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Über Leben in Demmin

Ein Film von Martin Farkas.

Die letz­ten Kriegstage in Demmin müs­sen ein apo­ka­lyp­ti­scher Alptraum gewe­sen sein. Hunderte von Demminern und Demminerinnen nah­men sich zwi­schen dem 30. April und dem 4. Mai 1945, teil­wei­se noch bevor die rus­si­sche Armee die Stadt erobert hat­te, das Leben, oft ermor­de­ten sie auch ihre Kinder. Über 600 Menschen wur­den nach dem Abzug der rus­si­schen Armee in Massengräbern bei­gesetzt. Zahlreiche Frauen waren ver­ge­wal­tigt wor­den, die Stadt zum größ­ten Teil nie­der­ge­brannt und geplün­dert. Neonazi-Gruppen ver­an­stal­ten jedes Jahr einen „Gedenkmarsch“ in Demmin, der von Gegendemonstranten und meh­re­ren Hundertschaften der Polizei beglei­tet wird. Der Filmemacher Martin Farkas hat mit Zeitzeugen aus Demmin und mit jun­gen Demminern gespro­chen. Die alten Leute begin­nen nur zöger­lich über das Erlebte zu reden, dabei haben sie alle Entsetzliches erlebt. Eltern zerr­ten ihre Kinder auf Dachböden und ver­gif­te­ten sie, oder ban­den sie sich um den Leib und ertränk­ten sich mit ihnen in der Peene. Einige der inter­view­ten Überlebenden sind um Haaresbreite ent­kom­men, weil älte­re Geschwister mit ihnen recht­zei­tig flo­hen. Zu DDR-Zeiten konn­te das Thema nicht ange­spro­chen wer­den, heu­te nut­zen es die Faschisten zur Propaganda. Die alten Demminer schüt­teln ver­zwei­felt den Kopf: „Jetzt fan­gen die schon wie­der an.“ In der von sozia­lis­ti­schen Stadtplanern und Nachwende-Investoren see­len­los wie­der auf­ge­bau­ten Stadt spricht Martin Farkas auch mit einem jun­gen Neonazi-Paar, das sich dar­über auf­regt, als Nazis „abge­stem­pelt“ zu wer­den, mit all­täg­li­chen Rechtsradikalen wie einem Bäcker, der sich sehr vor­sieht, was er vor der Kamera sagt, und mit einem Möbelrestaurateur, der gern für sich bleibt, die Nazis ver­ab­scheut, und eine per­sön­li­che Überlebensstrategie in die­ser Gesellschaft ent­wi­ckelt hat. ÜBER LEBEN IN DEMMIN ist ein Film über das Schweigen, das neue Dämonen züch­tet, über alte und neue Alpträume.
Tom Dorow | Indiekino

 

Credits:
Deutschland 2017, 90 min
Regie: Martin Farkas
Drehbuch: Jens Stubenrauch, Petra Felber, Barbara Denz, Martin Farkas
Kamera: Roman Schauerte
Schnitt: Jörg Hauschild, Catrin Vogt
Musik: Mathis Nitschke

Termine:

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Thelma

Ein Film von Joachim Trier.

Thelma ver­lässt ihre streng reli­giö­se Familie und das Zuhause in der länd­li­chen Idylle der nor­we­gi­schen Wäldern, um in Oslo ein Studium zu begin­nen. Das Leben auf dem Campus bie­tet bis­lang nicht gekann­te Freiheiten und lockt die zurück­hal­ten­de jun­ge Frau mit neu­en, auf­re­gen­den Versuchungen. Zu ihrer Kommilitonin Anja ent­wi­ckelt sie eine ihr unbe­kann­te Vertrautheit und ver­liebt sich über bei­de Ohren in sie. Gleichzeitig lei­det Thelma plötz­lich unter uner­klär­li­chen, epi­lep­sie­ar­ti­gen Anfällen. Diese schei­nen an Häufigkeit und Intensität zuzu­neh­men, je mehr sie ihre neu­ge­won­ne­ne Freiheit aus­kos­tet. Das, und rat­lo­se Ärzte, lässt sie an über­na­tür­li­che Kräfte als Auslöser der unheim­li­chen und letzt­lich gefähr­li­chen Anfälle glau­ben. Die besorgt- kon­trol­lie­ren­den Anrufe und Besuche der Eltern las­sen zudem erah­nen, dass die mehr wis­sen als sie selbst.

