Wie schön, endlich wieder ein neuer „Benning“. Es beginnt mit „Heron Bay, Alabama“ und endet mit „Kelly, Wyoming“. dazwischen liegen weitere 50 Einstellungen, betitelt mit US-amerikanische Bundesstaaten, einschließlich Puerto Rico und District of Columbia, die offiziell keine sind. Manche der, erwartbar wunderbar komponierten, statischen Einstellungen von Landschaft, Städten, Wegen und sonstigen Orten werden unterlegt und ergänzt durch Erinnerungen, Songs, zwei politischen Reden (u.a. Woody Guthrie, Martin Luther King, Dwight D. Eisenhower, Alicia Keys). 1975 fuhr Benning zusammen mit Regisseurin Bette Gordon durch die USA, das durch die Windschutzscheibe gefilmte Werk hieß „The United States of America“. Jetzt wird mit der Neuauflage gleichen Namens das Bild aktualisiert. „Nicht zuletzt war James Benning immer schon auch ein Spieler und Humorist. In diesem Film beglückt er seine Fans mit vielen augenzwinkernden Referenzen und Anspielungen auf frühere Arbeiten. Der größten Spaß, den er sich herausnimmt, ist aber eine gewichtige Verschiebung im Verständnis des gesamten Films aus der Rückschau. Genaueres verraten werden soll hier aus Spoiling-Gründen nicht. Aber bitte bleiben Sie aufmerksam bis zum Abspann! Es könnte sein, dass Sie „The United States of America“ danach gleich ein zweites Mal sehen wollen.“ Silvia Hallensleben | Der Tagesspiegel
Credits:
USA 2022, 98 Min., englischeOV (kaum Dialog) Regie: James Benning
Trailer:
The United States of America | Clip | Berlinale 2022
Nardos Wude Tesfaw hatte Glück. Sie entkam dem Schicksal, das gut ein Drittel der Mädchen in Äthiopien trifft und wurde nicht schon als Kind verheiratet. Statt dessen schaffte sie es als Jugendliche, durch Schwerstarbeit auf eigenen Füßen zu stehen und schließlich zu machen, was sie kann und und will: Musik. Nardos singt in einem Club in Addis Abeba in der Azmari-Tradition, eine Art gesungenes Gespräch, und tourt aber auch mit ihrer Band Ethiocolor durch die Welt (und trat z.B. beim Jazz-Fest in Moers auf). Die Sängerin ist wohl bekannt, kann sich und ihre zwei Kinder finanziell allerdings gerade so durchbringen. Ihr Traum ist es, eigene Lieder zu zu schreiben, und Texte, die von der Situation der Frauen im Land handeln, zusammen mit der Dichterin Gennet in Musik umzusetzen. Dazu fährt sie durchs Land und spricht mit vielen Frauen und Mädchen, die Zwangsverheiratung ist dabei ein zentrales Thema. Heidi Specogna begleitet ihre Reisen fünf Jahre lang, wobei die Grundlage dafür, sagt die Regisseurin, das gegenseitige Vertrauen war, das sich während ihrer Recherche aufgebaute. Gleichzeitig hält der Film die rasanten Entwicklungen in der Mega-Stadt Addis-Abbeba während dieses Zeitraumes fest. „… Specogna macht keine Bilder über die Köpfe der Frauen hinweg. Vielmehr unterläuft sie konsequent jede eurozentrische Perspektive, indem die Musik von Nardos den Rhythmus bestimmt, die Bilder sich an Gennets Poesie anschmiegen und die Montage das Individuell-Biografische einfühlsam mit der gesellschaftlichen Perspektive zu verbinden weiß. „Stand Up My Beauty“ fächert sich auf, lässt Raum für Prozesse, nur um sie im nächsten Moment zu Zeitbildern zu verdichten.“ Sebastian Seidler | Film Bulletin
Credits:
DE/CH 2021, 110 Min., amharische OmU Regie: Heidi Specogna Kamera: Johann Feindt Schnitt: Kaya Inan
