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Mein wunderbares West-Berlin

Ein Film von Jochen Hick. Ab 29.6. im fsk.

Ein Rückblick, der in den 1950er Jahren beginnt, als Verfolgung und Bestrafung homo­se­xu­el­ler Männer mit dem seit 1872 bestehen­den §175 legi­ti­miert wur­de. Offen und viel­fäl­tig, die bei­den Attribute, die Berlin jetzt schmü­cken, war die Stadt frü­her nicht. Freiraum muss­te erst geschaf­fen wer­den, lang­sam aber ste­tig wuchs in den fol­gen­den Jahren die Subkultur, neue Szene-Bars und Clubs beleb­ten West-Berlin. Das Private wur­de poli­tisch, der gesell­schaft­li­che Wandel muss­te müh­sam erkämpft wer­den. „Mein wun­der­ba­res West-Berlin“ ist eine Art Oral-History der Schwulenbewegung, eine wert­vol­le Aufzeichnung der lebens­ge­schicht­li­chen Erinnerungen vie­ler Akteure, der Film hält fest, wie repres­siv es ein­mal war und wie lang­sam wur­de, was nun ist.

Es ist eine gro­ße Freude, Hicks enig­ma­ti­schen Protagonist*innen zuzu­se­hen und zuzu­hö­ren, wie sie sehr offen, oft unei­tel und ohne Pathos oder Verklärung auf ihre mal schö­nen, mal schwie­ri­gen Zeiten in Westberlin zurück­bli­cken. Sicher hat es mit der Nähe zum Filmemacher zu tun, dass hier Gespräche auf Augenhöhe geführt wer­den und manch­mal sehr inti­me Einblicke in Privates nie den Verdacht auf­kom­men las­sen, hier wer­de jemand aus­ge­stellt. Für einen Dokumentarfilm ist das ein gro­ßer Glücksgriff, denn gera­de weil die gro­ße Emotionalisierung ver­mie­den wird, wird im Film auf sehr bewe­gen­de Art ein gro­ßes Stück Zeitgeschichte umso leben­di­ger.“ Toby Ashraf, Indiekino

D 2017, 95 Min. 
Buch, Regie: Jochen Hick 
Kamera: Alexander Gheorghiu, Jochen Hick 
Schnitt: Thomas Keller

 

Mein wun­der­ba­res West-Berlin – Trailer für die offi­zi­el­le Website from Salzgeber & Co. Medien GmbH on Vimeo.

Der Tod von Ludwig XIV.

Ein Film von Albert Serra.

Der Spanier Albert Serra ist ein Meister dar­in, Figuren der Kulturgeschichte aus­gie­big gewöhn­li­chen Situationen aus­zu­set­zen, so Don Quichote (Honor de Cavalleria) und die Heiligen drei Könige (Birdsong). Mit der Beobachtung des Sterbens Ludwig XIV. kommt jetzt erst­mals ein Film von ihm, und dazu der ers­te fran­zö­si­sche, regu­lär hier ins Kino.

Der König der fran­zö­si­schen Könige, der Sonnenkönig, stirbt. Die letz­ten 15 Tage sei­nes Lebens begin­nen mit einer Schwäche wäh­rend eines Empfangs. Ab dann muss der abso­lu­te Herrscher das Bett in sei­nem Schlafgemach in Versailles hüten, wo sich aller­lei Hof- und Regierungsvolk, Verwandt- und Ärzteschaft aus dem gan­zen Land um ihn ver­sam­melt. Man scheint besorgt oder erschüt­tert, will auf­mun­tern oder hel­fen, sich selbst Vorteile ver­schaf­fen oder auch schon Ränke für die Zeit danach schmie­den. Vor allem jedoch regiert Ratlosigkeit – bei Ärzten wie Bediensteten. Während sein Kopf zumeist in der rie­si­gen Perücke ver­schwin­det, wird jede Regung genau regis­triert: was möch­te er, trinkt er, trinkt er nicht? Atmet er noch? Wohin schaut er? Flüstert er etwas? Was und wie isst er?, kom­men­tiert, gege­be­nen­falls auch ger­ne beklatscht und mit „bravo“-Rufen bedacht. In die­sem abge­dun­kel­ten Raum mit dem schwe­ren Interieur herrscht eine bizar­re, fast zeit­lo­se Atmosphäre, in die nur Vogelgezwitscher, sel­ten ein paar ver­lo­re­ne Sonnenstrahlen und das Summen der Insekten noch Leben hin­ein­brin­gen und zur „Entspannung des Sinne“ (Serra) beitragen .