Joachim Trier (Auf Anfang | Oslo, 31. August | Louder than Bombs) hat einen ganz auf die Hauptfigur zuge­schnit­te­nen Mystery-Thriller geschaf­fen, der mit viel Empathie und wenig Spezialeffekten psy­chi­schen Druck und nahen­den see­li­schen Zusammenbruch mit Fantasy-Horror-Elementen zusam­men­bringt, in sei­ner eige­nen, für die­ses Genre unge­wöhn­lich lei­sen Art, ver­stö­rend, aber nie­mals aus­beu­te­risch, und dabei stets spannend.

»Dieser Thriller der beson­de­ren Art strotzt vor insze­na­to­ri­scher Finesse und ist zugleich eine tief­grün­di­ge Allegorie auf das Erwachsenwerden und jenen mal mehr, mal weni­ger lau­ten Knall, der bei vie­len dazu­ge­hört. In Thelmas Fall ist es ein lei­ser Urknall.« epd-Film

»Thelma tran­szen­diert nicht nur das Horror-Genre, son­dern erzählt auch eine der inten­sivs­ten Liebesgeschichten ver­gan­ge­ner Kinojahre. … , um als pure kine­ma­to­gra­fi­sche Kraft sein Publikum zu affi­zie­ren, wie es schon lan­ge kein Film mehr geschafft hat. Der grau­sa­me düs­te­re Kinowinter hat sein ers­tes Leinwandwunder!« Sascha Keilholz | critic.de


 
Credits:

Frankreich/Dänemark/Schweden/Norwegen 2017, 116 Min., nor­weg. OmU
Regie: Joachim Trier
Buch: Joachim Trier, Eskil Vogt
Kamera: Jakob Ihre
Schnitt: Oliver Bugge Coutté
Musik: Ola Fløttum
mit: Eili Harboe, Okay Kaya, Kaya Wilkins, Ellen Dorrit Petersen, Henrik Rafaelsen
 
Termine:

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Loveless

Ein Film von Andrei Zvyagintsev. 

Zhenya und Boris, ein Paar aus der geho­be­nen rus­si­schen Mittelschicht, ste­hen vor den Trümmern ihrer Ehe. Längst ist die frü­he­re Zuneigung bit­te­ren Anschuldigungen gewi­chen, die gemein­sa­me Wohnung steht zum Verkauf, bei­de sind bereits in neu­en Beziehungen. Im Zentrum des Debakels und gleich­zei­tig völ­lig abseits steht ihr 12jähriger Sohn Alyosha. Keiner der Eltern will ihn in ein neu­es Leben mit­neh­men, ein Internat steht zur Debatte. Als die Vorwürfe zwi­schen Zhenya und Boris erneut eska­lie­ren, ver­schwin­det Alyosha plötz­lich, was die Polizei taten­los hin­nimmt. Im Rahmen einer groß ange­leg­ten Suchaktion von Freiwilligen müs­sen sich die Ex-Partner wider Willen zusam­men­tun, um das letz­te, was sie noch ver­bin­det, aufzuspüren….
Als Geschichte erkal­te­ter Beziehungen und Kommentar auf die moder­ne (nicht nur die rus­si­sche) Gegenwart insze­nier­te Regisseur Andrey Zvyagintsev mit LOVELESS den Nachfolger sei­nes bild­ge­wal­ti­gen Dramas „Leviathan“ . Mit sorg­fäl­ti­gem Realismus ent­wirft er auch dies­mal ein Tableau zwi­schen­mensch­li­cher Gleichgültigkeit wie ein Dokument emo­tio­na­len Rückzugs, dem vor allem Unbeteiligte, hier das unge­lieb­te Kind, zum Opfer fal­len. Dabei wer­den wäh­rend die Tage der Suche die Motive und Hintergründe der Eltern kla­rer. Zhenya und Boris sind kei­ne Monster, son­dern ganz gewöhn­li­che, feh­ler­haf­te Menschen in einer auf Egoismus und Macht aus­ge­rich­te­ten Gesellschaft.

»Neljubow ist ein Film von Andrej Swjaginzew über ein ver­schwun­de­nes Kind. Swjaginzew trifft damit einen wun­den Punkt an der Schnittstelle zwi­schen Politik, Propaganda und kol­lek­ti­vem Trauma. … Er ent­larvt nicht, son­dern stellt fest, er beschul­digt nicht, son­dern stellt eine Diagnose.« Sergej Medwedew | decoder.org

Loveless wur­de u.a. im Wettbewerb von Cannes mit dem Preis der Jury aus­ge­zeich­net und ist als bes­ter nicht-eng­lisch­spra­chi­ger Film bei den Oscars nominiert.


