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Blackberry

BlackBerry

Ein Film von Matt Johnson.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Zwei unglei­che Unternehmer – der hoch­in­tel­li­gen­te Innovator Mike Lazaridis und der knall­har­te Geschäftsmann Jim Balsillie – tun sich zusam­men. Mit einem Gerät, das der eine erfun­den hat und der ande­re ver­mark­tet, haben sie inner­halb von zehn Jahren welt­weit Erfolg. Es nennt sich BlackBerry und revo­lu­tio­niert die Art, wie die Welt arbei­tet, spielt und kom­mu­ni­ziert. Aber gera­de als das BlackBerry zu neu­en Höhenflügen ansetzt, beginnt es im Nebel der Smartphone-Kriege, Managementkrisen und Ablenkungsmanöver schon wie­der die Orientierung zu ver­lie­ren, was schließ­lich zum Zusammenbruch eines der erfolg­reichs­ten Unternehmen in der Geschichte der Technologie- und Geschäftswelt führt.
Johnsons frü­he­re Werke (The Dirties, Operation Avalanche) zei­gen Filmfreaks, die getrie­ben sind von der Idee, selbst mit der Kamera etwas auf Film zu ban­nen, das in Wirklichkeit unglaub­lich, wenn nicht unmög­lich erscheint. Seine Geschichten han­deln von schein­bar unschein­ba­ren Menschen, die etwas errei­chen wol­len, das bis­her noch nie­man­dem gelun­gen ist. Mit dem ihm eige­nen, bei­ßen­den Humor ver­blüfft er uns die­ses Mal mit der Story von zwei Kanadiern, die zwi­schen gemein­sa­men Filmabenden ein Werkzeug erfan­den, das aus unse­rem Leben nicht mehr weg­zu­den­ken ist.

Dank einer nost­al­gisch-iro­ni­schen 90er und 00er Ästhetik, der per­ma­nen­ten Gegenüberstellung von Geek-Kultur und Corporate Warfare und unzäh­li­gen Film‑, Game- und Pop/Rock-Zitaten gelingt Johnson dabei eine Tragikomödie, die sich wie­sel­flink zwi­schen Wayne’s World, The Social Network und Wallstreet bewegt.„
Sennhausers Film Blog

Credits:

CA 2023, 121 Min., engl. OmU
Regie: Matt Johnson
Kamera: Jared Raab
Schnitt:Curt Lobb
mit Jay Baruchel, Glenn Howerton, Matt Johnson, Cary Elwes, Saul Rubinek, Michael Ironside, Rich Sommer, Sungwon Cho, Michelle Giroux, Mark Critch

Trailer:

OmU!

