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Wilma will mehr

Ein Film von Maren-Kea Freese. 

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Ende der 1990er Jahre. Wilma hat ihr Leben im Lausitzer Braunkohlerevier ver­bracht. Es war geprägt von Arbeit und Wandel zwei­er poli­ti­scher Systeme. Als ihr per­sön­li­ches und beruf­li­ches Leben zer­bricht, ver­lässt sie Ende der 1990er Jahre ihr Heimatdorf und zieht nach Wien. Dort beginnt sie neu, fin­det fri­sche Perspektiven und ent­deckt alte Utopien wie­der, die sie einst inspi­rier­ten. Mit ihren alten Überzeugungen und neu gewon­ne­ner Kraft setzt sie sich nicht nur für sich selbst, son­dern auch für eine bes­se­re Zukunft und die Umwelt ein. Ein Film über Verlust, Neuanfang und den uner­müd­li­chen Glauben an Veränderung.

Dass es Wilma nach Österreich ver­schlägt und nicht in die alten Bundesländer, erweist sich als geschick­ter Schachzug von Regisseurin und Drehbuchautorin Maren-Kea Freese. Im Westen wäre Wilma sofort auf ihre Herkunft redu­ziert wor­den. Womöglich hät­ten Vorurteile einen Neuanfang erschwert oder ver­ei­telt. Zumindest wäre „Wilma will mehr“ ein gänz­lich ande­rer Film gewor­den. Wien dage­gen, als eigen­stän­di­ge, aus­län­di­sche, aber deutsch­spra­chi­ge Metropole, ist ein ande­res Pflaster. Dort kennt man sich mit deutsch-deut­schen Befindlichkeiten und Streitigkeiten weni­ger aus. Zwar fin­den auch die Ösis, dass die Ossis mit­un­ter naiv sind. Doch wenn Wilma etwas leis­tet – und sie leis­tet viel –, wird das anerkannt.

Eigentlich schert man sich in Wien nicht um Herkunft. Doch wenn Wilma über ihr ver­gan­ge­nes Leben und die Mentalität ihrer Landsleute spricht, stößt sie doch auf Interesse. Bei einem feucht-fröh­li­chen Abend mit einem Dia-Vortrag von Wilma über die Lausitz und ihr ehe­ma­li­ges Kraftwerk wird sie von ihren neu­en Freunden gefei­ert. Man stößt ganz im inter­na­tio­na­lis­ti­schen Sinne auf Karl Marx an und into­niert gemein­sam das DDR-Agitationslied „Sag mir, wo du stehst“.

Dennoch hat sich der Film weder Ostalgie noch eine Analyse der Umbruchszeit auf die Fahnen geschrie­ben. Es geht in ers­ter Linie um eine Frau, die aus der Enge ihrer Heimat her­aus­fin­det und sich nach lan­ger Zeit wie­der ent­fal­ten kann. Als die Arbeits- und Lebensgrundlagen um sie her­um zusam­men­bre­chen, wagt Wilma den Ausbruch und stellt fest, dass sie auch in der Fremde gut zurecht­kommt. Das liegt an ihrer beruf­li­chen Vielseitigkeit, aber auch an ihrem Pragmatismus, mit dem sie sich auf neue Menschen und Mentalitäten ein­las­sen kann. Sie greift Gelegenheiten beim Schopfe – aus Notwendigkeit, aber auch, weil sie die Abenteurerin in sich ent­deckt. Fritzi Haberlandt trägt den Film mit Bravour und wirkt durch und durch glaub­haft. Selbst in Momenten der Verzweiflung rafft sich ihre Figur mit Brandenburger Dialekt wie­der auf. Von dem, was sie in ihrem bis­he­ri­gen Leben gelernt hat, kann sie in Wien jede Menge anwen­den.“
Kira Tazman | filmdienst

Credits:

DE 2025, 112 Min.,
Regie: Maren-Kea Freese
Kamera: Michael Kotschi
Schnitt: Andrea Muñoz
Darsteller*innen: Fritzi Haberlandt, Thomas Gerber, Stephan Grossmann, Xenia Snagowski, Katrin Schwingel, Isabel Schosnig

