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Im inneren Kreis

Ein Film von Hannes Obens & Claudia Morar.

Wir haben es hier mit offe­nen Kreisen zu tun, kei­ne abge­schot­ten­ten Kreise mit kla­ren Strukturen und Hierarchien. Die lin­ke Szene lebt ja von offe­nen Zirkeln und Beteiligung … Das erleich­tert den Einsatz. Wenn sich die rech­te Szene qua­si im Hinterzimmer einer Gastwirtschaft trifft und dann wird die Tür zuge­macht – da fällt es weni­ger ein­fach.“ J. Reinicke, Bund dt. Kriminalbeamter

Iris P., Maria B. und Astrid O. sind Polizistinnen, die als ver­deck­te Ermittlerinnen (VE genannt, das sind kei­ne V‑Männer oder Frauen) im Umfeld der Roten Flora in Hamburg vie­le Jahre unent­deckt agie­ren. Eine recht­lich hoch­heik­le Geschichte, auch weil Iris P., abge­seg­net durch ihre Vorgesetzten, enge Freundschaften pfleg­te und inti­me Beziehungen mit Menschen ein­ging, die sie zugleich aus­spio­nier­te. Als „Iris Schneider” aus Hannover forsch­te sie die lin­ke Szene durch, neben der Roten Flora u.a. beim Kollektivsender FSK.

Im idyl­li­schen Heidelberg hat sich der Polizist Simon B. 2010 eigens an der Universität imma­tri­ku­liert, um lin­ke Studierende aus­zu­spä­hen, die nicht im Traum damit gerech­net hät­ten, ein­mal ins Fadenkreuz staat­li­cher Überwachung zu geraten.

Eindrucksvoll berich­ten vor allem betrof­fe­ne Protagonist*innen sehr per­sön­lich aus ganz unter­schied­li­chen Perspektiven von die­sen Geschichten. Auch poli­tisch und juris­tisch Verantwortliche kom­men zu Wort, wie der frühere Innenminister Gerhart Baum oder ex-Generalbundesanwalt Kay Nehm, der über einen der Einsätze spricht.

IM INNEREN KREIS lässt nicht nur erzäh­len, son­dern wirft auch Fragen gera­de zur momen­tan wie­der aktu­el­len Privatsphäre auf. Wer wird überwacht? Wie weit geht Überwachung? Was sind Verdeckte Ermittler*innen? Wie gehen sie vor? Was dür­fen sie? Wie erschre­ckend ist es, wenn sich Freundschaft oder sogar die eige­ne Liebesbeziehung als „Auftragsarbeit“ her­aus­stellt? Was ist mit dem recht­li­chen Paradoxum, Dinge mit­zu­ent­schei­den, die eigent­lich das Ziel der Ausspähung sind? Und schließ­lich: wer überwacht die­se Überwacher?

D 2017, 83 Min.
Regie: Hannes Obens und Claudia Morar
Kamera: Maurice Wilkerling, Lasse Teubner
Ton: Timo Selengia
Schnitt: Michelle Barbin
Animationen : Anna Levinson

IM INNEREN KREIS Offizieller Trailer from dirk man­they film ug on Vimeo.

Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes

Ein Film von Julian Radlmaier. Am 14.6. mit anschlie­ßen­dem Filmgespräch mit Julian Radlmaier.