 
Credits:
Originaltitel: Nelyubov  Frankreich/Russland 2017, 127 Min.,
Regie: Andrei Zvyagintsev

Buch: Oieg Negin
Kamera: Mikhail Krichman
Schnitt: Anna Mass
mit: Maryana Spivak, 
Matvey Novikov,
Aleksey Rozin
 
Termine:
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Wind River

Ein Film von Taylor Sheridan.

Panisch läuft eine jun­ge Frau bar­fuß durch die eisi­ge, nächt­li­che Schneelandschaft. In der Ödnis von Wyoming, dem länd­lich gepräg­ten Westen der USA, rennt sie um ihr Leben. Die bit­ter­kal­te Luft in ihren Lungen lässt die Äderchen plat­zen. Sie erstickt im Wind-River-Reservat der Native Americans an ihrem eige­nen Blut. Tage spä­ter fin­det Wildhüter Cory Lambert (Jeremy Renner) die Leiche der ver­ge­wal­tig­ten, geschän­de­ten 18jährigen Natalie Hanson (Kelsey Asbille). Der Fährtenleser ver­lor selbst vor eini­ger Zeit sei­ne 16-jäh­ri­ge Tochter. Sie gilt als ver­misst. Ihre Leiche wur­de nie gefun­den. Das schreck­li­che Trauma ver­folgt ihn.

Seine Ehe zer­brach an die­sem Schicksalsschlag. Seitdem lebt er getrennt von sei­ner Frau Wilma (Julia Jones), Angehörige eines der Stämme, die hier hoff­nungs­los leben müs­sen. Die trost­lo­se Gegend bie­tet nie­man­dem eine Zukunft. Dass eine uner­fah­re­ne FBI-Agentin (Elisabeth Olsen) aus Florida zur Untersuchung des Falls geschickt wird, zeigt Cory wel­chen Stellenwert die Regierung den Ermittlungen bei­misst. Doch Jane Benner, die frisch von Ausbildung kommt, bemerkt bald, dass sie ohne sei­ne Hilfe auf die­sem für sie frem­den Terrain nichts aus­rich­ten kann. Und für den ein­sa­men, umsich­ti­gen Jäger Lambert bie­tet sich so die Gelegenheit dem Verschwinden sei­ner Tochter auf die Spur zu kom­men. Ein düs­te­rer Racheprozess bis hin zum ner­ven­zer­rei­ßen­den Showdown beginnt.

Das unglei­che Ermittlerduo Jeremy Renner und die 25jährige Elizabeth Olsen stand bereits in den action­rei­chen „Avengers“-Filmen von Marvel gemein­sam vor der Kamera. In Taylor Sheridans ful­mi­nan­tem Regiedebüt ver­lei­hen die bei­den ihren Szenen, ohne Superheldenstatus, ernst­haf­tes Gewicht und dra­ma­tur­gi­sche Tiefe. An ihrer Seite agie­ren bemer­kens­wer­te Nebendarsteller, wie etwa Gil Birmingham als trau­ern­der Vater der Ermordeten. Als Angehöriger der Komantschen gehört er zur Riege ame­ri­ka­ni­scher Ureinwohner, die zur Glaubwürdigkeit des Films bei­tra­gen. Marlon Brando schick­te einst zu sei­ner Oscarverleihung die india­ni­sche Aktivistin „Sacheen Littlefeather“. Sie ver­lang­te in sei­nem Namen „mehr Respekt gegen­über den ame­ri­ka­ni­schen Ureinwohnern durch die Filmindustrie“. Und den beweist Sheridans kom­pro­miss­lo­ses Independent-Kino mit sei­nem auf­wüh­len­den Rachethriller aus dem größ­ten Reservat der USA ausnahmslos.