Trailer:
Kinotrailer „Wilma will mehr” – Kinostart 31. Juli 2025
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La Haine

Ein Film von Mathieu Kassovitz. Wiederaufführung.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Eine Geste aus die­sem Film wird man so schnell nicht ver­ges­sen. Es ist die wie eine Pistole mit aus­ge­streck­ten Fingern in Anschlag gebrach­te Hand von Vinz, die immer wie­der an die Möglichkeit des Ausbruchs explo­si­ver Gewalt erin­nert. Wie vie­le ande­re Aktionen in dem Film ist die­se Geste sowohl Imponiergehabe, Pose und Spiel als auch tat­säch­li­che Bedrohung. Immer ist die Gefahr gegen­wär­tig, daß das Spiel plötz­lich und unum­kehr­bar furcht­ba­re Zerstörungskräfte aus­löst. Es geht um 24 Stunden des Lebens von drei jun­gen Männern aus der ‚cite‘ ( einer Trabantenstadt an der Peripherie von Paris ). Einer von ihnen wird am Ende tot sein.” Weniger ein bru­ta­ler Film, als viel­mehr ein neu­er ‚film noir‘. – Wer ’71 Fragmente…‘ nicht moch­te (und das, so befürch­te ich, wird die Mehrheit sein), wird die­sen Film sehr mögen, die ande­ren wer­den ihn viel­leicht als ein wenig zu didak­tisch emp­fin­den. Aber wahr­schein­lich ist die­ser Vergleich auch ziem­lich blöd. (fsk Programmhefttext von 1995)

Die Wucht, mit der Kassovitz den Zuschauer in die Auseinandersetzungen der drei Freunde zieht, resul­tiert aus der fil­mi­schen Gestaltung, aber auch aus dem her­vor­ra­gen­den Spiel der drei Hauptdarsteller, die der Geschichte hohe Authentizität ver­lei­hen. Schwarzweiße Bilder, har­te Schnitte und die aus­schließ­li­che Verwendung von Originaltönen erzeu­gen einen bedrän­gen­den Alltagsrealismus, der nicht nur den „sozia­len Riß” durch die fran­zö­si­sche Gesellschaft spür­bar macht, son­dern auch ein Gefühl für die Ausweglosigkeit sei­ner Helden ver­mit­telt. Wie sehr es dem 27jährigen Kassovitz trotz sei­ner unge­teil­ten Sympathie für die Bewohner der Banlieue doch gelingt, die Balance zwi­schen Parteilichkeit und Stilisierung zu hal­ten, wird immer wie­der in ein­zel­nen Einstellungen deut­lich, in denen sich sei­ne Intentionen zur Metapher ver­dich­ten. Als Vinz den bei­den Gefährten zum ersten­mal die Pistole zeigt, schre­cken die­se zurück und wei­sen ihn ab, indem sie davon­lau­fen; dabei iso­liert die Kamera den kahl­köp­fi­gen Vinz, der selbst­ver­ges­sen über die Waffe streicht und plötz­lich hoch­schreckt, als er merkt, daß er allein ist. Das schöns­te Bild, das Kasssovitz für die über­le­bens­not­wen­di­ge Solidarität unter­ein­an­der fin­det, ist dezent an den Rand gesetzt: nach­dem Saïd und Hubert ver­haf­tet, gequält und ernied­rigt, dann aber wie­der frei­ge­las­sen wur­den und im mon­dä­nen Stadtzentrum auch Vinz wie­der­ge­fun­den haben, wan­delt Saïd im Vorbeigehen mit der Sprühdose einen Werbeslogan ab: Die Welt ist nicht mehr „dein”, son­dern „unser”: Miteinander, nicht getrennt kön­nen sie dem Morgen ent­ge­gen­se­hen. Doch da flim­mert über eine rie­si­ge Videowand die Nachricht vom Tod Abdels.” Josef Lederle | filmdienst

Credits:

FR 1995, 98 Min., franz. OmU
Regie und Buch: Mathieu Kassovitz
Kamera: Pierre Aïm
Schnitt: Mathieu Kassovitz, Scott Stevenson
mit: Vincent Cassel, Hubert Kounde, Said Taghmaoui

Trailer:
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Monk in Pieces

Monk in Pieces

Ein Film von Billy Shebar & David Roberts.

