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Karla

Ein Film von Christina Tournatzés. 

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Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer sexu­el­le Handlungen an einer Person unter vier­zehn Jahren (Kind) vor­nimmt oder an sich von dem Kind vor­neh­men lässt.“ Dieser Paragraph wird für Karla zum Schutzschild, nach­dem sie mehr­mals erfolg­los bei der Polizei vor­ge­spro­chen hat. Diesmal lässt sie sich nicht fort­schi­cken, sie kennt ihr Recht: „Ich bin Karla Ebel. Ich bin zwölf Jahre alt und ich möch­te Anzeige erstat­ten.“ Sie hat es geschafft, zu einem Richter vor­zu­drin­gen. Der ist zunächst skep­tisch. Es ist 1962, und den Fall einer 12-jäh­ri­gen zu ver­han­deln, die ihren Vater des wie­der­hol­ten sexu­el­len Missbrauchs anzeigt, ist so aus­sichts­los wie kar­rie­re­schäd­lich, denn die Welt ist noch in Ordnung, und in guten Familien pas­siert „sowas“ nicht. Aber Karla bleibt beharr­lich.
„Konsequent bleibt der Film ganz nah bei sei­ner Protagonistin, ihren Gefühlen, ihrem Gesicht. Es ist das Gesicht von Elise Krieps in ihrer ers­ten Rolle – eine Entdeckung, ein Glücksfall! Mit gro­ßer Präsenz ver­kör­pert sie die stil­le Kraft der trau­ma­ti­sier­ten Karla zwi­schen hilf­lo­sem Schweigen und ihrem unbän­di­gen Wunsch nach Gerechtigkeit und einem Leben ohne Übergriffe. … Kann man einen Film über sexu­el­len Missbrauch machen, ohne die Tat in Worten zu schil­dern oder in Bildern zu zei­gen? Regisseurin Christina Tournatzés gelingt es, in ihrem Spielfilmdebüt jeg­li­che Form von Voyeurismus zu ver­mei­den. Zarte Andeutungen, visua­li­sier­te Erinnerungsfetzen, blitz­schnel­le Flashbacks, doch nie wird die jun­ge Protagonistin als Opfer gezeigt. Nie ver­liert sie ihre Würde. Schon das allein macht Karla so beson­ders.“ Sabine Schultz | kino-zeit 

Credits:

DE 2025, 104 Min., deut­sche Originalfassung mit eng­li­schen Untertiteln
Regie: Christina Tournatzés
Kamera: Florian Emmerich
Schnitt: Isabel Meier
mit: Elise Krieps, Rainer Bock, Imogen Kogge, Torben Liebrecht, Katharina Schüttler

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Holding Liat

Holding Liat

Ein Film von Brandon Kramer

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Ein Film, wahr­haft ins Offene gedreht, Zusammenhängen fol­gend, obwohl sich – als er begon­nen wur­de – das Geschehen nicht vor­her­se­hen lässt. Liat wird am 7. Oktober 2023 von Mitgliedern der Hamas gewalt­sam aus ihrem Kibbuz ent­führt, kurz danach dreht Brandon Kramer mit ihrer Familie. Er ist dabei, sehr nah, wenn die Eltern Yehuda und Chaya ver­su­chen, mit ihrer Angst umzu­ge­hen – oder im Austausch mit Behörden Einfluss zu neh­men auf das Schicksal ihrer erwach­se­nen Tochter und das ihres Gatten. Als US-Bürger fliegt Yehuda in die USA, beglei­tet von Liats Sohn, den nicht nur die öffent­li­che Aufmerksamkeit belas­tet, und Liats Schwester, die ver­su­chen wird, Yehudas Temperament und Wut abzu­fan­gen. Denn Polarisierung gibt es auch in die­ser Familie: Der Vater sieht trotz sei­nes Schmerzes Israels Rolle im Nahost-Konflikt kri­tisch, ist Pazifist und lässt sich auch im geo­po­li­ti­schen Epizentrum von Diplomatie und Trauma nicht vom Weg der Aussöhnung abbrin­gen. Beharrlich schwimmt er gegen den Strom, legt sich mit sich selbst und allen an und schimpft auf die israe­li­sche Regierung. Ein offe­ner Film zur Stunde. Einsichten kom­men nicht von der Politik, son­dern von Liats Familie.