Vom Regisseur ursprüng­lich als 15-Tage-live-Installation für die docu­men­ta gedacht, erwies sich das Projekt aus Sicherheitsgründen zu teu­er. Der Filmdreh mit der Verkürzung der Ereignisse auf knapp 2 Stunden dau­er­te mit 14 Tagen schließ­lich fast so lan­ge. Detailgetreu den Memoiren Herzog Saint-Simons ent­nom­men, ist es den­noch kei­ne Geschichtslektion.

»Von „Handlung“ kann man hier kaum spre­chen – es han­delt sich viel­mehr um eine Abfolge win­zi­ger, rea­ler oder mög­li­cher Ereignisse, die zum Ende der längs­ten könig­li­chen Amtszeit der fran­zö­si­schen Geschichte füh­ren – und zum Erlöschen eines Körpers, der mit Macht und Nation untrenn­bar ver­schmol­zen war. Die Bedeutung des Biologischen und Zeremoniellen insze­niert Serra sehr fan­ta­sie­voll; in humor­vol­len Dialoge und Situationen vol­ler Abschweifungen, Bücklingen und demons­tra­ti­ven Ergebenheitsgesten als komi­sche und doch ehr­li­che Ausdrücke einer bedin­gungs­lo­sen Liebe zu dem Monarchen.« Olivier Pere | arte

»Albert Serra berei­chert das Weltkino mit einer neu­en Form der Klassikeradaption: gro­ße Stoffe zei­gen Auflösungserscheinungen in sei­nen mäan­dern­den, grenz­nar­ra­ti­ven Filmen.« cargo

La Mort de Louis XIV
F 2016, 115 Min., franz. OmU
Regie: Albert Serra
Buch:Albert Serra, Thierry Lounas
Kamera: Jonathan Ricquebourg,Julien Hogert, Artur Tort
Schnitt: Ariadne Ribas, Artur Tort,Albert Serra
mit Jean-Pierre Léaud, Patrick d’Assumçao, Marc Susini

 

 

 

 

 

 

 

Jahrhundertfrauen

Ein Film von Mike Mills.