Nach lan­ger Zeit kratzt damit wie­der ein sehens­wer­ter Film am heroi­sie­ren­den Mythos der US-Pionierzeit und zeigt die Wunden der kolo­nia­len Freiheit. Wenn im Abspann dar­auf hin­ge­wie­sen wird, dass kei­ne Statistik über die ver­miss­ten Frauen aus den Reservaten exis­tiert, brand­markt er Rassismus und Sexismus glei­cher­ma­ßen. Die Ursachen des Elends in den Reservaten, ange­fan­gen von Alkoholismus, Drogen und Arbeitslosigkeit, lässt er anklin­gen. Landraub, Zwangsumsiedlung, Ausbeutung und gna­den­lo­se Unterdrückung der Kultur zei­gen ihre Fratze. Und die jüngs­te Geschichte passt ins Bild. Vergebens kämpf­ten Sioux mona­te­lang mit ande­ren Stämmen und Umweltschützern gegen eine Pipeline, die von North Dakota durch meh­re­re Bundesstaaten bis nach Illinois ver­lau­fen soll. Sie wehr­ten sich dage­gen, weil sie durch hei­li­ge Stätten auf dem Land ihrer Vorfahren führt. Zudem befürch­te­ten sie eine Verseuchung ihres Trinkwassers durch Lecks in der Leitung. Und tat­säch­lich sind unter­ir­disch bereits 800.000 Liter Öl ausgelaufen.

Luitgard Koch | programmkino.de
 


 
Credits:
USA 2017, 107 Min., engl. OmU

Regie: Taylor Sheridan
Drehbuch: Taylor Sheridan
Kamera: Ben Richardson
Schnitt: Gary Roach
Musik: Warren Ellis
mit: Jeremy Renner, Elizabeth Olsen, Gil Birmingham, Jon Bernthal
 
Termine:
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Der seidene Faden

Ein Film von Paul Thomas Anderson.

Der Modedesigner Reynolds Woodcock (Daniel Day-Lewis) ist ein Gesamtkunstwerk. Mit dem glei­chen Perfektionismus, mit dem er sei­ne Kreationen ent­wirft, macht Reynolds auch sei­ne Morgentoilette und nimmt sein Frühstück ein. Reynolds Woodcock beim Frühstück zuzu­se­hen bedeu­tet Zeugin einer in jah­re­lan­ger Arbeit fein jus­tier­ten Routine zu wer­den, die voll­kom­men auf die Bedürfnisse des sen­si­blen Genies aus­ge­rich­tet ist. Jeder Misston, jede Belanglosigkeit könn­te den krea­ti­ven Fluss unterbrechen.

DER SEIDENE FADEN spielt im England der 50er Jahre, die bei Paul Thomas Anderson vor allem eine ästhe­ti­sche Idee sind. In opu­len­ten Bildern ent­fal­tet der Regisseur von PUNCH-DRUNK LOVE und THE MASTER das Königreich der Haute Couture, dem Reynolds vor­steht. Alles hier ist exqui­sit: die Farben, die Texturen, die Stoffe, die Tapeten, die Flügeltüren, der Lapsang Souchong, der zum Frühstück gereicht wird. Die Schneiderinnen, die jeden Morgen über den Dienstboteneingang das feu­da­le House-of-Woodcock betre­ten, sind die treu­en Vasallinnen, und das Oberkommando hat Reynolds Schwester Cyril (Leslie Manville) inne. Die gera­de aktu­el­le Geliebte des Meisters spielt in die­sem Szenario eine unter­ge­ord­ne­te Rolle und wird aus­ge­tauscht, sobald sie zu stö­ren beginnt. Das ändert sich, als Reynolds Alma (Vicky Krieps) begeg­net, einer jun­gen Immigrantin aus Osteuropa. Sie wird sein Model und sei­ne Geliebte, und anders als ihre Vorgängerinnen, schafft sie es, sich einen unver­zicht­ba­ren Platz in den Obsessionen des Meisters zu erarbeiten.

Anderson erzählt in DER SEIDENE FADEN eine kom­ple­xe, feti­schis­ti­sche Liebesgeschichte, in die gehei­me Obsessionen wie ver­steck­te Botschaften in den Saum eines Kleides ein­ge­ar­bei­tet sind. Von Anfang an leben Alma und Reynolds eine Dreiecksbeziehung – mit Reynolds Kreationen als drit­ter Person. Anstelle einer ers­ten Sexszene steht eine Anprobe, ein ritua­li­sier­tes Vermessen, von dem bei­de wis­sen, was es bedeu­tet. Bekleiden und Bekleidet wer­den sind ero­ti­sche Handlungen. „Ich kann stun­den­lang ste­hen“ und „In sei­nen Kleidern bin ich schön“ sagt Alma, und Reynolds ver­folgt ihren Gang auf dem Catwalk mit dem Blick eines Liebenden. Die Idylle bekommt jedoch Risse, als sich her­aus­stellt, dass Alma ein eige­nes Wesen ist und die eiser­nen Regeln des House-of-Woodcock durch­ein­an­der bringt. Statt die hei­li­ge Ruhe des Frühstücksrituals zu respek­tie­ren, rum­pelt sie gut­ge­launt her­um, und gießt den Tee von zu weit oben ein, was ein stö­ren­des Geräusch ver­ur­sacht. Als Reynolds belei­digt abrauscht, sagt sie zu Cyril die blas­phe­mi­schen Worte „Ich fin­de, er ist zu empfindlich!“

