Archiv des Autors: fsk

Yalda

Ein Film von Massoud Bakhshi.

[Credits] [Termine & Termine] [Trailer]

Sie kön­nen immer noch an unse­rem SMS-Wettbewerb teil­neh­men. Verdient Maryam Komijani Vergebung? Senden Sie 1 für ja, 2 für nein.“

Die Scheinwerfer und Kameras sind auf Position. Der Moderator blickt noch ein­mal auf sei­ne Notizen. Die letz­ten Werbesekunden lau­fen, noch 5, 4, 3, 2, 1 und die Reality-TV-Show beginnt. Ausgerechnet zum per­si­schen Yalda-Fest der Wintersonnenwende. Zu Gast ist Maryam, eine jun­ge, zum Tode ver­ur­teil­te Frau. Mit ihr im Studio sitzt Mona, die für sie stets wie eine gro­ße Schwester war. Maryam leb­te mit Monas Vater in einer Ehe auf Zeit. Angeblich hat sie ihn ermor­det. Vor lau­fen­der Kamera und Millionen von Zuschauer*innen soll Maryam um Vergebung und ihr Leben fle­hen. Auf eine rea­le, popu­lä­re ira­ni­sche Sendung anspie­lend, wird das Fernsehstudio zur Bühne für ein Kammerspiel, das auch die sozia­len Dimensionen hin­ter dem per­sön­li­chen Drama in den Fokus nimmt.

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Credits:

Frankreich / Deutschland / Schweiz / Luxemburg / Libanon / Iran 2019, 89 Min., far­si OmU
Regie, Buch: Massoud Bakhshi
Kamera: Julian Atanassov
Montage: Jacques Comets 
mit: Sadaf Asgari, Behnaz Jafari, Babak Karimi, Fereshteh Sadr Orafaee, Forough Ghajebeglou, Arman Darvish, Fereshteh Hosseini 

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Trailer:

Yalda, a Night for Forgiveness / Yalda, la nuit du par­don (2020) – Trailer (English Subs)

Im Kino mit deut­schen Untertiteln.

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Oeconomia

Ein Film von Carmen Losmann.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

In sei­nem Essay „Die Fabrik des ver­schul­de­ten Menschen“ aus dem Jahr 2011 schreibt der Philosoph Maurizio Lazzarato: „Die Schulden stel­len kein Hemmnis für das Wachstum dar; im Gegenteil, sie sind der öko­no­mi­sche und sub­jek­ti­ve Motor zeit­ge­nös­si­scher Ökonomie. Die Fabrikation der Schulden, also die Konstruktion und Entwicklung des Machtverhältnisses Gläubiger-Schuldner, bil­det das stra­te­gi­sche Zentrum neo­li­be­ra­ler Politik.“ Mit Oeconomia unter­nimmt Carmen Losmann eine Reise in die­ses stra­te­gi­sche Zentrum. Das ist ohne Frage ein ehr­gei­zi­ges Unterfangen, denn vie­le Vertreter*innen des Banken- und Finanzsektors reden lie­ber nicht vor einer Kamera, und denen, die sich dar­auf ein­las­sen, feh­len mehr als ein­mal die Worte. So trans­pa­rent die Architektur von Banken und Geldinstituten sich gibt, so schnell ver­schlie­ßen sich die Türen für die recher­chie­ren­de Regisseurin. Sie macht aus der Not eine Tugend, indem sie unter ande­rem Telefonprotokolle und com­pu­ter­ge­nerier­te Bilder ein­setzt, damit das Abstrakte und schwer Verständliche anschau­li­cher wird.

Oft sehen wir nur eine elek­tro­ni­sche Zugangsschranke oder hören ein nach­ge­spro­che­nes Telefonat, da im letz­ten Moment die Drehgenehmigung ent­zo­gen wur­de – auch heu­te noch liegt die Aufklärung gefähr­lich nah an der Kritik. Dabei bemüht sich die Regisseurin, ihre Fragen offen und wert­frei zu stel­len. Ihre Aufklärung zielt nicht auf die mora­li­schen Verwerfungen des Kapitalismus, son­dern auf die logi­schen Zirkelschlüssel, die sei­ner Struktur zugrun­de lie­gen. Diese Zirkelschlüsse schei­nen den Interviewpartnern – Akteure im Finanzwesen und aus­nahms­los wei­ße Männer – erst durch Losmanns betont nai­ve Fragen auf­zu­fal­len. Die Versuche, ihre Überrumpelung in char­man­te Souveränität zu ver­wan­deln, sind nicht nur amü­sant, son­dern auch tröst­lich. Denn über­rum­pelt fühlt man sich wäh­rend die­ser 89 Minuten auch, wenn die Regisseurin Folgerungen aus ihren Interviews als ein­fa­che Blasen und Pfeile auf einer Mindmap zusam­men­fasst, die zwar sim­pel aus­sieht, aber die gan­ze zer­stö­re­ri­sche Absurdität einer end­los wach­sen­den Wirtschaft offen­bart. Trotz die­ser Dichte und wegen sei­ner Klarheit ist OECONOMIA einer der bes­ten Dokumentarfilme über den Kapitalismus.“ indie­ki­no | Yorick Berta

Filmgespräch mit Carmen Losmann, Samirah Kenawi, Lino Zeddies, Dirk Lütter
über Oeconomia

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Credits:

DE 2020, 89 Min., dt. engl. OmU
Regie, Buch: Carmen Losmann
Kamera: Dirk Lütter
Montage: Henk Drees, Carmen Losmann

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Trailer:

Kinotrailer „Oeconomia” – Kinostart: 15. Oktober 2020

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Futur Drei

Ein Film von Faraz Shariat.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Parvis wächst als Kind der Millenial-Generation im kom­for­ta­blen Wohlstand sei­ner ira­ni­schen Einwanderer-Eltern auf. Dem Provinzleben in Hildesheim ver­sucht er sich durch Popkultur, Grindr-Dates und Raves zu ent­zie­hen. Nach einem Ladendiebstahl leis­tet er Sozialstunden als Übersetzer in einer Unterkunft für Geflüchtete. Dort trifft er auf das ira­ni­sche Geschwisterpaar Banafshe und Amon. Zwischen ihnen ent­wi­ckelt sich eine fra­gi­le Dreierbeziehung, die zuneh­mend von dem Bewusstsein geprägt ist, dass ihre Zukunft in Deutschland ungleich ist.
In sei­nem auto­bio­gra­phi­schen Regiedebüt erzählt Faraz Shariat, Jahrgang 1994, authen­tisch und zugleich wun­der­sam über­höht vom quee­ren Heranwachsen eines Einwanderersohns in Deutschland – und lie­fert damit einen ent­schlos­se­nen Gegenentwurf zu einem kon­ven­tio­nel­len deut­schen Kino, in dem post-migran­ti­sche Erlebnisse und Geschichten von Einwanderern und ihrer Familien all­zu oft aus­ge­schlos­sen oder mis­re­prä­sen­tiert wer­den. Für sein sen­si­bles, pop-affi­nes und kraft­vol­les Plädoyer für Diversität wur­de Futur Drei beim First Steps Award 2019 als Bester Spielfilm aus­ge­zeich­net, Shariats jun­ges Darsteller*innen-Ensemble (Banafshe Hourmazdi, Eidin Jalali, Benjamin Radjaipour) erhielt den Götz-George-Nachwuchspreis. Auf der Berlinale, wo der Film im Panorama sei­ne Weltpremiere fei­er­te, wur­de Futur Drei mit zwei Teddys (Bester Spielfilm, Leser*innen-Preis) geehrt.

‚Fast täg­lich wer­de ich von wei­ßen deut­schen Menschen gefragt, woher ich kom­me, wie lan­ge ich schon hier bin‘, hat Faraz Shariat in einem Interview geäu­ßert. Seiner Meinung nach habe das viel mit einer Filmlandschaft zu tun, die selbst die Geschichten der zwei­ten Generation immer noch als Migrationsgeschichten erzäh­le und „zu Pointen mul­ti­kul­tu­rel­ler Versöhnung oder roman­ti­schen Darstellungen einer bedroh­ten Heimat“ ver­kür­ze. Shariats Debüt, das aus Studienkreisen an der Universität Hildesheim erwach­sen und mit einem diver­sen Ensemble vor und hin­ter der Kamera ent­stan­den ist, ist nicht der ers­te, aber ein wich­ti­ger Schritt in eine ande­re Richtung.“
Falk Straub | kino-zeit.de

Filmgespräch mit dem Team von Futur Drei

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Credits:

DE 2020, 91 Min., dt., far­si OmU
Regie: Faraz Shariat
Kamera: Simon Vu
Schnitt: Friederike Hohmuth
mit: Benjamin Radjaipour, Banafshe Hourmazdi, Eidin Jalali

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Trailer:

Futur Drei (Trailer) from Salzgeber & Co. Medien GmbH on Vimeo.

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Nackte Tiere

Ein Film von Melanie Waelde.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Nackte Tiere erzählt von fünf befreun­de­ten Jugendlichen in der Provinz, die kurz vor dem Abitur ste­hen und noch nicht wis­sen, wie es danach wei­ter­ge­hen soll. Teil der Gruppe zu sein, gibt ihnen Halt, der oft fest und plötz­lich brü­chig zu sein scheint. Man unter­stützt sich gegen­sei­tig und lässt ein­an­der doch wie­der allein. Aggressionen und Zärtlichkeiten wech­seln sich ab, Nähe wird sehn­süch­tig gesucht, gleich dar­auf grenzt man sich von­ein­an­der ab. Die Gefühle sind inten­siv, erup­tiv wech­seln sie ihre Richtung.
Der Blick der Kamera ist den Jugendlichen zuge­tan, er ist „nah dran“ (in einem guten Sinne). Der Regisseurin Melanie Waelde gelingt es, die Gefühlswelt die­ser fünf Jugendlichen aus­zu­drü­cken, trotz ihres wie­der­sprüch­li­chen Verhaltens fängt man an, sie zu ver­ste­hen. Dafür wur­de sie mit einer Einladung in den Wettbewerb der neu­en Berlinale-Sektion „Encounters“ belohnt.

Nur jun­ge, unver­brauch­te Gesichter hat Waelde gecas­tet, nor­ma­le, durch­schnitt­li­che Gesichter, die weit weg sind vom glat­ten Look, den das Mainstream-Kino favo­ri­siert. Gefilmt wur­de im alt­mo­di­schen 4:3 Format, des­sen fast qua­dra­ti­sches Bildfenster die Enge der Provinz noch drü­cken­der erschei­nen lässt. Man mag hier an Tiere im Käfig den­ken, an unge­zü­gel­te Wesen, die aus­zu­bre­chen ver­su­chen, die nicht recht wis­sen wohin mit ihrer Energie, ihrer Wut. Doch sol­che Metaphern drängt Waelde nicht auf, sie deu­tet nur an, beob­ach­tet wie die Gruppe um Katja sich ent­wi­ckelt, fei­ert, liebt, strei­tet, kämpft. Von sel­te­ner Authentizität ist ihr Blick in das Leben jun­ger Erwachsener in der deut­schen Provinz, in dem Waelde offen­bar auch etli­che Erfahrungen ihres eige­nen Lebens ver­ar­bei­tet. Autobiographisch mutet „Nackte Tiere“ jedoch nie an, son­dern fin­det statt­des­sen das Universelle im Speziellen.“ Michael Meyns, programmkino.de

Filmgespräch mit Melanie Waelde im fsk-KIno

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Credits:

DE 2020, 83 Min., OmeU
Regie, Buch: Melanie Waelde
Kamera: Fion Mutert
Schnitt: Jessica Schneller
mit: Marie Tragousti, Sammy Scheuritzel, Michelangelo Fortuzzi, Luna Schaller, Paul Michael Stiehler

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Trailer:

Nackte Tiere (2020) HD-Trailer, deutsch

 

Zombi Child

Ein Film von Bertrand Bonello.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer] [indie­ki­no Club]

Die jugend­li­che Fanny genießt das Privileg, auf die Maison d’éducation de la légion d’honneur, eine Elitehochschule in der Nähe von Paris, zu gehen. Sie nimmt ihre Schulbildung sehr ernst, gönnt sich aber den­noch nächt­li­che Treffen mit ihren Klassenkameradinnen im Kunstraum des alt­ehr­wür­di­gen Internats. Als Mélissa neu in die Klasse kommt, wird sie schnell in den Kreis der nacht­ak­ti­ven Mädchen auf­ge­nom­men – die sich beson­ders von den Voodoo-Ritualen fas­zi­nie­ren las­sen, die in Mélissas aus Haiti stam­men­der Familie seit Generationen prak­ti­ziert wer­den. Als Fannys Freund mit ihr Schluß macht, sucht sie Mélissas Tante auf und bit­tet sie um magi­sche Hilfe …