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THERE IS A STONE

There is a Stone

Ein Film von Tatsunari Ota.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Eine zufäl­li­ge Begegnung am Fluss, ein flüch­ti­ges Zusammensein, ein Tag Auszeit – Tatsunari Otas Film erkun­det eine Welt ohne Produktivität und fin­det Freude an Müßiggang und Verspieltheit – wun­der­schön in sei­ner Beiläufigkeit, über­ra­schend in Details.
Eine jun­ge Frau recher­chiert für ein neu­es Reiseprojekt. Von der Burg, die sie sucht, ist jedoch außer einer Hinweistafel nichts mehr zu fin­den. Auf dem Weg zurück zur Bahn kommt sie an ein Flussbett und ent­deckt auf der ande­ren Seite einen Mann, der geschickt Steine übers Wasser sprin­gen lässt. Nach anfäng­li­cher Unsicherheit spa­zie­ren sie zusam­men am Fluss ent­lang, und als er ver­schie­de­ne Spiele vor­schlägt, ver­gisst sie all­mäh­lich Arbeit und Zeit. Beide ver­tie­fen sich in die Suche nach ihren „Lieblingssteinen”, jon­glie­ren mit Ästen und ver­brin­gen Zeit mit­ein­an­der, als wären sie wie­der Kinder. Doch als die Sonne unter­geht, geht die Zeit, die sie gemein­sam ver­bracht haben, zu Ende.
Vertändelt man sei­ne Zeit beim Schauen eines Films, der sei­nen Blick auf das Vertändeln von Zeit, das Spiel, und schein­bar unnüt­zes Tun rich­tet?
John Berra von Screen-Daily meint, ganz sicher nicht:
„Die Aufnahmen des Kameramanns Yuji Fukaya sind gera­de­zu hyp­no­ti­sie­rend. Er nutzt die Academy Ratio, um ein Gefühl der Abgeschlossenheit in der länd­li­chen Umgebung zu erzeu­gen. … Obwohl eine Reihe von ange­mes­sen zurück­hal­ten­den Arrangements des Komponisten Shu Oh spar­sam ein­ge­setzt wird, besteht die Hauptbegleitung in Naru Sakamotos Sounddesign, das das sanf­te Plätschern des Baches und ande­re natür­li­che Elemente mit trance­ar­ti­ger Wirkung unter­streicht.
An Ogawa und Tsuchi Kano sind in ihren namen­lo­sen Rollen völ­lig unge­küns­telt und stel­len ein Paar sehn­süch­ti­ger, aber vor­sich­ti­ger Seelen dar, ohne dass es einer Hintergrundgeschichte bedarf. Diese flüch­ti­ge Freundschaft hat einen ganz eige­nen Rhythmus, aber wer sich dar­auf ein­lässt, wird in There Is A Stone einen loh­nen­den Ausflug fin­den, der aus dem schein­bar Alltäglichen behut­sam beson­ders ech­te Momente herausholt.“

Credits:

Ishi ga aru – 石がある
Jp 2022, 104 Min., japan. OmU
Regie: Tatsunari Ota
Kamera: Yuji Fukaya
Schnitt: Keiko Okawa
mit:An Ogawa, Tsuchi Kanou

Trailer:
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The Quiet Girl

Ein Film von Colm Bairéad.

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Das beein­dru­cken­de Debut des Iren Colm Bairéad ist ein ruhi­ger, ein stil­ler Film. Zurückhaltend wie sei­ne Hauptfigur, die neun­jäh­ri­ge Cáit, lebt vom genau­en Hinschauen, Spüren, von vor­sich­ti­gem Herantasten. Zu Beginn ver­steckt sie sich vor ihren Geschwistern im hohen Gras, und wird von der Kamera ent­deckt.
In den 80-er Jahren war Armut in der Republik Irland kein Fremdwort, und auch der Hof von Cáits Familie ist unr­e­ta­bel. Man lebt beengt, der Vater ver­spielt und ver­trinkt das weni­ge Geld, die Mutter ver­nach­läs­sigt fast zwangs­läu­fig die Kinderschar. Als sie erneut ein Kind erwar­tet, wird aus­sor­tiert, und das fami­li­en­un­kon­for­me Mädchen zeit­wei­se bei einem ent­fernt ver­wand­ten Ehepaar unter­ge­bracht. Seán und Eibhlín sind ver­gleichs­wei­se wohl­ha­bend und kön­nen die Kleine gut auf­neh­men. Während Eibhín sich rüh­rend um Cáit küm­mert, ver­hält sich Seán zunächst abwei­send und unfreund­lich.
Dass sich dies grund­le­gend ändert, ist qua­si film­ge­mäß vor­be­stimmt, doch die Annäherung von Kind und Ersatzvater wird auf eine sel­ten schö­ne und undra­ma­ti­sche Weise gezeigt. Kleine Gesten, Blicke und Ermunterungen zeu­gen von zuneh­men­der Vertrautheit, wenn es auch in die­ser Familie Geheimnisse gibt.
„ … Diese Cáit mag nicht viel spre­chen. Dafür aber nimmt sie mit allen Sinnen wahr, auf­merk­sam und sen­si­bel. Und der Film tut es mit ihr. Colm Bairéad lässt die Kamera zu einem Sinnesorgan des künf­ti­gen Erinnerns wer­den; er erzählt ohne die übli­chen dra­ma­tur­gi­schen Konflikte, sucht nie das gro­ße Drama. Wohltuend ist das und unauf­dring­lich. Das ist auch das bes­te Adjektiv, um die­sen Film zu beschrei­ben – nichts drängt sich auf, alles ist inwen­di­ges Erleben.
… Cáit sol­le sich nicht ob ihrer Schweigsamkeit sor­gen, sagt Séan ein­mal am Strand zu ihr; zu vie­le Menschen wür­den die Chance ver­pas­sen, nichts zu sagen, und dabei viel kaputt machen. Dasselbe gilt auch für vie­le Filme, die es ver­pas­sen, mit den Bildern zu erzäh­len, und statt­des­sen alles zer­re­den. Das Debüt von Colm Bairéad fin­det dar­in sei­ne eige­ne meis­ter­haf­te Form.“
Sebastian Seidler | Filmdienst