Welchen Weg will ich beruflich einschlagen? Was soll ich studieren? Wann ist die Phase des Ausprobierens abgeschlossen? Und wie sieht es mit Partnerschaft und Familienplanung aus? Fragen über Fragen beschäftigen in Der schlimmste Mensch der Welt die fast 30-jährige Protagonistin Julie (Renate Reinsve), die, wie uns ein Schnelldurchlauf zu Beginn vor Augen führt, gleich mehrere Arbeitsfelder erforscht. Medizin, Psychologie und Fotografie versetzen sie kurzzeitig in Begeisterung. Wirklich festlegen kann sich die junge Frau jedoch nicht, jobbt daher zunächst weiter in einer Buchhandlung und ist genervt, wenn sie in jedem zweiten Gespräch nach ihren Ambitionen gefragt wird. Die Auswahlmöglichkeiten mögen so groß wie nie zuvor sein. Gerade das hemmt allerdings auch die Entscheidungsfreudigkeit. Zudem spürt sie ständig Druck von außen. Thema sind diese Dinge nicht zuletzt in ihrer Beziehung mit dem rund 15 Jahre älteren Comicautor Aksel (Anders Danielsen Lie), der im Gegensatz zu ihr mit seinen provokanten Arbeiten einen erfolgreichen Karriereweg beschreitet. Er selbst fühlt sich in einer Lebensphase angekommen, in der es langsam Zeit wird für eine eigene Familie. Julie hingegen glaubt, dafür noch nicht bereit zu sein, möchte vorher andere Erfahrungen sammeln und zweifelt deshalb zunehmend an ihrer Partnerschaft.“ Christopher Diekhaus | programmkino.de „All dies geschieht so souverän und klug, so selbstbewusst und voller Respekt für Julie und all die Menschen, dass es eine helle Freude ist, sich auf diesen Film und dieses chaotische Leben einzulassen — was auch, aber nicht ausschließlich an Renate Reinsve liegt, die in der Rolle der Julie eine der vielleicht besten Entdeckungen der letzten Zeit ist. Sie hält die Balance zwischen Schönheit und Verunsicherung, zwischen Tragik und Komik, Alltagsbanalität und ontologischer Sinnsuche in einem schwankenden Gleichgewicht, wie man ihn auf diese Weise und darüber hinaus als Generationsbeschreibung nur selten im Kino gesehen hat.“ Joachim Kurz | Kino-zeit
Credits:
VERDENSVERSTEMENNESKE NO 2021, 128 Min., norw. OmU Regie: Joachim Trier Kamera: Kasper Tuxen Schnitt: Olivier Bugge Coutté Mit: Renate Reinsve, Anders Danielsen Lie, Herbert Nordrum
Vor einem Szenelokal in West-Berlin wird eine Schauspielerin überfallen. Ein junger Mann rempelt sie an, entreißt ihr die Handtasche und läuft davon. Die Dame fällt auf die Knie und schaut dem Dieb hinterher. Wenig später stehen sie einander wieder gegenüber. Anna (Sophie Rois) und Adrian (Milan Herms). Dieses Mal ist sie seine Lehrerin und soll ihn im Sprechen unterrichten. Adrian ist ein Waisenkind und gilt als schwieriger Fall. Anna ist Schauspielerin, aber spielen tut sie schon lange nicht mehr. Beide stehen ein Stück neben dem Leben, einen Schritt außerhalb der Gesellschaft. Anna empfängt Adrian bei sich zuhause. Ihre Wohnung gehört Michel (Udo Kier), ihm gehört das ganze Haus. Er ist ihr größter Fan. Bald werden die Unterrichtsstunden zu Abendessen, Spaziergängen und gemeinsam gerauchten Zigaretten. Und irgendwann versuchen sie es mit dem Rest der Welt aufzunehmen. Angefeuert voneinander, aber ohne einen Pfennig, verlassen sie die Stadt. Sie wollen nach Frankreich, ans Meer… „Der Ausgangspunkt dieses Films war eigentlich mein letzter Film. Ich wollte da weitermachen, wo ich aufgehört hatte. In WILD hat mich die unmögliche Liebesgeschichte vor allem deswegen begeistert, weil sich die Hauptfigur in der Liebe zum Wolf nicht an Beziehungsbildern orientieren musste, die es schon gibt und an denen man ansonsten nicht vorbeikommt. Während Ania in WILD dafür mit ihrem alten Leben Schluss machen musste, versuchen Anna und Adrian es in A E I O U mit der Wirklichkeit aufzunehmen. Sie sind ein richtiges Paar und machen mehr oder weniger ganz normale „Paarsachen“. Und trotzdem sind sie anders als die anderen. Anna, weil sie sich gar nicht darum schert, irgendeinem Frauenbild zu entsprechen. Und Adrian, weil ihm alles egal ist, so wie er allen egal ist – bis er Anna trifft – und seine Stimme findet. Es ist also eine ganz ähnliche Ausgangsposition, wie in WILD, was die Aussichten betrifft, aber etwas sozialer und vielleicht für den ein oder anderen freundlicher.