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Oslo-Stories: Liebe

Ein Film von Dag Johan Haugerud.

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Dag Johan Haugeruds Trilogie Oslo Stories besteht aus drei jeweils eigen­stän­di­gen Filmen mit einer unab­hän­gi­gen Geschichte. Der Teil Träume („Der mit der Lehrerin“, ab 8.5.) hat gera­de den Goldenen Bären gewon­nen, Sehnsucht heist im Original Sex („Der mit den Dachdeckern“, Panorama 2024, ab 22.5.) und zuerst nun der Teil Liebe („Der mit der Fähre“ Venedig 2024)

Oslo Stories: LIEBE ist ein roman­ti­scher Film, der Sexualität, Beziehungen und Liebe erforscht und sich um einen schwu­len Krankenpfleger und eine hete­ro­se­xu­el­le Ärztin dreht. In vie­ler­lei Hinsicht ist die­ser Film uto­pisch: Er han­delt vom Streben nach sexu­el­ler und emo­tio­na­ler Nähe zu ande­ren, ohne sich dabei unbe­dingt an die gesell­schaft­li­chen Normen und Konventionen zu hal­ten, die Beziehungen regeln. Die weib­li­che Sexualität, die in vie­len Teilen der Gesellschaft sowohl von Männern als auch von Frauen stän­dig unter die Lupe genom­men und in Frage gestellt wird, ist ein zen­tra­ler Schwerpunkt des Films. Wir haben noch nicht den Punkt erreicht, an dem Frauen Entscheidungen in Bezug auf ihre Sexualität und ihr Liebesleben tref­fen kön­nen, ohne sich ver­tei­di­gen oder erklä­ren zu müs­sen. Der Film deu­tet auch an, dass bestimm­te Erfahrungen und Praktiken inner­halb der homo­se­xu­el­len Gemeinschaft wert­vol­le Erkenntnisse für die Gesellschaft im Allgemeinen bie­ten könn­ten.
Aber im Kern geht es in dem Film um die Frage, wie man Gutes tun kann. Ich glau­be, dass Fiktion eine ent­schei­den­de Rolle dabei spielt, sich alter­na­ti­ve Welten und Prspektiven vor­zu­stel­len. Sie ermög­licht es den Menschen, sich aus­zu­drü­cken und auf unge­wöhn­li­che Weise zu han­deln. Für mich besteht eine wich­ti­ge Funktion der Fiktion dar­in, neue Denkweisen im wirk­li­chen Leben zu inspi­rie­ren. Mit Oslo Stories: LIEBE – und der gesam­ten Trilogie – war es mein vor­ran­gi­ges Ziel, zu ver­mit­teln, dass neue Denk- und Verhaltensweisen mög­lich sind.

Dag Johan Haugerud

Credits:

Love
NO 2024, 119 Min, Norwegische OmU
Regie: Dag Johan Haugerud
Kamera: Cecilie Semec
Schnitt: Jens Christian Fodstad,
mit: Andrea Bræin Hovig, Tayo Cittadella Jacobsen, Marte Engebrigtsen, Lars Jacob Holm, Thomas Gullestad

Trailer:
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Der Code

Der Code

Ein Film von Assaf Lapid.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Der ande­re Planet, mit nichts in die­ser Welt ver­gleich­bar – das war für ihn Auschwitz. Hier erleb­te Yehiel De-Nur die Schrecken der Shoah, die er nach dem Krieg unter dem Pseudonym Ka.tzetnik lite­ra­risch radi­kal ver­ar­bei­te­te. Über Gewalt, Folter und Kannibalismus schrei­bend wur­de er immer wie­der zum Häftling, wäh­rend er gleich­zei­tig ein bür­ger­li­ches Leben führte.