Credits:

An Cailín Ciúin
IR 2022, 95 Min., gälisch, eng­li­sche OmU
Regie: Colm Bairéad
Kamera: Kate McCullough
Schnitt: John Murphy
mit: Carrie Crowley, Andrew Bennett, Catherine Clinch

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Monster im Kopf

Ein Film von Christina Ebelt. 

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Hochschwanger sitzt Sandra im Gefängnis und kämpft ener­gisch dar­um, dass ihr Kind auch nach der Geburt bei ihr bleibt. Doch die Sozialarbeiterin und das Jugendamt sind skep­tisch, ob sie ihr das zutrau­en. Sie befürch­ten, wenn Sandra unter Druck gerät, fällt sie in alte Muster zurück und hat sich nicht im Griff. Erst durch geschickt in die Erzählung ein­ge­wo­be­ne Rückblenden erfah­ren wir, wie es über­haupt so weit kom­men konn­te.” (Filmfest München)
Das Impulsive, die Unberechenbarkeit und die Gewaltausbrüche der Hauptfigur machen es nicht leicht, einen Zugang zur Hauptperson zu fin­den, was aber genau die Intention des Films ist: Nicht durch eili­ge Schuldzuweisungen die Ambiguität der Protagonistin zu unter­lau­fen. Eine Figur voll­stän­dig ver­ste­hen zu kön­nen, viel­leicht auch beu­gen zu wol­len, wird in den bes­ten Momenten zurecht wider­spro­chen. So bleibt immer ein Rest in der Schwebe und wir dür­fen uns nur ein wenig nähern, was aber aus­reicht, um letzt­lich ein gro­ßes Mitgefühl zu erzeugen. 

Credits:

DE 2023, 94 Min.
Regie: Christina Ebelt
Kamera: Bernhard Keller
Schnitt: Florian Riedel
mit Franziska Hartmann, Slavko Popadić, Martina Eitner-Acheampong

Trailer:
MONSTER IM KOPF – Offizieller Trailer
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Totem

Tótem

Ein Film von Lila Avilés. 

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In ihrem zwei­ten Film ver­lässt Lila Avilés die engen Hotelzimmer ihres Debüts „The Chambermaid”, aber der Zusammenhang zwi­schen mensch­li­chen Beziehungen und Innenräumen bleibt Thema. Schauplatz ist ein gro­ßes Haus, in dem Familie und Freund*innen ein zwei­fa­ches Ritual bege­hen: Der Maler und jun­ge Vater Tona hat Geburtstag, und da es wohl sein letz­ter ist, wird zugleich Abschied gefei­ert. Entsprechend hat auch der Film zwei Seelen: Hinter der Hektik und Spontaneität beim Vorbereiten und Feiern tut sich jene archa­isch-spi­ri­tu­el­le Tiefendimension auf, die im Titel anklingt. Tonas geschwäch­ter Körper bleibt zunächst unsicht­bar. Im schüt­zen­den Zimmer sam­melt er Kraft für die Zeremonie, bei der er die gan­ze Liebe und Zuneigung erfährt, die er für sei­ne letz­te Reise braucht. So sorg­sam wie der Patriarch sei­ne gelieb­ten Bonsaibäumchen gestal­tet Avilés ihre fil­mi­sche Miniatur, hilft Handlungslinien und Gefühlen auf den rich­ti­gen Weg, schnei­det Nebensächliches und Überflüssiges weg. Der Film berei­tet den Weggang eines Menschen vor, ist aber vol­ler Lebenszeichen und ‑for­men: Tiere, Insekten, Pflanzen und ein Defilee wun­der­ba­rer Menschen, ver­eint in der Kraft des Miteinanders.