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Egozentrische Erkundung ihrer Psyche“ – bös­ar­ti­ge Kritiken beglei­te­ten ihre ers­ten Arbeiten. Die NYT sah gar „Eine Schande für das Ansehen des Tanzes“, um aller­dings schon bei ihrem Stück JUICE, das sie in der Rotunde des Guggenheim aus­füh­ren durf­te, zu urtei­len: „Miss Monk, die oft das Alltägliche in Bewegungen iso­liert hat, ent­puppt sich nun mit etwas Hilfe von Frank Lloyd Wright als Meisterin des Spektakulären. Ihre Nutzung der archi­tek­to­ni­schen Möglichkeiten des Guggenheim für eine 85-köp­fi­ge Performancegruppe war ein­fach bril­lant.“ Ihre Erforschung und Nutzung der Stimme als eige­nes Instrument, sowie die Arbeiten an der Schnittstelle von Musik und Bewegung, Bild und Objekt, Licht und Klang waren Neuland. Als Frau war sie in der von Männern domi­nier­ten New Yorker Avantgarde-Musikszene der 1960er- und 1970er-Jahre jedoch ein Solitär und muss­te um Anerkennung und Ressourcen kämp­fen.“
Regisseur Billy Shebar hat­te Glück. Seine Frau Katie spiel­te in vie­len Stücken von Monk mit. Er ent­deck­te sei­ne Liebe zu ihrer Musik und bekam Zugang zu einem wun­der­ba­ren Archiv aus Filmen, Fotos und Musik. „Man bekommt viel Lust, ihre Alben hin­ter­her in Ruhe anzu­hö­ren.“ TC Böhme | taz
„Die Gegenkultur der 60er Jahre, in der Monk ihre Stimme fand, wand­te sich gegen ras­sis­ti­sche und geschlechts­spe­zi­fi­sche Diskriminierung, Konsumdenken und den Vietnamkrieg. Ihr Werk ist zwar nicht offen­kun­dig poli­tisch, ver­kör­pert aber all die­se Werte und wirkt heu­te noch genau­so bewusst­seins­er­wei­ternd wie zu Beginn.“
Billy Shebar

Credits:

US/DE/FR 2025, 93 Min., engl. OmU
Regie: Billy Shebar, David Roberts
Kamera:  Jeff Hutchens, Ben Stechschulte
Schnitt: Sabine Krayenbühl 

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MONK IN PIECES – Offizieller Trailer
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La Práctica

Ein Film von Martín Rejtman.

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Der Argentinier Gustavo betreibt im melan­cho­lisch-humor­vol­len Spielfilm La Practica zusam­men mit sei­ner Frau Vanesa in Santago de Chile ein Yoga-Center. Die Ehe ist am Ende, bei der Scheidung wird der Besitz auf­ge­teilt. Gustavo bleibt allei­ne mit der Yoga-Schule zurück und kann und will sich nicht mit der Situation abfinden.

Lakonischer, unter­spann­ter und schö­ner lässt sich von einem aus den Fugen gera­te­nen Leben kaum erzäh­len. Gustavo ist nach der Trennung von sei­ner Frau Vanessa, die eben­falls Yoga unter­rich­tet, zu sei­nem ket­te­rau­chen­den Schwager gezo­gen, der beim Kochen nicht am Knoblauch spart, was für ech­te Yogamenschen eine Unmöglichkeit ist. Das gemein­sa­me Studio – die ers­te staub­tro­cke­ne Einstellung gilt dem Schild mit dem Schriftzug „Yoga“ – hat sie ihm über­las­sen. Doch eben hier, an dem ein­zig sta­bi­len Ort, der ver­meint­li­chen Oase inne­rer Ruhe und Ausgeglichenheit, ereig­nen sich beun­ru­hi­gen­de Dinge. Bei einer Erderschütterung stürzt mit­ten im Training ein Paravent auf den Kopf der deut­schen Schülerin Steffi. Sie kann sich fort­an an nichts mehr erin­nern – weder an ihre Passwörter oder den Besuch eines Yoga-Kurses, noch dar­an, dass ihr Gustavo kurz vor dem Zwischenfall nahe­ge­legt hat, ein ande­res Studio zu besu­chen – wegen „Fehlinterpretation von Gesten“. Zudem kom­men bei einem Diebstahl in der Garderobe Handys und ande­re Wertsachen abhan­den. Eine unacht­sa­me Bewegung, und Gustavo ver­staucht sich auch noch den Meniskus.