Berlinale Dokumentarfilmpreis 2025. Die Jury begrün­de­te die Entscheidung fol­gen­der­ma­ßen: „Manchmal kann ein Film etwas bewir­ken, wozu nichts sonst in der Lage zu sein scheint. Eine Familie beschließt, im schlimms­ten Moment ihres Lebens einem Filmteam die Tür zu öff­nen. Die Regisseure begeg­nen die­ser Geste nicht nur mit Umsicht und Respekt vor dem Schmerz die­ser bestimm­ten Familie, son­dern auch vor dem kol­lek­ti­ven Schmerz. Es ent­steht ein Raum, in dem die Komplexität von Gewalt und Gerechtigkeit und die Widersprüche der Geschichte nicht zum Schweigen gebracht, son­dern the­ma­ti­siert wer­den. HOLDING LIAT zeigt nicht den Weg der Rache, son­dern den der Menschlichkeit, bei dem wir auf­ge­for­dert sind, über unse­ren Tellerrand zu schau­en und uns um unse­re Nachbarn zu küm­mern, anstatt sie zu töten.“

Credits:

US 2025, 97 Min., Englisch, Hebräisch OmU
Regie: Brandon Kramer
Kamera: Yoni Brook, Omer Manor
Schnitt: Jeff Gilbert

Trailer:
Holding Liat Official Trailer

Im Kino mit deut­schen Untertiteln.

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Wenn du Angst hast nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst

Ein Film von Marie Luise Lehner. Ab 2.10. im fsk. Am 4.10. mit anschlie­ßen­dem Filmgespräch.

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Spätsommer in Wien. Anna ist zwölf und lebt mit ihrer gehör­lo­sen Mutter Isolde lie­be­voll, aber beengt. Der Wechsel aufs Gymnasium ver­än­dert Annas Leben. Ihre Mitschülerinnen kom­men aus einer ganz ande­ren sozia­len Schicht und Anna beginnt, sich für ihre Herkunft und ihre allein­er­zie­hen­de Mutter zu schä­men. Während der Skiwoche muss sie so tun, als ob sie krank sei. Das für den Skikurs zurück­ge­leg­te Geld wird für den Kauf eines Schlafsofas auf­ge­wandt, das der Mutter eine sexu­el­le Beziehung, aber auch der Tochter etwas mehr Privatsphäre ermög­li­chen soll. Eine Komplizin fin­det Anna in ihrer Klassenkameradin Mara, die mit femi­nis­ti­schen Fragen pro­vo­ziert und mit ihrem quee­ren Vater eben­falls allein lebt. – Bedingungslos stellt sich Marie Luise Lehner in ihrem Langfilmdebüt an die Seite ihrer Heldinnen, schenkt ihnen Raum für Introspektion und Ausbrüche, lässt sie zurück­ru­dern und sich ver­söh­nen. Das Nichthineinpassen erlaubt es ihnen, sich selbst ken­nen- und schät­zen zu ler­nen. Lehner hisst, ganz selbst­ver­ständ­lich und mit viel pop­kul­tu­rel­ler Referenz, die bun­te Flagge der Solidarität.
„Mit einem beson­ne­nen Tonfall und facet­ten­rei­chen Figuren, die wie direkt aus dem Leben gegrif­fen wir­ken, ver­mei­det die Filmemacherin kon­se­quent Kitsch und Pathos sowie das Klischee einer her­ab­bli­cken­den Milieustudie: Wenn du Angst hast, nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst ist eine inspi­rie­ren­de Geschichte über gegen­sei­ti­ge Fürsorge, das zei­ti­ge Erkennen von Fehlern sowie die Kraft des Verzeihens.“
Sidney Schering | Filmstarts.de
Jurybegründung Teddy Jury Award: „Dieser Film trifft den Kern unse­rer Gegenwart mit trü­ge­ri­scher Leichtigkeit, bevöl­kert sei­ne Welt mit quee­ren Menschen, besteht gleich­zei­tig auf der grund­le­gen­den Queerness der Existenz – und behaup­tet schließ­lich, dass die kör­per­li­che Autonomie nie­mals der insti­tu­tio­nel­len Kontrolle über­las­sen wer­den darf.“

Credits:

AT 2025, 87 Min., Deutsch, Deutsche Gebärdensprache, Englisch OmU
Regie: Marie Luise Lehner
Kamera:
Simone Hart
Schnitt: Jana Libnik, Joana Scrinzi, Alexandra Schneider
mit: Siena Popović, Mariya Menner, Jessica Paar, Daniel Sea

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In die Sonne schauen

Ein Film von Mascha Schilinski. 