Wie der Betrachter auf den ver­schie­de­nen Elementen und Details eines gro­ßen Gemäldes aus frü­he­ren Zeiten ver­weilt und dann den Blick wei­ter­zie­hen lässt, so erfasst auch der Film auf ruhi­ge und bedäch­ti­ge Weise die­se Familie in ihrer unge­wöhn­li­chen Situation, stellt mal den einen, mal die ande­re in den Mittelpunkt und wech­selt dann in den Nebenraum, nimmt eine ande­re Perspektive ein. Das gelingt. Ist span­nend und kurz­wei­lig. Denn als Zuschauer:in zeich­net man die­ses Familienportrait im Kopf nach, macht sich nach und nach ein Bild von jedem Einzelnen und der Familie als Ganzem. Dabei schweift der fil­mi­sche Blick auch ab und ent­wirft ganz neben­bei ganz unge­wöhn­li­che, aber groß­ar­ti­ge Kinobilder, die er durch das zurück­ge­nom­me­ne Sounddesign ein­mal mehr wir­ken lässt. ..” Verena Schmöller | kino-zeit.de

Credits:

MX DK FR 2023 95 Minuten
spa­ni­sche OmU (deut­sche und eng­li­sche Untertitel)
Regie, Buch: Lila Avilés
Kamera: Diego Tenorio
Schnitt: Omar Guzmán
mit: Naíma Sentíes
Monserrat Marañon
Marisol Gasé
Saori Gurza
Teresita Sánchez

Trailer:
TÓTEM – offi­zi­el­ler Kinotrailer – ab 09.11. im Kino
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Notes on a Summer

Ein Film von Diego Llorente.

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Die „Kurzen Notizen eines Sommers“ – es wird viel per SMS kom­mu­ni­ziert – han­deln von der Mitt-Zwanzigerin Marta, Universitätsangestellte in Madrid. Sie gera­de mit ihrem Freund Leo zusam­men­ge­zo­gen und fährt anschlie­ßend für einen kur­zen Urlaub zurück in ihren Heimatort an die Atlantikküste im Norden Spaniens. So schön die Gegend dort ist, so abge­hängt ist sie öko­no­misch. Während die Hauptstadt für einen siche­ren Arbeitsplatz und eine sta­bi­le Beziehung steht, erscheint der jun­gen Frau Asturien als eine Art ver­lo­re­nes Paradies, wo sie sich zusam­men mit den Freundinnen zurück in die Teenager-Zeit bea­men kann. Dazu kommt dann noch die Begegnung mit mit ihrem Exfreund Pablo, dem sie einst den Laufpass gab. Das mög­li­che Abenteuer mit ihm reizt sie, und so wird die Beziehung, unver­bind­lich natür­lich, reak­ti­viert. Aber zur Hochzeit von Martas Freundin ist auch Leo ein­ge­la­den.
Es ist eine ein­fa­che, uni­ver­sel­le Geschichte, die uns Diego Llorente hier in klei­nen Alltagsvignetten anbie­tet, unauf­ge­regt mit Rohmerschem Touch und bewun­derns­wert natür­lich erzählt und gespielt.
Ein som­mer­li­cher Film über Lust und Liebe und Entscheidungen, die man tref­fen
muss (oder auch nicht).