Kein Ausweg, nirgends

Ein Refugium in den Bergen wird zum Fixpunkt – und spä­ter auch von Vanessa, Steffi und ande­ren Personen auf­ge­sucht. Durch merk­wür­di­ge Bewegungen in Büschen und eine erneu­te Zerrung bringt der Aufenthalt für Gustavo jedoch nicht die gewünsch­te Erholung. Also sieht er sich gezwun­gen, vor­erst auf die Gymnastikübungen eines rus­si­schen Influencers und stump­fe Kraftübungen in einem gewöhn­li­chen Fitnessstudio umzu­sat­teln. Auch kommt er, vom Gestank von Zigaretten und Knoblauch geplagt und inzwi­schen schwer hum­pelnd, vor­über­ge­hend in einem Studentenzimmer ohne Warmwasser unter, bevor ein geplatz­tes Rohr die gesam­te Wohnung flutet.

Was nach einer Ansammlung von Katastrophen in wach­sen­den Eskalationsstufen klingt, voll­zieht sich unter der Regie von Martin Rejtman in aller Seelenruhe und an der Grenze zur Trägheit. Nur gespro­chen wird aus­ge­spro­chen schnell und viel; nach der Paartherapie mit der Ex-Frau, bei den Telefonaten mit Gustavos glu­cken­haf­ter Mutter, die ihn drängt, nach Buenos Aires zurück­zu­keh­ren. Von den Stürzen und Schlägen hin­ge­gen ist nichts zu sehen; die Montage folgt der ver­knap­pen­den Logik einer Bildergeschichte; gezeigt wer­den nur die Folgen – Gustavo ist aus dem Bild ver­schwun­den und steckt weni­ger spä­ter im Gully, der Paravent liegt auf Steffi und so wei­ter.” Esther Buss | filmdienst

Credits:

US/AR/CL/PT 2023, 93 Min. spa­ni­sche OmU,
Regie: Martín Rejtman
Kamera: Hugo Azevedo
Schnitt: Frederico Rotstein
mit: Esteban Bigliardi, Manuela Oyarzún, Amparo Noguera, Camila Hirane, Gabriel Cañas

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Sirāt

Ein Film von Oliver Laxe. 

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Papa, fahr los, lass uns ihnen fol­gen.“ – „Sie fol­gen uns. – Wirklich?“ – „Das ist kei­ne gute Idee, du wirst dein Auto zerschro­ten, die Straßen sind sehr gefähr­lich.“ – „Wir haben kei­ne Wahl.“ Als die rie­si­ge Rave-Party in der marok­ka­ni­schen Wüste wegen Kriegsbeginns von der ört­li­chen Militärpolizei auf­ge­löst und das Publikum nach Europa zurück­ge­schickt wird, bre­chen Jade, Stef, Josh, Tonin und Bigui aus den Konvoi aus und machen sich mit ihren umge­bau­ten Trucks aus dem Staub, zur nächs­ten Party im Süden. Spontan und mit­ge­ris­sen von der Begeisterung sei­nes klei­nen Sohnes Estaban folgt Luis ihnen in sei­nem Kleinbus. Er ist ver­zwei­felt auf der Suche nach sei­ner Teenager-Tochter Mar, die sich seit über fünf Monaten nicht gemel­det hat, und viel­leicht ist sie bei einem der Raves.
Selten hat mich ein Film so sehr von der ers­ten Einstellung an hin­ein­ge­zo­gen und bis zum Schluss dabei­ge­hal­ten. Sirāt (so heißt die Brücke zwi­schen Himmel und Hölle in der isla­mi­schen Eschatologie – dün­ner als ein Haar und schär­fer als ein Messer) ist span­nend, hyp­no­tisch und ver­stö­rend – ein her­aus­for­dern­des Werk, dabei kei­nem Genre zuzu­ord­nen. Der eigent­li­che Endpunkt der Reise ver­schwin­det mit der Zeit, die Geschichte vom Weg, der das Ziel ist, stimmt hier trotz­dem nicht. Olivier Laxe führt die klei­ne Gruppe auf ihrer Fahrt durch die marok­ka­ni­sche Wüste an einen exis­ten­ti­el­len Rand, von dem nie­mand vor­her ahn­te, dass es ihn gibt. Was die Protagonist‚innen zuletzt antreibt, ist nur noch, dass es ein­fach immer wei­ter­ge­hen muss – was den Gewinner des Großen Preis der Jury (ex-aequo mit In die Sonne schau­en) in Cannes 2025 auch so jetzt­zei­tig macht.
… und ja, genau für die­sen Film haben wir uns letz­tes Jahr die neue Tonanlage mit dem irren Subwoofer ange­schafft …
„Seine her­aus­ra­gen­de künst­le­ri­sche Qualität wird durch sei­ne poli­ti­schen und gesell­schafts­kri­ti­schen Aussagen ergänzt, was zu einem Film führt, der viel­leicht nicht leicht zu ver­dau­en – aber dafür umso gehalt­vol­ler ist.“
Selina Sondermann | the upcoming