Mike Mills JAHRHUNDERTFRAUEN (20th CENTURY WOMEN) ist eine warm­her­zi­ge Zeitreise ins son­ni­ge Kalifornien der spä­ten 1970er Jahre. Ein Hauch von Wehmut liegt über dem Film, viel­leicht weil Mills mit dem Film eine Hommage an sehr gelieb­te unkon­ven­tio­nel­le Frauen in sei­nem Leben gedreht hat, viel­leicht aber auch, weil er von den 70ern als einer Zeit erzählt, in der die Leute noch wirk­lich indi­vi­du­el­le Lebensentwürfe gesucht und pro­biert haben. Leuchtendes Zentrum des Films ist Annette Bening, die die allein­er­zie­hen­de Dorothea Fields mit einem Charme und einer Eigenwilligkeit spielt, der man sich nicht ent­zie­hen kann. In den 30er Jahren auf­ge­wach­sen, hat Dorothea ihren Sohn Jamie spät, mit über 40, bekom­men und frei­heit­lich erzo­gen. Rückblenden erzäh­len von den krea­ti­ven Entschuldigungsschreiben, die sie ihm für die Schule schreibt. Inzwischen wohnt sie mit Jamie, der von Lucas Jade Zumann als sehr lie­bens­wer­ter und etwas intro­ver­tier­ter Teenager gespielt wird, und ihrer Untermieterin Abbie – Greta Gerwig als depres­si­ve Punk-Fotografin – in einem reno­vie­rungs­be­dürf­ti­gen Schmuckstück von Haus. Weitere Quasi-Mitbewohner sind der Tischler William (Billy Crudup), hip­piesk und sexy, der bei den Renovierung hilft, und das Nachbarmädchen Julie (Elle Fanning), die bes­te Freundin von Jamie – ein Beziehungsstatus, der Jamie zuse­hends schwe­rer fällt.
Zu Beginn des Films beschließt Dorothea, dass Jamie für eine erfolg­rei­che Pubertät über sei­ne Mutter hin­aus Bezugspersonen braucht und bit­tet Abbie um Hilfe. Die schleppt den Jungen auf Konzerte und drückt ihm femi­nis­ti­sche Lektüre in die Hand. JAHRHUNDERTFRAUEN erzählt komisch, weh­mü­tig und lie­be­voll von den gemein­sa­men Versuchen aller, Jamies Pubertät in die­ser Zeit des poli­ti­schen Umbruchs zu meis­tern. Dabei hat Mills sei­ne Protagonistinnen der ver­schie­de­nen Generationen eben­so im Blick, wie den leicht über­for­der­ten 20th Century Boy in ihrer Mitte.  (Hendrike Bake)

20th Century Women
USA 2016, 118 Min.
Regie: Mike Mills
Drehbuch: Mike Mills
Kamera: Sean Porter
Musik: Roger Neill
Darsteller: Billy Crudup, Annette Bening, Elle Fanning, Greta Gerwig

20th Century Women | Official Trailer HDA24

in Kino mit Untertiteln

Innen Leben

Ein Film von Philippe Van Leeuw.

24 Stunden, eine Wohnung, innen. Draußen herrscht Krieg, Schüsse fal­len, Hubschrauber krei­sen, Bomben deto­nie­ren – das Haus steht in Damaskus, eine Offensive ist gera­de im Gange. In der Wohnung ver­sucht man mit Pragmatismus, sich in den nächs­ten Tag zu retten.

Oum Yazan, ihr Schwiegervater und ihre drei Kinder sind hier zuhau­se, ihr Mann ist unter­wegs. Der Schwarm der Tochter ist zu Besuch, er kann nicht weg, zu gefähr­lich. Auch für Delhani, der phil­ip­pi­ni­schen Haushaltshilfe wäre der Heimweg zu gefähr­lich. Die Wohnung des jun­gen Nachbarpaares mit Baby ist auch zu gefähr­lich, des­halb sind auch sie bei Oum unter­ge­kom­men. Am nächs­ten Morgen wol­len sie in den Libanon flie­hen, ein Helfer ist schon gefunden.

Im Laufe des Tages, zwi­schen dem Wissen um Scharfschützen auf dem Dach, Wasserknappheit im Haushalt, zeit­wei­sem Ausfall von Strom‑, Internet- und Telefonnetz und Angst vor Eindringlingen und Dieben muss Oum, manch­mal in sekun­den­schnel­le, lebens­wich­ti­ge Entscheidungen zu tref­fen. Hiam Abass, die man aus Lemon Tree, Die Syrische Braut oder Ein Sommer in New York ken­nen soll­te, spielt Oum mit gro­ßer Präsenz und Intensität, der man die gro­ße Verantwortung, die sie trägt, anmerkt, dabei aber stets die all­täg­li­che Routine reso­lut auf­recht zu erhal­ten versucht.

