Archiv der Kategorie: archiv

Asteroid City

Ein Film von Wes Anderson.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Typischer als „Asteroid City“ kann ein Wes Anderson-Film kaum sein: Vom bis ins kleins­te Detail aus­ge­stat­te­ten Sets, über eine ver­spiel­te, ver­schach­telt erzähl­te Handlung, bis hin zu einer Besetzung, die auch in den kleins­ten, kaum wahr­nehm­ba­ren Nebenrollen bekann­te Schauspieler ver­sam­melt. Worum es geht: Um alles und nichts, das gro­ße Ganze, die mensch­li­che Existenz, den Sinn des Leben.

Irgendwo im Südwesten der Vereinigten Staaten ver­sam­melt sich im Jahre 1955 eine bunt gemisch­te Gruppe Menschen. Anlass ist ein Sternforscherkongress im loka­len Wissenschaftszentrum, denn im Hintergrund der klei­nen Gemeinde mit genau 87 Einwohnern, ragt der Krater auf, in den einst der Asteroid ein­schlug, der Asteroid City sei­nen Namen gab.

Nachwuchs-Sterngucker sind vor Ort, um ins All zu Blicken, jun­ge Forscher, die ihre Entwicklungen vor­stel­len und bald kommt auch noch ein Alien zu Besuch. Was dazu führt, dass der Ort unter Quarantäne gestellt wird und das loka­le Motel zum Anlaufort für die Gestrandeten wird: Den Kriegsfotografen Augie (Jason Schwartzmann), der gera­de sei­ne Frau ver­lo­ren hat und mit sei­nem gran­ti­gen Schwiegervater (Tom Hanks) strei­tet. Der Filmstar Midge Campbell (Scarlett Johansson), eine Diva irgend­wo zwi­schen Elizabeth Taylor und Marilyn Monroe, dazu die Wissenschaftlerin Dr. Hickenlooper (Tilda Swinton), der General Grif Gribson (Jeffrey Wright) und vie­le Andere. Sie alle hadern auf die ein oder ande­re Weise mit dem Leben, trau­ern gelieb­ten Menschen mach, fra­gen sich, was das denn alles soll, suchen nach Antworten auf die gro­ßen Fragen der Menschheit oder schlicht und ergrei­fend dem Sinn der Existenz.

Sinn mag auch der Zuschauer in die­sem beson­ders enig­ma­ti­schen Film eines Regisseurs suchen, der ein­mal mehr einen Film vor­ge­legt hat, wie ihn nur er dre­hen kann. Vom ers­ten Moment an lässt „Asteroid City“ kei­nen Zweifel dar­an, dass es sich um einen Wes Anderson-Film han­delt: Frontale Kameraperspektiven, lie­be­voll bis ins kleins­te Detail aus­ge­stat­te­te Sets, selt­sa­me Charaktere und nicht zuletzt: Eine ver­schach­tel­te Narration.
Andersons vori­ger Film „The French Dispatch“ funk­tio­nier­te in gewis­ser Weise wie die Bebilderung des Magazins The New Yorker, in „Grand Budapest Hotel“ zeig­ten wech­seln­de Bildformate die unter­schied­li­chen Zeitebenen an, ein Stilmittel, das sich auch in „Asteroid City“ wie­der­fin­det. Ist der Hauptfilm in far­bi­gem Scope insze­niert, so sind die Bilder der Rahmenhandlung in schwarz-weiß und dem alt­mo­di­schen 4:3‑Format gefilmt. Hier sieht man eine TV-Inszenierung des Films, den man gera­de sieht, aber auch Szenen mit dem Autor des Stücks selbst (Edward Norton), der bis­wei­len Besuch von den Schauspielern bekommt, die nach der Bedeutung der Dialoge fra­gen, die sie in der Haupthandlung sprechen.

Hübsch selbst­re­fe­ren­zi­ell ist das, auch die gera­de­zu absur­de Ansammlung bekann­ter Schauspieler, die teil­wei­se in win­zi­gen Rollen auf­tre­ten, deu­tet dar­auf hin, dass Anderson hier auch einen Film über sich, sei­ne Arbeitsmethode, sei­nen Blick auf die Welt gedreht hat. Eine wach­sen­de Filmfamilie hat Anderson im Lauf der Jahre um sich gescharrt, Schauspieler wie Jason Schwartzman oder Willem Dafoe sind zum x‑ten Mal bei ihm dabei, ande­re, wie Tom Hanks oder Scarlett Johansson, sind Newcomer.