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In die Sonne schau­en, der ers­te deut­sche Film im Wettbewerb von Cannes seit Toni Erdmann, sorg­te dort direkt zu Beginn für Furore, und erhielt am Ende den Preis der Jury (ex aequo mit Sirāt). Der eigen­wil­li­ge und kom­ple­xe Film umspannt 100 Jahre, sei­ne unchro­no­lo­gi­sche und ver­schach­tel­te Erzählweise ver­deut­licht die Verbindung der Schicksale und macht sie gera­de­zu erfahr­bar.
Ein Vierseithof in der Altmark, einer alten Kulturlandschaft im Norden Sachsen-Anhalts, bil­det den Mittelpunkt des Geschehens, wobei Haus, Scheune, Garten, Felder und vor allem der nahe Fluss die Erzählung wech­sel­wei­se bestim­men. In vier Zeitrahmen, Kaiserreich, Ende des 2. Weltkriegs, 1980er Jahre DDR und Gegenwart, fol­gen wir den Protagonistinnen, Mädchen wie Alma, Teenager wie Angelika und Erika, jun­gen Frauen wie Lenka. Das Haus ver­än­dert sich, jede Epoche hat ihren eige­nen Stil, doch der Vergangenheit ist nicht zu ent­kom­men. Religiöse, sozia­le und poli­ti­sche Zwänge, ver­steck­te Begierden und patri­ar­cha­li­sche Herrschaft schaf­fen gene­ra­tio­nen­über­grei­fen­de Traumata, die geis­ter­gleich die Zeit über­dau­ern – so, wie es der inter­na­tio­na­le Titel Sound of Falling aus­drückt: Das Fallen ist stets lei­se, die Erschütterung wiegt umso schwe­rer.
„Die Handlung die­ses über­aus asso­zia­ti­ven Bilder- und Tonreigens, die­ses Kaleidoskops von Perspektiven und Konstellationen auch nur annä­hernd sinn­voll zu beschrei­ben, ist nahe­zu ein Ding der Unmöglichkeit und wür­de die­sem eben­so viel­schich­tig-kom­ple­xen wie medi­ta­ti­ven Werk auch nicht gerecht. Überhaupt hat man nach dem Verlassen des Kinos den drän­gen­den Wunsch, die­sen Film ein zwei­tes, ein drit­tes und am bes­ten noch ein vier­tes Mal zu sehen. Man wür­de zwei­fel­los dabei immer wie­der neue Details, neue Verbindungen erken­nen, auf­re­gen­de Entdeckungen machen. Das Bild, das man sich von dem Film gemacht hat, wür­de sich ver­än­dern. Klar blie­be aber sicher­lich: In die Sonne schau­en ist ein Meisterwerk, ein Solitär des Kinos, ein Monstrum von einem Film, das sich wie gesagt bestän­dig ver­än­dert, bis ins Unermessliche wächst.“ kino-zeit.de

Preis der Jury – Cannes 2025

Credits:

DE 2024, 149 Min.,
Regie: Mascha Schilinski
Kamera: Fabian Gamper

Schnitt: Evelyn Rack
Darsteller*innen: Luise Heyer, Lena Urzendowsky, Claudia Geisler-Bading, Lea Drinda, Hanna Heckt

Trailer:
Kinotrailer „In die Sonne schau­en” – Kinostart 28. August 2025
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Happy Holidays

Ein Film von Scandar Copti.