“ Nicolette Krebitz über ihren Film
Credits:
DE/FR 2022, 104 Min., dt.OmeU Regie: Nicolette Krebitz Kamera: Reinhold Vorschneider Schnitt: Bettina Böhler mit: Sophie Rois, Udo Kier, Milan Herms, Nicolas Bridet
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AEIOU — A Quick Alphabet of Love new clip official from Berlin Film Festival 2022 – 2⁄3
Wer sich noch an Filme wie „Kinder des Himmels „Die Farben des Paradieses“ oder „Baran“ erinnert, weiß, dass die Filme von Majid Majidi stets die Schicksale von Kindern in den Fokus stellen. Auch sein neues Werk hat der iranische Regisseur den „152 Millionen Kindern, die weltweit zur Arbeit gezwungen werden, in Minen, auf Müllhalden oder in Sweatshops“ gewidmet. Es beginnt rasant, und sofort führt uns der Film die Klassenunterschiede in der Islamischen Republik vor die Augen, wenig subtil, dafür umso eindrücklicher. Vier Jungen müssen in der Tiefgarage einer Luxusmall Autoreifen ausgewählter teurer Modelle zwecks Weiterverwendung stehlen. Sie leben auf der Straße oder kommen aus zerrütteten Familien; die illegale Arbeit für die Autowerkstatt sichert ihr Überleben. Für den neusten Auftrag, den der 12-jährige Ali, der schlauste Kopf der Truppe, vom Boss bekommt, muss sich das Quartett in einer Schule einschreiben. Die heißt „Sun School“ und ist ein schlecht ausgestattetes, spenden basiertes Projekt für Straßenkinder, das hauptsächlich durch das Engagement einzelner Lehrer aufrecht gehalten werden kann. Es könnte die einzige Chance auf ein besseres Leben sein, aber die Jungs haben andere Pläne. Sie sollen einen „Schatz“ heben, der unter dem Gelände verborgen liegt. „Nach der Hälfte des Films hatte ich das Gefühl, eine ziemlich gute Vorstellung von der Richtung zu haben, in die es geht, aber das stimmte nicht ganz; Majidi gräbt tiefer. Dabei legt er eine unterirdische Welt frei, in der es keine einfachen Antworten und nur wenige Happy Ends gibt. Mit Energie und Herz, mit einer Tendenz zur Tragödie, arbeitet sich „Sun Children“ durch den Schlamm und geht umso gestärkter daraus hervor. Die Suche ist nur ein Ablenkungsmanöver, der wahre Schatz ist der Film.“ Xan Brooks | The GuardianWer sich noch an Filme wie „Kinder des Himmels „Die Farben des Paradieses“ oder „Baran“ erinnert, weiß, dass die Filme von Majid Majidi stets die Schicksale von Kindern in den Fokus stellen. Auch sein neues Werk hat der iranische Regisseur den „152 Millionen Kindern, die weltweit zur Arbeit gezwungen werden, in Minen, auf Müllhalden oder in Sweatshops“ gewidmet. Es beginnt rasant, und sofort führt uns der Film die Klassenunterschiede in der Islamischen Republik vor die Augen, wenig subtil, dafür umso eindrücklicher. Vier Jungen müssen in der Tiefgarage einer Luxusmall Autoreifen ausgewählter teurer Modelle zwecks Weiterverwendung stehlen. Sie leben auf der Straße oder kommen aus zerrütteten Familien; die illegale Arbeit für die Autowerkstatt sichert ihr Überleben. Für den neusten Auftrag, den der 12-jährige Ali, der schlauste Kopf der