All die­se Stars, die sonst meist Hauptrollen spie­len, las­sen sich mit augen­schein­li­cher Lust auf ihre oft win­zig klei­nen Rollen in einem Wes-Anderson-Film ein, fügen sich ein ins gro­ße Ganze. Man darf ver­mu­ten, dass die Arbeit an einem Anderson-Film ein gro­ßes Vergnügen ist, von einer Neugier geprägt, die sich auch auf der Leinwand zeigt. Von gro­ßen Fragen mag die Rede sein, von Verlust und Tod die Rede sein, doch Andersons Filme und sei­ne Figuren sind stets von einem uner­schüt­ter­li­chen Optimismus geprägt, auch wenn es kei­ne kla­ren Antworten gibt. Doch wenn das Leben schon rät­sel­haft bleibt, dann soll­te es zumin­dest so ver­spielt und abwechs­lungs­reich sein wie die Welt von „Asteroid City“, in der man ger­ne 100 Minuten verbringt.

Michael Meyns | programmkino.de

Credits:

US 2023, 104 Min., engl. OmU
Regie & Buch: Wes Anderson
Kamera: Robert D. Yeoman
Schnitt: Barney Pilling
mit: Tom Hanks, Jason Schwartzman, Scarlett Johansson, Jeffrey Wright, Tilda Swinton, Bryan Cranston, Ed Norton, Adrien Brody, Liev Schreiber, Hope Davis, Rupert Friend, Maya Hawke, Steve Carell, Margot Robbie, Matt Dillon, Hong Chau, Willem Dafoe, Jeff Goldblum, Rita Wilson

Trailer:
Asteroid City | Offizieller Trailer | Ed (Universal Pictures)
nach oben

Black Box

Ein Film von Aslı Özge.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

In einem Berliner Wohnhaus ver­hängt die Polizei wegen eines nicht näher spe­zi­fi­zier­ten Terrorverdachts eine Ausgangssperre. Unter dem Druck von außen wer­den die Loyalitäten brü­chig, Beziehungen und sicher geglaub­te Annahmen kol­la­bie­ren, Misstrauen und Angst grei­fen um sich.

Wie vie­le unter­schied­li­che Lebensmodelle und Weltbilder wohl in dem äußer­lich recht fried­li­chen Berliner Mietshaus, in dem ich woh­ne, auf engs­tem Raum mit­ein­an­der koexis­tie­ren, habe ich mich schon oft gefragt. Während der Corona-Pandemie wur­de in die­sem klei­nen wie im grö­ße­ren gesell­schaft­li­chen Rahmen das Gefühl grö­ßer, dass durch­aus nicht selbst­ver­ständ­lich davon aus­zu­ge­hen ist, man kön­ne sich mit den meis­ten Mitmenschen sicher auf eini­ge Basisannahmen eini­gen. Mit einer ähn­li­chen Fragestellung arbei­tet Asli Özge in BLACK BOX. In einem Berliner Wohnhaus ver­hängt die Polizei wegen eines nicht näher spe­zi­fi­zier­ten Terrorverdachts eine Ausgangssperre. Ein Auto wird abge­schleppt, eine Wohnung durch­sucht, die ein­ge­sperr­ten Bewohner tref­fen im Hof auf­ein­an­der, der schon län­ger ein umkämpf­tes Gebiet ist. Die neue Hausverwaltung hat Mülltonnen umplat­ziert, eine Protestinitiative bil­det sich, ein Kind hat oder hat nicht vor die Haustür gepin­kelt. Ein zen­tra­ler Konflikt ist die Besitzfrage, das Haus besteht teils aus Miet‑, teils aus Eigentumswohnungen. Die Loyalitäten der Bewohner wer­den unter dem äuße­ren Druck brü­chig, Beziehungen und sicher geglaub­te Annahmen kol­la­bie­ren, Misstrauen und Angst grei­fen um sich. Gefilmt ist das oft aus beeng­ten Perspektiven: Mit Blicken von Wohnungen nach drau­ßen, Spiegelungen in Fensterscheiben und ver­zerr­ten Bildern erzählt Özge, wie man sich gegen­sei­tig belau­ert, wie alle nur einen Teil der Informationen haben und dar­aus ihre Realitäten kon­stru­ie­ren. Dass die­ser Mikrokosmos als Metapher für die Gesamtgesellschaft gemeint ist, ist klar und Asli Özges Diagnosen ist wenig entgegenzusetzen. (…)