»Vor allem Hiam Abbas’ Figur ver­kör­pert einen aus der Verzweiflung resul­tie­ren­den Pragmatismus, eine schier unmög­lich gewor­de­ne Menschlichkeit. Wen schüt­zen, wem hel­fen, wen preis­ge­ben? Draußen auf dem Hof liegt ein Toter, oder ist er nur ange­schos­sen? Irgendwann drin­gen Assads Männer in die Wohnung, für die Frauen gibt es kei­nen siche­ren Ort. Unmöglich, kei­nen Verrat zu bege­hen.« Christiane Peitz, Tagesspiegel

Mehrfach wur­de Innen Leben – InSyriated als „(mit Abstand) wich­tigs­ter Film der Berlinale“ beti­telt. Dass er nie rei­ße­risch wirkt und vol­ler Empathie für sei­ne Figuren bleibt, wur­de, wohl neben sei­ner Aktualität, mit den Panorama-Publikumspreis und das Europa-Cinemas-Label belohnt.

Insyriated
Belgien, 2017, 85 Min., arab. OmU

Regie & Buch: Philippe Van Leeuw
Kamera: Virginie Surdej
Schnitt: Gladys Joujou
Mit Hiam Abbass, Diamand Bou Abboud, Juliette Navis

INSYRIATED de Philippe Van Leeuw – Bande annonce

Im inneren Kreis

Ein Film von Hannes Obens & Claudia Morar.

Wir haben es hier mit offe­nen Kreisen zu tun, kei­ne abge­schot­ten­ten Kreise mit kla­ren Strukturen und Hierarchien. Die lin­ke Szene lebt ja von offe­nen Zirkeln und Beteiligung … Das erleich­tert den Einsatz. Wenn sich die rech­te Szene qua­si im Hinterzimmer einer Gastwirtschaft trifft und dann wird die Tür zuge­macht – da fällt es weni­ger ein­fach.“ J. Reinicke, Bund dt. Kriminalbeamter

Iris P., Maria B. und Astrid O. sind Polizistinnen, die als ver­deck­te Ermittlerinnen (VE genannt, das sind kei­ne V‑Männer oder Frauen) im Umfeld der Roten Flora in Hamburg vie­le Jahre unent­deckt agie­ren. Eine recht­lich hoch­heik­le Geschichte, auch weil Iris P., abge­seg­net durch ihre Vorgesetzten, enge Freundschaften pfleg­te und inti­me Beziehungen mit Menschen ein­ging, die sie zugleich aus­spio­nier­te. Als „Iris Schneider” aus Hannover forsch­te sie die lin­ke Szene durch, neben der Roten Flora u.a. beim Kollektivsender FSK.

Im idyl­li­schen Heidelberg hat sich der Polizist Simon B. 2010 eigens an der Universität imma­tri­ku­liert, um lin­ke Studierende aus­zu­spä­hen, die nicht im Traum damit gerech­net hät­ten, ein­mal ins Fadenkreuz staat­li­cher Überwachung zu geraten.

Eindrucksvoll berich­ten vor allem betrof­fe­ne Protagonist*innen sehr per­sön­lich aus ganz unter­schied­li­chen Perspektiven von die­sen Geschichten. Auch poli­tisch und juris­tisch Verantwortliche kom­men zu Wort, wie der frühere Innenminister Gerhart Baum oder ex-Generalbundesanwalt Kay Nehm, der über einen der Einsätze spricht.

IM INNEREN KREIS lässt nicht nur erzäh­len, son­dern wirft auch Fragen gera­de zur momen­tan wie­der aktu­el­len Privatsphäre auf. Wer wird überwacht? Wie weit geht Überwachung? Was sind Verdeckte Ermittler*innen? Wie gehen sie vor? Was dür­fen sie? Wie erschre­ckend ist es, wenn sich Freundschaft oder sogar die eige­ne Liebesbeziehung als „Auftragsarbeit“ her­aus­stellt? Was ist mit dem recht­li­chen Paradoxum, Dinge mit­zu­ent­schei­den, die eigent­lich das Ziel der Ausspähung sind? Und schließ­lich: wer überwacht die­se Überwacher?