Zombi Child ist ein viel­schich­ti­ger Film, der Fragen nach Geschichte, Kolonisation und kul­tu­rel­ler Aneignung stellt. Die von Kameramann Yves Cape in hyp­no­ti­sche Bilder getauch­te Erzählung des Zombi Clairvius Narcisse lässt sich auch als inne­re Vision des­sen Enkeltochter Melissa deu­ten. Fannys Liebesbeziehung zu dem ange­him­mel­ten Pablo wirkt so ent­rückt und lite­ra­risch wie die exo­tis­ti­schen Phantasmen der Kolonialschriftsteller, ange­fan­gen bei Columbus. Die Mädchen hören am Gymnasium einen Vortrag des Historikers Patrick Boucheron über die Revolution und Idee der Freiheit im 19. Jahrhundert, die immer ange­strebt und zugleich betro­gen wur­de. Aber der neu­en Erfahrung wohnt immer auch ein zer­stö­re­ri­sches Element inne. Bonello umkreist und beschwört die­ses Spannungsfeld in einem so ver­träum­ten wie kon­zen­trier­ten Film, der außer­dem dazu ein­lädt, den poe­ti­schen Rap von Damso und den Vodou-Rock der fran­co-hai­ti­schen Sängerin Moonlight Benjamin ken­nen­zu­ler­nen.“ indie­ki­no | Tom Dorow

Credits:

FR 2019, 103 Min.,| fran­zö­si­sche OmU
Buch & Regie: Bertrand Bonello
Kamera: Yves Cape
Schnitt: Anita Roth
mit: Louise Labeque, Wislanda Louimat, Mackenson Bijou, Adilé David

Trailer:

Zombi Child (offi­zi­el­ler Trailer) von Bertrand Bonello

Nina Wu

Ein Film von Midi Z.

 [indie­ki­no Club] [Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Der Filmdreh, der der Schauspielerin Nina Wu zum Durchbruch ver­hel­fen könn­te, ent­puppt sich als toxisch und Nina rutscht immer wie­der in einen Alptraum hinen. Die Grenzen zwi­schen Film, Realität und Angstfantasien verschwimmen.

Im Nachhinein fragt man sich, war­um die Schauspielerin Nina Wu (Wu Ke-Xi) schon in den ers­ten Szenen des Films so nie­der­ge­schla­gen aus­sieht. Da hat sich ihr Agent gera­de erst mit einem neu­en Casting-Angebot gemel­det. Ahnt Nina da schon, wie es lau­fen wird? Hat sie bereits Ähnliches erlebt? Oder beschreibt NINA WU weni­ger ein Ereignis und die emo­tio­na­len Folgen als ein psy­cho­lo­gi­sches Kontinuum, von dem nicht klar ist, ob es in Nina selbst oder in ihrer toxi­schen Umgebung ver­an­kert ist? Die Grenzen zwi­schen dem, was Gegenwart ist, was Erinnerung, was Film und was Traum, ver­lau­fen im Film des tai­wa­ne­si­schen Regisseurs Midi Z zuneh­mend flie­ßend. Zu Beginn scheint alles noch klar ver­ort­bar. Nina Wu ist eine ange­hen­de Schauspielerin, die sich mit Nebenjobs über Wasser hält. Dem neu­en Projekt gegen­über ist sie skep­tisch, macht aber doch mit, obwohl es ihr zu vie­le Nacktszenen ent­hält. Der Dreh ist furcht­bar. Nina wird wie ein Möbelstück her­um­ge­scho­ben und im Raum plat­ziert, ver­lo­ren sieht man sie dann von weit weg in gro­ßen Panorama-Einstellungen sit­zen. Ein empa­thie­lo­ser Regisseur presst Emotionen aus ihr her­aus wie aus einer Zitrone, und hat offen­bar Freude an der Demütigung. In einer Szene muss Nina zwi­schen Wahnsinn und Mordlust rufen: „Ihr nehmt mir nicht nur den Körper. Ihr nehmt mir die Seele. Ihr wer­det es bereu­en!“ Es ist klar, dass da nicht nur die Filmfigur spricht. Der Film ist ein Erfolg und Nina auf dem Weg, tat­säch­lich ein Star zu wer­den. Doch sie scheint immer tie­fer in eine Spirale der Verzweiflung zu rut­schen. Alltägliche Situationen lösen sich in aggres­si­ve Konfrontationen auf, die sich als Traumsequenzen her­aus­stel­len. Oder doch nicht? Mit jeder Drehung bewegt sich der Film wei­ter auf die eine, ver­stö­ren­de Szene zu, die den Kern des Traumas bildet.

Midi Z insze­niert zwi­schen Psychodrama und Noir an der Grenze zum Exploitation-Kino. Das Skript stammt von Hauptdarstellerin Wu Ke-Xi, die dar­in auch eige­ne Erfahrungen aus der Anfangszeit ihrer Karriere ver­ar­bei­tet. Für eine Weile zog sie sich damals aus der Filmindustrie zurück und fand dann über Arthouse-Drehs und ins­be­son­de­re die Zusammenarbeit mit Midi Z die Freude an der Schauspielerei wie­der. NINA WU nimmt deut­lich Bezug auf die Erzählungen der #MeToo-Bewegung, ins­be­son­de­re in den üblen Szenen, die in einem mit Teppich und Vorhängen über­la­de­nen Hotelzimmer mit der Nummer 1408 spie­len und an Harvey Weinsteins Aufforderungen an jun­ge Schauspielerinnen, ihn in sei­nem Hotelzimmer auf­zu­su­chen, erin­nern. (ZIMMER 1408 ist übri­gens auch der Titel eines Horrorfilms von Mikael Håfström aus dem Jahr 2007, pro­du­ziert von Harvey Weinstein). Letzten Endes ist das Anliegen von NINA WU aber weni­ger sexu­el­le Übergriffigkeit, als eine sadis­ti­sche Kultur der Demütigung, gegen die sich jun­ge, netz­werk­lo­se Frauen kaum weh­ren kön­nen, und in der Missbrauch nur eine Facette von vie­len ist.

Wer mehr von Midi Z sehen möch­te, kann auf dem 3. Taiwanesischen Film Festival, das vom 21.–30.8. aus­nahms­wei­se online statt­fin­det, zwei frü­he­re Arbeiten nach­ho­len: den preis­ge­krön­ten ICE POISON (2014) und den Dokumentarfilm CITY OF JADE (2016).