DER SEIDENE FADEN ist eine viel­fäl­tig schil­lern­de Angelegenheit. Eine hym­nisch-hedo­nis­ti­sche Feier von Farbe, Form und Stil. Ein iro­nisch-amü­sier­tes Porträt selbst­ver­lieb­ter Männlichkeit. Konstruktion und Dekonstruktion eines Genies. Vor allem aber ist DER SEIDENE FADEN eine gothic romance, eine über­bor­den­de Luxus-Liebesgeschichte mit mor­bi­den Aspekten und vol­ler psy­cho­lo­gi­scher Abgründe. Bei Anderson sind es gera­de die­se Abgründe, die das unglei­che Paar eine Art von Gleichgewicht fin­den las­sen. Der Fantasie von durch­the­ra­pier­ten Musterpartnern, das immer respekt­voll in Ich-Botschaften kom­mu­ni­zie­ren, setzt er ein Liebespaar ent­ge­gen, das nach sei­nen eige­nen, mög­li­cher­wei­se per­vers erschei­nen­den Regeln funk­tio­niert, zusam­men­ge­hal­ten von einem für alle ande­ren unsicht­ba­ren Faden, dem PHANTOM THREAD.
Hendrike Bake | indiekino
 


 
Credits:
Phantom Thread
USA 2017, 130 Min., engl. OmU
Regie, Buch & Kamera: Paul Thomas Anderson
Schnitt: Dylan Tichenor
mit: Daniel Day-Lewis, Camilla Rutherford, Lesley Manville, Vicky Krieps
 
Termine:
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Er Sie Ich

Ein Film von Carlotta Kittel. 

Auf ein hals­bre­che­ri­sches Experiment mit unge­wis­sem Ausgang lässt sich Carlotta Kittel mit ihrem Film ein. Auf der Suche nach Wahrheiten bit­tet sie mal ihre Mutter Angela, mal ihren Vater Christian vor die Kamera und befragt sie in Einzelinterviews zu sehr sen­si­blen und per­sön­li­chen Themen. Ausgangspunkt ist das Jahr 1986, als Angela mit Carlotta schwan­ger ist und sich für das Kind ent­schei­det. Schnell wird klar, dass die drei nie­mals als eine Familie unter einem Dach leben wer­den. Die Eltern haben seit­dem nicht dar­über gespro­chen, was damals eigent­lich pas­siert ist. Die Ergebnisse der Einzelinterviews spielt sie dem jeweils ande­ren Elternteil vor und filmt die Reaktionen. Entstanden ist ein span­nen­der Film über gefühl­te Wahrheiten und wah­re Gefühle, in dem die Eltern offen und scho­nungs­los über ent­täusch­te Erwartungen, über ihre Vorstellungen von Beziehung, Glück, Familie und Liebe reden. Ein Film über zwei Menschen, zwei Wahrnehmungen und zwei Erinnerungswelten.

Credits:

D 2017, 88 Min.
Regie: Carlotta Kittel
Kamera: Andac Karabeyoglu
Schnitt: Andrea Herda Muñoz, Carlotta Kittel

Termine:

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Trailer ER SIE ICH from Carlotta Kittel on Vimeo.

The Florida Project

Ein Film von Sean Baker. 

Autos von Neuankömmlingen bespu­cken, Touristen um Kleingeld anbet­teln, damit man sich Eis kau­fen kann, ein biss­chen her­um­zün­deln in den lee­ren Gebäuden des Nachbargrundstücks: Das sind die Abenteuer, mit denen die sechs­jäh­ri­ge Moonie ihre Ferien füllt. Ihr Zuhause ist ein bil­li­ges Motel vor den Toren von Disneyworld; ihre jun­ge Mutter hat kei­nen fes­ten Job. Was das für sie heißt, das tes­tet Moonie mit so uner­schöpf­li­cher wie nerv­tö­ten­der Energie aus, indem sie ihre gleich­alt­ri­gen Freunde zu aller­lei Missetaten anstif­tet – und Baker (STARLET und TANGERINE L.A.) steht als sozia­ler Realist ganz und gar auf der Seite sei­ner Helden.