Die radi­ka­le Aufspaltung in zwei Persönlichkeiten war Yehiel De-Nurs (geb. Feiner) Strategie, um mit sei­nem Trauma umzu­ge­hen. Wenn er als Ka.tzetnik abge­kap­selt und in Häftlingskleidung sei­ne inter­na­tio­na­len Bestseller ver­fass­te, war er wie­der auf dem „ande­ren Planeten“, den die Kunstfigur mit dem KZ im Namen nie ver­las­sen hat­te. Die Bücher von Ka.tzetnik haben Israel bewegt. Er reflek­tier­te dar­in Gewaltexzesse, deren Nähe zu sexu­ell kon­no­tier­ter Gewalt, die Abgründe des Menschlichen, und pro­vo­ziert dabei – als Holocaust-Überlebender – mit Titeln wie „Ich bin der SS-Mann. Eine Vision“ (Ein ande­rer bekann­ter Titel des Buches ist: „Shvitti. Eine Vision“). Auch der Name der Indie-Band „Joy Division“ geht auf ein Buch von Ka.tzetnik zurück.
De-Nur hin­ge­gen fass­te als beschei­de­ner Ehemann und lieb­vol­ler Vater in Israel wie­der Fuß. Erst der Eichmann-Prozess, wo De-Nur und Ka-Tzetnik im Zeugenstand erst­mals auf­ein­an­der­tra­fen, brach­te die­ses Konstrukt zum Einsturz. Der auch 30 Jahre nach dem Krieg noch von sei­nem Trauma Verfolgte hoff­te, in den Niederlanden durch eine LSD-Therapie end­lich Frieden zu fin­den.
Die Dokumentar-Biografie über­setzt die­se Persönlichkeitsspaltung in Bilder. Während wir in Berichten von Zeitzeuginnen und Forscherinnen der Person De-Nur begeg­nen, füh­ren uns ani­mier­te Sequenzen in die Gedankenwelt des Autors und sei­ner lite­ra­ri­schen Figur Ka.tzetnik. Dabei wird nicht nur die Frage nach Möglichkeiten der Traumabewältigung gestellt, son­dern auch nach dem Wert sub­jek­ti­ver Wahrheit.
Rainer Mende

Credits:

The Return from the Other Plaent
DE/IL 2023, 81 Min., eng­lisch, hebrä­isch, jid­disch, nie­der­län­disch OmU
Regie: Assaf Lapid

Kamera: Talia Tulik Galon, Jörg Adams
Schnitt: Nohar Avigail Haseen, Assaf Lapid 

Trailer:
The Return from the Other Planet_English Trailer
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Primadonna – Das Mädchen von morgen

Ein Film von Marta Savina. 

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Sizilien in den 1960-er Jahren. Den gesell­schaft­li­chen, auch vom Gesetz gestütz­ten Vorstellungen nach ver­liert eine unver­hei­ra­te­te Frau mit dem ers­tem Sex auch ihre Ehre, die nur durch eine Heirat wie­der her­ge­stellt wer­den kann, Vergewaltigungsopfer nicht aus­ge­nom­men (Matrimonio ripa­ra­to­re – repa­rie­ren­de Heirat). Das erleb­te sei­ner­zeit die 17-jäh­ri­ge Franca Viola, an deren Fall sich PRIMADONNA anlehnt.
Im Film heißt sie Lia, ist zurück­hal­tend, aber eigen­wil­lig und weiß, was sie will, Felder bestel­len liegt ihr bei­spiels­wei­se mehr als Hausarbeit. Nach einem kur­zen Flirt mit Lorenzo, dem char­man­ten Sohn des mafiö­sen Großunternehmers im Dorf, erkennt sie schnell, das es gar nicht passt. Der jun­ge Mann aber gibt nicht auf: er ent­führt und ver­ge­wal­tigt sie.
Um her­nach ihre „Ehre wie­der­her­zu­stel­len“ soll sie ihn hei­ra­ten. Unterstützt von ihren Eltern wei­gert sich Lia, und da lässt sei­ne Familie sie ihre Macht spü­ren. Es kommt es zu Drohungen, Beleidigungen, Ausgrenzung und Schlimmeren. Schließlich macht Lia den uner­wart­ba­ren Schritt: sie zeigt Lorenzo an.
In ihrem Spielfilmdebüt, dem Cinema!Italia! 2024 Publikumspreisgewinner, folgt Marta Savina Lia in ihrem bäu­er­li­chen Alltag, beob­ach­tet ihr Schweigen über die Vergewaltigung und umge­kehrt den media­len Rummel um den Prozess. Gegen alle Wahrscheinlichkeit bekommt Lia Recht, und ist damit ein Vorbild für ande­re. In der Realität dau­er­te es noch lan­ge, bis der Artikel 544* aus dem ita­lie­ni­schen Strafgesetzbuch gestri­chen wur­de.
Für jedes Delikt des ers­ten Abschnitts (…) löscht die Ehe, die der Urheber einer Verletzung mit der ver­letz­ten Person ein­geht, das Verbrechen aus, auch in Bezug auf die­je­ni­gen, die an der glei­chen Straftat teil­ge­nom­men haben.