Hendrike Bake | indiekino.de

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Credits:

Juo ren mi mi
Taiwan 2019, 103 Min., chin. (man­da­rin) OmU
Regie: Midi Z
Drehbuch: Wu Ke-xi
Kamera: Florian Zinke
mit: Wu Ke-xi, Vivian Sung, Kimi Hsia, Ming-Shuai Shih

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Trailer:

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filmPOLSKA 2020

Das pol­ni­sche Filmfestival in Berlin fin­det die­ses Jahr vom 27.August bis 2. September statt:

Die Filme im fsk:

  • noch kei­ne oder kei­ne mehr 

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filmPolska@home 2020 trai­ler 5

Im Foyer gibt es wäh­rend filmPOLSKA eine Lichtinstalltion von

Sylwester Łuczak – Cinema of Light

Die Lichtinstallationen wer­den vom pol­ni­schen Künstlern Sylwester Luczak gestal­tet und in drei Berliner Kinos prä­sen­tiert: im Bundesplatzkino, im FSK und im Wolf Kino. Diese Aktion im öffent­li­chen Raum ist ein wesent­li­ches Zeichen des Zusammenlebens der deutsch-pol­ni­schen Kinolandschaft und ‑kul­tur.

Für unse­ren Space – „Eingriff“ in den öffent­li­chen Raum möch­ten wir mit den Kinos und dem Festival deren Stellenwert im Kulturleben mar­kie­ren und eine kla­re Aussage abge­ben: in Zeiten von Covid 19 sind Kulturbrücken mehr als notwendig.

Sylwester Luczak hat meh­re­re Dutzend Werke fer­tig gestellt. Jedes Projekt ist eine Konfrontation mit einem völ­lig ande­ren Raum. Er arran­giert klei­ne, inti­me Orte, Innenräume moder­ner und his­to­ri­scher Gebäude, gan­ze archi­tek­to­ni­sche Einrichtungen, ver­schie­de­ne Konzert- und Konferenzräume sowie: Galerien, Museen, Theater, Kinos, Hotels, Restaurants, Tempel, Denkmäler.

Seine Arbeiten grei­fen in den öffent­li­chen Raum ein, bil­den neue Assoziationen oder dekon­stru­ie­ren das Bestehende: Straßen, Amphitheater, Innenhöfe, Fassaden und gan­ze Gebäude.

Er ver­wen­det auch ver­schie­de­ne Techniken der Eingriffe in den vor­han­de­nen Raum – haupt­säch­lich: Projektionen, Licht, Ton.

Seine Arbeiten zeich­nen sich dadurch aus, in Kombination mit Licht- und Videoprojektionen extrem plas­ti­sche Effekte im Kulturraum zu erzie­len. Dadurch ent­ste­hen vir­tu­el­le Szenarien, mit der sie ori­gi­nel­le, dyna­mi­sche und inter­ak­ti­ve Formen bil­den, die mit der Dramaturgie des Ereignisses har­mo­niert oder die szen­o­gra­phi­sche Störung des vor­han­de­nen Raums ermöglicht.


Wind. A Documentary Thriller / Wiatr. Thriller dokumentalny

PL 2019, R/B: Michał Bielawski, 75 min, OmeU
K: Bartek Solik, S: Hubert Pusek, M: Lukáš Kobela

Podhale, die süd­polni­sche Region am Fuß der Karpaten, ist eine beschau­li­che, länd­li­che Gegend. Es gibt hüb­sche Landschaften, pit­to­res­ke Holzhäuser und exzel­len­ten Räucherkäse – hier könn­te das Paradies sein. Aber hier gibt es auch den Halny – ein Wetterphänomen, das den Einwohnern das Leben schwer macht. In unre­gel­mä­ßi­gen Abständen wälzt sich die­ser war­me, tro­cke­ne Fönwind ins Tal und reißt alles mit, was nicht fest­ge­na­gelt oder tief ver­wur­zelt ist.

Auch an Mensch und Tier geht der gewal­ti­ge Sturm nicht spur­los vor­bei. Die rapi­de Druckveränderung, ver­bun­den mit einem plötz­li­chen Temperaturanstieg, macht Kreislauf und Psyche zu schaf­fen. Die Selbst-/Mordrate steigt, die Menschen kämp­fen mit Depressionen, mög­li­cher­wei­se geht sogar die eine oder ande­re Revolution auf das Konto des Halny.

Bielawski wirft sich furcht­los mit­ten in die Naturgewalten und schil­dert in atem­be­rau­ben­den Bildern, wie die Einheimischen mit ihrem Schicksal und dem unsicht­ba­ren, unbe­re­chen­ba­ren Gegner ringen.

Michał Bielawski stu­dier­te Interdisziplinäre Geistes- und Gesellschaftswissenschaft in Warschau. Er dreh­te zahl­rei­che Dokumentarfilme und ‑seri­en, die sich sowohl mit Film und Kino als auch mit Sport beschäftigten.

27/08/2020, 20:30,  [Tickets]

Vorfilm: Pointless Sodomy, 10´


Supernova

PL 2019, R/B: Bartosz Kruhlik, 78 min, OmU
K: Michał Dymek, S: Magdalena Chowańska, M: Endy Iden,
D: Marek Braun, Marcin Hycnar, Marcin Zarzeczny, Agnieszka Skibicka u.a.

Eine son­nen­über­flu­te­te som­mer­li­che Dorfstraße. Nichts pas­siert, die Luft flirrt, eine Kuh schiebt sich behä­big durch das Bild. Kein guter Ort für gro­ßes Kino? Oh doch, denn in nur weni­gen Minuten ent­wi­ckelt sich hier aus einem Familienkrach und einem Verkehrsunfall eine Tragödie anti­ker Dimensionen, die in rasen­der Unumkehrbarkeit immer mehr Beteiligte in ihren Strudel zieht. In der Zeitung wären die­se Ereignisse maxi­mal eine Randnotiz wert, aber aus der schmerz­haf­ten Nähe der uner­müd­li­chen Kamera sind sie unend­lich tra­gisch, weil schmerz­haft menschlich.