Credits:

ES/FR 2025, 120 Min., span., frz. OmU
Regie: Oliver Laxe
Kamera:  Mauro Herce
Schnitt: Cristóbal Fernández

Musik: Kangding Ray
mit: Sergi López, Bruno Núñez, Stefania Gadda, Joshua Liam Henderson

Trailer:
Sirât | Trailer | Oliver Laxe | Sergi López | Bruno Nuñez
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Milch ins Feuer

Milch ins Feuer

Ein Film von Justine Bauer. 

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Katinka woll­te schon als Kind Bäuerin wer­den. Aber im Hohenlohischen, wo sich die 17-Jährige mit ihrer Mutter, dem älte­ren Bruder und den bei­den Schwestern um die Kühe und das Heu küm­mert, erben nun mal die Männer den Hof. Überhaupt wür­de es die Mutter viel bes­ser fin­den, wenn Katinka woan­ders eine Ausbildung anfin­ge. Das Milch­geschäft ren­tiert sich schon lan­ge nicht mehr. Dumm auch, dass Katinkas bes­te Freundin Carina aus­ge­rech­net mit ihrem Bruder geschla­fen hat. Doch wo ande­re kei­ne Zukunft sehen, ver­sucht Katinka, sich eine zu bau­en, den Traditionen zum Trotz.
Regisseurin Justine Bauer unter­läuft in ihrem Debütfilm sämt­li­che Erwartungen auf erfri­schend humor­vol­le Art. Ohne zu beschö­ni­gen, fei­ert sie das Landleben, einen unver­gess­li­chen Sommer und vor allem: vier jun­ge Frauen, die ihren eige­nen Kopf haben. Auf dem Filmfest München gewann der Film den Förderpreis Neues Deutsches Kino.
„Denn die Rollen, die Traditionen sind zwar fest­ge­zurrt, aber unter der Oberfläche, bei den jun­gen Frauen, da tut sich was. In vie­len Momenten: die Melkmaschine im Stall, die Heuballen, die von der Ballenpresse gebo­ren wer­den, der Ochse, der nach Kastration sei­ne Wildheit ver­lo­ren hat, auf dem man rei­ten kann. Eine Schwangerschaft, von der jeder weiß, über die nicht gespro­chen wird – die erfah­re­nen Bäuerinnen haben seit jeher träch­ti­ge Kühe erken­nen kön­nen. … Das Frausein, die Mutterschaft, das Leben unter dem Radar des töl­pel­haft machis­ti­schen Patriarchats, das am Rand fast kari­ka­turesk auf­scheint: Das ist das Thema des Films, geschickt ein­ge­floch­ten in die rea­li­täts­na­he Darstellung, und kei­nes­falls auf­ge­setzt, son­dern in son­der­bar poe­ti­scher Weise ver­wo­ben mit der Wirklichkeit. Der Nachbar, der stellt grü­ne Kreuze auf als Protest gegen „die da oben“, die den Bauernstand zer­stö­ren. Später brennt er als Protestaktion sein Heu an und löscht mit Milch, die Lokaljournalistin will vor allem schö­ne Fotos von trau­ri­gen Kindern.“ Harald Mühlberger | kino-zeit