Truppe, vom Boss bekommt, muss sich das Quartett in einer Schule einschreiben. Die heißt „Sun School“ und ist ein schlecht ausgestattetes, spenden basiertes Projekt für Straßenkinder, das hauptsächlich durch das Engagement einzelner Lehrer aufrecht gehalten werden kann. Es könnte die einzige Chance auf ein besseres Leben sein, aber die Jungs haben andere Pläne. Sie sollen einen „Schatz“ heben, der unter dem Gelände verborgen liegt. „Nach der Hälfte des Films hatte ich das Gefühl, eine ziemlich gute Vorstellung von der Richtung zu haben, in die es geht, aber das stimmte nicht ganz; Majidi gräbt tiefer. Dabei legt er eine unterirdische Welt frei, in der es keine einfachen Antworten und nur wenige Happy Ends gibt. Mit Energie und Herz, mit einer Tendenz zur Tragödie, arbeitet sich „Sun Children“ durch den Schlamm und geht umso gestärkter daraus hervor. Die Suche ist nur ein Ablenkungsmanöver, der wahre Schatz ist der Film.“ Xan Brooks | The Guardian
Das Filmfestival Achtung Berlin!, bei dem wir mittlerweile zum vierten Mal Spielort sind, präsentiert zwar Produktionen aus Berlin, ist aber nicht an den Ort gebunden. Wir beginnen unsere Auswahl z.B. auf Usedom, und sehen in ZWISCHENSAISON [Tickets] mit Regisseurin Tina Tripp vier Auszubildenden im Gastgewerbe, zwei Köchen, zwei Servicekräften, bis zur Prüfung über die Schultern. DE 2022, 105 Min., So. 24.4. 18:30 Dann kommen wir nach Berlin, wo in Florian Hoffmanns Debut-Spielfilm STILLEPOST[Tickets] ein Paar verzweifelt versucht, mediale Aufmerksamkeit für die Situation der Kurden in der Türkei und den Krieg gegen sie zu erlangen. DE 2021, 94 Min., So. 24.4. 21:00 Ein paar Schritte zurück, und wir sind in einem Bulgarischen Bergdorf. Hier porträtiert Eliza Petkova in MAYOR, SHEPHERD, WIDOW, DRAGON [Tickets] einige der noch verbliebenen Bewohner, außerdem gibt es hier auch noch einen Drachen. DEBG 2020, 97 Min., Mo. 25.4. 18:30 Weiter westlich in Wien bekommt die junge und talentierte fast-Architektin Eva einen begehrten Job bei einem Star-Architekten. InRISSEIMFUNDAMENT (Foto oben) [Tickets] erzählen Genia Leis und Gerald Sommerauer von ganz alltäglichen Machtspielen und Zuschreibungen, zu denen Eva Position beziehen muss. DE 2022, 84 Min., Mo. 25.4. 21:00 In VORZEIT [Tickets] macht sich ein alter-Ego von Regisseurin Juliane Henrich in Polen auf die Suche nach Spuren der Vergangenheit und findet Hinweise auf Migrations- und Fluchtbewegungen, die auf die Gegenwart zielen. DE 2021, 80 Min., Di. 26.4. 18:30 Rebeca Ofeks Spielfilm JESSY[Tickets] beruht auf einer eigenen Erfahrung. Die 13-jährige Jessica lebt allein mit ihrer Mutter in Berlin, als ihr Vater nach 7 Jahren aus dem Knast zurück nach Hause kommt und nichts mehr ist, wie es war. DE 2021 79 Min., Di. 26.4. 21:00 Am Modell seiner ehemaligen Schule in Brandenburg und der eigenen Biografie zeigt Christian Bäucker in HEIMATKUNDE [Tickets] ein differenziertes Bild des DDR-Schulsystems und spürt dem Einfluss ostdeutscher Schulerziehung auf Schülerinnen und Schüler nach. DE 2021, 89 Min., Mi. 27.4. 18:30 Das Anwerbeabkommen mit der Türkei 1961 brachte mit den Menschen auch ihre Kultur nach Deutschland. Die Musik war die Verbindung zur „alten“ Heimat, die sich hier im Exil zu neuen Formen und Verbindungen fand. Cem Kayas Dokumentarfilmessay LIEBE, D‑MARKUNDTOD [Tickets], den wir zum Abschluss zeigen, ist eine Nachhilfestunde in türkisch-deutscher Zeitgeschichte.DE 2022, 96 Min., Mi. 27.4. 21:00 (Bitte beachten Sie die Epilepsiewarnung für diesen Film!)