Credits:

IT 2023, 102 Min., Italienische OmU
Regie: Marta Savina
Kamera: Francesca Amitrano
Schnitt: Paola Freddi

mit: Claudia Gusmano, Fabrizio Ferracane, Manuela Ventura, Dario Aita

Trailer:
Trailer „Primadonna”
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Köln 75

Köln 75

Ein Film von Ido Fluk. Am Freitag, 

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Gerade ein­mal 16 Jahre jung ist Vera Brandes 1973, als sie in Köln beginnt, als Veranstalterin von Jazz-Konzerten zu arbei­ten. Eher zufäl­lig hat sie ihre Leidenschaft ent­deckt, ihre gro­ße Klappe und Unverblümtheit sorgt dafür, dass auch Musiker, die ihre Väter sein könn­ten, sich von dem Teenager mit­rei­ßen las­sen.
Sie ist fas­zi­niert von der Welt der Musik, beson­ders dem Jazz. Und so plant sie, am 24. Januar 1975 ein Konzert in der Kölner Oper zu orga­ni­sie­ren, bei dem Keith Jarrett ein­mal mehr bewei­sen soll, war­um er als eben­so revo­lu­tio­nä­rer Musiker wie John Coltrane oder Miles Davis gilt.
Manchmal sind Entstehungsgeschichten fast noch bes­ser als das eigent­li­che Ereignis, im Fall von Keith Jarretts legen­dä­rem „Köln Concert“ ist es eher so, dass die Umstände spek­ta­ku­lär, das Ergebnis dage­gen eine Sensation waren. Die meist­ver­kauf­te Jazz-Platte eines Solo-Künstlers sind die Aufnahme der gut 60 Minuten, die Jarrett Ende Januar in Köln auf der Bühne ver­brach­te, allein impro­vi­sie­rend und das auf einem grenz­wer­ti­gen Flügel.
Ganz so her­un­ter­ge­kom­men, wie das im Film gezeig­te Modell war der Flügel zwar wohl nicht, ansons­ten hat Autor und Regisseur Ido Fluk in sei­nem bio­gra­phi­schen Musikfilm Köln 75 die Realität aber kaum mytho­lo­gi­sie­ren müs­sen, um einen oft fes­seln­den Film zu dre­hen. Einen Wermutstropfen gibt es aller­dings: Die Rechte an der Musik von Keith Jarrett und vor allem dem Köln Concert, stan­den nicht zur Verfügung, die beson­de­re Qualität des musi­ka­li­schen Ansatzes Jarrett wird dadurch nur aus zwei­ter Hand deut­lich. Was aller­dings zur bes­ten Szenen des Films führt: In einer lan­gen Einstellungen führt der zwi­schen­zeit­lich als Erzähler fun­gie­ren­de ame­ri­ka­ni­sche Musik-Journalist Michael Watts (Michael Chernus) ein­mal quer durch die Geschichte des Jazz, vom Big Band-Sound über kon­trol­lier­te Improvisationen im Korsett von Standards, zum expe­ri­men­tel­len Free Jazz eines Miles Davis, bis hin zum völ­lig los gelös­ten Ansatz Keith Jarretts, der ver­sucht, völ­lig neue, noch nie gehör­te Musik zu spie­len und das jeden Abend.
Auch John Magaro als Jarrett und Alexander Scheer als des­sen Manager Manfred Eicher (der bald danach das Label ECM mit­be­grün­den soll­te, bei dem das „Köln Concert“ zum Millionen-Erfolg wer­den soll­te) gelingt es mit­rei­ßend, die beson­de­re Qualität Jarretts in Worte zu fas­sen.“
M. Meyns | programmkino.de

Credits:

DE/BE/PL 2024, 115 Min.,
Regie: Ido Fluk
Kamera: Jens Harant
Schnitt: Anja Siemens
mit Mala Emde, John Magaro, Michael Chernus, Alexander Scheer, Ulrich Tukur

Trailer:
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September & July

Ein Film von Ariane Labed. 