Dem Überraschungs-Debütanten Kruhlik gelingt es, auf kleins­tem Raum, mit spar­sa­mer Ausstattung (Handkamera, Verzicht auf Musik und künst­li­ches Licht) und einem klei­nen, aus unver­brauch­ten Gesichtern bestehen­den Ensemble nahe­zu in Echtzeit ein Drama zu ent­wi­ckeln, das den Zuschauer förm­lich ein­saugt. Darüber hin­aus ver­mit­telt die Handlung in ihrer Alltäglichkeit eine Metaebene: Eine Supernova ist ein hell explo­die­ren­der Stern kurz vor sei­nem Untergang, eine ster­ben­de Welt – und gleich­zei­tig der Beginn von etwas Neuem.

Bartosz Kruhlik (geb. 1985) stu­dier­te Regie in Łódź und dreh­te ein Dutzend Kurz- und Dokumentarfilme, mit denen er diver­se Preise gewann. „Supernova“ ist sein Langspiel-Debüt.

28/08/2020, 20:30, [Tickets]

Vorfilm: Marcel, 25´, OmeU


All for my mother / Wszystko dla mojej matki

PL 2019, R/B: Małgorzata Imielska, 103 min, OmU
K: Tomasz Naumiuk, S: Agnieszka Glińska, M: Włodzimierz Pawlik,
D: Zofia Domalik, Jowita Budnik u.a.

Ola (gran­di­os: Zofia Domalik) hat es im Leben nie leicht gehabt. Mit fünf Jahren wur­de sie ihrer Mutter, einer Leistungssportlerin, weg­ge­nom­men. Bei den Adoptiveltern ging es ihr nicht viel bes­ser und so sitzt sie nun in einer trost­lo­sen Anstalt für straf­fäl­lig gewor­de­ne Mädchen und hat nur einen Wunsch: Sie will ihre Mutter wie­der­fin­den, denn sie ist davon über­zeugt, dass die­se ihre Tochter wie­der in die Arme schlie­ßen will.

Olas Vorteil: Sie kann lau­fen. Sie kann durch­hal­ten, auch wenn die Kräfte schwin­den. Und sie kann sich immer wie­der auf­rap­peln, wenn sie gestürzt ist – im wört­li­chen wie im über­tra­ge­nen Sinne. Und sie stürzt oft, denn das Leben rollt ihr unun­ter­bro­chen Hindernisse in den Weg.

Imielska gibt uns ein Genre zurück, das in Polen einst Meisterwerke her­vor­brach­te und in den letz­ten Jahren etwas in Vergessenheit geriet – das klas­si­sche Sozialdrama. Sie führt uns in Welten, die sonst für uns ver­schlos­sen sind, und erzählt dabei trotz­dem eine uni­ver­sa­le Geschichte, die mit jedem von uns etwas zu tun hat.

Małgorzata Imielska (geb. geb. 1969) stu­dier­te in Kraków sowie Katowice und dreh­te knapp 30 Dokumentarfilme, bevor sie mit „Wszystko dla mojej mat­ki“ ihren ers­ten Spielfilm auf die Leinwand brachte. 

29/08/2020, 20:30, [Tickets]

Vorfilm: Ulica Jodłowa / Jodlowa Street, 5´


Corpus Christi / Boże Ciało

PL 2019, R: Jan Komasa, 115 min, OmU
B: Mateusz Pacewicz, K: Piotr Sobociński jr., S: Przemysław Chruścielewski, M: Evgueni Galperine, Sacha Galperine
D: Bartosz Bielenia, Aleksandra Konieczna, Eliza Rycembel, Tomasz Ziętek u.a.

In der Logik des Christentums ist Gott nicht nur in der Kirche prä­sent, son­dern über­all. Auch in der Strafanstalt für jun­ge Männer, in der wir Daniel ken­nen­ler­nen – einen fra­gi­len Jungen mit kla­rem, unschul­di­gen Blick, der bei den Knast-Gottesdiensten auf­blüht und doch als Vorbestrafter kei­ne Chance hat, jemals Priester zu werden.

Beim Arbeitseinsatz in einem Karpatendorf bie­tet sich plötz­lich unver­hofft die Gelegenheit: Der jun­ge Mann wird für einen Geistlichen gehal­ten und schlüpft zuneh­mend bereit­wil­lig in die ersehn­te Rolle. Und es geschieht das Erstaunliche: Die Menschen hören ihm zu, wenn er im Freestyle zu ihnen spricht. Zunehmend beginnt er, sich in die Geschicke des Dorfs ein­zu­mi­schen. Wie lan­ge kann die­ses ris­kan­te Spiel gut gehen?

Komasa mischt Krimi mit Sozialstudie und Romanze mit Thriller. Dabei kann er sich vor allem auf sei­nen gran­dio­sen Hauptdarsteller Bartosz Bielenia ver­las­sen, der glaub­wür­dig den Spagat zwi­schen einem Straßenjungen mit Drogenerfahrung und einer bele­se­nen, wei­sen Respektperson schafft.

Jan Komasa (geb. 1981) stu­dier­te an der Filmhochschule Łódź und gewann mit sei­nem Langspiel-Debüt „Sala samo­bó­jców“ (2010) zahl­rei­che Preise. Dank sei­nen eben­falls sehr erfolg­rei­chen Filmen „Miasto 44“ (2014) und „Boże Ciało“ gilt er als einer der talen­tier­tes­ten Vertreter der jun­gen Regie-Generation.

30/08/2020, 15:30,  [Tickets]


I am REN / Jestem REN

PL 2019, R: Piotr Ryczko, ?? min, OmU
B: Piotr Ryczko, K: Yori Fabian, S: Jakub Kopeć, M: Paweł Stolarczyk,
D: Marta Król, Marcin Sztabiński, Olaf Marchwicki, Marieta Żukowska, Janusz Chabior

Das Glück der Liebe ist ein äußerst sel­te­nes und leicht zer­brech­li­ches Gut. Besonders schwer hat es das Glück, wenn sich in den Alltag Kräfte aus dem All einmischen. 

Renata und Jan leben im puren Glück der Liebe: Die Freude in der Beziehung wird durch ein gemein­sa­mes Kind belohnt und das Familienglück des Alltags wächst solan­ge wei­ter, bis das Programm „Glück“ aus dem All infi­ziert wird. Von einem Tag auf den ande­ren wird alles, was bis jetzt für selbst­ver­ständ­lich und schön gehal­ten wur­de, in Frage gestellt – sogar die Echtheit der eige­nen Person und die Liebe und Zuneigung der ande­ren. Es tau­chen bei Renata Fragen um Fragen auf: Sind die gehör­ten Stimmen die eige­nen Gedanken oder Kräfte von außen? Ist das, was ich sehe, da oder nur ein trü­ge­ri­sches Bild der mani­pu­lier­ten Wahrnehmung? Stehen mei­ne Liebsten an mei­ner Seite oder sind es die Handlanger einer frem­den Kraft?