D 2017, 83 Min.
Regie: Hannes Obens und Claudia Morar
Kamera: Maurice Wilkerling, Lasse Teubner
Ton: Timo Selengia
Schnitt: Michelle Barbin
Animationen : Anna Levinson

IM INNEREN KREIS Offizieller Trailer from dirk man­they film ug on Vimeo.

Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes

Ein Film von Julian Radlmaier. Am 14.6. mit anschlie­ßen­dem Filmgespräch mit Julian Radlmaier.

Auf den Hund gekom­men – das heißt hier tat­säch­lich – in Hundegestalt ver­wan­delt, ist Nachwuchsregisseur Julian (gespielt von Regisseur Julian Radlmaier). Die Geschichte, die ihn dort­hin geführt hat, erzählt er nun im Rückblick. Nach miss­glück­ten Förderansuchen, und ohne all zu viel Plan macht sich Julian, von der staat­li­chen Sozialbürokratie ange­trie­ben auf zum Ernteeinsatz in eine bran­den­bur­gi­sche Apfelplantage. Einer der Kunststudentinnen, denen er in der Gemäldegalerie nach­s­tiehlt, erzählt er es hand­le sich dabei um die Recherche zu einem kom­mu­nis­ti­schen Märchenfilm. Diese nimmt nach eini­gem Zögern sei­ne Anmache für bare Münze und beglei­tet ihn in die Provinz. Während Julians in sei­nen libi­di­nö­sen Begehrlichkeiten wie­der­holt Schiffbruch erlei­det, ent­wi­ckelt Camille zuneh­mend revo­lu­tio­nä­res Begehren, dass Julians Avancen eher noch ver­kom­pli­ziert. Dazwischen aller­lei Geschichten um die illus­tren Malocher*innen der Plantage, von ent­las­se­nen Museumswärtern und geor­gi­schen Anarchistinnen zu jeder Illusion gründ­lich ent­le­dig­ter Zonenkindern, bis sich die Zustände in der unter stren­gem Akkordregime ste­hen­den Plantage zuspit­zen und ein Wiedergänger Franz von Assisis uner­hör­te und ver­hei­ßungs­vol­le Nachrichten überbringt.
In Radlmaiers, (nicht nur film­ge­schicht­lich) anspie­lungs­rei­chem Film, nach den bei­den mit­tel­lan­gen „Ein Gespenst geht um in Europa” und „Ein pro­le­ta­ri­sches Wintermärchen” sein ers­ter lan­ger Spielfilm, ist die oft umwer­fen­de Komik nicht da, um das poli­ti­sche Begehren iro­nisch auf­zu­he­ben. Beides ist Teil der refle­xi­ven Arbeit an einer Form, in der sich von Möglichkeiten jen­seits der Herrschenden Verhältnisse erzäh­len läßt, zu Zeiten in denen, nach­dem alle Versprechen schon­mal geschei­tert sind, die Lächerlichkeit radi­ka­ler Entwürfe ihre unab­schüt­tel­ba­re Erscheinungsform ist.

Der bes­te deut­sche Film der dies­jäh­ri­gen Berlinale lief nicht etwa im gro­ßen Wettbewerb, son­dern in der Sektion Perspektive Deutsches Kino, wo der jun­ge Filmemacher Julian Radlmair sei­nen neu­en Film „Selbstkritik eines bür­ger­li­chen Hundes“ vor­stell­te. Der ist mit sei­nem skur­ri­len, selbst­iro­ni­schen Humor zwar ein Nischenprodukt, aber ein beson­ders ori­gi­nel­les.” programmkino.de

Deutschland 2017,  99 Min.
Regie, Buch, Schnitt: Julian Radlmaier
Kamera: Markus Koob
Mit:
Julian Radlmaier
Deragh Campbell
Kyung-Taek Lie
Beniamin Forti
Ilia Korkashvili
Bruno Derksen

Die Farbe der Sehnsucht

Ein Film von Thomas Riedelsheimer. Ab 1. Juni im fsk. Am 2.6. mit anschlie­ßen­dem Filmgespräch mit Regisseur und Produzent.