Die auf­re­gends­ten Einblicke in die US-Gesellschaft jen­seits ihrer urba­nen Mittelschichtsfamilien bot „The Florida Project” von Sean Baker aus der Quinzaine-Reihe.
Nach sei­nem Durchbruchsfilm „Tangerine”, in dem zwei Transgender-Prostituierte chao­ti­sche Weihnachtstage in Los Angeles durch­le­ben, beweist Baker hier erneut sein Gespür für Laiendarsteller. In sei­nem knall­bun­ten „Florida Project” folgt er zwei klei­nen Mädchen, die an der Peripherie des ame­ri­ka­ni­schen Traums leben – genau­er gesagt am Rande von Disney World, Orlando. Sowohl die Verheißungen des Themenparks als auch der USA sind für die Mädchen denk­bar weit ent­fernt: Sie wach­sen im Motel bei ihrer afro-kari­bi­schen Oma respek­ti­ve ihrer sich pro­sti­tu­ie­ren­den wei­ßen Mutter auf.
„Pop veri­té” nennt Baker sei­ne Art des hyper­sti­li­sier­ten Realismus. Er sticht nicht nur wegen sei­ner kon­trast­rei­chen Farben neben dem mono­chro­men Wettbewerb her­vor. „The Florida Project” hat eines der am lau­tes­ten pochen­den Herzen des Festivals gehabt. Seinen Puls wird man noch füh­len, wenn der Großteil der „Offiziellen Auswahl” längst ver­ges­sen ist.” Hannah Pilarczyk in ihrer Cannes-Besprechung auf spiegel-online
 


 
Credits:
OT: The Florida Projekt
USA, 2017, 115min, engl. OmU
Drehbuch: Sean Baker, Chris Bergoch
Kamera: Alexis Zabe
Schnitt: Sean Baker

mit: Willem Dafoe
Brooklynn Prince
Valeria Cotto
Bria Vinaite
Christopher Rivera

 
Termine:

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Your Name

Ein Film von Makoto Shinkai.

Der erfolg­reichs­te Anime aller Zeiten soll­te in Deutschland eigent­lich nur einen Kino-Kurzeinsatz bekom­men. Nun kommt die hin­rei­ßen­de Teen-Körpertausch-Romanze doch noch rich­tig in die Kinos. Mitsuha ist ein Mädchen vom Lande, die lie­ber in Tokyo leben wür­de, als in ihrem lang­wei­li­gen Dorf, in dem es nicht ein­mal ein Café gibt. Taki ist ein Schüler aus Tokyo, der eines Morgens in Mitsuhas Körper erwacht, wäh­rend Mitsuha zu Taki wird. Beide brin­gen das Leben des ande­ren gründ­lich durch­ein­an­der, aber am nächs­ten Morgen ist alles wie­der nor­mal. Während sie immer wie­der die Körper tau­schen, schrei­ben sie ein­an­der Nachrichten auf Hände, in Notizbücher und über ihre Telefone. Aber eines Tages endet ihre Verbindung plötz­lich, ohne dass die bei­den sich begeg­net sind. Taki macht sich auf die Suche nach Mitsuha, und fin­det her­aus, dass das Mädchen vor drei Jahren bei einer furcht­ba­ren Katastrophe ums Leben kam. Taki muss noch ein­mal in Mitsuhas Körper wech­seln und in der Zeit rei­sen, um Mitsuha und ihr Dorf zu retten.
Matoko Shinkai erzählt die fan­tas­ti­sche Geschichte über Teenager-Krisen und ers­te Liebe in wun­der­voll glit­zern­den Bildern, mit einer ver­we­ge­nen Erzählstruktur, in die tra­di­tio­nel­le Motive der japa­ni­schen Kultur und Philosophie ein­ge­ar­bei­tet sind. Mitsuhas Großmutter hütet einen alten Schrein des Zeitgottes. Die Familie webt magi­sche Stricke und Mitsuha pro­du­ziert bei einem Ritual kuchi­ka­mi­za­ke als Opfergabe, einen Sake, bei dem die Fermentierung dadurch aus­ge­löst wird, dass jun­ge Mädchen den Reis vor­kau­en und wie­der aus­spu­cken. Beides wird eine Rolle in Takis Zeitreise spie­len. YOUR NAME strahlt und fun­kelt, ist unglaub­lich komisch und herz­zer­rei­ßend rüh­rend. Matoko Shinkai hat den Stab des auf­re­gends­ten Anime-Regisseurs der Gegenwart von Hayao Miyazaki auf­ge­nom­men. Tom Dorow | Indiekino