Credits:

DE 2024, 78 Min., deut­sche Fassung
Regie: Justine Bauer
Kamera:  Pedro Carnicer
Schnitt: Semih Korhan Güner, Justine Bauer
mit: Johanna Wokalek, Pauline Bullinger, Anne Nothacker, Sara Nothacker, Lore Bauer

Trailer:
MILCH INS FEUER | Trailer | FILMFEST MÜNCHEN 2024
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Vermiglio

Ein Film von Maura Delpero. 

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In Vermiglio, einem Bergdorf in den ita­lie­ni­schen Alpen, wo die Zeit im ewi­gen Rhythmus der Monate ver­geht, ist das Leben beschwer­lich und beschei­den. Wir schrei­ben den Winter 1944, der der Krieg scheint gleich­zei­tig weit weg und doch all­ge­gen­wär­tig zu sein. Attilio, ein jun­ger Einheimischer, kehrt schwer ver­letzt auf den Schultern sei­nes sizi­lia­ni­schen Kameraden Pietro heim. Die Ankunft bringt Unruhe in das Dorfleben, beson­ders in das Haus des Lehrers Cesare und sei­ner gro­ßen Familie. Als Deserteure müs­sen bei­den jun­gen Männer ver­steckt und gepflegt wer­den, letz­te­res macht Lucia, die ältes­te der Lehrertöchter, beson­ders ger­ne. Eine Romanze beginnt, aber nicht nur das. Jeder hier hat sei­ne Geheimnisse, der Lehrer, sei­ne Töchter, und auch Pietro.
Zunächst mit gerin­ger Kopienzahl gestar­tet, ent­wi­ckel­te sich Maura Delperos von der eige­nen Familiengeschichte inspi­rier­ter zwei­ter Film (nach Maternal) in Italien inner­halb kur­zer Zeit zu einem über­ra­schend gro­ßen Erfolg. Er gewann schließ­lich sie­ben Kategorien des wich­tigs­ten Filmpreises des Landes, dem „David di Donatello“, u.a. für den Besten Film und für die Beste Regie, der damit erst­mals an eine Frau ging.
Vermiglio ist in sei­ner Bescheidenheit ein wuch­ti­ger Film, weil er die­se emo­tio­na­le und fami­liä­re Sprengkraft völ­lig unauf­ge­regt dar­stellt. Der Regisseurin Maura Delpero gelingt es meis­ter­lich, die­ses Liebesdrama völ­lig unsen­ti­men­tal und zurück­hal­tend zu insze­nie­ren, in schlich­ten, aber sehr bestimm­ten, stim­mi­gen Bilden, gedreht vom Kameramann Michail Kritschmans. Und die Montage lässt einem immer genü­gend Luft zum Durchatmen. Nicht umsonst hat der Film am Internationalen Filmfestival in Venedig 2024 den Silbernen Löwen gewon­nen und bei der inter­na­tio­na­len Presse viel Lob erfah­ren.“ Madeleine Hirsiger | arttv

Credits:

IT/FR/BE 2024, 119 Min., ital. OmU
Regie: Maura Delpero
Kamera:  Mikhail Krichman
Schnitt: Luca Mattei
mit: Tommaso Ragno, Giuseppe De Domenico, Roberta Rovelli, Martina Scrinzi, Orietta Notari, Carlotta Gamba

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Agent of Happiness

Ein Film von Arun Bhattarai & Dorottya Zurbó. 