Der Film balan­ciert geschickt zwi­schen Horror und Sciencefiction und ver­setzt den Zuschauer in eine Welt, in der er selbst all­mäh­lich den Boden unter den Füssen verliert.

Piotr Ryczko (geb. 1973) ist auf­ge­wach­sen in Norwegen. Er stu­dier­te Regie an der National Film School in Łódż und an der Wajda Film School. Ryczko ist außer­dem Autor und Blogger. Seine Bücher und Geschichten sind oft Grundlage für sei­ne Filme. So auch für sein Spielfilmdebüt ICH BIN REN.

30/08/2020, 20:30 (mit online-Gast: Piotr Ryczko) ,  [Tickets]

Vorfilm: Story, 5´, OmeU


Monument

PL 2018, R/B: Jagoda Szelc, 90 min, OmU
K: Przemysław Brynkiewicz, S: Anna Garncarczyk, M: Rafał Nowak
D: Zuzanna Lit, Anna Biernacik, Paulina Lasota, Oskar Borkowski, Jakub Zając, Mateusz Czwartosz u.a.

Zwanzig jun­ge Leute absol­vie­ren in einem Waldhotel ein Praktikum. Die stram­me Managerin macht gleich bei der Begrüßung klar, dass das kein Erholungsurlaub wird. Hier wird nicht wider­spro­chen, son­dern geschuf­tet – im Wäschekeller, in der Küche, im Zimmerservice, auf dem Müllplatz. Und ein rät­sel­haf­tes Podest muss jeden Tag neu geschrubbt werden.

Das klingt sim­pel, rea­lis­tisch und unspek­ta­ku­lär, wird aber in der Umsetzung schnell zum Kunstwerk. Denn wäh­rend wir die jun­gen Leute dabei beob­ach­ten, wie sie ihre Arbeit ver­rich­ten, heim­lich Party machen oder die schier end­lo­sen Räume der in die Jahre gekom­me­nen Herberge erkun­den, schlei­chen sich Unklarheiten, Rätselhaftigkeiten und Fragwürdigkeiten ein.

Falls noch jemand auf der Suche nach einem wür­di­gen Nachfolger für David Lynch ist: Hier ist Jagoda Szelc. In ihrem zwei­ten Langfilm „Monument“ zeigt sie wie­der­holt ein­drucks­voll, wie per­fekt sie Spannung auf­bau­en, Unbehagen erzeu­gen und mar­kan­te Figuren auf­bau­en kann. Dabei spart sie sich weit­ge­hend Horror-Effekte, son­dern schafft es, mit Andeutungen und Atmosphäre ein dunk­les Kopfkino in Gang zu setzen.

Jagoda Szelc (geb. 1984) stu­dier­te an der Kunstakademie Wrocław und an der Filmhochschule Łódź. Nach zehn Kurzfilmen folg­ten ihre gefei­er­ten und preis­ge­krön­ten Langspielfilme „Wieża. Jasny dzień / Tower. A Bright Day“ (2017) und „Monument“.

31/08/2020, 20:30 (mit online-Gast: Jagoda Szelc),  [Tickets]

Vorfilm: Sandra, 4´, OmeU


In Touch

PL/ISL 2019, R: Paweł Ziemilski, 61 min, OmeU
B: Paweł Ziemilski, Haukur M. Hrafnsson, Łukasz Długołęcki, K: Filip Drożdż, Asta Julia, Gudjonsdottir, S: Dorota Wardęszkiewicz, M: Arni Valur Kristinsson, Martina Bertoni

Auf den ers­ten Blick ist Stare Juchy im idyl­li­schen Masuren ein Dorf wie vie­le ande­re in Polen. Manche sind geblie­ben, man­che sind gegan­gen und haben Leerstellen hin­ter­las­sen. Das Besondere an die­sem Ort ist, dass fast ein Drittel der Einwohner in den letz­ten 40 Jahren nach Island aus­ge­wan­dert ist. Sie haben weit weg ein neu­es Leben begon­nen. In Stare Juchy lie­ßen sie Verwandte und Freunde zurück.

Mit einem raf­fi­nier­ten Schachzug bringt Ziemliski bei­de Seiten – die Ausgewanderten und die Dagebliebenen – wie­der zusam­men. Wände ver­las­se­ner Häuser, Wohnzimmertapeten, Rasen, Autoscheiben und vie­le ande­re Flächen nutzt er als Projektionsflächen, auf denen er den Zurückgelassenen beweg­te Bilder aus dem Leben der pol­ni­schen Neu-Isländer zeigt. Auf der Tonspur hören wir der­weil Skype-Gespräche über Banalitäten des Alltags. So ent­steht ein bild­ge­wal­ti­ger Essay, in dem Bilder und Worte zu einer Narration über das Verlassen und Vermissen zusammenfließen.

Paweł Ziemilski (geb. 1981) stu­dier­te Regie in Łódź und dreh­te nach zahl­rei­chen Kurzfilmen den Dokumentarfilm „Miejscy kow­bo­je“ (2016). „In Touch“ gewann u.a. bei Festivals in Amsterdam und Saloniki Preise und war für den pol­ni­schen Filmpreis nominiert. 

01/09/2020, 20:30 ,  [Tickets]

Vorfilm: Stawberry Boys, 20´, OmeU


Love and Empty Words / Miłość i pus­te słowa

PL 2018, R/B: Małgorzata Imielska, 77 min, OmU
K: Maciej Kozłowski, S: Marek Skorupski, M: Marek Napiórkowski

Wenn das Schicksal plötz­lich zuschlägt, sind wir meis­tens sprach- und macht­los. Wenn sich aber das Schicksal auf lei­sen Sohlen einer Alzheimer-Erkrankung ein­schleicht, wird der Mensch peu a peu in all sei­nen Funktionen zer­setzt und mutiert zum stum­men Objekt der puren Existenz. 

Adam und Wanda, ein älte­res Ehepaar, haben bereits das höhe­re Stadium der Liebe erreicht, in dem Aufmerksamkeit, Zuneigung und Verständnis den Alltag gestal­ten. Doch das Glück hängt oft an einem sei­de­nen Faden. Die fort­schrei­ten­de Entwicklung der Demenz bei der Frau stellt den Ehemann vor uner­war­te­ten Aufgaben. Adam wird zum Rundumbetreuer und sei­ne gelieb­te Frau Wanda zum hilf­lo­sen Objekt, das in sei­nem Persönlichkeitszerfall 24 Stunden am Tag eine Begleitung braucht. Anziehen, füt­tern, Zähne put­zen, aufs Klo set­zen, abwi­schen, spa­zie­ren füh­ren, bespa­ßen, ins Bett brin­gen – tag­täg­lich und ohne einen Hauch Hoffnung auf Verbesserung. 