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Die Schwestern September (Pascale Kann) und July (Mia Tharia) erschei­nen in Kleidern, die an die Zwillinge aus Stanley Kubricks „The Shining“ erin­nern. Ihre Mutter Sheela (Rakhee Thakrar), eine etwas distan­zier­te Fotografin, hält die­se Szene fest. Bereits hier spürt man die beson­de­re Dynamik, die Regisseurin Ariane Labed in ihrem Debüt-Langfilm September Says erforscht. Die Schwestern sind eng ver­bun­den, obwohl sie unter­schied­li­cher kaum sein könn­ten: September ist beschüt­zend und vor­sich­tig, wäh­rend July mit Neugier und Offenheit auf die Welt blickt. Diese unter­schied­li­chen Persönlichkeiten for­dern ihre Mutter, die das Temperament der bei­den oft nur schwer bän­di­gen kann. Als September von der Schule sus­pen­diert wird, beginnt July ihre Unabhängigkeit zu fes­ti­gen – was Spannungen zwi­schen den bei­den Schwestern aus­löst. Die drei Frauen zie­hen sich schließ­lich in ein altes Ferienhaus in Irland zurück, wo sie sich mit einer Reihe sur­rea­ler Erlebnisse kon­fron­tiert sehen.

September Says“ ent­fal­tet sich durch Labeds kraft­vol­le Bildsprache, die mit einer psy­cho­lo­gisch dich­ten Atmosphäre und einer Prise schwar­zen Humors spielt. Themen wie weib­li­che Selbstbestimmung und die Weitergabe fami­liä­rer Prägungen zie­hen sich durch die Handlung, ohne in eine klas­si­sche Befreiungsgeschichte zu mün­den. Ariane Labed, die als Schauspielerin durch die Greek New Wave bekannt wur­de, beweist hier ihr Talent als Regisseurin, die das Groteske und das Ungewohnte im Alltäglichen auf­spürt. September Says ist eine kraft­vol­le Erkundung weib­li­cher Welten und fei­er­te sei­ne Weltpremiere in Cannes in der Reihe Un Certain Regard.

Credits:

September Says
FR/GR/IE/DE/UK 2023, 96 Min., engl. OmU
Regie: Ariane Labed

Kamera: Balthazar Lab
Schnitt: Bettina Böhler
mit: Mia Tharia, Pascale Kann, Rakhee Thakrar

Trailer:
September Says – Official Clip
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Mond

Mond

Ein Film von Kurdwin Ayub.

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Sarahs Karriere als Mixed-Martial-Arts-Kämpferin geht zu Ende, statt in den Ring zu stei­gen, wird sie zukünf­tig Kinder trai­nie­ren. Ein plötz­li­ches Angebot aus Jordanien, die Töchter einer rei­chen Familie zu unter­rich­ten – MMA sei dort gera­de der letz­te Schrei – hört sich da sehr exo­tisch und ver­füh­re­risch an. Sarah sagt ja und packt ihre Sachen. Dort ange­kom­men, muss sie bald erken­nen, dass die Familie viel rei­cher ist als gedacht, und soviel Einfluss besitzt, dass man ihr im Hotel, wo sie unter­ge­bracht ist, nichts dar­über erzäh­len mag. Außerdem ist unschwer zu erken­nen, dass die drei jun­gen Frauen kein wirk­li­ches Interesse am Sport haben. Viel lie­ber sit­zen sie im Wohnzimmer, lackie­ren sich die Nägel und schau­en Soaps. Dabei ste­hen sie immer unter Aufsicht, auch bei gele­gent­li­chen Shopping-Ausflügen beglei­tet sie ein Bodyguard. Als auf­ge­klär­te Frau aus dem Westen denkt sich Sarah ihren Teil, und als sie gefragt wird, glaubt sie, Nour, Shaima und Fatima hel­fen zu kön­nen und zu müssen.

Mir war wich­tig, dass das Publikum Sarah folgt und sich die­sel­ben Fragen stellt wie sie. Auch Sarah sieht nie das gan­ze Bild. Trotzdem bleibt die Frage, ob sie soli­da­risch agie­ren soll. Dieser Zweifel soll­te bis zum Ende bestehen. Mich hat dabei die Geschichte von Prinzessin Latifah, der Tochter des Königs von Dubai, inspi­riert. Sie ist mit ihrer fin­ni­schen Capoeira-Lehrerin geflüch­tet. Tatsächlich kam aber nicht die Prinzessin heil davon, son­dern die Europäerin. Das fand ich inter­es­sant und woll­te die­ses Gefühl in Mond wie­der­ge­ben: Wem glaubt man? Was ist wirk­lich pas­siert? Sind mei­ne eige­nen Vorurteile im Weg?” Kurdwin Ayub im ray-Magazin

Nach Sonne ist dies der zwei­te Teil einer geplan­ten Trilogie der kur­disch-öster­rei­chi­schen Regisseurin Kurdwin Ayub, die dafür beim Filmfestival von Locarno mit dem Spezialpreis der Jury aus­ge­zeich­net wurde.