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Der Titel bezieht sich nicht auf Ferien, son­dern auf Feiertage. Studentin Fifi fei­ert mit Freundinnen in einem Club in Jerusalem das Purim-Fest, auf dem Heimweg gibt es einen Unfall. Ihre aus Haifa ange­reis­ten Angehörigen sind aller­dings weni­ger von ihrem Zustand ent­setzt als von ihrem Äußeren. Fifi ist das Nesthäkchen in einer ange­se­he­nen, groß­bür­ger­li­chen ara­bi­schen Familie. Ihr ist eines der vier Kapitel im Film gewid­met. Ihr Bruders Rami hat ein gro­ßes Geheimnis, denn sei­ne Freundin Shirley ist Jüdin – und schwan­ger. Mutter Hanan igno­riert den Niedergang des fami­li­en­ei­ge­nen Unternehmens, wenn es um die Ausrichtung der Hochzeit der älte­ren Tochter geht. Ihr Traditionsbewusstsein folgt immer dem Ehr-Konzept. Shirleys Familie will mit ihr nichts mehr zu tun haben, seit sie sich mit Rami trifft. Die Schwangerschaft sieht ihre Schwester Miri als gro­ße Katastrophe.
In den vier zeit­gleich spie­len­den, aber ein­zeln gezeig­ten Kapiteln von Fifi, Rami, Hanan und Miri sehen wir nur, was sich in deren Umgebung ereig­net. Manches erklärt sich so erst viel spä­ter, und ändert den Blick auf das Geschehen. Man kann sich auf jede Figur ein­zu­las­sen und ihre „Wahrheit“ mit­er­le­ben. Gleichzeitig wird deut­lich: Niemand han­delt iso­liert. Alle sind Teil eines Systems, das sie prägt und kon­trol­liert – durch poli­tisch, sozia­le, kul­tu­rel­le und öko­no­mi­sche Kräfte.
Die Geschichten „ste­hen für eine neue Generation jun­ger Menschen in Israel, die sich los­lö­sen wol­len von den Traditionen und den ein­ge­fah­re­nen Wegen im Land. Coptis Film ist immer dann am stärks­ten und bes­ten, wenn er die­ser Generation Ausdruck ver­leiht. Dann schafft er es näm­lich eine uni­ver­sa­lis­ti­sche Perspektive ein­zu­neh­men, die auch der Komplexität der israe­li­schen Gesellschaft gerecht wird.“ kino-zeit

Credits:

PS/DE/FR/IT/QT 2025, 123 Min., Arabisch, Hebräisch OmU
Regie & Schnitt: Scandar Copti
Kamera:
Tim Kuhn
mit: Manar Shehab, Wafaa Aoun, Meirav Memorsky, Toufic Danial

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Das deutsche Volk

Das deutsche Volk

Ein Film von Marcin Wierzchowski. Am 26.9 mit anschlie­ßen­dem Filmgespräch.

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Der Film erzählt die Geschichte des ras­sis­ti­schen Anschlags in der hes­si­schen Stadt Hanau im Jahr 2020 aus der Perspektive der Hinterbliebenen und Überlebenden. Innerhalb weni­ger Minuten erschoss der Täter neun jun­ge Menschen, weil er sie nicht für Deutsche hielt. Welche direk­ten und lang­fris­ti­gen Folgen hat ein sol­cher Anschlag auf die Menschen und ihre Stadt? Regisseur Marcin Wierzchowski beglei­te­te die Protagonist*innen vier Jahre lang in ihrem Umgang mit der Trauer und bei der per­sön­li­chen Verarbeitung des Verlusts eines gelieb­ten Menschen. Er zeigt aber auch ihren Kampf um Anerkennung und Zugehörigkeit zu dem Land, das sie ihr Zuhause nen­nen. Die Angehörigen füh­len sich von Behörden und Politik im Stich gelas­sen, denn trotz vie­ler Worte des Mitgefühls sind sie es selbst, die die Umstände der Tat auf­de­cken müs­sen. Dabei sto­ßen sie auf die kal­te Bürokratie eines Systems, das auf solch ein Verbrechen nicht vor­be­rei­tet ist – obwohl rech­ter Terror zur trau­ri­gen Normalität der deut­schen Geschichte gehört.

Credits:

DE 2025, 132 Min., Deutsch, Rumänisch, Türkisch, Englisch OmU
Regie: Marcin Wierzchowski
Schnitt: Stefan Oliveira-Pita
Kamera:
Marcin Wierzchowski, Peter Peiker

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Kontinental ’25

Ein Film von Radu Jude.