Susanne Stern | indiekino

Credits:

DE/BE 2023, 120 Min.,
Regie: Aslı Özge
Kamera: Emre Erkmen
Schnitt: Patricia Rommel
mit: Luise Heyer, Felix Kramer, Christian Berkel, Timur Magomedgadzhiev, Manal Issa, André Szymanski, Sascha Alexander Geršak, Jonathan Berlin, Anne Ratte-Polle

Trailer:
BLACK BOX (Offizieller Trailer) | Ab dem 10. August im Kino
nach oben

Brother’s Keeper

Ein Film von Ferit Karahan.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Bei einem Start im Hochsommer geht es gefühlt kaum gegen­sätz­li­cher:
Bei unter ‑30° wird das staat­li­che Jungeninternat auf 2000m Höhe im Osten der Türkei, in kur­di­schem Gebiet, fast von Schneemassen begra­ben. Hier sind nicht nur die Temperaturen zum Fürchten, son­dern auch die stren­ge, auto­ri­tä­re Erziehung und die empa­thie­lo­se Umgangskultur. Die Eltern der Kinder hegen jedoch die Hoffnung, dass den Kindern durch die­se Ausbildung eine bes­se­re Zukunft bevor­steht. Der 12-jäh­ri­ge Yusuf und der jün­ge­re Memo sind Zimmergenossen. Ihre Freundschaft ist das ein­zi­ge, was für sie zählt und ihnen hilft, durch den Tag zu kom­men. Als Memo eines mor­gens schwer erkrankt auf­wacht, ver­sucht Yusuf trotz der Gleichgültigkeit und des Widerstandes der repres­si­ven Schulleitung, ihm zu hel­fen, und bringt ihn ins Krankenzimmer. Spät erst erken­nen die Lehrer den Ernst der Lage, und schon beginnt eine Kaskade von wech­sel­sei­ti­gen Schuldzuweisungen und kaf­ka­es­ker Ursachenforschung inner­halb des alles bestim­men­den Machtgefälles. Als Memo dann end­lich in ein Krankenhaus gebracht wer­den soll, ist die Schule durch hef­ti­gen Schneefall von der Außenwelt abge­schnit­ten.
Regisseur Ferit Karahan, der das Drehbuch zusam­men mit sei­ner Frau Gülistan Acet schrieb, hat wie die Kinder in dem Film selbst eine soge­nann­te “YIBO”-Schule besucht. … Er hat das, was er selbst in den 90er Jahren erlebt hat­te, in die­sem Film ver­ar­bei­tet. “Ich woll­te die Geschichte eines Tages in einer Internatsschule erzäh­len, aber damit gleich­zei­tig ein gan­zes System, ein gan­zes Land, etwas Universales beschrei­ben.”
„Brother’s Keeper ist alles ande­re als ein sen­ti­men­ta­les Rührstück, eher eine scharf­sin­ni­ge Groteske über Bürokratie, Mangelwirtschaft, ein System, das Repression, Konformität, Heimlichkeiten und Grausamkeiten för­dert.“
Claudia Lenssen | taz

Credits:

Okul Tıraşı
TR 2021, 85 Min., Türk., kurd. OmU
Regie: Ferit Karahan
Kamera: Türksoy Gölebeyi
Schnitt: Sercan Sezgin, Hayedeh Safiyari, Ferit Karahan
mit: Samet Yıldız, Ekin Koç, Mahir İpek, Melih Selçuk, Cansu Fırıncı, Nurullah Alaca

Trailer:
nach oben

Auf der Adamant

Ein Film von Nicolas Philibert. 

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Ein uto­pi­scher Ort der Menschlichkeit mit­ten in Paris

Wie ein ele­gan­tes Holzschiff liegt die Adamant am rech­ten Seine-Ufer im Herzen von Paris vor Anker. In die­se ein­zig­ar­ti­ge, 2010 eröff­ne­te Tagesklinik kom­men Erwachsene mit psy­chi­schen Störungen, die the­ra­peu­tisch beglei­tet wer­den, sich hier vor allem aber krea­tiv ent­fal­ten: Sie schrei­ben Chansons, ver­an­stal­ten Filmfestivals, dich­ten, malen und zeich­nen. Das Team der Adamant zeigt tag­täg­lich, wie es in Zeiten eines Gesundheitssystems in der Krise gelin­gen kann, zuge­wandt und offen auf Menschen mit psy­chi­scher Erkrankung ein­zu­ge­hen. Aus sen­si­blen Beobachtungen und Gesprächen mit den Adamant-„Passagier*innen“ ent­steht das leicht­fü­ßi­ge Portrait einer Einrichtung, deren Existenz Hoffnung macht.

