­li­cher Welten und fei­er­te sei­ne Weltpremiere in Cannes in der Reihe Un Certain Regard.

Credits:

September Says
FR/GR/IE/DE/UK 2023, 96 Min., engl. OmU
Regie: Ariane Labed

Kamera: Balthazar Lab
Schnitt: Bettina Böhler
mit: Mia Tharia, Pascale Kann, Rakhee Thakrar

Trailer:
September Says – Official Clip
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Mond

Mond

Ein Film von Kurdwin Ayub.

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Sarahs Karriere als Mixed-Martial-Arts-Kämpferin geht zu Ende, statt in den Ring zu stei­gen, wird sie zukünf­tig Kinder trai­nie­ren. Ein plötz­li­ches Angebot aus Jordanien, die Töchter einer rei­chen Familie zu unter­rich­ten – MMA sei dort gera­de der letz­te Schrei – hört sich da sehr exo­tisch und ver­füh­re­risch an. Sarah sagt ja und packt ihre Sachen. Dort ange­kom­men, muss sie bald erken­nen, dass die Familie viel rei­cher ist als gedacht, und soviel Einfluss besitzt, dass man ihr im Hotel, wo sie unter­ge­bracht ist, nichts dar­über erzäh­len mag. Außerdem ist unschwer zu erken­nen, dass die drei jun­gen Frauen kein wirk­li­ches Interesse am Sport haben. Viel lie­ber sit­zen sie im Wohnzimmer, lackie­ren sich die Nägel und schau­en Soaps. Dabei ste­hen sie immer unter Aufsicht, auch bei gele­gent­li­chen Shopping-Ausflügen beglei­tet sie ein Bodyguard. Als auf­ge­klär­te Frau aus dem Westen denkt sich Sarah ihren Teil, und als sie gefragt wird, glaubt sie, Nour, Shaima und Fatima hel­fen zu kön­nen und zu müssen.

Mir war wich­tig, dass das Publikum Sarah folgt und sich die­sel­ben Fragen stellt wie sie. Auch Sarah sieht nie das gan­ze Bild. Trotzdem bleibt die Frage, ob sie soli­da­risch agie­ren soll. Dieser Zweifel soll­te bis zum Ende bestehen. Mich hat dabei die Geschichte von Prinzessin Latifah, der Tochter des Königs von Dubai, inspi­riert. Sie ist mit ihrer fin­ni­schen Capoeira-Lehrerin geflüch­tet. Tatsächlich kam aber nicht die Prinzessin heil davon, son­dern die Europäerin. Das fand ich inter­es­sant und woll­te die­ses Gefühl in Mond wie­der­ge­ben: Wem glaubt man? Was ist wirk­lich pas­siert? Sind mei­ne eige­nen Vorurteile im Weg?” Kurdwin Ayub im ray-Magazin

Nach Sonne ist dies der zwei­te Teil einer geplan­ten Trilogie der kur­disch-öster­rei­chi­schen Regisseurin Kurdwin Ayub, die dafür beim Filmfestival von Locarno mit dem Spezialpreis der Jury aus­ge­zeich­net wurde.

Credits:

AT 2024, 93 Min, deutsch/arabisch/englische OmU
Regie: Kurdwin Ayub
Kamera: Klemens Hufnagl,
Schnitt: Roland Stöttinger,

mit: Florentina Holzinger, Andria Tayeh, Celina Antwan, Nagham Abu Baker, u.a.

Trailer:
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Mutiny in Heaven

Ein Film von Ian White. 

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Nick Cave ist eine fes­te Größe in der Musik, aber die Band, mit der alles ange­fan­gen hat, ken­nen nur weni­ge. Schade eigent­lich, viel­leicht ändert die­ser Film das ein biss­chen, der sich nicht als Vehikel für bekann­te Musiker ver­steht, die dar­über spre­chen, wie am tolls­ten die­ser oder jener völ­lig unbe­kannt geblie­be­ne Musiker mal war, son­dern als span­nen­der Reisebericht. Fünf Knilche rei­ßen aus Australien aus, um es in London zu etwas zu brin­gen. Ihre Band The boys next door wird dort zur Birthday Party. Das Überleben in der Stadt, wo sie auf engs­tem Raum zusam­men­ho­cken, wäh­rend das weni­ge Geld für Drogen ver­pufft, for­men den bra­chia­len, nack­ten Kreissägensound der Musiker mit, der kaum von den noto­risch mono­to­nen Beats gebän­digt wer­den kann. Dazu erlebt Cave als Sänger die wider­sprüch­li­chen Gefühle einer Achterbahnfahrt durch frem­der Leute Hinterhöfe und bey­ond (Deep in the woods a fun­e­ral is swin­ging). Schließlich schafft es die Band nach West-Berlin und ist zur rich­ti­gen Zeit am rich­ti­gen Ort mit den rich­ti­gen Leuten, freun­det sich hier mit Mitgliedern von Die Haut und den Einstürzenden Neubauten an. Am Sound ändert der Heimathafen in der Fremde nichts, er bleibt schroff, psy­cho­tisch und flext sich krei­schend durchs Gehirn. Deshalb kein Durchbruch oder kom­mer­zi­el­ler Erfolg, die Birthday Party zehrt von der Substanz. Schließlich ist sie aus und der Saal leer­ge­fegt. Aber vor der Tür ste­hen schon die Bad Seeds, Crime and the City Solution und These immor­tal Souls und es geht wei­ter durch Nächte, die mal schö­ner waren als ande­rer Leute Tage.