Credits:

ES 2023, 83 Min., span. OmU
Regie: Diego Llorente
Kamera: Adrián Hernandez
Schnitt: Diego Llorente
mit: Katia Borlado, Antonio Araque, Álvaro Quintana, Rocío Suáre

Trailer:
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Das Versprechen – Architekt BV Doshi

Ein Film von Jan Schmidt-Garre.

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Balkrishna Doshi ist 1927 gebo­ren, aber er war der jüngs­te Architekt der Welt. Alles, wor­über jun­ge Architekten heu­te dis­ku­tie­ren, setz­te er schon vor Jahrzehnten um.

Seit den 60er Jahren bau­te er nach­hal­tig: mit loka­len Materialien, ener­gie­spa­rend, mit natür­li­cher Klimatisierung.

Seit den 80er Jahren bau­te er sozi­al: kos­ten­güns­ti­ge Siedlungen, die von den Slum-Bewohnern der indi­schen Großstädte wei­ter­ent­wi­ckelt wur­den und ihnen den sozia­len Aufstieg ermöglichten.

2018 erhielt er dafür den Nobelpreis der Architektur, den Pritzker Architecture Prize.

Im Januar 2023 ver­starb BV Doshi hoch­be­tagt „als ein glück­li­cher Mensch“, wie Regisseur Jan Schmidt-Garre schreibt.

Ein ein­fühl­sa­mes Portrait eines gro­ßen Architekten, das die inni­ge Verbindung von Mensch und gebau­ter Umwelt beleuch­tet, die im Zentrum von Doshis Schaffen steht. Keiner der übli­chen Starchitecture-Filme, son­dern ein Blick auf den Menschen und auf das Indien, die Doshis Bauten geprägt haben.“

Credits:

Das Versprechen – Architekt BV Doshi
D 2023, 90 Min., engl. OmU
Regie: Jan Schmidt-Garre
Kamera: Diethard Prengel
Schnitt: Sarah. J. Levine

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Anatomie eines Falls

Ein Film von Justine Triet. 

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Cannes: Palme d’or 2023

Sie muss erst etwas erle­ben, bevor sie schrei­ben kann, sagt die Schriftstellerin Sandra (Sandra Hüller) zu der jun­gen Studentin, die sie für ihre Doktorarbeit inter­viewt. In einem abge­le­gen Chalet in den fran­zö­si­schen Alpen wohnt Sandra, die eigent­lich aus Deutschland stammt, wegen ihres Mannes aber nach Frankreich gezo­gen ist und die Sprache gut beherrscht. Doch in der Ehe mit Samuel (Samuel Theis) scheint es zu kri­seln, offen­bar um das Interview zu stö­ren lässt Samuel lau­te Musik laufen.

Kurz nach­dem die Studentin das Haus ver­las­sen hat wird Samuel tot auf­ge­fun­den, augen­schein­lich aus der drit­ten Etage des Chalets gestürzt, ob durch Selbstmord oder Fremdeinwirkung bleibt offen. Die Ermittlungen der Polizei geben kein kla­res Bild, das Fehlen von ein­deu­ti­gen Beweisen lässt auch Sandra als Tatverdächtige mög­lich wer­den. Zusammen mit ihrem Anwalt Vincent (Swann Arlaud) berei­tet sie sich auf eine mög­li­che Anklage vor und so kommt es auch: Die Autorin steht wegen Mord vor Gericht und auch ihr Sohn Daniel (Milo Machado-Graner) muss als Zeuge aussagen.

Weite Teile von Justine Triets „Anatomy of a Fall“ spie­len vor Gericht, minu­ti­ös wird die lang­wie­ri­ge Verhandlung geschil­dert, die Aussagen von Sandra, Daniel und ande­ren Zeugen. Doch auch wenn der Titel deut­lich auf Otto Premingers Klassiker „Anatomy of a Murder“ anspielt hat Triet ande­res im Sinn als einen blo­ßen Gerichtsfilm. Sie erzählt von der schwie­ri­gen, oft nicht zu beant­wor­ten­den Suche nach der Wahrheit, nach Fakten, vom meist zum schei­tern ver­ur­teil­ten Versuch, sich anhand von weni­gen Indizien, ver­spreng­ten Aussagen, Tonbandaufzeichnungen und ande­ren Hinweisen, ein kla­res Bild zu machen.