Der Franzose Nicolas Philibert gehört seit sei­nem Publikumserfolg SEIN UND HABEN zu den gro­ßen Dokumentarfilmemachern Europas. Für AUF DER ADAMANT wur­de er auf der Berlinale 2023 mit dem Hauptpreis des Festivals, dem Goldenen Bären, ausgezeichnet.

Credits:

Sur l’Adamant
FR/JP 2022, 109 Min., frz. OmU
Regie, Kamera, Schnitt: Nicolas Philibert,
Regie unter Mitwirkung von Linda De Zitter

Trailer:
nach oben

Le Mali 70

Ein Film von Markus CM Schmidt.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Die UN hat den Abzug aus Mali bis Ende 23 auf Druck der dor­ti­gen Militärjunta beschlos­sen. Danach ist die Bevölkerung dem Terror von Wagner Gruppe und Islamisten aus­ge­lie­fert.
Le Mali 70 ent­stand Anfang der 20er Jahre, als der Krieg noch auf den Norden beschränkt war und fei­ert die Musik des Landes, die reich und über­bor­dend ist. Besonders nach der Unabhängigkeit vom fran­zö­si­schen Kolonialregime schu­fen die Big Bands den Sound der Zukunft für Mali.
Die Berliner Musiker von Omniversal Earkestra, eine Combo mit fet­tem Bläsersatz und von extrem mit­rei­ßen­der Spielfreude ent­deck­te die Musik, hor­te­te die Platten der 70er und fis­sel­te sich die Arrangements in mühe­vol­ler Detailarbeit zusam­men. Die Idee, eine Reise nach Mali zu unter­neh­men und sich mit den inzwi­schen in die Jahre gekom­me­nen Künstlern live aus­zu­tau­schen, wur­de umge­setzt und schon sind wir in Bamako, atmen die Musik und lau­schen der Oral History.
Auch über den kuba­ni­schen Einfluss, denn beim Balanceakt Malis zwi­schen Ost- u. West waren kuba­ni­sche Aufbauhelfer im Land. Die Intuition trifft auf das Notenblatt, die Geschichten auf die Geschichte.

Nachdem Mali im Jahr 1960 die Unabhängigkeit von Frankreich erlang­te, ent­wi­ckel­te sich das Land zu einem wich­ti­gen Zentrum für afri­ka­ni­sche Musik und spiel­te eine bedeu­ten­de Rolle in der Musikszene des Kontinents. Mali hat eine rei­che musi­ka­li­sche Tradition, die sich im Laufe der Jahre wei­ter­ent­wi­ckelt und glo­ba­len Einfluss erlangt hat.In den 1960er und 1970er Jahren, in der Zeit nach der Unabhängigkeit, wur­de die Musik in Mali zu einem wich­ti­gen Medium, um sozia­le und poli­ti­sche Botschaften zu ver­mit­teln. Viele Künstler nutz­ten ihre Musik, um auf sozia­le Ungerechtigkeiten, poli­ti­sche Themen und die Wahrung der kul­tu­rel­len Identität auf­merk­sam zu machen.“ ChatGPT

Credits:

DE 2022, 92 Min., German, French, Bambara, English OmU
Regie & Schnitt: Markus CM Schmidt
Kamera: Martin Langner

Trailer:
LE MALI 70 – Offizieller Trailer
nach oben
Fallende Blätter

Fallende Blätter – Fallen Leaves

Ein Film von Aki Kaurismäki. 

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Seit 30 Jahren dreht Aki Kaurismäki Filme, die das Bild sei­ner fin­ni­schen Heimat im Ausland geprägt haben. Eigentlich hat­te er sich schon zur Ruhe gesetzt, mit „Fallen Leaves“ hat Kaurismäki nun doch noch einen Film gedreht, einen sei­ner schöns­ten. Eine zar­te Liebesgeschichte in Helsinki, ein Film, der in jedem Moment ein Kaurismäki-Film ist, völ­lig aus der Zeit gefal­len und dabei durch und durch eigen.