Credits:

AT 2024, 93 Min, deutsch/arabisch/englische OmU
Regie: Kurdwin Ayub
Kamera: Klemens Hufnagl,
Schnitt: Roland Stöttinger,

mit: Florentina Holzinger, Andria Tayeh, Celina Antwan, Nagham Abu Baker, u.a.

Trailer:
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Mutiny in Heaven

Ein Film von Ian White. 

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Nick Cave ist eine fes­te Größe in der Musik, aber die Band, mit der alles ange­fan­gen hat, ken­nen nur weni­ge. Schade eigent­lich, viel­leicht ändert die­ser Film das ein biss­chen, der sich nicht als Vehikel für bekann­te Musiker ver­steht, die dar­über spre­chen, wie am tolls­ten die­ser oder jener völ­lig unbe­kannt geblie­be­ne Musiker mal war, son­dern als span­nen­der Reisebericht. Fünf Knilche rei­ßen aus Australien aus, um es in London zu etwas zu brin­gen. Ihre Band The boys next door wird dort zur Birthday Party. Das Überleben in der Stadt, wo sie auf engs­tem Raum zusam­men­ho­cken, wäh­rend das weni­ge Geld für Drogen ver­pufft, for­men den bra­chia­len, nack­ten Kreissägensound der Musiker mit, der kaum von den noto­risch mono­to­nen Beats gebän­digt wer­den kann. Dazu erlebt Cave als Sänger die wider­sprüch­li­chen Gefühle einer Achterbahnfahrt durch frem­der Leute Hinterhöfe und bey­ond (Deep in the woods a fun­e­ral is swin­ging). Schließlich schafft es die Band nach West-Berlin und ist zur rich­ti­gen Zeit am rich­ti­gen Ort mit den rich­ti­gen Leuten, freun­det sich hier mit Mitgliedern von Die Haut und den Einstürzenden Neubauten an. Am Sound ändert der Heimathafen in der Fremde nichts, er bleibt schroff, psy­cho­tisch und flext sich krei­schend durchs Gehirn. Deshalb kein Durchbruch oder kom­mer­zi­el­ler Erfolg, die Birthday Party zehrt von der Substanz. Schließlich ist sie aus und der Saal leer­ge­fegt. Aber vor der Tür ste­hen schon die Bad Seeds, Crime and the City Solution und These immor­tal Souls und es geht wei­ter durch Nächte, die mal schö­ner waren als ande­rer Leute Tage.

Mutiny In Heaven, aus­schließ­lich von Originalmitgliedern der Post-Punk-Band The Birthday Party erzählt, beschreibt, wie Nick Cave und sei­ne Schulfreunde ihr Publikum mit kon­fron­ta­ti­ven Auftritten, gesetz­lo­sem Gothic-Horror und einem anar­chi­schen Lebensstil auf­schreck­ten. Mit nie zuvor gezeig­ten per­sön­li­chen Archivaufnahmen, unver­öf­fent­lich­ten Tracks und Konzertmitschnitten sowie Graphic Novel-Sequenzen des deut­schen Comiczeichners Reinhard Kleist bie­tet Mutiny in Heaven einen mit­rei­ßen­den Sitzplatz in der nicht ganz unge­fähr­li­chen ers­ten Reihe eines der viel­leicht legen­därs­ten Live-Acts der Musikgeschichte.

Credits:

AU 2023, 99 Min, engl. OmU
Regie: Ian White
Kamera: Craig Johnston
Schnitt: Aaron J. March
mit: Phil Calvert, Nick Cave, Mick Harvey, Rowland S. Howard, Tracy Pew

Trailer:
MUTINY IN HEAVENNICK CAVES FRÜHE JAHRE | OmU Trailer
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Die Unerwünschten

Die Unerwünschten

Ein Film von Ladj Ly.