Unweigerlich muss man hier an #metoo den­ken, an die unzäh­li­gen Fälle, in denen in den letz­ten Jahren ein Mensch unter Verdacht geriet und schnell auf Grund weni­ger Hinweise, ein­zel­nen Zeugenaussagen von der öffent­li­chen Meinung ver­ur­teilt wur­de, mal zu recht, mal aber auch zu unrecht.

In „Anatomy of a Fall“ ist es nun inter­es­san­ter­wei­se eine Frau, deren Ambivalenzen sie ver­däch­tig macht, die aber vor allem eine kom­ple­xe Person ist, die nicht ein­fach auf einen kla­ren Nenner zu brin­gen ist. Allein die Sprache macht es schwie­rig: Als Deutsche in einem frem­den Land, gut Französisch spre­chend, aber vor Gericht dann doch auf das uni­ver­sel­le Englisch zurück­grei­fend, was aller­dings für kei­nen der Beteiligten die Muttersprache ist. Lost in Translation sozu­sa­gen, was erst recht für man­che Zeugenaussagen gilt, aber auch für schein­bar objek­ti­ve Tonbandaufnahmen. Einen Streit zwi­schen dem Paar hat­te Samuel ins­ge­heim auf­ge­nom­men, der nun als Beweis der Anklage dient. Doch wie ein­deu­tig ist das, was man da hört eigent­lich? Anfangs unter­legt Triet die Tonbandaufnahme noch mit den Bildern des Streites, spä­ter springt sie in den Gerichtssaal zurück, so dass man nur hört, aber kei­ne Bilder mehr sieht. Und wenn dann Geschirr zer­bricht, Dinge zu Boden fal­len muss man sich fra­gen, was denn da genau pas­siert ist und letzt­end­lich zum Schluss kom­men, dass man es nicht genau weiß.

Das mag unbe­frie­di­gend sein, gera­de vor Gericht, gera­de in der Realität, wenn es um #metoo-Vorwürfe geht, aber gera­de in sol­chen Fällen darf sich eine demo­kra­ti­sche Gesellschaft glück­lich schät­zen, dass die Unschuldsvermutung gilt. In die­sem Sinne ist es nur kon­se­quent, wie Justine Triet ihren Film enden lässt, wie sie sich einer kla­ren Antwort in Bezug auf Sandras Schuld ent­zieht. In der Rolle der undurch­schau­ba­ren Schriftstellerin bril­liert Sandra Hüller, die zum zwei­ten Mal mit Triet zusam­men­ar­bei­te­te und mit ihrer Darstellung stark dazu bei­getra­gen haben dürf­te, das ihre Regisseur als erst drit­te Frau nach Jane Campion und Julia Ducournau mit der Goldenen Palme aus­ge­zeich­net wurde.

Michael Meyns | programmkino.de

Credits:

Anatomie d’u­ne chu­te
FR 2023, 151 Min., frz. OmU
Regie: Justine Triet
Kamera: Simon Beaufils
Schnitt: Laurent Sénéchal
mit: Sandra Hüller, Swann Arlaud, Milo Machado Graner, Antoine Reinartz, Samuel Theis, Jehnny Beth, Saadia Bentaïeb, Camille Rutherford

Trailer:
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Tori & Lokita

Ein Film von Luc und Jean-Pierre Dardenne.