Manchen, die sie erkun­den, ist die Welt ein­fach nur bunt. Aber da ist doch viel mehr, das macht Thomas Riedelsheimer (Rivers and Tides, Touch the Sound, …) in sei­nem essay­is­ti­schen Dokumentarfilm greif­bar. Gibt es Farben der Sehnsucht, gibt es Musik der Sehnsucht? Glücklicherweise ver­zich­tet der Film auf all­zu nahe­lie­gen­de, häu­fig mit Sehnsucht ver­bun­de­nen Attribute. Stattdessen zei­gen in wun­der­schö­nen Kinobildern Menschen ihre Träume von einem Leben, das sie nicht leben wer­den, von einer Welt, die es so nicht geben wird, oder vom Heimkommen. So ver­läßt Dona Minga mit­tels kap­ver­di­schem Tanz für eine Weile das Ghetto in Lissabon, wo sie seit über 30 Jahren lebt. Neben dem all­ge­gen­wär­ti­gen Blau, so wie Himmel und Meer, die den unsterb­lich (und glück­lich) ver­lieb­ten Alfredo in Mexiko umge­ben, erscheint Grau als Farbe der Wirklichkeit, wie bei den Notunterkünfte in Osaka, oder glit­zernd-strah­len­des Weiß-Golden, wie die Paläste und Shopping Malls in Katar. Layla aus Pakistan, die in die­sem ver­meint­li­chen Wüstenparadies arbei­tet, schreibt als Ersatz für ihr ein­ge­eng­tes Leben Liebesromane, und Kanayo Ueda gibt Gedichtkurse für die Obdachlosen in der japa­ni­schen Küstenstadt.

Melancholie und Sehnsucht nach dem Nicht-mehr-Leben streift der Film über die­je­ni­gen, die Betroffenen eine Hilfe sein wol­len, so an den schrof­fen Klippen von Tojinbo, wo der pen­sio­nier­te Polizist Yuichi Tada ver­sucht, die vor­wie­gend jun­gen Menschen vom Suizid abzu­hal­ten, oder über den jun­gen Musiker Julius, der vor kur­zem einen Freund ver­lor. Quer über die Kontinente hin­weg ler­nen wir eine Reihe unter­schied­li­cher Frauen und Männer ken­nen, und wie sie sich trotz z.T. wid­rigs­ter Umstände ihre Träume zu erhal­ten versuchen.
»… Eine akus­ti­sche Entsprechung die­ses Gefühls fin­det Riedelsheimer in der musi­ka­li­schen Komposition eines sei­ner Protagonisten, wodurch der Film zu einem leben­di­gen Kollektivkunstwerk wird. Er erschafft dabei Momente, in denen die Gefühle von der Leinwand direkt auf den Zuschauer über­ge­hen. Ein sinn­li­ches Kino-Erlebnis vol­ler Empathie, das zur Kontemplation ein­lädt.« sagt die Filmbewertungsstelle.

Deutschland 2016, 92 Min., por­tu­gie­sisch, japa­nisch, deutsch, ara­bi­sche OmU
Regie, Kamera, Schnitt: Thomas Riedelsheimer

Starlet

[indie­ki­no Club]