In der fin­ni­schen Hauptstadt Helsinki (bzw. der Kaurismäki-Version von Helsinki) leben Ansa (Alma Pöysti) und Holappa (Jussi Vatanen) beschei­de­ne Leben. Sie arbei­tet in einem Supermarkt, räumt die Regale ein und nimmt bis­wei­len eine Packung abge­lau­fe­ner Wurst mit nach Hause, wes­we­gen sie bald ent­las­sen wird. Er arbei­tet auf dem Bau – zumin­dest noch – lebt in einem Container und geht gele­gent­lich mit sei­nem Freund zur Karaoke, an der er aber nicht teil­nimmt, denn: Harte Jungs sin­gen nicht. Noch wis­sen die bei­den Nichts von­ein­an­der, leben vor sich hin, in einer zeit­lo­sen Welt, die weder bewusst die Vergangenheit dar­stellt, noch deut­lich die Gegenwart.

Das Radio in Ansas Küche etwa, scheint aus den 60er Jahren zu stam­men, aber sie hört dar­in Nachrichten, die auf den aktu­el­len Krieg in der Ukraine Bezug neh­men. Fernseher gibt es in die­ser Welt dage­gen nicht, die Moderne scheint noch kei­nen Einzug gehal­ten zu haben. Irgendwann kommt es zu einer ers­ten Verabredung – man sieht sich Jim Jarmuschs „The Dead don’t die“ im Kino an – doch bevor Ansa und Holappa wie der klei­ne Tramp und das Mädchen in den Sonnenaufgang gehen kön­nen, wol­len noch eini­ge Hindernisse über­wun­den werden.

Ein eigen­ar­ti­ges Gefühl hin­ter­lässt Aki Kaurismäkis „Fallen Leaves“: Ein neu­er Film des fin­ni­schen Kultregisseurs ist dies, der sich den­noch in jedem Moment, in prak­tisch jedem Dialog, jeder Geste, jedem Schauplatz bekannt anfühlt. Als hät­te es Kaurismäki zum dies­mal viel­leicht end­gül­ti­gen Ende sei­ner Karriere dar­auf ange­legt, ein Pastiche sei­ner bis­he­ri­gen Arbeiten zu dre­hen, eine Art Best Of-Kaurismäki.

Die Welt, die er dabei zeigt, scheint sich seit den 80er Jahren, als Kaurismäki begann, Filme zu dre­hen, kaum geän­dert zu haben. Damals war das kar­ge Set-Design wohl nur wenig von der fin­ni­schen Realität ent­fernt, im Laufe der Jahre hat sich dage­gen Finnland selbst weit mehr ent­wi­ckelt als die Filme des im Ausland wohl berühm­tes­ten Finnen.

Kein Regisseur und auch sonst kein Künstler dürf­te das Bild von Finnland stär­ker geprägt haben als Kaurismäki. Das Bild eines wort­kar­gen, melan­cho­li­schen Volkes, dass das Leben lako­nisch an sich vor­bei­zie­hen lässt ist dabei im Lauf der Jahre ent­stan­den, ist die Welt, in der Kaurismäkis Filme spie­len, unver­wech­sel­bar gewor­den. In gewis­ser Weise ist „Fallen Leaves“ also pure Nostalgie, erlaubt es dem Zuschauer ein­mal mehr in die bekann­te, auch die hei­le, Kaurismäki-Welt ein­zu­tau­chen, in der die Dinge sich im Lauf der Jahrzehnte nicht ver­än­dert haben. Doch die Kaurismäki-Nostalgie funk­tio­niert anders als etwa der Versuch all­zu vie­ler Serien und Filme der letz­ten Jahre, sich auf eine Reise in die 80er oder 90er Jahre zu bege­ben und eine nur ver­meint­lich ein­fa­che­re Zeit wie­der­auf­le­ben zu lassen.

Kaurismäkis-Filme haben bei allem Realismus, bei aller Sympathie für die Arbeiterklasse („Fallen Leaves“ soll als Weiterführung der um 1990 ent­stan­de­nen Proletarischen Trilogie ver­stan­den wer­den), immer auch etwas Irreales, etwas Märchenhaftes. Das Finnland, das Kaurismäki zeigt, hat so ver­mut­lich nie exis­tiert, es war schon Mitte der 80er Jahre eine Illusion und ist es 40 Jahre spä­ter noch viel mehr. Allein an der Lust, sich von Kaurismäki, sei­nen ein­zig­ar­ti­gen Figuren und sei­nem spe­zi­el­len Blick auf die Welt ver­zau­bern zu las­sen hat sich nichts geändert.