»Die kom­ple­xe, in eben­so atem­be­rau­ben­den wie bei­läu­fig wir­ken­den Bildern ani­mier­te Geschichte chan­giert gekonnt zwi­schen den Genres und prä­sen­tiert eine eben­so melo­dra­ma­ti­sche wie geer­de­te Geschichte vol­ler Zwischentöne. … „Your Name“ ist ein epi­sches, muti­ges Kleinod, wie es sel­ten im Kino zu sehen ist.« Jörg Gerle | Filmdienst

Credits:
OT: Kimi no na wa 君の名は。
Japan 2016, 106 Min., japan. OmU
Regie & Drehbuch: Makoto Shinkai
Musik: Radwimps

Termine:

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Killer of sheep

Ein Film von Charles Burnett.

Schauplatz des Films ist ein afro­ame­ri­ka­ni­sches Ghetto in Watts, einem Stadtteil von Los Angeles, in der Mitte der sieb­zi­ger Jahre. Im Mittelpunkt der Handlung steht Stan, ein sen­si­bler Träumer, der unter der Belastung, in einem Schlachthaus arbei­ten zu müs­sen, zuse­hends abstumpft. Von Geldsorgen geplagt, fin­det er nur ab und zu etwas Erholung in Augenblicken von schlich­ter Schönheit: wenn er eine Kaffeetasse gegen sei­ne Wange hält und die Wärme spürt; wenn er mit sei­ner Frau zu Radiomusik tanzt oder sei­ne Tochter im Arm hält. Der Film bie­tet kei­ne Lösungen, son­dern zeigt das Leben, wie es ist – zuwei­len schreck­lich düs­ter, dann wie­der erfüllt von über­ir­di­scher Freude und fei­nem Humor. … KILLER OF SHEEP wur­de im Laufe eines Jahres an den Wochenenden gedreht. Das Budget betrug weni­ger als zehn­tau­send Dollar, die zum größ­ten Teil über ein Stipendium der University of California in Los Angeles (UCLA) finan­ziert wur­den. Der Film wur­de an den Originalschauplätzen über­wie­gend mit Amateurdarstellern und mit Handkamera gedreht, der Ton wur­de nachsynchronisiert.
1981 erhielt KILLER OF SHEEP den Kritikerpreis bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin, wo der Film im Rahmen des Internationalen Forums des Jungen Films lief. 1990 erklär­te ihn die Library of Congress zum natio­na­len Kulturgut und nahm ihn auf­grund sei­ner his­to­ri­schen Bedeutung als einen der ers­ten fünf­zig Filme in das National Film Registry auf. Im Jahr 2002 erklär­te ihn die National Society of Film Critics zu einem von ‘100 Essential Films‘.” (aus dem Katalog des Internationalen Forums des Jungen Films, Berlin 1981)

… Die Eröffnungsszene illus­triert das Hauptthema des Films: Einem klei­nen Jungen wird erklärt, dass zum Überleben kein mora­li­sches Urteil nötig sei, und dass die Kriterien ‘rich­tig‘ oder ‘falsch‘ nur im engs­ten Familienkreis Gültigkeit haben. Bei einem sen­si­blen Kind kann eine sol­che Erklärung nur Verwirrung aus­lö­sen. Man muss erwach­sen sein, um bestimm­te grund­le­gen­de Gefühle aufzugeben.
Die Menschen in mei­nem Film gehö­ren nicht zur Bourgeoisie; für sie beschränkt sich das Leben auf die phy­si­sche Ebene. Ihre Bedürfnisse sind ein­fach und direkt; auf­grund his­to­ri­scher Gründe fehlt es ihnen an Mitteln, vor allem aber an Zeit und Muße, um sich mit etwas ande­rem als dem Lebenskampf zu beschäf­ti­gen. Ihre Vorstellung von Bewegung heißt seit­wärts, nicht nach oben.
Trotz der vie­len Bilder vom Töten erhält der Film dadurch eine opti­mis­ti­sche Note, dass er eine tie­fe Verehrung für das Leben zum Ausdruck bringt. Überall sind Kinder zu sehen, die alles mitbekommen.
Die letz­ten bei­den Szenen beru­hen auf genau die­ser Kombination gegen­sätz­li­cher Bilder: Ein jun­ges, ver­krüp­pel­tes Mädchen, das schwan­ger ist, spricht dar­über, wie sehr sie sich auf das Baby freut. Das nächs­te Bild zeigt wie­der­um das Schlachten von Schafen und steht in star­kem Kontrast zur vor­an­ge­hen­den Szene; durch Ironie und Gegenüberstellung soll die­ses Gefühl der Verehrung des Lebens ver­stärkt wer­den. …” Charles Burnett, im Katalog des Internationalen Forums des Jungen Films, Berlin 1981