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Der Film beginnt mit einem rich­ti­gen Knall: genau dann, als er auf den Knopf zur Sprengung eines Wohnblocks drückt, und die­ser mit einer Wolke aus Steinstaub in die Knie geht, erlei­det der Bürgermeister des Quartiers einen Herzinfarkt. Interims-Nachfolger wird Pierre, ein büro­kra­ti­scher Kinderarzt, dem zu der Gegend und den Problemen der Bewohner des poli­tisch unge­lieb­ten Viertels nur wenig mehr ein­fällt, als hart durch­zu­grei­fen. Zunächst mehr aus Überforderung und auf Druck, nimmt er den erst­bes­ten Vorfall zum Anlass, einen Komplex sofort kom­plett eva­ku­ie­ren zu las­sen, und die Bewohner:innen auf die Straße zu set­zen, und das im Dezember. Als Pierre offi­zi­ell zur Wahl auf­ge­stellt wird, beschließt die jun­ge Haby, die als Praktikantin im Archiv des Rathauses arbei­tet und im Viertel wohnt, gegen ihn zu kan­di­die­ren. In ihrer Umgebung gibt es aber auch eini­ge, die nicht mehr an eine Verbesserung ihrer Situation mit lega­len und demo­kra­ti­schen Mitteln glau­ben.
In sei­nem auf­se­hen­er­re­gen­dem Spielfilm Die Wütenden – Les Misérables war Ladj Ly auch schon in einer Banlieue unter­wegs. Dort auf­ge­wach­sen, kennt er, was er zeigt, und klagt an, was er dort sieht und erlebt. In Die Unerwünschten – Les Indesirables ist weni­ger radi­kal als sein Debüt, aber eben­so enga­giert und wütend. Seine fil­misch umge­setz­ten Beobachtungen sind prä­zi­se, und trotz der klar ver­teil­ten Sympathien ver­fällt er nicht in ein rei­nes Gut-Böse-Schema.
„Ly insze­niert das Chaos mit Präzision; er sorgt dafür, dass man die Wut spürt, die sich durch die Gemeinschaft zieht, unter­malt sie aber oft mit ruhi­ger Musik und ver­bringt Zeit in den Sitzungssälen, wo die Gewalt im Stillen aus­ge­übt wird, mit Papier und Stiften. Der Film kocht vor Wut dar­über, wie die Hebel der Macht zur Unterdrückung ein­ge­setzt wer­den, aber er ist auch ein Prozessfilm, der die Situation nicht aus­reizt und rela­tiv ruhig bleibt, bis die die Wut schließ­lich über­kocht.“ The Wrap

Credits:

Bâtiment 5 / Les Indésirables
FR 2023, 106 Min., frz. OmU
Regie:
Ladj Ly
Kamera: Julien Poupard
Schnitt: Flora Volpelière
mit: Anta Diaw, Alexis Manenti, Aristote Luyindula, Steve Tientcheu, Aurélia Petit

Trailer:
BÂTIMENT 5 (Official Trailer, OV/d)
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Flow

Ein Film von Gints Zilbalodis. 