Michael Meyns | programmkino.de

Credits:

Kuolleet leh­det
FI 2023, 81 Min., finn. OmU
Regie: Aki Kaurismäki
Kamera: Timo Salminen
Schnitt: Samu Heikkilä
mit: Alma Pöysti, Jussi Vatanen

Trailer:
Fallen Leaves (2023) | Trailer | Aki Kaurismäki Alma Pöysti | Jussi Vatanen
im Kino mit deut­schen Untertiteln
nach oben

L’Amour du Monde

Ein Film von Jenna Hasse.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Ein Sommerfilm, der in einem Sommer aus einer ande­ren Zeit spielt. Niemand stellt stän­dig von zu heiß auf zu kalt, von extrem tro­cken auf Cats’n’Dogs, es ist ein­fach der Zustand der Gelöstheit, der Entdeckungen, des sich trei­ben las­sen. Dazu haben die ProtagonistInnen aller­dings zu wenig Zeit. Margaux ist vier­zehn und macht in den Sommerferien eher unbe­geis­tert ein Praktikum in einem Kinderheim am Genfer See, der ruhig im Licht der Tage glänzt und ufer­los scheint. Sie freun­det sich mit einem der Kinder an, Juliette heißt sie, die erst ins Wasser springt und dann schwim­men ler­nen möch­te, ein unge­stü­mer Flohzirkus vol­ler Energie und Entdeckungsfreude. Die bei­den ler­nen Joël ken­nen, der lan­ge in Indonesien war und jetzt wie­der als Fischer arbei­tet. Für einen Sommer kreu­zen sich die Wege der Suchenden in Jenna Hasses poe­ti­schem Debütfilm.
„Der Sommer flirrt am Ufer des Genfer Sees, wo das Trio, jeder auf sei­ne eige­ne Weise, nach einem Platz und einer Perspektive sucht. Die 1989 in Lissabon gebo­re­ne Hasse sie­delt ihren Film dort an, wo sie selbst groß wur­de. Inspirieren ließ sie sich von Roman Charles-Ferdinand Ramuz‘ eben­falls am Genfer See spie­len­dem Roman L’amour du mon­de, des­sen Titel sie ent­lehnt hat. Margaux gibt Juliette einen zwi­schen­mensch­li­chen Halt, den sie selbst sucht. Das Verhältnis zum Papa ist ange­knackst, und die Teenagerin sehnt sich mit jeder Faser an einen ande­ren Ort. Als ihre Freundinnen sich via Handy aus dem Italienurlaub mel­den, foto­gra­fiert Margaux eine Naturdokumentation im TV und schreibt: „Liebe Grüße aus dem Paradies“. In dem Hotelzimmer, in dem sie mit dem Vater lebt, hängt die Malerei eines Dschungels an der Wand. „Ich möch­te mit dir nach Indonesien gehen“, sagt sie Joël, der für sie in viel­deu­ti­ger Hinsicht zu einem Fixpunkt wird.“
Jens Balkenborg | epd Film

Credits:

CH 2023, 76 Min., frz. OmU
Regie: Jenna Hasse
Kamera: Valentina Provini
Schnitt: Noémie Fy
mit: Clarisse Moussa, Esin Demircan, Marc Oosterhoff, Adèle Vandroth, Pierre Mifsud, Mélanie Doutey, Filipe Vargas, Théo Rossi, Hadrien Motta, Elias Alves, Maël Ney

Trailer:
L’AMOUR DU MONDE – Sehnsucht nach der Welt // Kinostart: 24. August
nach oben