Stille PostJessyZwischensaisonHeimatkundeZwischensaisonLIEBE, D‑MARKUNDTODMAYOR, SHEPHERD, WIDOW, DRAGONVor ZeitVor Zeit
Valero (Valero Escolar), Moha (Mohamed Mellali) und Pep (Pep Sarrà) arbeiten als Installateure in einem Handwerksbetrieb in Barcelona. Immer wenn die Kundschaft ein Problem hat, werden sie gerufen und reparieren so ziemlich alles was im Haushalt kaputtgehen kann. Der Marokkaner Moha hat erst vor Kurzem mit dem Job begonnen und ist noch in der Probezeit, Pep hingegen steht kurz vor der Rente. Das Miteinander der Drei, die eine Woche lang zusammenarbeiten müssen, ist nicht immer einfach. Denn gerade Moha muss so manche Stichelei über sich ergehen lassen: von Seiten der Kunden aber vor allem von Valero, der ein Problem mit dem „Neuen“ und allerlei Vorurteile gegenüber Ausländer zu haben scheint. Können sich die Installateure zusammenraufen und die Woche überstehen?
Die katalanische Drehbuchautorin und Regisseurin Neus Ballús wirft in ihrem dritten abendfüllenden Spielfilm einen heiteren, ironischen Blick auf das von skurrilen Ereignissen geprägte (Arbeits-)Leben der drei Protagonisten. Authentizität und Glaubwürdigkeit sind ihr ein Anliegen und das erkennt man etwa an der Wahl ihrer Hauptdarsteller. Sie alle sind Laien-Schauspieler und zum Teil auch im echten Leben Installateure bzw. Handwerker. Sie nehmen den Zuschauer mit in ihren Arbeitsalltag, der sie zu den Kunden nach Hause führt. Dort reinigen sie verstopfte Rohre, montieren Schaltungen, installieren Überwachungskameras und bringen Klimaanlagen wieder zum Laufen.
Hinter verschlossener Tür erhalten sie darüber hinaus Einblicke in die Lebensrealität und ‑wirklichkeit der unterschiedlichsten Personen. Darunter eine Fotografin, ein Psychiater oder ein Rentner. Mit dieser Mannigfaltigkeit spiegelt der Film nicht zuletzt die Vielfalt jener Menschen wieder, die in den engen Gassen und bunten Stadtteilen der katalanischen Metropole Barcelona leben. Von (Überlebens-)Künstlern und mittellosen Studenten über Akademiker und Arbeitslose bis hin zum einfachen Arbeiter. Valero, Moha und Pep tauchen in den Mikrokosmos ihrer Kunden ein – und mit ihnen der Kinobesucher.
Bei den Kunden kommen es immer wieder zu teils höchst bizarren, überaus komischen Situationen, etwa wenn die Fotografin den schüchternen Moha als Model „zweckentfremdet“. Oder bei einem argentinischen Paartherapeuten, der spontan eine Analyse der schwierigen Beziehung zwischen Moha und Valero vornimmt – während gleichzeitig seine smarten Haushaltsgeräte und modernen technischen Anlagen außer Kontrolle geraten. In all diesen Momenten ist „Sechs Tage unter Strom“ eher geprägt von einem makabren, derben Humor, der aufgrund der unerwarteten Ereignisse und dank des Überraschungsmoments jedoch herrlich funktioniert.
Eher subtil und pointiert geht Ballús bei der Betrachtung des komplizierten Verhältnisses zwischen Moha und Valero vor. Man kann dem grobschlächtigen, wohlbeliebten Valero trotz seiner notorisch schlechten Laune, der Anzüglichkeiten und der teils unangebrachten Andeutungen seinem neuen Kollegen gegenüber, nie wirklich böse sein. Insgeheim trägt er das Herz am rechten Fleck. Außerdem verdeutlicht Ballús anhand dieser Figur, dass die Furcht vor dem „Fremden“ (Migranten) und existenziellen Sorgen auch im wahren Leben leider oft in Wut, Aggression sowie in von Vorurteilen geprägten Alltagsrassismus münden.