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Großaufnahme von Lokita (Joely Mbundu): Die 16-jäh­ri­ge aus Benin mit den kur­zen, jun­gen­haf­ten Haaren hat Angst. Trauer füllt ihre Augen, ganz leicht zuckt ihre Nase. Ansonsten blickt sie reg­los an der Kamera vor­bei, in die Enge gedrängt wie ein gefan­ge­nes Tier. Zu hören ist die Stimme einer Frau. Sie schießt Fragen ab wie Pfeile, knapp und mes­ser­scharf, als wäre dies ein Kreuzverhör vor Gericht. Aber Lokita sitzt nicht vor einem Ankläger. Sondern in einer Behörde, die berech­tig­te Anliegen sach­lich prü­fen soll. Das Mädchen braucht eine Aufenthaltsgenehmigung in Belgien. Dafür muss sie lügen, anders als Tori (Pablo Schils), ihr elf­jäh­ri­ger Kompagnon, den sie bei der Flucht übers Meer ken­nen gelernt und ins Herz geschlos­sen hat. Tori darf blei­ben, weil er unter 14 ist. Wäre Lokita Toris älte­re Schwester, bekä­me sie eben­falls einen Schutz vor Abschiebung, des­halb sagt sie die Unwahrheit. Die Frau in der Behörde scheint sol­che Strategien zu ken­nen. Sie bohrt nach, bleibt uner­bitt­lich, ver­langt schließ­lich einen DNA-Test. Als Lokita wie­der drau­ßen ist, bricht sie wei­nend zusammen.

Von der Frau in der Behörde ist nur die Stimme zu hören. Mit gutem Grund ver­wei­gern die Regisseure Luc und Jean-Pierre Dardenne, die auch gemein­sam das Drehbuch geschrie­ben haben, den Blick auf die Sachbearbeiterin. Ihnen geht es nicht um indi­vi­du­el­les Fehlverhalten, nicht um mög­li­cher­wei­se sadis­ti­sche Neigungen oder auch nur um ver­bor­ge­ne Vorurteile. Es geht um uns alle hier in Europa, die wir weg­schau­en vor dem unvor­stell­ba­ren Leid, das min­der­jäh­ri­gen Geflüchteten zuge­fügt wird, bis hin zu Sklaverei, sexu­el­lem Missbrauch oder gar Mord. Die Brüder Dardenne beschäf­tig­ten sich schon län­ger mit dem Thema, auch in ihrem vor­letz­ten Film „Das unbe­kann­te Mädchen“ (2016) spiel­te es eine Rolle. Den Anstoß zu „Tori und Lokita“, so erzäh­len sie es in einem Interview, gab dann ein Artikel dar­über, wie vie­le Jungen und Mädchen spur­los aus Notunterkünften und Wohngruppen ver­schwin­den. Es sol­len geschätzt 15 bis 20 Prozent der Aufgenommenen sein.

Bevor Lokita voll­ends in die Hände von Drogen- und Menschenhändlern gerät, ler­nen wir sie und Tori in knap­pen, berüh­ren­den Alltagssituationen ken­nen. Vor dem Schlafengehen albern sie mit­ein­an­der her­um wie ech­te Geschwister, kuscheln sich ins Bett, hel­fen ein­an­der mit einem Lied aus der Heimat in den Schlaf. Ihre Sangeskünste tra­gen sie auch in der Pizzeria vor, in der sie für einen Hungerlohn arbei­ten – ein ergrei­fen­der Moment. Ohne dass der Film es aus­spre­chen muss, machen die Bilder klar, wie innig die­se Freundschaft ist, die die bei­den alle Härten der Flucht hat über­ste­hen las­sen. Was auch immer die feind­li­che Umwelt den „Geschwistern“ antut – solan­ge sie ein­an­der haben, blei­ben sie bewun­derns­wert stark im Kampf um die nack­te Existenz. Die enge Bindung ist wich­ti­ger als alles, was man sonst zum Überleben braucht. Darauf zu ver­zich­ten, wird den bei­den zum Verhängnis, als sich Lokita dar­auf ein­lässt, als Gegenleistung für einen gefälsch­ten Pass für drei Monate eine gehei­me Cannabis-Plantage zu pfle­gen, wie in einem Gefängnis, ohne Ausgang, ein­ge­sperrt Tag und Nacht, selbst ohne Handy-Empfang.