Welcome Venice

Ein Film von Andrea Segre.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Nachdem wir vor nicht all­zu lan­ger Zeit sei­nen essay­is­ti­schen Film, Moleküle der Erinnerung, gezeigt haben, indem sei­ne Heimat im Corona Lockdown eine wun­der­bar pas­sen­de Kulisse zu einer Aufarbeitung des Verhältnisses zu sei­nem Vater bil­de­te, nun der neue Film von Andrea Segre.
Welcome Venice behan­delt die Auseinandersetzung zwei­er Brüder über den Erhalt einer Fischertradition und den grund­le­gen­den Veränderungen ihrer Heimat:
Die Brüder Pietro und Alvise gehö­ren zu einer alten Fischerfamilie aus Giudecca, einer der Inseln, aus denen die Stadt Venedig besteht. Ihr Leben kol­li­diert vor dem Hintergrund des unauf­halt­sa­men Wandels, der die Realität und die Identität Venedigs und sei­ner Bewohner ver­än­dert: Der zuneh­men­de Einfluss des glo­ba­len Tourismus ver­än­dert die Beziehungen zwi­schen der Stadt und ihren Bewohnern. Obwohl es anstren­gend und ein­sam ist, möch­te Pietro wei­ter­hin „moe­che“, die typi­schen Krebse der Lagune, fischen; Alvise hin­ge­gen sieht in sei­nem Elternhaus die Möglichkeit, neu anzu­fan­gen und sich den neu­en Bedingungen anzu­pas­sen, wohl wis­send nicht nur alte Traditionen, son­dern auch sein Verhältnis zu sei­nem Bruder in Frage zu stel­len.
„Zehn Jahre nach mei­nem Film Io sono Li keh­re ich mit Welcome Venice zu einem Film zurück, in dem die Stadt Venedig, die Orte und ihre Bewohner eine grund­le­gen­de Rolle spie­len. Ein Film, der in die Gassen und Gewässer eines Venedigs ein­taucht, das Angst hat, zu ver­schwin­den und nicht weiß, wohin die Zukunft führt, aber den­noch die Kraft fin­det, zu exis­tie­ren und zu sich selbst und zur Welt zu spre­chen. Ein Venedig, das Gefahr läuft, von sei­ner eige­nen Schönheit und sei­nem Ruhm ver­schlun­gen zu wer­den, eine Stadt, die die uns alle betref­fen­den glo­ba­len Veränderungen sym­bo­li­siert, eine Stadt, die Leben, Bürger und Räume braucht. In einer schwie­ri­gen Zeit wie die­ser freue ich mich, dass mein Film einen Dialog zwi­schen dem Kino und der Stadt Venedig, zwi­schen dem Kino und der Welt da drau­ßen anre­gen kann.“ Andrea Segre

Credits:

IT 2021, 100 Min.,
Regie: Andrea Segre
Kamera: Matteo Calore
Schnitt: Chiara Russo
mit: Paolo Pierobon, Andrea Pennacchi, Ottavia
Piccolo, Roberto Citran, Sara Lazzaro

Trailer:
Trailer „Welcome Venice”
nach oben

Forever Young

Ein Film von Valeria Bruni Tedeschi.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

In ihrer jüngs­ten Regiearbeit ver­ar­bei­tet Valeria Bruni Tedeschi die eige­ne Zeit an der berühm­ten Pariser Schauspielschule Théâtre des Amandiers. FOREVER YOUNG folgt einer Gruppe Schauspielstudentinnen über ein knap­pes Jahr, vom Vorsprechen bis zur Premiere der ers­ten Studieninszenierung. Dabei ist die Kamera immer so nah bei ihnen, dass fast der Eindruck eines Dokumentarfilms ent­steht. Innerhalb des Figurenensembles, dem der Film durch Partys, Liebschaften und Workshops folgt, erhält die Beziehung zwi­schen Stella (Nadia Tereszkiewicz) und Etienne (Sofiane Bennacer) die Hauptaufmerksamkeit: Sie, die Tochter aus rei- chem Hause (und offen­sicht­li­ches alter ego der Regisseurin), ist dem schau­spie­le­risch inten­si­ven und pri­vat selbst­de­struk­ti­ven Junkie-Bad-Boy mit Mutterkomplex ver­fal­len, egal, wie oft er sie warnt, sie schlecht behan­delt und sie bestiehlt. Ähnlich wie in Joanna Hoggs Upper-Class-Gesellschaft in THE SOUVERNIR ist in Les Amandiers kein Platz für emo­tio­nal gesun­de Beziehungen und die Verarbeitung von Stress. Stattdessen wird in den spä­ten 1980ern, an die sich Bruni Tedeschi erin­nert, kon­stant geraucht, die Schulleiter nut­zen ihre abso­lu­te Macht, um die Lieblinge des Kollegen im Probenraum fer­tig zu machen oder sich den eige- nen Lieblingen anzu­nä­hern, und die Studentinnen las­sen sich in ihren hedo­nis­ti­schen Experimenten von der stän­dig prä­sen­ten Bedrohung durch AIDS kaum auf­hal­ten. Die Premiere naht, „The Show must go on!“, und geweint wer­den kann hin­ter der Bühne. Das bra­chia­le Regime scheint zu funk­tio­nie­ren, hat es doch der Regisseurin und vie­len ihrer Kommiliton*innen zu einer Karriere ver­hol­fen. FOREVER YOUNG erin­nert aber auch an die, die auf dem Weg ver­lo­ren gin­gen, und an die kind­li­che Naivität, die die able­gen muss­ten, die ihr Leben mit Spielen ver­brin­gen.
Christian Klose | indiekino