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Als die Protagonistin mit einem Bekannten, den sie von frü­her kennt, in der Bar eines Kinos sitzt, prangt links ein Plakat von Kuhle Wampe (1932) und rechts eines von Europa ’51 (1952). Dazwischen ver­schluckt sich der Bekannte am Rotwein, viel­leicht weil er unab­läs­sig Zen-Weisheiten zum Besten gibt. Brecht wird nicht nur ein­mal erwähnt und Rossellinis Film spie­gelt sich nicht nur im Titel von Kontinental ‘25, son­dern lie­fert mit dem Neorealismus auch den fil­mi­schen Modus, in des­sen Tradition der Regisseur Radu Jude sei­nen Film sieht. Jude arbei­tet sich in sei­nen sar­kas­ti­schen Tragikomödien durch Geschichte und Gesellschaft Rumäniens. Aferim! behan­del­te das Schicksal der ver­sklav­ten Roma im 19ten Jahrhundert, Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte ein­ge­hen die Beteiligung am Holocaust. Bad luck ban­ging or loo­ny porn kam als Gesellschaftssatire daher und gewann den Goldenen Bären. Damals in der Maskenzeit. Selbstverständlich tru­gen auch im Film alle Masken (über den Masken). So ver­blüf­fend ein­fach und genau ins schwär­zes­te Schwarz tref­fen nur rumä­ni­sche Filme und des­halb lohnt sich der Gang durch den Saurierwald von Cluj, der zweit­größ­ten, auf­stre­ben­den Metropole Rumäniens: Transsilvaniens finest. Denn so beginnt Kontinental ‘25, ein Flaschensammler flucht sich suchend durchs Vergnügungsgelände, ver­liert sei­nen Unterschlupf und ver­zwei­felt kur­zer­hand am Schicksal. Die zustän­di­ge Gerichtsvollzieherin fühlt sich schul­dig und fängt ihre Suche nach Sinnhaftig- keit in den zer­klüf­te­ten Gebilden der Stadt aus Prachtbauten der Zeit der Doppelmonarchie, Plattenbauten der Sowjetzeit und Glas/Alu Klötze kapi­ta­lis­ti­scher Prägung an. Silbernen Bär 2025 für das bes­te Drehbuch.

First life takes time, then time takes life. Now the next move‚s up to me“ David Berman 

Das Thema ist ernst, sicher, doch das hält ihn (Radu Jude) nicht davon ab sei­nen bösen Witz ein­zu­streu­en, iro­ni­sche Brechungen, Absicherungen und Provokationen zu eta­blie­ren. Man muss mitt­ler­wei­le nicht mehr erwäh­nen, wie gut das gelingt, wie ziel­si­cher Jude zwi­schen gal­li­gem Humor und welt­li­chen Problemen char­giert, Klassenfragen, Banalitäten, phi­lo­so­phi­sche Diskurse und absur­de Profatäten zusam­men­bringt. Das funk­tio­niert auch hier wie­der ganz groß­ar­tig, es ist ein him­mel­schrei­end komi­scher Film gewor­den, immer kurz vorm Zynismus, die­sen aber nur her­vor-blit­zen las­send, ohne ihm je wirk­lich zu ver­fal­len.“
Benedikt Guntentaler, Artechock

Credits:

RO 2025, 109 Min., Rumänisch, Ungarisch, Deutsch OmU
Regie: Radu Jude
Schnitt: Cătălin Cristuțiu
Kamera: Marius Panduru
mit: Eszter Tompa, Gabriel Spahiu, Adonis Tanța, Oana Mardare, Șerban Pavlu, Annamária Biluska, Ilinca Manolache

Trailer:
KONTINENTAL ’25 by Radu Jude | Trailer | Berlinale 2025

Im Kino mit deut­schen Untertiteln.

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Miroirs No.3

Ein Film von Christian Petzold.

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Genau wie ande­re Regiekollegen, Jim Jarmusch, Hong Sang-Soo oder Wes Anderson bei­spiels­wei­se, liebt auch Christian Petzold die Kontinuität bei der Zusammenarbeit beim Filmen. Sie schafft eine Vertrautheit, auf die man auf­bau­en kann, und trotz­dem immer wie­der Neues her­vor­bringt. Aber nicht nur Team und Cast, auch bestimm­te Motive erfreu­en sich einer gewis­sen Beliebtheit. Mit einem pro­vo­zier­ten Autounfall endet Die inne­re Sicherheit, den Freitod per Auto sucht Ali in Jericho und in Wolfsburg und Yella wird die Geschichte, wie auch dies­mal, durch einen (töd­li­chen) Crash erst in Bewegung gebracht.
Laura, eine jun­ge Pianistin aus Berlin, scheint ver­lo­ren und nicht mehr in ihre Jetzt-Welt zu gehö­ren. Sie merkt, dass sie an dem Ausflug aufs dem Land mit dem ober­fläch­li­chen Trio aus ihrem Musiker-Freund, des­sen Produzenten samt Freundin nicht teil­neh­men will, und als ver­meint­li­che Spaßbremse wie­der­um wird sie nur all­zu ger­ne zie­hen gelas­sen. Auf der Fahrt zurück zum Bahnhof kommt das rote Cabrio von der Straße ab – ihr Freund stirbt bei dem Unfall, Laura über­lebt. Die ver­wirrt her­um­ir­ren­de wird von der im nahe gele­ge­nen Haus woh­nen­den Betty auf­ge­nom­men und gepflegt.
„Laura … fängt in der trü­ge­ri­schen länd­li­chen Idylle gewis­ser­ma­ßen ein neu­es Leben an, in einem Phantasma, das sie gemein­sam mit Betty und dann auch der Mitwirkung ihrer Familie erschafft und in der jeder sein eige­nes Spiel zu spie­len scheint. Es ist ein zärt­lich gezeich­ne­ter Kokon aus fami­liä­rer Geborgenheit, gemein­sa­men Essen, Besuchen in der Autowerkstatt. Doch die gan­ze Zeit ist klar, dass er nicht von Dauer sein kann. [Es ist] … ein Spiel mit reiz­vol­len Motiven, die aber teils skiz­zen­haft blei­ben. Im Kontext mit sei­nen ande­ren Werken betrach­tet ist er ein wei­te­rer sehens­wer­ter Mosaikstein in sei­ner an fas­zi­nie­ren­den Geschichten und Metaphern so wun­der­bar rei­chen erzäh­le­ri­schen Welt.“
Patrick Seybold | epd Film