Mutiny In Heaven, aus­schließ­lich von Originalmitgliedern der Post-Punk-Band The Birthday Party erzählt, beschreibt, wie Nick Cave und sei­ne Schulfreunde ihr Publikum mit kon­fron­ta­ti­ven Auftritten, gesetz­lo­sem Gothic-Horror und einem anar­chi­schen Lebensstil auf­schreck­ten. Mit nie zuvor gezeig­ten per­sön­li­chen Archivaufnahmen, unver­öf­fent­lich­ten Tracks und Konzertmitschnitten sowie Graphic Novel-Sequenzen des deut­schen Comiczeichners Reinhard Kleist bie­tet Mutiny in Heaven einen mit­rei­ßen­den Sitzplatz in der nicht ganz unge­fähr­li­chen ers­ten Reihe eines der viel­leicht legen­därs­ten Live-Acts der Musikgeschichte.

Credits:

AU 2023, 99 Min, engl. OmU
Regie: Ian White
Kamera: Craig Johnston
Schnitt: Aaron J. March
mit: Phil Calvert, Nick Cave, Mick Harvey, Rowland S. Howard, Tracy Pew

Trailer:
MUTINY IN HEAVENNICK CAVES FRÜHE JAHRE | OmU Trailer
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Die Unerwünschten

Die Unerwünschten

Ein Film von Ladj Ly.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Der Film beginnt mit einem rich­ti­gen Knall: genau dann, als er auf den Knopf zur Sprengung eines Wohnblocks drückt, und die­ser mit einer Wolke aus Steinstaub in die Knie geht, erlei­det der Bürgermeister des Quartiers einen Herzinfarkt. Interims-Nachfolger wird Pierre, ein büro­kra­ti­scher Kinderarzt, dem zu der Gegend und den Problemen der Bewohner des poli­tisch unge­lieb­ten Viertels nur wenig mehr ein­fällt, als hart durch­zu­grei­fen. Zunächst mehr aus Überforderung und auf Druck, nimmt er den erst­bes­ten Vorfall zum Anlass, einen Komplex sofort kom­plett eva­ku­ie­ren zu las­sen, und die Bewohner:innen auf die Straße zu set­zen, und das im Dezember. Als Pierre offi­zi­ell zur Wahl auf­ge­stellt wird, beschließt die jun­ge Haby, die als Praktikantin im Archiv des Rathauses arbei­tet und im Viertel wohnt, gegen ihn zu kan­di­die­ren. In ihrer Umgebung gibt es aber auch eini­ge, die nicht mehr an eine Verbesserung ihrer Situation mit lega­len und demo­kra­ti­schen Mitteln glau­ben.
In sei­nem auf­se­hen­er­re­gen­dem Spielfilm Die Wütenden – Les Misérables war Ladj Ly auch schon in einer Banlieue unter­wegs. Dort auf­ge­wach­sen, kennt er, was er zeigt, und klagt an, was er dort sieht und erlebt. In Die Unerwünschten – Les Indesirables ist weni­ger radi­kal als sein Debüt, aber eben­so enga­giert und wütend. Seine fil­misch umge­setz­ten Beobachtungen sind prä­zi­se, und trotz der klar ver­teil­ten Sympathien ver­fällt er nicht in ein rei­nes Gut-Böse-Schema.
„Ly insze­niert das Chaos mit Präzision; er sorgt dafür, dass man die Wut spürt, die sich durch die Gemeinschaft zieht, unter­malt sie aber oft mit ruhi­ger Musik und ver­bringt Zeit in den Sitzungssälen, wo die Gewalt im Stillen aus­ge­übt wird, mit Papier und Stiften. Der Film kocht vor Wut dar­über, wie die Hebel der Macht zur Unterdrückung ein­ge­setzt wer­den, aber er ist auch ein Prozessfilm, der die Situation nicht aus­reizt und rela­tiv ruhig bleibt, bis die die Wut schließ­lich über­kocht.“ The Wrap

Credits:

Bâtiment 5 / Les Indésirables
FR 2023, 106 Min., frz. OmU
Regie:
Ladj Ly
Kamera: Julien Poupard
Schnitt: Flora Volpelière
mit: Anta Diaw, Alexis Manenti, Aristote Luyindula, Steve Tientcheu, Aurélia Petit

Trailer:
BÂTIMENT 5 (Official Trailer, OV/d)
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