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Das Konzept des Bruttonationalglücks lehnt sich an den Begriff des Bruttonationaleinkommens an.
Anders als die­ser quan­ti­täts­ori­en­tier­te Indikator zielt das Bruttonationalglück dar­auf ab, die Qualität des Lebensstandards zu defi­nie­ren. Es dient als Messwert für das Wohlergehen eines gesam­ten Volkes.
Aber – wie ist Glück mess­bar? Bhutan ermit­telt das hier erfun­de­ne poli­ti­sche Glückmaß seit 1997 alle fünf Jahre, indem Interviewer anhand eines umfas­sen­den Fragebogens die not­wen­di­gen Informationen Haus für Haus ein­ho­len.
Das Regie-Duo aus Ungarn und Bhutan beglei­tet zwei von ihnen, Amber Kumar Gurung und Guna Raj Kuikel, auf ihrem Weg. Dabei beob­ach­ten sie nicht nur zu Herzen gehen­de, dra­ma­ti­sche wie tröst­li­che Erzählungen der Befragten. Auch das Schicksal des offe­nen, manch­mal auch selbst­iro­ni­schen Luftgitarrespielers Amber berührt. Als Angehöriger der nepa­le­si­schen Minderheit in Bhutan wird der 40-jäh­ri­ge selbst im per­sön­li­chen Bereich so beschränkt, dass sein Glückswert laut eige­ner Einschätzung weit unter dem Durchschnitt liegt.
„In unse­ren Filmen beschäf­ti­gen wir uns oft mit dem Aufeinandertreffen von Kulturen, Identitäten, Werten und Mustern. Diese Geschichten zie­hen uns an, die inti­men Situationen des Lebens, die unse­re kul­tu­rel­len Unterschiede ega­li­sie­ren und mit denen wir das Vertraute im Anderen zei­gen kön­nen ….“ sagen die Regisseure – so kommt das ermit­tel­te Ergebnis auch in Bhutan, wie über­all auf der Welt, nicht zuletzt durch Art der Fragestellung zustan­de.
„Angesichts der Beschreibung des Films und der Werbefotos die­ses wun­der­schö­nen Landes könn­te man mei­nen, dass Agent of Happiness Bhutan als eine Art Paradies dar­stellt, aber der Film ist nicht ein­di­men­sio­nal und auch kei­ne rei­ne Propaganda für Bhutan als glück­li­che bud­dhis­ti­sche Enklave. Wie sein Schwerpunkt zeigt, scheut er sich nicht, die Fehler eines solch mono­li­thi­schen reli­giö­sen und eth­ni­schen Ansatzes für natio­na­les Glück auf­zu­zei­gen, der Menschen wie Amber in der Masse unter­ge­hen lässt.“
Aren Bergstrom | hot docs

Credits:

BT 2024, 94 Min., Dzongkha OmU
Regie: Arun Bhattarai, Dorottya Zurbó

Kamera: Arun Bhattarai,
Schnitt: Péter Sass

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Agent Of Happiness – Unterwegs im Auftrag des Glücks | Kinotrailer OmdU | ab 03.07.25 im Kino
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Der Fleck

Ein Film von Willy Hans.