Die fein­füh­li­ge Dokumentation über eine Krankheit, die zum Nachdenken über das Menschsein anregt und über die Treue, die Würde und die Grenzen des Zusammenseins erzählt.

Małgorzata Imielska (geb. 1969) Regisseurin und Drehbuchautorin. Sie stu­dier­te Film- und Fernsehregie an der Fakultät für Radio und Fernsehen der Schlesischen Universität Katowice. Seitdem rea­li­sier­te sie vor allem zahl­rei­che Dokumentar‑, aber auch Fernsehfilme. 

02/09/2020, 20:30,  [Tickets]
Vorfilm: Koniec sezo­nu / The End of the Season, 20´, OmeU

Der See der wilden Gänse

Ein Film von Diao Yinan.

[Credits] [Trailer] [indie­ki­no Club]

Wie in den klas­si­schen Noir-Filmen der 1940er Jahre ist der Held in Diao Yinans Neo-Noir ein Verlorener. Die eigent­li­che Heldin eine Frau. Die bei­den tref­fen sich an einem Bahnhof in Wuhan. Er sieht ziem­lich abge­ris­sen aus, sie ist nicht durch Zufall da. Sie erzäh­len sich ihre Geschichten.

Es ist, als hät­te Diao Yinan, des­sen FEUERWERK AM HELLLICHTEN TAG 2013 den Goldenen Bären der Berlinale gewann, in DER SEE DER WILDEN GÄNSE die gesam­te Geschichte des Noir-Genres auf­ge­so­gen, alle Bilder und Geschichten und Obsessionen. Wie die klas­si­schen melan­cho­li­schen Helden in THIS GUN FOR HIRE oder D.O.A. ist der Held ein Verlorener. Wie in den klas­si­schen Noir-Geschichten von Cornell Woolrich ist die eigent­li­che Heldin eine Frau. Und wie in den klas­si­schen Noir-Filmen spürt Diao im Rahmen der Gangstergeschichte gesell­schaft­li­chen Realitäten nach. Vor allem aber ist Diao ein bril­lan­ter Stilist. Immer wie­der bre­chen ori­gi­nel­le fil­mi­sche Ideen sich Raum, wie in einer Kampfszene zwi­schen zwei Gangs, die sich in sta­ti­sche Aufnahmen von inein­an­der ver­keil­ten Männerleibern auf­löst: Bilder die wir­ken wie Detailaufnahmen des Pergamonaltars. Das geht naht­los über in eine Martial Arts-Szene, in der der Held sich Raum ver­schafft, bevor der Film wie­der das Tempo wech­selt. DER SEE DER WILDEN GÄNSE kann eigent­lich nur im Kino gese­hen wer­den. Nicht nur sind Bilder so groß, dass sie im Kino bes­ser wir­ken, vor allem ist der Film so detail­reich und vol­ler über­ra­schen­der Tempowechsel, dass man schon genau hin­se­hen muss, um alles mit­zu­be­kom­men, zumal der Film dem Publikum bewusst eini­ge Informationen vorenthält.

Ein Mann und eine Frau tref­fen sich an einem Bahnhof in Wuhan. Er sieht ziem­lich abge­ris­sen aus, sie ist nicht durch Zufall da. Er war­tet auf sei­ne Frau. Sie sagt, die kön­ne nicht kom­men, aber sie sei der Ersatz. Sie erzäh­len sich ihre Geschichten.
Er, Zhou Zenong (Hu Ge), ist der Chef einer Gang, die sich auf den Diebstahl von Motorrädern in Wuhan spe­zia­li­siert hat. Im Streit um Revierrechte mit einer ande­ren Gang gerät er in einen Hinterhalt und erschießt auf der Flucht aus Versehen einen Polizisten. Nun ist sowohl die Gegner-Gang als auch die gesam­te Polizeimacht Wuhans hin­ter ihm her. Er weiß, dass er kei­ne Chance hat, und will sich ledig­lich so erge­ben, dass sei­ne Frau die hohe Belohnung, die auf sei­nen Kopf aus­ge­setzt ist, erhält.

Sie, Liu Aiai (Kwei Lun-Mei) ist eine „Badeschönheit“, eine Prostituierte, die an einem Badesee an der Peripherie von Wuhan für den Gangster Hua Hua arbei­tet, einen Freund von Zenong. Sie hat Zenongs Ehefrau aus­fin­dig gemacht, aber es gibt Gründe dafür, dass die nicht kom­men kann. Aiai soll einen Teil der Belohnung für ihr Risiko bekommen.

Die Polizei, die nicht weni­ger skru­pel­los agiert als die Gangster, kreist das „gesetz­lo­se“ Viertel ein, aber immer wie­der ver­ei­teln die geg­ne­ri­sche Gang, ein mys­te­riö­ser Verrat oder irgend­ein ande­res Chaos die geplan­te Übergabe von Zenong an die Polizei. Die Story bie­tet Diao die Gelegenheit, ver­schie­de­ne Aspekte des Urlaubs- und Verbrechensparadieses am SEE DER WILDEN GÄNSE zu erkun­den. Da ist eine Disco, in denen Frauen und Männer mit Leuchtsohlen Reihentänze zu „Rasputin“ von Boney M. und „Dschingis Khan“ von Dschingis Khan auf­füh­ren. Es gibt Lagerhallen, in denen Verbrecher gera­de Geschäftsinhabern „Lizenzen“ per Lotterie zutei­len, aber immer noch Zeit für eine Vergewaltigung haben. Es gibt schä­bi­ge, ver­schwitz­te Hotels, Prostitution am Strand und Hinterzimmer von Suppenküchen, in denen lieb­lo­se Nudelsuppen ver­schlun­gen wer­den. Es ist so heiß, auch in der Nacht, dass alle Figuren sich so lang­sam wie mög­lich bewe­gen, aber wer zu wach und zu offen­sicht­lich an Ecken und in Türrahmen her­um­steht, ist sofort ver­däch­tig. Nur auf dem nächt­li­chen See ist Ruhe – und Zeit für lako­ni­schen Sex.

