Vermiglio

Ein Film von Maura Delpero. 

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Vermiglio, ein Bergdorf in den ita­lie­ni­schen Alpen. Im Winter 1944 ist der Krieg gleich­zei­tig weit weg und all­ge­gen­wär­tig. Attilio ist heim­ge­kehrt, als Deserteur, von sei­nem sizi­lia­ni­schen Kameraden Pietro auf den Schultern über die Berge getra­gen. Ihre Ankunft bringt Unruhe in das im ewi­gen Rhythmus der Jahreszeiten ver­lau­fen­de Leben im Dorf. Im Haus des Lehrers Cesare und sei­ner gro­ßen Familie beginnt das gro­ße Flüstern: Lucia, die ältes­te Tochter, hat sich in Pietro ver­liebt, der ver­steckt am Rande des Dorfs auf das Ende des Krieges war­tet. Auch ihre Schwestern Ada und Flavia, mit denen Lucia das Zimmer teilt, sind vol­ler Träume. Wird ihr stren­ger Vater sie auf die Schule in der Stadt gehen las­sen? Mit wel­chen Geheimnissen schließt sich Cesare in sein Studierzimmer ein, wenn er die sorg­sam gehü­te­ten Schallplatten mit der Musik von Chopin und Vivaldi hört? Während die Jahreszeiten vor­an­schrei­ten und die Welt sich lang­sam von der Tragödie des Krieges erholt, suchen die Schwestern unter dem wachen Blick ihrer Mutter Adele ihre eige­nen Wege ins Leben. Es müs­sen neue Wege sein.

Wie schon in ihrem Debüt „Maternal“ (2019) kon­zen­triert sich Delpero ganz auf die weib­li­che Erfahrungswelt. Um in die­ser gro­ßen Familie sei­nen eige­nen Wünschen und Sehnsüchten nach­zu­ge­hen, muss man sich ein Versteck suchen: hin­ter dem Schrank, unter dem Tisch oder in der Scheune. Die Freiräume sind knapp bemes­sen, die Plätze bereits ver­teilt. Die hell­wa­che Flavia, mit 13 die jüngs­te unter den Mädchen, bekommt vom Vater zusätz­li­chen Unterricht erteilt. Sie darf die wei­ter­füh­ren­de Schule besu­chen, anders als Ada, die sich ins Kloster flüch­tet. Der Mutter, von har­ter Arbeit, zehn Geburten und dem Verlust des jüngs­ten Kindes gezeich­net, bleibt hin­ge­gen kei­ne Wahl. Kaum ist das neue Baby auf der Welt, ist sie schon wie­der schwan­ger. Aber auch der ältes­te Sohn Dino, vom Vater als Nichtsnutz abge­wer­tet, ist von der patri­ar­cha­len Ordnung betrof­fen.
Während das Essen in der Familie Graziadei knapp bemes­sen ist, gönnt sich der Vater eine neue Schallplatte – „Nahrung für die Seele“. Die Geschichte erstreckt sich über den Zeitraum eines Jahres; die Wahl fällt nicht ganz zufäl­lig auf Vivaldis „Die vier Jahreszeiten“. Der Kameramann Michail Kritschman erschafft eine Welt in meist sta­ti­schen Einstellungen und mat­ten Farben. Die impo­san­te Bergkulisse, im Winter von einer dich­ten Schneedecke über­zo­gen, wirkt zu jeder Jahreszeit ein­engend. Nie evo­zie­ren die Bilder das Gefühl majes­tä­ti­scher Erhabenheit, aber auch nicht von Nestwärme. Auch die Montage ver­knappt. Delpero arbei­tet mit Auslassungen, ohne zu ver­rät­seln; nichts wird aus­for­mu­liert.
Der Film, der mit pro­fes­sio­nel­len Darsteller:innen und Laien gedreht wur­de, ist auch ein Film der Gesichter: Die Fragen, die sich auf ihnen abzeich­nen, blei­ben meist unge­stellt. Als der Schnee geschmol­zen ist, hat auch der Krieg sein Ende gefun­den. Doch Ruhe kehrt kei­ne ein in Vermiglio.”

Esther Buss | filmdienst

Credits:

IT/FR/BE 2024, 119 Min., ital. OmU
Regie: Maura Delpero
Kamera:  Mikhail Krichman
Schnitt: Luca Mattei
mit: Tommaso Ragno, Giuseppe De Domenico, Roberta Rovelli, Martina Scrinzi, Orietta Notari, Carlotta Gamba

Trailer:
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