Bei genauerer Betrachtung behandelt „Sechs Tage unter Strom“ zudem sehr geschickt eine ganze Fülle an Themen, die die Sorgen und Nöte vor allem der einfachen, hart arbeitenden Menschen widerspiegeln. Es geht um die spanische Wirtschaftskrise, Konkurrenzkämpfe, die hohe regionale Arbeitslosigkeit und die Frage, was eigentlich nach der Pensionierung kommt.
Björn Schneider | programmkino.de
Credits:
Sis dies corrents ES, FR 2021, 85 Min., span, katalan., berber OmU Regie: Neus Ballús Kamera: Anna Molins Schnitt: Neus Ballús, Ariadna Ribas mit: Mohamed Mellali, Valero Escolar, Pep Sarrà, Paqui Becerra, Pere Codorniu
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SECHSTAGEUNTERSTROM – UNTERWEGSINBARCELONA – Trailer OmU German | Deutsch
Bettina Wegner, geboren 1947 in Westberlin, aufgewachsen in Ostberlin, mit 36 Jahren ausgebürgert, seither „entwurzelt“. Der Werdegang der Liedermacherin gehört zu den spannendsten Lebensläufen des 20. Jahrhunderts. Es ist der Weg von einem Kind, das Stalin glühend verehrte, über eine hoffnungsfrohe Teenagerin, die mit ihren eigenen Liedern eine Gesellschaft mit bauen möchte, hin zu einer beseelten Künstlerin mit einer unerschütterlichen humanistischen Haltung. So heroisch das klingt, so irre und aberwitzig, mühevoll und traurig, hingebungsvoll und vergeblich ist es in den vielen Dingen des Lebens, die zwischen den Liedern eine Biografie ausmachen. Davon erzählt Bettina Wegner, davon erzählt der Film. „Ich habe Bettina Wegner kurz nach dem Mauerfall kennengelernt. Ich kam von Ostberlin zu ihr in den Westen, nach Frohnau. Es war eine fast surreale Begegnung. Wir beide kamen aus einem Land – und lebten in zwei verschiedenen Welten. Sie kannte meine Welt, aber ich noch nicht die Ihre. In den letzten dreißig Jahren bin ich Bettina Wegner immer wieder begegnet, bei Konzertauftritten oder zu Interviews. Zuletzt befragte ich sie für die rbb-Reihe „Berlin – Schicksalsjahre einer Stadt“ zu ihren Erlebnissen in den Jahren 1967,1968 und 1978. Ich glaube, dass Bettina Wegner bis heute in zwei Welten lebt – hüben und drüben, auch wenn sie gerade selbst nicht genau weiß, wo gerade hüben und wo drüben ist. Bis heute also steckt ihr die Geschichte eines Jahrhunderts, die auch ihre eigene ist, in den Knochen, in der Seele, in ihren Gedanken. Bei meiner Begegnung mit ihr, habe ich sie immer in einer wunderbaren Mischung aus Nachdenklichkeit und Heiterkeit erlebt, als eine Frau mit Humor. Traurig war sie nie. Sie erzählt von ihrer Vergangenheit mit einem natürlichen Gespür für den Aberwitz, den alles Erlebte enthält.“ Lutz Pehnert
Credits:
DE 2022, 107 Min., deutsche Fassung mit englischen Untertiteln Regie, Buch: Lutz Pehnert Kamera: Anne Misselwitz Montage: Thomas Kleinwächter
In Spitzenzeiten haben 20000 Menschen hier bei Opel gearbeitet, 2014 hat Bochum als Autostadt ausgedient. Wie auch Detroit in den USA. In der einstigen „Motor-City“ hat der Opel-Mutterkonzern GM seinen Sitz, hier wurde das Aus in Bochum beschlossen. Detroit selbst verlor seit den 50-er Jahren 1⁄3 seiner Einwohner, 2013 war es die erste Großstadt der USA, die Konkurs anmeldete. Ulrike Franke und Michael Loeken haben sich sechs Jahre lang an beiden Orten umgeschaut. Was passiert in den Städten, wenn sie für die Wirtschaft uninteressant werden? Was mit den Menschen, die plötzlich ohne Jobs dastehen? In Bochum werden die Hallen abgerissen, und das