Wenn es gut läuft, wie hier, ähneln die Filme von Valeria Bruno Tedeschi den Figuren, die sie vor­zugs­wei­se als Darstellerin spielt, z.B. in dem Film Oublie moi. Ist das noch Hysterie oder schon Borderline? Dabei will sie auch nur Anerkennung und scheint doch in ihrer Jugend ste­cken geblie­ben zu sein. Völlig über­dreht, ein wenig neben der Spur, hart­nä­ckig, gren­zen­los, über­grif­fig, ist sie in ihrer Penetranz nicht gera­de eine Symphatieträgerin, und trotz­dem oder gera­de des­we­gen eine Emphatie zu ent­wi­ckeln, bedeu­tet eine loh­nen­de Aufgabe für uns Zuschauer*innen.

Credits:

Les Amandiers
FR 2022, 126 Min, frz. OmU
Regie: Valeria Bruni Tedeschi
Kamera: Julien Poupard
Schnitt: Anne Weil
mit: Louis Garrel, Sofiane Bennacer, Nadia
Tereszkiewicz, Micha Lescot, Clara Bretheau

Trailer:
Kinotrailer „Forever Young” – Kinostart 17. August 2023
nach oben

Chevalier Noir

Ein Film von Emad Aleebrahim Dehkordi.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Viel Nacht, Musik, Drogen, Tanz: Chevalier Noir blickt auf einen im ira­ni­schen Kino sel­ten zu sehen­de Welt Stoff, eine Generation jun­ger Erwachsener mit etwas Geld in der Tasche, die sich schein­bar frei­er von Zwängen und Unterdrückung bewegt.
„Gehst du schon? Ist die Party so schlecht?“ fragt Mayram Iman, den sie vor der Tür trifft.„Schon? Die Sonne geht auf.“ gibt der jun­ge Mann zurück. Ein all­täg­li­cher Dialog, vor­stell­bar in vie­len Städten der Welt – aber in Teheran?
Iman und sein jün­ge­rer Bruder Payar sind sich sehr ver­bun­den und leben bei ihrem Vater in einem der wohl­ha­ben­de­ren Viertels der Stadt. Die Mutter starb vor kur­zem. Während sich Payar um den kran­ken und opi­um­ab­hän­gi­gen Vater küm­mert und eine Karriere als Boxer anstrebt, ver­sucht sich Iman in Drogenhandel, liebt sein Motorrad und nächt­li­che Parties mit Freunden. Das kann auf Dauer nicht gut­ge­hen…
„Eines Tages, als ich bereits in Paris leb­te, rief mich mei­ne Mutter an und erzähl­te mir eine wah­re Geschichte, die sich gera­de in mei­nem Viertel im Norden Teherans ereig­net hat­te und in die eini­ge mei­ner Freunde ver­wi­ckelt waren – eine Geschichte über eine geschei­ter­te Rache. Diese Geschichte erschüt­ter­te mich, ich war von ihrer abrup­ten Gewalt und ihrem tra­gi­schen Potenzial beein­druckt. Die Resonanz auf Geschichten, die in der ira­ni­schen Mythologie erzählt wer­den, sprang mir ins Auge: Es gibt dort vie­le Geschichten über Rache und Vererbung. …“
Emad Aleebrahim Dehkordi
„… die­ser dop­pel­te Blick, von außen und von innen, tut dem Film gut. Denn es ist frag­lich, ob die stän­dig im Iran leben­den Filmemacher eine solch unge­schön­te Milieuschilderung über­haupt ohne über­gro­ßes Risiko rea­li­sie­ren könn­ten.
Regisseur Emad Aleebrahim Dehkordi, der am fran­zö­si­schen „Fresnoy-Studio natio­nal d’arts con­tem­po­rains“ Kunst stu­dier­te, unter­legt sei­ne nächt­li­che Sozialstudie geschickt mit Thrill und Spannung, bevor sie am Ende doch zum Drama wird….“
Peter Gutting | kino-zeit

Credits:

A Tale of Shemroon
FR/DE/IR/IT 2022, 102 Min. far­si OmU
Regie: Emad Aleebrahim-Dehkordi
Kamera: Amin Jafari
Schnitt: Félix Rehm
mit: Iman Sayad Borhani, Payar Allahyari, Masoumeh Beygi, Behzad Dorani, Nima Nouri Zadeh

Trailer:
CHEVALIER NOIR – Offizieller Trailer
nach oben