Ein Film von Ladj Ly.
Zu Beginn: der kollektive Ausnahmezustand. Der Gewinn der Fussball-WM 2018 brachte alle, auch den Teenager Issa aus der Banlieue und Freunde, gemeinsam auf die Champs-Elysées – auf dem Plakat zum Film sehen wir also keine Gelbwestendemonstration, sondern eine Siegesfeier. Danach geht es zurück nach Montfermeil, und damit in einen permanenten Ausnahmenzustand. Zumindest für diejenigen, denen das Leben dort fremd ist. So wie wir, oder Polizist Stéphane, der sich aus persönlichen Gründen dorthin hat versetzen lassen. Er wird den Kollegen Chris und Gwada zugeteilt, die in der Gegend schon länger unterwegs sind und sich ihre eigenen robusten Gesetze gezimmert haben. So beschweren sich einmal junge Frauen auf der Straße, dass Chris ihnen die Smartphones abgenommen und zertreten hat. Er darf das, findet der – ist er doch das „Gesetz“. Viele Regeln gibt es im Viertel, jede Gruppe hat, wie die Polizisten, die eigenen: die Jugendcliquen, Dealer, Clans, die Nachbarschaftshilfe und Gläubigen … und alle zusammen sind wie ein ökonomisch arbeitendes, undurchsichtigen Netz miteinander verstrickt.
Stéphane ist das fragwürdige, halbkriminelle Verhalten seiner neuen Kollegen äußerst suspekt. In einer schön gemeinen Szene will er nach der in der Provinz gelernten Art arbeiten, aber seine korrekte Höflichkeit löst bei den befragten Muslimbrüdern nur große Irritation aus. Als ein Kid das Löwenbaby aus einem gastierenden Zirkus entführt, wird die Lage explosiv. Der Clan will das Tier sofort zurückhaben und ist nicht zimperlich mit Drohungen. Um den abzusehenden Krieg mit Toten zu verhindern, müssen die drei Cops alle legalen und illegalen Wege nutzen, um an Informationen zu kommen. Dabei wird Issa ausgerechnet vom besonneneren Gwada folgenschwer verletzt. Regisseur Ladj Ly wuchs selbst in Montfermeil auf. Er siedelt sein spannendes Spielfilmdebüt, das für Frankreich an den Oscar-Start geht, am Schauplatz von Victor Hugos berühmtem Roman “Les Misérables” an, und gibt damit ein klares Statement: Wenig hat sich geändert in den letzten 150 Jahren in den von Armut und sozialen Spannungen geprägten Vororten, wo Jugendliche mit Migrationshintergrund im Krieg mit der Polizei liegen – und umgekehrt.
„ …der Mensch im Kinosessel [velässt] den Saal nicht als Ohnmächtiger, sondern als Wissender. Und das ist schon eine ganze Menge.“ Katrin Hildebrand | konkret
Internationale Filmfestspiele von Cannes: Preis der Jury
FR 2019, 103 Min., frz. OmU
Regie: Ladj Ly
Kamera: Julien Poupard
Schnitt: Flora Volpière
mit: Damien Bonnard, Alexis Manenti, Djibril Zonga, Jeanne Balibar
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