Die 20-jäh­ri­ge Jane arbei­tet im San Fernando Valley als Porno-Darstellerin. Mit ihrer Kollegin Melissa lebt sie in einem Haus, das Melissas Freund und Manager Mikey gehört und oft auch als Filmset dient. Um ihr kar­ges Zimmer ein biss­chen gemüt­li­cher zu machen, klap­pert Jane die umlie­gen­den Flohmärkte ab. In einer Thermoskanne, die sie als Vase benut­zen will, fin­det sie 10.000 Dollar. Spontan geht sie ein­kau­fen – dann pla­gen sie Gewissensbisse. Doch die ahnungs­lo­se Verkäuferin Sadie (Besedka Johnson), eine ver­schlos­se­ne Witwe von 85 Jahren, lässt Jane gar nicht erst zu Wort kom­men, als die von ihrem Fund erzäh­len will. Jane will nun her­aus­fin­den, ob Sadie das vie­le Geld nötig hat, und es ihr nur dann zurück­ge­ben. Frech drängt sie sich ins Leben der alten Frau, um sie ken­nen zu ler­nen, bis sich lang­sam eine unge­wöhn­li­che Freundschaft ent­wi­ckelt. Doch auch Melissa benö­tigt immer wie­der Janes Aufmerksamkeit: Sie ist dro­gen­süch­tig, und ihre Unzuverlässigkeit und ihr chro­ni­scher Geldmangel wer­den zum Problem …
„Starlet” ist ein Film über Vertrauen und Vertrauensmissbrauch. Sadie und Jane sind bei­de auf sich allein gestellt und leben wie in einem Kokon: Sadie ver­lässt ihr leicht ver­wahr­los­tes Haus fast nur noch zum wöchent­li­chen Bingo, Jane lebt in einer asep­ti­schen Welt, in der es außer dem Job kaum mehr gibt als Computerspielen auf der Couch und Drogen. Die Bildgestaltung des Films ist äußerst gelun­gen. Oft scheint Jane sich in einer licht­durch­flu­te­ten Traumwelt zu bewe­gen. Der ele­gi­sche Elektrosoundtrack trägt eben­falls zu die­ser ent­rück­ten Atmosphäre bei. Dann wie­der­um setzt der Film auf die doku­men­ta­risch anmu­ten­de Nähe der Handkamera und strafft Szenen mit sicht­ba­ren Jumpcuts. (…). Ein wun­der­ba­rer Film. (BR – KinoKino)

STARLET ent­wirft die klas­si­sche Geschichte der unwahr­schein­li­chen Freundschaft als zar­tes, pas­tell­far­be­nes, son­nen­ge­tränk­tes, flüch­tig-spon­ta­nes Gewebe und war­tet mit zwei Entdeckungen auf: Mariel Hemingways Tochter Dree in der Rolle der Jane und Besedka Johnson, die im Greisinnenalter ihr Debüt als Sadie gibt.” (Viennale)

USA 2012, 103 Min., engl. OmU 

Regie:  Sean S. Baker

Darsteller:  Dree Hemingway, Besedka Johnson, Stella Maeve, James Ransone, Karren Karagulian

STARLET | Trailer ger­man deutsch [HD]
Code of Survival

Code of Survival

Ein Film von Bertram Verhaag.

Dass Glyphosat nicht schäd­lich sei, behaup­tet ein befrag­ter Befürworter fel­sen­fest, dass Menschen ver­geb­lich ver­such­ten, sich damit umzu­brin­gen, weil man ein gan­zes Glas davon trin­ken kön­ne, ohne dass einem etwas pas­siert. Als ihm ein Glas Glyphosat ange­bo­ten wird, wehrt er aller­dings ver­ängs­tigt ab. Angst und ban­ge wird es einem auch, wenn man sieht, wel­che ver­hee­ren­den Auswirkungen die Produkte der gro­ßen Chemiekonzerne auf das haben, was für uns alle lebens­not­wen­dig ist. Der Regisseur Bertram Verhaag hat sich bereits in meh­re­ren Filmen mit gen­tech­ni­schen Verfahren in der Landwirtschaft aus­ein­an­der­ge­setzt und weil ihn das zuneh­mend frus­trier­te, setzt er im neu­en Film den von den Konzernen pro­pa­gier­ten Lösungen alter­na­ti­ve Konzepte ent­ge­gen: eine Teeplantage in Indien, wo durch nach­hal­ti­ge öko­lo­gi­sche Anbauweise das wei­te­re Abrutschen der Teegärten ver­hin­dert wer­den konn­te; wie durch klu­ge Nutzung des­sen, was natür­lich wächst, auch schein­bar unfrucht­ba­rer Boden ver­wan­delt wer­den kann; wie man, wenn man nur stur genug sei­ne Vision einer alter­na­ti­ven Viehzucht ver­folgt, auch in einer kon­ser­va­ti­ven Gegend bald genug Kundinnen und Kunden hat, um von die­ser Arbeit leben zu kön­nen. Der Film zeigt all die­se Beispiele, weil er dazu anre­gen will, sich mit der Frage zu beschäf­ti­gen, auf wel­che Weise unse­re Nahrungsmittel pro­du­ziert wer­den sollten.