Credits:

DE 2025, 86 Min., deut­sche OmeU
Regie: Christian Petzold

Schnitt:  Bettina Böhler
Kamera: Hans Fromm

mit: Paula Beer, Barbara Auer, Matthias Brandt, Enno Trebs

Trailer:
Trailer MIROIRS NO. 3 – ab 18. September im Kino
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Die Möllner Briefe

Ein Film von Martina Priessner.

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1992 ver­üb­ten Nazis Brandanschläge auf zwei Wohnhäuser im schles­wig-hol­stei­ni­schen Mölln, drei Menschen kamen ums Leben. Die Stadtverwaltung erhielt hun­der­te Briefe, die an die Angehörigen der Opfer gerich­tet waren, aber man­gels einer genau­en Adresse dort lan­de­ten, Beileids- und Solidaritätsbekundungen an die Überlebenden, Zeichnungen, Gedichte, klei­ne Trostgeschenke. Einige wur­den beant­wor­tet, alle geöff­net und anschlie­ßend archi­viert – kein ein­zi­ger wur­de wei­ter­ge­lei­tet, bis sie 27 Jahre spä­ter sie zufäl­lig ent­deckt wur­den. Der Film nimmt die Briefe zum Anlass, die Unfähigkeit der Behörden, mit solch‘ einer mons­trö­sen Tat umzu­ge­hen, ein­mal mehr auf­zu­zei­gen. Im Mittelpunkt steht vor allem aber der Kampf der Überlebenden mit den Folgen der Tat, auch heu­te noch. Der damals 7‑jährige Ibrahim ist aktiv dabei, die Erinnerung an den Anschlag wach zu hal­ten und über Rassismus in Deutschland zu infor­mie­ren. Mit ihm besucht der Film drei Verfasserinnen, die Martina Priessner aus­fin­dig gemacht hat. Hätten die Briefe, wären sie damals ange­kom­men, über­haupt gehol­fen? Die Antwort ist ja, sie hät­ten zumin­dest das Gefühl, voll­kom­men allein zu sein mit der eige­nen Trauer, mil­dern können.

Struktureller Rassismus hat nach der eigent­li­chen Tat bei den Überlebenden zu wei­te­ren Verletzungen geführt. Regisseurin Martina Priessner gibt den Zuschauer*innen einen Einblick in ein hoch kom­ple­xes Geflecht aus Trauer, Angst, Wut und Liebe, in dem die Kinder der Familie Arslan auf­wuch­sen. Sie zeigt auch, wie das neu gegrün­de­te Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland in Köln sich der Briefe annimmt. Sorgsam, respekt­voll und in enger Absprache mit den Betroffenen küm­mern sich des­sen Mitarbeitende um die Zeitzeugnisse, die tief in die deut­sche Seele bli­cken las­sen. Mit einem ganz ähn­li­chen Ethos befasst sich Die Möllner Briefe mit den Folgen der rechts­extre­men Gewalttat.“ Eva Szulkowski | indiekino 

Credits:

DE 2025, 96 Min., deutsch, tür­ki­sche Originalfassung mit deut­schen und tür­ki­schen Untertiteln
Regie: Martina Priessner 
Schnitt: Maja Tennstedt
Kamera: Ayşe Alacakaptan, Julia Geiß

Trailer:
DIE MÖLLNER BRIEFE – Offizieller Trailer
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