Auf den Hund gekom­men – das heißt hier tat­säch­lich – in Hundegestalt ver­wan­delt, ist Nachwuchsregisseur Julian (gespielt von Regisseur Julian Radlmaier). Die Geschichte, die ihn dort­hin geführt hat, erzählt er nun im Rückblick. Nach miss­glück­ten Förderansuchen, und ohne all zu viel Plan macht sich Julian, von der staat­li­chen Sozialbürokratie ange­trie­ben auf zum Ernteeinsatz in eine bran­den­bur­gi­sche Apfelplantage. Einer der Kunststudentinnen, denen er in der Gemäldegalerie nach­s­tiehlt, erzählt er es hand­le sich dabei um die Recherche zu einem kom­mu­nis­ti­schen Märchenfilm. Diese nimmt nach eini­gem Zögern sei­ne Anmache für bare Münze und beglei­tet ihn in die Provinz. Während Julians in sei­nen libi­di­nö­sen Begehrlichkeiten wie­der­holt Schiffbruch erlei­det, ent­wi­ckelt Camille zuneh­mend revo­lu­tio­nä­res Begehren, dass Julians Avancen eher noch ver­kom­pli­ziert. Dazwischen aller­lei Geschichten um die illus­tren Malocher*innen der Plantage, von ent­las­se­nen Museumswärtern und geor­gi­schen Anarchistinnen zu jeder Illusion gründ­lich ent­le­dig­ter Zonenkindern, bis sich die Zustände in der unter stren­gem Akkordregime ste­hen­den Plantage zuspit­zen und ein Wiedergänger Franz von Assisis uner­hör­te und ver­hei­ßungs­vol­le Nachrichten überbringt.
In Radlmaiers, (nicht nur film­ge­schicht­lich) anspie­lungs­rei­chem Film, nach den bei­den mit­tel­lan­gen „Ein Gespenst geht um in Europa” und „Ein pro­le­ta­ri­sches Wintermärchen” sein ers­ter lan­ger Spielfilm, ist die oft umwer­fen­de Komik nicht da, um das poli­ti­sche Begehren iro­nisch auf­zu­he­ben. Beides ist Teil der refle­xi­ven Arbeit an einer Form, in der sich von Möglichkeiten jen­seits der Herrschenden Verhältnisse erzäh­len läßt, zu Zeiten in denen, nach­dem alle Versprechen schon­mal geschei­tert sind, die Lächerlichkeit radi­ka­ler Entwürfe ihre unab­schüt­tel­ba­re Erscheinungsform ist.

Der bes­te deut­sche Film der dies­jäh­ri­gen Berlinale lief nicht etwa im gro­ßen Wettbewerb, son­dern in der Sektion Perspektive Deutsches Kino, wo der jun­ge Filmemacher Julian Radlmair sei­nen neu­en Film „Selbstkritik eines bür­ger­li­chen Hundes“ vor­stell­te. Der ist mit sei­nem skur­ri­len, selbst­iro­ni­schen Humor zwar ein Nischenprodukt, aber ein beson­ders ori­gi­nel­les.” programmkino.de

Deutschland 2017,  99 Min.
Regie, Buch, Schnitt: Julian Radlmaier
Kamera: Markus Koob
Mit:
Julian Radlmaier
Deragh Campbell
Kyung-Taek Lie
Beniamin Forti
Ilia Korkashvili
Bruno Derksen

Die Farbe der Sehnsucht

Ein Film von Thomas Riedelsheimer. Ab 1. Juni im fsk. Am 2.6. mit anschlie­ßen­dem Filmgespräch mit Regisseur und Produzent.

Manchen, die sie erkun­den, ist die Welt ein­fach nur bunt. Aber da ist doch viel mehr, das macht Thomas Riedelsheimer (Rivers and Tides, Touch the Sound, …) in sei­nem essay­is­ti­schen Dokumentarfilm greif­bar. Gibt es Farben der Sehnsucht, gibt es Musik der Sehnsucht? Glücklicherweise ver­zich­tet der Film auf all­zu nahe­lie­gen­de, häu­fig mit Sehnsucht ver­bun­de­nen Attribute. Stattdessen zei­gen in wun­der­schö­nen Kinobildern Menschen ihre Träume von einem Leben, das sie nicht leben wer­den, von einer Welt, die es so nicht geben wird, oder vom Heimkommen. So ver­läßt Dona Minga mit­tels kap­ver­di­schem Tanz für eine Weile das Ghetto in Lissabon, wo sie seit über 30 Jahren lebt. Neben dem all­ge­gen­wär­ti­gen Blau, so wie Himmel und Meer, die den unsterb­lich (und glück­lich) ver­lieb­ten Alfredo in Mexiko umge­ben, erscheint Grau als Farbe der Wirklichkeit, wie bei den Notunterkünfte in Osaka, oder glit­zernd-strah­len­des Weiß-Golden, wie die Paläste und Shopping Malls in Katar. Layla aus Pakistan, die in die­sem ver­meint­li­chen Wüstenparadies arbei­tet, schreibt als Ersatz für ihr ein­ge­eng­tes Leben Liebesromane, und Kanayo Ueda gibt Gedichtkurse für die Obdachlosen in der japa­ni­schen Küstenstadt.