Deutschland 2017, 95 Min.
Regie: Bertram Verhaag
Kamera: Waldemar Hauschild, Gerald Fritzen
Schnitt: Hauke von Stietencron, Corinna Lösel, Melanie Singer, Verena Schönauer

Ich wünsche Dir ein schönes Leben

Ein Film von Ounie Lecomte.

Elisa ist Physiotherapeutin und nimmt für eini­ge Monate eine Vertretungsstelle in Dünkirchen an. Vor 30 Jahren wur­de sie dort anonym gebo­ren und direkt zur Adoption frei­ge­ge­ben. Obwohl sich ihre Mutter nach wie vor nicht zu erken­nen geben möch­te, hofft Elisa auf ein Einlenken oder auf den Zufall. Ihr Sohn Noé (Elyes Aguis) muss sich in der neu­en Schule zurecht­fin­den und wird auf Grund sei­ner leicht dunk­len Hautfarbe für einen Ausländer gehal­ten. Unterschwellige Vorurteile beglei­ten den Alltag in Schule und Stadt, Vorurteile die auch Annette teilt, die in der Schule als Putzfrau arbei­tet und von den Schülern gehän­selt wird. Bald wird Annette Patientin bei Elisa, anfangs ent­wi­ckelt sich eine gewis­se Nähe zwi­schen den bei­den unglei­chen Frauen, die eine in Paris auf­ge­wach­sen und welt­of­fen, die ande­re vom klein­geis­ti­gen Wesen der Kleinstadt geprägt und noch im Haus der eige­nen Mutter lebend.

Es ist nie ein Rätsel in Ounie Lecomtes Ich wün­sche dir ein schö­nes Leben, wer die Mutter ist, alle Karten lie­gen auf dem Tisch. Doch eine tie­fe emo­tio­na­le Spannung trägt den Film – und die mul­ti­per­spek­ti­vi­sche Erzählweise macht ihn viel­schich­ti­ger, als eine blo­ße Inhaltsangabe zu ver­mit­teln ver­mag. (…) Der Film heißt im Original direkt über­setzt „Ich wün­sche dir, ver­rückt geliebt zu wer­den” – die ver­rück­te Liebe, die amour fou, das ist hier die zwi­schen Mutter und Kind – der Titel bezieht sich auf André Bretons L’Amour fou, das am Ende des Films, wie aus dem Nichts, von einem Voice Over rezi­tiert wird, ein Brief an die zukünf­ti­ge Tochter, voll über­wäl­ti­gen­der Liebe, die gewünscht wird für sich und für andere …”
(Harald Mühlbeyer – kino-zeit.de”

Je vous sou­hai­te d’êt­re fol­le­ment aimée
Frankreich 2015, frz. OmU,  100 Min.

Regie: Ounie Lecomte
Buch: Ounie Lecomte, Agnès de Sacy
Kamera: Caroline Champetier
Schnitt: Tina Baz
Darsteller: Céline Sallette, Anne Benoit, Elyes Aguis, Françoise Lebrun, Louis-Do de Lencquesaing, Pascal Elso, Micha Lescot, Catherine Mouchet