Gelände bekommt als erstes einen markanten neuen Namen: MARK 51°7, die Stadt trägt jetzt den Beinamen „Ermöglicherstadt“. Die erste Innovation ist ein neues Paketzentrum, mit 600 Arbeitsplätzen. Aber wie lange? Dort verschwinden nicht nur Gebäude, sondern auch gewachsene Sozialstrukturen und gewerkschaftliche Errungenschaften. Die riesigen alten Fabrikgebäude in Detroit werden zu Spekulationsobjekten oder Touristenattraktionen. Sie werden viel fotografiert. „Ruinenporno“ nennen die Einheimischen das. Alteingesessene Läden müssen schließen, die neuen, hippen Cafes können die Lücken noch nicht schließen, und Urban Farmer Donney wünscht sich auf dem Gelände einen riesigen Garten zur Selbstversorgung der Anwohner. „We are all Detroit – Vom Bleiben und Verschwinden“ bildet exemplarisch die brisanten Entwicklungen zweier Städte auf verschiedenen Kontinenten und die Auswirkungen auf die jeweils dort lebenden Menschen ab.
Credits:
DE 2021, 118 Min., deutsch, englische OmU Regie: Ulrike Franke, Michael Loeken Kamera: Uwe Schäfer, Philip Hallay, Fabrizio Costantini, Michael Loeken, Michael Chauvistré, Jörg Adams Schnitt: Guido Krajewski, Bert Schmidt
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WEAREALLDETROIT – Vom Bleiben und Verschwinden [TRAILER german]
Am frühen Morgen wurde ich von einem lauten Knall geweckt und konnte nicht wieder einschlafen. In Bogota, in den Bergen, im Tunnel, am Fluss: ein Knall. Die Britin Jessica besucht ihre Schwester Karen in Kolumbien, die wegen einer merkwürdigen Atemwegserkrankung im Krankenhaus liegt. Den immer wiederkehrenden Knall, „wie ein Rumpeln aus den Erdinneren“ nimmt offensichtlich nur sie wahr, und so sucht sie eine Erklärung. Sie lernt eine Archäologin kennen, die Knochen, die beim Bau eines Tunnels entdeckt wurden, studiert. Ein befreundeter Tontechniker versucht, das Geräusch digital nachzubauen, und sie begegnet auf dem Land an einem Fluss einem Einsiedler, der eine ältere Version des Tontechnikers sein könnte. Er wolle die Anzahl seiner Eindrücke reduzieren, weil er nie etwas vergessen könne, erzählt er, deshalb habe er sich für die Einsamkeit entschieden. Langsam kommt auch für uns der Punkt, wo wir uns von der Geschichte im Film zurückziehen können, denn der nimmt seinen eigenen Weg. „Weerasekathul ist ein Künstler, der von uns verlangt, dass wir unsere Gedanken auf die ungelösten und unausgesprochenen Geheimnisse der Existenz richten: dass wir geboren werden, leben, sterben und das alles, ohne jemals zu wissen, warum, oder oft sogar, ohne es wissen zu wollen. Aber er nähert sich diesen Phänomenen mit der gleichen Gelassenheit, mit der er auch Fragen der Landwirtschaft oder der Technik behandeln würde. In einer ruhig-realistischen, nicht-mystischen Filmsprache kann dieser Regisseur einen wirklich davon überzeugen, dass die Lebenden und die Toten, die Vergangenheit und die Gegenwart, das Irdische und das Andere Seite an Seite existieren. Memoria ist ein schöner und geheimnisvoller Film, „Slow Cinema“, das den Herzschlag verlangsamt.“ Peter Bradshaw | The Guardian
MEMORIA
Credits:
CO, TH, GB, MX, FR, CN, TW 2021, 136 Min., spanisch, englische OmU Regie : Apichatpong Weerasethakul Kamera: Sayombhu Mukdeeprom Schnitt: Lee Chatametikool mit: Tilda Swinton, Elkin Díaz, Jeanne Balibar, Juan Pablo Urrego, Daniel Giménez Cacho, Agnes Brekke
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