Melancholie und Sehnsucht nach dem Nicht-mehr-Leben streift der Film über die­je­ni­gen, die Betroffenen eine Hilfe sein wol­len, so an den schrof­fen Klippen von Tojinbo, wo der pen­sio­nier­te Polizist Yuichi Tada ver­sucht, die vor­wie­gend jun­gen Menschen vom Suizid abzu­hal­ten, oder über den jun­gen Musiker Julius, der vor kur­zem einen Freund ver­lor. Quer über die Kontinente hin­weg ler­nen wir eine Reihe unter­schied­li­cher Frauen und Männer ken­nen, und wie sie sich trotz z.T. wid­rigs­ter Umstände ihre Träume zu erhal­ten versuchen.
»… Eine akus­ti­sche Entsprechung die­ses Gefühls fin­det Riedelsheimer in der musi­ka­li­schen Komposition eines sei­ner Protagonisten, wodurch der Film zu einem leben­di­gen Kollektivkunstwerk wird. Er erschafft dabei Momente, in denen die Gefühle von der Leinwand direkt auf den Zuschauer über­ge­hen. Ein sinn­li­ches Kino-Erlebnis vol­ler Empathie, das zur Kontemplation ein­lädt.« sagt die Filmbewertungsstelle.

Deutschland 2016, 92 Min., por­tu­gie­sisch, japa­nisch, deutsch, ara­bi­sche OmU
Regie, Kamera, Schnitt: Thomas Riedelsheimer

Starlet

[indie­ki­no Club]

Die 20-jäh­ri­ge Jane arbei­tet im San Fernando Valley als Porno-Darstellerin. Mit ihrer Kollegin Melissa lebt sie in einem Haus, das Melissas Freund und Manager Mikey gehört und oft auch als Filmset dient. Um ihr kar­ges Zimmer ein biss­chen gemüt­li­cher zu machen, klap­pert Jane die umlie­gen­den Flohmärkte ab. In einer Thermoskanne, die sie als Vase benut­zen will, fin­det sie 10.000 Dollar. Spontan geht sie ein­kau­fen – dann pla­gen sie Gewissensbisse. Doch die ahnungs­lo­se Verkäuferin Sadie (Besedka Johnson), eine ver­schlos­se­ne Witwe von 85 Jahren, lässt Jane gar nicht erst zu Wort kom­men, als die von ihrem Fund erzäh­len will. Jane will nun her­aus­fin­den, ob Sadie das vie­le Geld nötig hat, und es ihr nur dann zurück­ge­ben. Frech drängt sie sich ins Leben der alten Frau, um sie ken­nen zu ler­nen, bis sich lang­sam eine unge­wöhn­li­che Freundschaft ent­wi­ckelt. Doch auch Melissa benö­tigt immer wie­der Janes Aufmerksamkeit: Sie ist dro­gen­süch­tig, und ihre Unzuverlässigkeit und ihr chro­ni­scher Geldmangel wer­den zum Problem …
„Starlet” ist ein Film über Vertrauen und Vertrauensmissbrauch. Sadie und Jane sind bei­de auf sich allein gestellt und leben wie in einem Kokon: Sadie ver­lässt ihr leicht ver­wahr­los­tes Haus fast nur noch zum wöchent­li­chen Bingo, Jane lebt in einer asep­ti­schen Welt, in der es außer dem Job kaum mehr gibt als Computerspielen auf der Couch und Drogen. Die Bildgestaltung des Films ist äußerst gelun­gen. Oft scheint Jane sich in einer licht­durch­flu­te­ten Traumwelt zu bewe­gen. Der ele­gi­sche Elektrosoundtrack trägt eben­falls zu die­ser ent­rück­ten Atmosphäre bei. Dann wie­der­um setzt der Film auf die doku­men­ta­risch anmu­ten­de Nähe der Handkamera und strafft Szenen mit sicht­ba­ren Jumpcuts. (…). Ein wun­der­ba­rer Film. (BR – KinoKino)