Als der jüngs­te Film der Altmeister im Wettbewerb von Cannes 2022 Premiere hat­te, war­fen ihm Teile der Kritik vor, er tra­ge zum Werk der Brüder nichts Neues bei. Daran ist rich­tig, dass sich die inzwi­schen 71- und 74-Jährigen nicht neu erfin­den. Aber der Vorwurf über­sieht, wie bril­lant die Filmemacher inzwi­schen das Genre des Sozialrealismus beherr­schen, wie kon­zen­triert, öko­no­misch und straff ihr zwölf­ter Spielfilm die Handlung vor­an­treibt. Und vor allem, wie sie ihre cine­as­ti­sche Kunstfertigkeit dazu nut­zen, das Publikum teil­ha­ben zu las­sen an dem Schicksal der bei­den Geflüchteten. Dem Sog die­ser Bilder kann man sich nicht ent­zie­hen, Wegschauen wird ersetzt durch Empathie. Sich der Wahrheit stel­len zu müs­sen, mag nicht immer ange­nehm ein. Aber es wird zumin­dest gelin­dert durch die inten­si­ve Darstellung der bei­den Laienschauspieler.

Peter Gutting | programmkino.de

Credits:

BE/FR 2022, 88 Min., frz. OmU
Regie & Buch: Luc und Jean-Pierre Dardenne
Kamera: Benoît Dervaux
Schnitt: Marie-Hélène Dozo, Valène Leroy
mit: Pablo Schils, Joely Mbundu, Marc Zinga, Nadège Ouedraogo, Charlotte De Bruyne

Trailer:
TORI & LOKITA (2022) – Trailer 1
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Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste

Ein Film von Margarethe von Trotta.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Sie ist Österreicherin, er Schweizer, sie Lyrikerin, er Dramatiker, sie drauf­gän­ge­risch und ver­wund­bar, er ver­we­gen und biss­chen Biedermann: Ingeborg Bachmann und Max Frisch sind bereits so etwas wie inter­na­tio­na­le Stars der Kulturszene, als sie sich im Sommer 1958 in Paris erst­mals begeg­nen. Die vier Jahre danach ver­su­chen sie sich in gro­ßer Liebe und offe­ner Beziehung zwi­schen Zürich, sei­ner Heimatstadt, und Rom, ihrer Wahlheimat. Frisch nei­det ihr den Ruhm; Bachmann nervt sein Schreibmaschinengeratter und sei­ne Eifersucht sowie­so. Sie ist eman­zi­piert, ver­suchs­wei­se frei, mobil, pro­duk­tiv; in Berlin schreibt sie die berühm­te Rede „Die Wahrheit ist dem Menschen zumut­bar“. Dass und vor allem wie sehr sie lei­det, erkennt sie erst hin­ter­her, mit Adolf Opel in der Wüste, bei Hans Werner Henze in Italien. Von Trotta ver­webt die Zeiten des Vor- und Nach-der-Katastrophe. Sie insze­niert direkt, nüch­tern und ele­gant. Ronald Zehrfeld als kor­pu­len­ter Pfeifenraucher und Vicky Krieps (nach der Sisi in einer wei­te­ren Kultfigur-Rolle): kon­ge­ni­al. Nicht vom fata­len Ende Bachmanns han­delt die­ser Film, son­dern von ihrem Hoffen auf Liebe und Respekt, in der Literatur wie im Leben.

Credits:

Schweiz / Österreich / Deutschland / Luxemburg 2023
Deutsch, Französisch, Italienisch OmU
Regie & Buch: Margarethe von Trotta
Kamera: Martin Gschlacht
Schnitt: Hansjörg Weißbrich
Mit: Vicky Krieps, Ronald Zehrfeld, Tobias Resch, Basil Eidenbenz, Luna Wedler, Marc Limpach, Roberto Carpentieri, Katharina Schmalenberg

Trailer:
INGEBORG BACHMANN | Trailer deutsch | Jetzt im Kino!
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