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Eigentlich hät­te er Sportunterricht, aber Simon dreht kurz vor der Schule um. Er trifft einen Nachbarn und fährt mit zu des­sen Clique an den Fluss. Es ist heiß, und Gespräche und Aktivität lau­fen eher trä­ge ab, ein biss­chen Unsinn reden, schwim­men, spie­len, necken, ärgern, essen, aber auch: den „Neuen“, Simon, abche­cken. Dann weckt die plötz­lich auf­tau­chen­de Marie Simons Interesse. Zusammen zie­hen sie los, holen Pommes und las­sen sich durch den Wald trei­ben. Sie ver­ges­sen die Zeit und tau­chen immer tie­fer in die ver­wun­sche­ne som­mer­li­che Flusslandschaft ein.
„‚Die Hölle, das sind die ande­ren‘ – die­ser Schlüsselsatz aus Jean Paul Sartres Einakter Geschlossene Gesellschaft bringt für mich den Zustand, in dem sich die Figuren in mei­nem Spielfilm-Debüt Der Fleck befin­den, auf den Punkt. Sie suchen Bestätigung im gegen­sei­ti­gen Blick, schau­en selbst gna­den­los auf das Gegenüber und wer­den so ein­an­der unfrei­wil­lig zu Folterknechten. Und obwohl es kei­ne offen­sicht­lich bösen Absichten oder offen­si­ve Feindseligkeiten unter den Jugendlichen gibt, trans­por­tiert sich deut­lich ein all­um­fas­sen­des Unbehagen. Hier wird im Kleinen erprobt, was auch unter Erwachsenen geschieht. Alle loten unbe­wusst und lau­ernd ihre Stellung aus, ver­su­chen her­aus­zu­fin­den, wer wie zuein­an­der steht, wo sich Allianzen bil­den las­sen, und wo Rivalitäten. Das zu beob­ach­ten, die­ses hilf­lo­se Verbiegen, Maßregeln und Beäugen ist zum Heulen und zum Lachen gleich­zei­tig – allein weil es mit ein wenig Abstand betrach­tet so absurd erscheint. Dass es eine irdi­sche Hölle gibt, ist in in der Welt des Atheisten Sartre sicher. Aber gibt es auch so etwas wie einen Himmel? Und was wäre das? Es wäre ein Blick, der uns nicht fest­legt oder ver­ur­teilt, der nicht redu­ziert auf das, was wir wur­den, son­dern sich öff­net für das was wir wer­den könn­ten. Einen klei­nen Einblick in die­se unbe­kann­te Welt möch­te ich mei­ne Figuren SIMON und MARIE in Der Fleck kurz erha­schen las­sen. So beginnt sich jen­seits all der Apathie und des pas­siv-aggres­si­vem Gelabers, im Laufe der fort­schrei­ten­den Erzählung etwas Hoffnungsvolles und Lebensbejahendes abzu­zeich­nen.“ Willi Hans

Credits:

DE/CH 2024, 94 Min., dt. OmeU
Regie & Schnitt: Willy Hans
Kamera: Paul Spengemann
mit: Leo Konrad Kuhn, Alva Schäfer, Shadi Eck, Felix Maria Zeppenfeld, Darja Mahotkin, Marlene Becker u. a. 

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Step across the border

Step across the border

Ein Film von Nicolas Humbert und Werner Prenzel. Am 24.6. mit anschlie­ßen­dem Filmgespräch mit Nicolas Humbert.

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Ein Film vol­ler Musik von Fred Frith, sowohl solo, als auch gemein­sam mit ande­ren Musikern. „Was ist ein Musiker ande­res, als ein Organisator von Sounds?“ fragt Frith. Die Regisseure haben das beher­zigt und sich als Organisatoren von Bildern betä­tigt, die ver­dammt gut zu sei­ner Musik pas­sen: Also los : Step across the Border!

Fred Frith, John Zorn, Arto Lindsay, Ciro Battista, Iva Bitová, Bob Ostertag, Joey Baron, Jonas Mekas, Robert Frank – ver­eint in einer Zelluloid-Improvisation über Rhythmus, Bilderlust und Lebensfreude. Konzertmitschnitte, Interviews in her­un­ter­ge­kom­me­nen Hotelzimmern und Kamerafahrten durch Metropolen wie New York und Tokio ver­mi­schen sich zu einer mit­rei­ßen­den Klangreise. Musik und Bild sind eigen­stän­dig, kei­nes unter­wirft sich dem ande­ren und doch erge­ben sich Überschneidungen, die mal komisch, mal absurd, mal ein­fach schön sind – wie die Maisfelder im Wind, die einen magi­schen Augenblick lang im Rhythmus von Friths Improvisationen schwin­gen. Step Across The Border ist ein schwarz-wei­ßes Augenzwinkern über den Zusammenhang zwi­schen Schnellbahnen, Stürmen und elek­tri­schen Gitarren und ein meis­ter­haf­ter Diskurs über den Geist des Musik- und des Filme-Machens.” (DOK.fest München 2024)

Credits:

CH/DE 1989, 90 Min., engl. OmU,
Regie: Nicolas Humbert, Werner Prenzel
Kamera: Oscar Salgado
mit den Musiker*innen: Fred Frith, Iva Bittova, Tom Cora, Pavel Fajt, Eitetsu Hayashi, Zeena Parkins, Tim Hodgekison, Arto Lindsey, Bob Ostertag, John Zorn u.v.a.

Trailer:
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