STARLET ent­wirft die klas­si­sche Geschichte der unwahr­schein­li­chen Freundschaft als zar­tes, pas­tell­far­be­nes, son­nen­ge­tränk­tes, flüch­tig-spon­ta­nes Gewebe und war­tet mit zwei Entdeckungen auf: Mariel Hemingways Tochter Dree in der Rolle der Jane und Besedka Johnson, die im Greisinnenalter ihr Debüt als Sadie gibt.” (Viennale)

USA 2012, 103 Min., engl. OmU 

Regie:  Sean S. Baker

Darsteller:  Dree Hemingway, Besedka Johnson, Stella Maeve, James Ransone, Karren Karagulian

STARLET | Trailer ger­man deutsch [HD]
Code of Survival

Code of Survival

Ein Film von Bertram Verhaag.

Dass Glyphosat nicht schäd­lich sei, behaup­tet ein befrag­ter Befürworter fel­sen­fest, dass Menschen ver­geb­lich ver­such­ten, sich damit umzu­brin­gen, weil man ein gan­zes Glas davon trin­ken kön­ne, ohne dass einem etwas pas­siert. Als ihm ein Glas Glyphosat ange­bo­ten wird, wehrt er aller­dings ver­ängs­tigt ab. Angst und ban­ge wird es einem auch, wenn man sieht, wel­che ver­hee­ren­den Auswirkungen die Produkte der gro­ßen Chemiekonzerne auf das haben, was für uns alle lebens­not­wen­dig ist. Der Regisseur Bertram Verhaag hat sich bereits in meh­re­ren Filmen mit gen­tech­ni­schen Verfahren in der Landwirtschaft aus­ein­an­der­ge­setzt und weil ihn das zuneh­mend frus­trier­te, setzt er im neu­en Film den von den Konzernen pro­pa­gier­ten Lösungen alter­na­ti­ve Konzepte ent­ge­gen: eine Teeplantage in Indien, wo durch nach­hal­ti­ge öko­lo­gi­sche Anbauweise das wei­te­re Abrutschen der Teegärten ver­hin­dert wer­den konn­te; wie durch klu­ge Nutzung des­sen, was natür­lich wächst, auch schein­bar unfrucht­ba­rer Boden ver­wan­delt wer­den kann; wie man, wenn man nur stur genug sei­ne Vision einer alter­na­ti­ven Viehzucht ver­folgt, auch in einer kon­ser­va­ti­ven Gegend bald genug Kundinnen und Kunden hat, um von die­ser Arbeit leben zu kön­nen. Der Film zeigt all die­se Beispiele, weil er dazu anre­gen will, sich mit der Frage zu beschäf­ti­gen, auf wel­che Weise unse­re Nahrungsmittel pro­du­ziert wer­den sollten.

Deutschland 2017, 95 Min.
Regie: Bertram Verhaag
Kamera: Waldemar Hauschild, Gerald Fritzen
Schnitt: Hauke von Stietencron, Corinna Lösel, Melanie Singer, Verena Schönauer

Ich wünsche Dir ein schönes Leben

Ein Film von Ounie Lecomte.