Forumsblatt

Credits:
USA 1977, 83 Min., engl. OmU, schwarzweiss
Buch, Kamera, Schnitt, Produktion: Charles Burnett
Darsteller: Henry Gayle Sanders, Kaycee Moore, Charles Bracy, Angela Burnett, Eugene Cherry, Jack Drummond

Termine:

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Playing God

Ein Film von Karin Jurschick.

Wie viel Geld ist das Leben eines Menschen wert? Welche Kriterien spie­len bei der Berechnung eine Rolle? Welche Interessen beein­flus­sen die Berechnung? Warum erhal­ten z.B. die Angehörigen des Feuerwehrmanns, der beim Einsatz am 11. September umkam, eine Million Euro weni­ger als die Angehörigen des töd­lich ver­un­glück­ten Börsenmaklers? Wer ent­schei­det über die Summe und wie wird die Entscheidung den Angehörigen erklärt? Die Regisseurin Karin Jurschick beglei­tet den Anwalt und Mediator Ken Feinberg, den „Master of Disaster“, bei sei­ner täg­li­chen Arbeit. Seine Aufgabe ist es, die Folgen kata­stro­pha­ler Ereignisse für den Einzelnen mit Geld zu lin­dern. Oder zwi­schen Unternehmen, die für eine Umweltkatastrophe haf­ten müs­sen, und den Geschädigten zu vermitteln.

Es ist eine die­ser Menschheitsfragen, an deren Beantwortung sich die Entwicklung unse­rer Kulturen und Gesellschaften mes­sen lässt: was ist das Leben eines Einzelnen – jedes Einzelnen – wert? … Kann ich als Sklave zur Arbeit gezwun­gen, als Unfreier straf­los getö­tet oder als Fußsoldat den Plänen der Herrschaft geop­fert wer­den? Oder habe ich ein eige­nes Gewicht, ein eige­nes Maß?
Erst im Zeitalter der Aufklärung, mit dem Humanismus und der Idee der Menschenrechte bekam die­se Frage auch für das bür­ger­li­che Individuum Gewicht. „Ich bin etwas wert“: die­ser Gedanke war revo­lu­tio­när. Die Antwort war zwar immer noch abhän­gig davon, ob der Einzelne eine Arbeiterin, ein Kaufmann oder der Fabrikdirektor war, aber er ließ sich nicht mehr ganz aus der Welt schaf­fen. In den gro­ßen Kriegen wur­de das Selbstopfer zwar immer noch gefor­dert, nun aber ideo­lo­gisch begrün­det, nicht ein­fach vor­aus­ge­setzt. Und selbst die gro­ßen Religionen muss­ten sich dem ver­än­der­ten Menschenbild anpas­sen – wenn auch meist nur in Bezug auf die eige­nen Glaubensbrüder …
Mit dem Kapitalismus haben wir uns in vie­len Gesellschaften end­gül­tig von der Idee des Selbstopfers ver­ab­schie­det – wir möch­ten ver­si­chert sein und Entschädigung für erlit­te­nes Unrecht erhal­ten, mög­lichst in cash. Das Individuum wird immer mehr auf­ge­wer­tet – und (sich) immer teu­rer. Auf der ande­ren Seite scheint es für jene, die Schaden ver­ur­sa­chen, ein­fach zu sein, ihn mit barer Münze ‚wie­der gut zu machen‘.” Karin Jurschick

 


 
Credits:
D 2017, 90 Min.

Regie: Karin Jurschick
Buch: Karin Jurschick und Birgit Schulz
Kamera: Timm Lange
Schnitt: Anika Simon
 
Termine:
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PLAYING GOD – Offizieller Trailer