DER SEE DER WILDEN GÄNSE ist wild, häss­lich und bru­tal, aber zugleich wun­der­schön und melan­cho­lisch. Diao Yinan ist, nach sei­nem eis­kal­ten FEUERWERK AM HELLLICHTEN TAG mit dem hei­ßen Meisterwerk DER SEE DER WILDGÄNSE in der aller­ers­ten Reihe inter­na­tio­na­ler Filmemacher angekommen.

Tom Dorow | indiekino.de

Credits:

Nan fang che de ju hui
China 2019, 113 Min., chin. OmU
Regie: Diao Yinan
Drehbuch: Diao Yinan
Kamera: Dong Jingsong
Schnitt: Kong Jinlei
mit: Liao Fan, Huang Jue, Kwai Lun-Mei, Regina Wan

Trailer:

THE WILD GOOSE LAKE – Official Trailer

Im Kino mit deut­schen Untertitlen.

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The roads not taken

Ein Film von Sally Potter.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Leo liegt im Bett. Er ist ver­wirrt„ ver­liert sich in Gedanken. Die Menschen um ihn her­um neh­men ihn nicht mehr für voll. Seine Tochter Molly beglei­tet ihn, lie­be­voll und auf­op­fernd, wie man so sagt, durch New York. Obwohl ihr Job auf der Kippe steht, hält sie zu die­sem geis­tig zer­rüt­te­ten Menschen, der ihren Namen nicht mehr kennt, aber im Kopf Zeit(en) und Parallelentwürfe sei­nes Lebens durch­wan­dert. Eines Lebens als Mann. Leo mit Dolores in Mexiko: Szenen einer Ehe aus Leidenschaft. Leo als ein­sa­mer Schriftsteller auf einer grie­chi­schen Insel. Begegnungen, die ihn zu unlieb­sa­men Wahrheiten füh­ren – und zurück zu Molly. Ungeachtet des radi­ka­len Ansatzes in ihren femi­nis­ti­schen Filmen (The Gold Diggers, Orlando) hat sich Sally Potter immer auch mit der Koexistenz von Frauen und Männern beschäf­tigt. In ihrem aktu­el­len Werk hebt sie die­ses Thema auf eine neue Ebene. Der Film erkun­det die ver­schie­de­nen Leben, die ein Mann in sich trägt, auch und gera­de zu einer Zeit, in der ihm die Realität zu ent­glei­ten droht. Dabei ist es die bedin­gungs­lo­se Liebe sei­ner Tochter, die die Fäden von Leos hal­lu­zi­na­to­ri­schen Trips zusammenhält.

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Credits:

US 2020, 85 Min., engl. OmU
Regie, Buch: Sally Potter
Kamera: Robbie Ryan
Schnitt: Emilie Orsini, Sally Potter, Jason Rayton
mit: Javier Bardem, Elle Fanning, Salma Hayek, Laura Linney

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Trailer:

The Roads Not Taken (Official Trailer, English/Deutsch, Français)

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What You Gonna Do When the World’s on Fire?

Ein Film von Roberto Minervini.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Neu: Video on demand:

Sie war stets da, sie ist immer noch da und war für alle, die sie sehen woll­ten der erle­ben muss­ten, stets sicht­bar: die Gewalt gegen­über Afro-Amerikanern durch KKK und Polizei, eben­so wie all­täg­li­cher Rassismus und Ungleichbehandlung im öffent­li­chen Leben der USA.

Roberto Minervinis Absicht war ursprüng­lich, einen Film über die Musik der 1930-er Jahre in Louisiana zu dre­hen. Der Aufenthalt und die erschre­cken­den all­täg­li­chen Erlebnisse, 2017 erschüt­ter­te eine gan­ze Reihe ras­sis­tisch moti­vier­ter Morde die Südstaaten, ließ den ita­lie­ni­schen Dokumentarfilmer (der bereits für STOP THE POUNDING HEART, die groß­ar­ti­ge Beobachtung einer jun­gen Frau in evan­ge­li­ka­ler Umgebung, dort gear­bei­tet hat) aber bald umschwen­ken. Dies Geschehen woll­te und konn­te er nicht außer Acht las­sen. Die Musik und der Mardi Gras bil­det jetzt den Rahmen für drei Erzählstränge.

Der Film beglei­tet die Streifzüge der Brüder Ronaldo (14) und Titus (9), die ein inni­ges Verhältnis zuein­an­der haben. Ihre Mutter Ashlei King, die sie allein auf­zieht, ist aller­dings nicht ohne Grund sehr besorgt um die Beiden.

Judy Hill redet gern und nimmt kein Blatt vor den Mund, was sehr für das Gelingen ihres gro­ßen Traums sprä­che: die eige­ne Bar erfolg­reich zu füh­ren. Der 50-jäh­ri­gen, die schon eini­ges durch­ge­macht hat, erschwe­ren dabei unzu­ver­läs­si­ge Finanzpartner und die fort­schrei­ten­de Gentrifizierung des Viertels das Leben

Krystal Muhammad und ihre ört­li­che „New Black Panther Party for Self Defense“ orga­ni­sie­ren Nachbarschaftshilfe und Treffen, vor allem aber Proteste, Mahnwachen und Eingaben bei Polizei und Bürgeramt anläß­lich der Morde. Bei ihren Auseinandersetzungen zeigt sich auch ihre Hilflosigkeit gegen­über die­sem System.

Minervi, der sei­nen Protagonisten sehr nahe gekom­men zu sein scheint, hat kei­nen Propagandafilm gedreht. Die kom­po­niert erschei­nen­den schwarz-weiß-Aufnahmen erin­nern manch­mal mehr an einen Spielfilm, unter­drü­cken aber kei­nes­falls die inne­re Wut, die beim Zuschauen entsteht.

Minervinis grund­sätz­li­che Empathie für die Figuren, beson­ders für die jun­gen Brüder, die zwi­schen Aufnahmen von Demonstrationen, Aktivismus und Polizeigewalt immer wie­der für Momente der Ruhe sor­gen, über­trägt sich durch den zärt­li­chen Blick der Kamera auf sie. …“
Katrin Doerksen | kino-zeit

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Credits:

Italien/USA/Frankreich 2018, 123 Min., eng­li­sche OmU, schwarz-weiß
Regie, Drehbuch: Roberto Minervini
Kamera: Diego Romero
Schnitt: Marie-Hélène Dozo

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Trailer:

What you gon­na do when the world’s on fire?

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