Elisa ist Physiotherapeutin und nimmt für eini­ge Monate eine Vertretungsstelle in Dünkirchen an. Vor 30 Jahren wur­de sie dort anonym gebo­ren und direkt zur Adoption frei­ge­ge­ben. Obwohl sich ihre Mutter nach wie vor nicht zu erken­nen geben möch­te, hofft Elisa auf ein Einlenken oder auf den Zufall. Ihr Sohn Noé (Elyes Aguis) muss sich in der neu­en Schule zurecht­fin­den und wird auf Grund sei­ner leicht dunk­len Hautfarbe für einen Ausländer gehal­ten. Unterschwellige Vorurteile beglei­ten den Alltag in Schule und Stadt, Vorurteile die auch Annette teilt, die in der Schule als Putzfrau arbei­tet und von den Schülern gehän­selt wird. Bald wird Annette Patientin bei Elisa, anfangs ent­wi­ckelt sich eine gewis­se Nähe zwi­schen den bei­den unglei­chen Frauen, die eine in Paris auf­ge­wach­sen und welt­of­fen, die ande­re vom klein­geis­ti­gen Wesen der Kleinstadt geprägt und noch im Haus der eige­nen Mutter lebend.

Es ist nie ein Rätsel in Ounie Lecomtes Ich wün­sche dir ein schö­nes Leben, wer die Mutter ist, alle Karten lie­gen auf dem Tisch. Doch eine tie­fe emo­tio­na­le Spannung trägt den Film – und die mul­ti­per­spek­ti­vi­sche Erzählweise macht ihn viel­schich­ti­ger, als eine blo­ße Inhaltsangabe zu ver­mit­teln ver­mag. (…) Der Film heißt im Original direkt über­setzt „Ich wün­sche dir, ver­rückt geliebt zu wer­den” – die ver­rück­te Liebe, die amour fou, das ist hier die zwi­schen Mutter und Kind – der Titel bezieht sich auf André Bretons L’Amour fou, das am Ende des Films, wie aus dem Nichts, von einem Voice Over rezi­tiert wird, ein Brief an die zukünf­ti­ge Tochter, voll über­wäl­ti­gen­der Liebe, die gewünscht wird für sich und für andere …”
(Harald Mühlbeyer – kino-zeit.de”

Je vous sou­hai­te d’êt­re fol­le­ment aimée
Frankreich 2015, frz. OmU,  100 Min.

Regie: Ounie Lecomte
Buch: Ounie Lecomte, Agnès de Sacy
Kamera: Caroline Champetier
Schnitt: Tina Baz
Darsteller: Céline Sallette, Anne Benoit, Elyes Aguis, Françoise Lebrun, Louis-Do de Lencquesaing, Pascal Elso, Micha Lescot, Catherine Mouchet

Deportation Class

Ein Film von Carsten Rau & Hauke Wendler. Ab 1.6. im fsk. Am 01.06. fin­det im Anschluss an die Vorführung ein Filmgespräch mit Hauke Wendler statt und am 7.6. haben wir den Flüchtlingsrat Berlin zu Gast.

Mitten in der Nacht klin­geln Beamtinnen und Beamten der Zuführkommandos die­je­ni­gen aus dem Bett, die auf­grund eines nega­ti­ven Asylbescheides kei­ner­lei Schutzstatus haben. Das Filmteam schaut dem Einsatz zu, es wirkt bei­na­he so, als wäre der Einsatz eine Übung die auf­ge­zeich­net wird, um spä­ter mit Hilfe des Bildmaterials über rich­ti­ge und fal­sche Vorgehensweisen zu dis­ku­tie­ren. Aber das alles ist kei­ne Übung, durch­ge­führt wird hier eine lang geplan­te Sammelabschiebung. Trotzdem ver­läuft vie­les unge­plant: die jüngs­te Tochter einer Familie ist nicht zu Hause, son­dern auf Klassenfahrt, wes­halb die Familie kur­zer­hand getrennt wird.

Mit dabei beim Großeinsatz ist der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier. Er will sich durch­set­zungs­stark zei­gen, poten­ti­el­len Wählern wohl damit sagen, dass auch das geschafft wird.

Was den Film so trau­rig und erschüt­ternd macht, sind weni­ger die Geschichten der Menschen, es ist der behörd­li­che Umgang mit ihnen und das kla­re Bewusstsein, dass sich hier etwas ändern muss. Dringend. Und dazu gehört, dass mög­lichst vie­le Menschen über die Abschiebepraktiken infor­miert wer­den.” (Gaby Sikorski, Programmkino.de)

D 2016, 85 Min.
deutsch-alba­ni­sche OmU

Regie: Carsten Rau, Hauke Wendler

Kamera: Boris Mahlau
Schnitt: Sigrid Sveistrup

6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage Die Morde des NSU

Ein Film von Sobo Swobodnik. Am 20.,  21. + 28. Mai im fsk. Am 21.5. mit anschlie­ßen­dem Filmgespräch.

In 6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage, dem Zeitraum in dem der „Nationalsozialistische Untergrund“ zehn Morde gegen­über Migranten und einer deut­schen Polizistin ver­übt haben, nähert sich der Regisseur essay­is­tisch in lyri­schem Schwarz-weiß die­ser unver­gleich­li­chen rechts­extre­mis­ti­schen Mordserie aus­schließ­lich mit Bildern der zehn Tatorte in einer visu­el­len kar­dio­gra­phi­schen Vermessung. Die Orte als stum­me Zeugen der Anklage, der Reflexion und Erinnerung. Diese Bilder wer­den ergänzt von einer Textcollage, bestehend aus Zeitungsmeldungen, Ermittlungsprotokollen, Prozessaussagen, den Statements von Hinterbliebenen und Fachleuten – gele­sen von Schauspielern des Berliner Ensembles – die wie­der­um ein­ge­bet­tet wer­den in eine Musik-Ton-Komposition des Berliner Musikers Elias Gottstein („Guaia Guaia“). Die Orte tre­ten in den Dialog mit den Stimmen der Hinterbliebenen, der Ermittlungsbehörden, der Presse und fin­den ihren Widerhall in einem tona­len und musi­ka­li­schen Reflexionsraum.

Dieses Thema wird Deutschland noch lan­ge beschäf­ti­gen, die fil­mi­sche Auseinandersetzung hat erst begon­nen: „Der Kuaför aus der Keupstraße” beschäf­tig­te sich letz­tes Jahr mit ähn­li­chen Fragen, Fatih Akins nächs­ter Film „Aus dem Nichts” spielt eben­falls auf Terroranschläge an, nun also Swobodniks Film, der – ange­sichts sei­ner kur­zen Länge von kaum 75 Minuten – als idea­ler Einstiegspunkt etwa in Diskussionsveranstaltungen zum Thema NSU-Komplex die­nen könnte.”
Michael Meyns

Deutschland 2016, 73 Min.
Regie, Kamera & Buch: Sobo Swobodnik
Schnitt: Manuel Stettner.

Loving

Ein Film von Jeff Nichols.

Virginia vs Loving – so hieß das Gerichtsverfahren, das 1967 dazu führ­te, dass das Verbot soge­nann­ter „gemischt­ras­si­ger Ehen“ in 15 US-Bundesländern auf­ge­ho­ben wur­de (bzw. zumin­dest aus­ge­setzt, in Alabama wur­de der Passus offi­zi­ell erst 2000 gestrichen).

Viginia vs Loving – das ist auch die Liebesgeschichte von Mildred und Richard Loving, eine Geschichte zwei­er Menschen, die zusam­men­sein wol­len, Familie haben, ein Haus bau­en, aber es in Virginia nicht dür­fen. Sie sind nicht kämp­fe­risch, miss­trau­isch gegen­über der Öffentlichkeit und der Presse. Man meint sie schon mehr­mals (nicht nur in der Vergangenheit und in den USA) gese­hen zu haben, die Szenen, in denen Polizisten mit­ten in der Nacht in Wohnungen ein­drin­gen und die Bewohner her­aus­zer­ren und weg­sper­ren, wie auch hier. Sie müs­sen, um frei­zu­kom­men, den Staat ver­las­sen. Das bedeu­tet, ihre Familien und Freunde, ihr Land und alles, was ihnen etwas bedeu­tet, zurück­zu­las­sen. Nachdem der Fall bekannt und publik wur­de, über­re­det Mildred schließ­lich ihren Mann, gegen ihre inne­ren Widerstände die ange­bo­te­ne Hilfe von aus­sen, von Menschenrechts-Organisationen und ‑Anwälten, anzu­neh­men. Es ist ein lan­ger Weg, den Jeff Nichols hier ohne über­flüs­si­ge Dramatik ins Bild setzt.

Virginia vs Loving – die­se Geschichte, und es ist wirk­lich Geschichte, hat Dank bewun­ders­wer­tem Einsatz vie­ler einen guten Ausgang, aber Ignoranz, Rassismus und Klassenunterschiede (etc.) sind damit und sowie­so noch nicht erle­digt. Nehmen wir die­sen, soweit es mög­lich war unsen­ti­men­tal insze­nier­ten Film vor­läu­fig doch ein­fach als Trostpflaster.

Jeff Nichols Debut SHOTGUN STORIES begeis­ter­te uns 2007 bei der Berlinale (Forum), erstaunt nah­men wir 2011 den viel­fach aus­ge­zeich­ne­ten TAKE SHELTER als sug­ges­ti­ven Katastrophenfilm wahr. Sein drit­tes Werk MUD lief zwar in Cannes im Wettbewerb, jedoch nicht in deut­schen Kinos. Überraschend war dann die Teilnahme sei­nes Science-Fiction MIDNIGHT SPECIAL im Berlinale Wettbewerb, mit anschlie­ßen­der lieb­lo­sen Auswertung. Mit LOVING ist ihm zuletzt mit Hilfe zwei­er groß­ar­ti­ger Hauptdarsteller eine unspek­ta­ku­lä­re Verfilmung eines spek­ta­ku­lä­ren Falls gelungen.

USA 2016, 123 Min., engl. OmU

Regie & Buch: Jeff Nichols
Kamera: Adam Stone 
Schnitt: Julie Monroe

mit: Joel Edgerton, Ruth Negga, Michael Shannon, Marton Csokas

 

Zwischen den Stühlen

Zwischen den Stühlen

ein Film von Jakob Schmidt.

Um in Deutschland Lehrer zu wer­den, muss nach dem theo­rie­be­la­de­nen Studium ord­nungs­ge­mäß das Referendariat absol­viert wer­den. Eine Feuerprobe, wel­che die ange­hen­den Lehrer in eine wider­sprüch­li­che Position bringt: Sie leh­ren, wäh­rend sie selbst noch ler­nen. Sie ver­ge­ben Noten, wäh­rend sie ihrer­seits beno­tet wer­den. Zwischen Problemschülern, Elternabenden, Intrigen im Lehrerzimmer und Prüfungsängsten wer­den die Ideale der Anwärter auf eine har­te Probe gestellt.  „Jakob Schmidt hat sei­ne drei Referendare ganz genau unter die Lupe genom­men. Er zeigt nicht nur die täg­li­che Routine im Schuldienst, son­dern auch Pleiten, Pech und Pannen, die schö­nen und die weni­ger schö­nen Aspekte, wie öde Elterngespräche, ner­vi­ge Schüler oder ver­ständ­nis­lo­se Mentoren. Aber da gibt es eben auch die tol­len Momente, die super gelun­ge­nen Stunden mit wohl­erzo­ge­nen Schülern, die ihren Lehrern an den Lippen hän­gen, mit gol­di­gen Kollegen und lie­be­vol­len, hilfs­be­rei­ten Familien … Mit wohl­wol­len­der Behutsamkeit, viel Mitgefühl und Humor prä­sen­tiert Jakob Schmidt sei­ne Protagonisten. Die omni­prä­sen­te, sehr beweg­li­che Kamera bleibt stets bei ihnen, so dass ihre Probleme indi­vi­dua­li­siert wer­den. Dennoch wer­den Gemeinsamkeiten deut­lich, ohne dass sie aus­ge­spro­chen wer­den müs­sen; ledig­lich neben­bei geht es all­ge­mein um die Schule und das Schulsystem. “ programmkino.de

D 2016, 102 Min. 
Regie und Buch: Jakob Schmidt 
Kamera: David Schittek, Evgeny Revvo, Jakob Schmidt 
Schnitt: Julia Wiedwald