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Gerade noch im üppi­gen Grün des Waldes her­um­ge­streift, hat sich die Katze im Haus gemüt­lich zum Schlafen ein­ge­rollt, als sie ein sich nähern­des Rumoren wahr­nimmt – eine rie­si­ge Wasserwelle flu­tet das Land. Unsere Heldin kann sich knapp auf ein vor­bei­schwim­men­des Segelboot ret­ten. Nun glei­tet sie dahin über das Meer, durch Urwälder, an spit­zen Bergkegeln vor­bei, die aus dem Wasser ragen, an Städten, die wie unwirk­li­che rie­si­ge Paläste aus­se­hen, stets ange­spannt auf­merk­sam, mit einer Mischung aus Neugierde und Furcht.
Genau wie Gints Zilbalodis, der hier erst­mals mit einem grö­ße­ren Team arbei­tet, muss sich die klei­ne schwar­ze Katze, die bis­her allei­ne leb­te, auf Kooperation ein­stel­len. Mit an Bord kom­men näm­lich eben­falls unfrei­wil­lig ein ver­spiel­ter und gei­zi­ger Lemur, ein schläf­ri­ges Wasserschwein, der immer freund­li­che Golden Retriever, und der ver­letz­te, hilfs­be­rei­te Sekretär. Zum Überleben der Katastrophe müs­sen die fünf sich zusam­men­rau­fen, denn stets und über­all lau­ert Gefahr.
Das groß­ar­ti­ge an Flow ist, dass die­se Crew nicht ver­mensch­licht wird. Alle behal­ten ihre tie­ri­schen Eigenarten, die sie aller­dings auf der Fahrt modi­fi­zie­ren müs­sen. Die Katze wird muti­ger, der Hund vor­sich­ti­ger, der Lemur lernt zu tei­len, der ver­sto­ße­ne Sekretär über­nimmt die Führung. Nur das Wasserschwein bleibt phleg­ma­tisch wie eh und je.
Flow ist ver­träumt, episch, bedroh­lich und wun­der­schön. Das Beste von allem ist, dass die Tiere Tiere sind, wort­los und haupt­säch­lich mit ihrer eige­nen Sicherheit und ihrer nächs­ten Mahlzeit beschäf­tigt. Dennoch sind sie gezwun­gen, mit­ein­an­der aus­zu­kom­men, und sie wer­den zu mehr als der Summe ihrer pel­zi­gen und gefie­der­ten Teile. … Der Regisseur die­ser magi­schen Fabel ist Gints Zilbalodis, ein 30-jäh­ri­ger let­ti­scher Animator. Möge Hollywood ihn nie­mals mit Angeboten für Reichtum und Fortsetzungen umwer­ben …“ Ty Burr | Washington Post

Oscar für den bes­ten Animationsfilm 2025

Credits:

LV/FR/BE 2023, 84 Min., ohne Dialog
Regie: Gints Zilbalodis

Kamera: Léo Silly Pélissier
Schnitt: Gints Zilbalodis

Trailer:
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Die Schattenjäger

Die Schattenjäger

Ein Film von Jonathan Millet.

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Der ers­te Spielfilm des Dokumentarfilmers Jonathan Millet kommt als fik­ti­ver Thriller daher, vir­tu­os erzählt, genau recher­chiert grün­det er auf rea­len Begebenheiten. Er ist aber viel mehr: das Soziogramm eines höchst trau­ma­ti­sier­ten Mannes, in dem die Fragen Obsession und Wahrheit, Selbstjustiz oder Rechtsstaatlichkeit und die Verschränkung von Vergangenheit und Gegenwart ver­han­delt werden.

Hamid ist ein Überlebender des syri­schen Militärgefängnisses Saidnaya, es gelang ihm zu ent­kom­men und Europa zu errei­chen. Während sein Asylverfahren läuft, schließt er sich der gehei­men Yaqaza-Zelle an, einem Untergrundnetzwerk aus Zivilisten, das flüch­ti­ge Kriegsverbrecher des syri­schen Regimes auf­spürt und ver­folgt. In einem Kommilitonen an der Uni in Straßbourg glaubt er sei­nen frü­he­ren Folterer zu erken­nen. Von sei­nem Peiniger kennt er nur die Stimme und den Geruch, und muss sich daher allein auf sei­ne Intuition ver­las­sen. Die Mitglieder sei­ner gehei­men Gruppe mah­nen ihn zur Vorsicht, sie wäh­nen den Gesuchten an ande­ren Orten, und er folg­te schon ein­mal einer fal­schen Fährte.

Es ist ein Schattendasein, das Hamid führt, ein fra­gi­les Dasein in der Fremde. Er kann nie­man­dem ver­trau­en, lebt unter fal­schem Namen, ohne Freunde, und folgt nur einem ein­zi­gen Ziel.

Jonathan Millet schafft in sei­nem … ers­ten Spielfilm eine Atmosphäre der tie­fen Trauer, erzählt das Allgemeine im Persönlichen, deu­tet den gro­ßen his­to­ri­schen und auch per­sön­li­chen Überbau nur an. Ihm gelingt ein emo­tio­na­ler Blickwinkel, weil er stets ganz dicht an sei­nem Protagonisten dran ist. Adam Bessa spielt ihn mit berüh­ren­der Intensität und ste­ti­ger inne­rer Anspannung.“Britta Schmeis | epd-Film

Credits:

Les Fantômes FR 2024, 106 Min., Arab., Frz. OmU
Regie: Jonathan Millet
Kamera: Olivier Boonjing
Schnitt: Laurent Sénéchal
mit: Adam Bessa, Tawfeek Barhom, Julia Franz Richter, Hala Rajab, Safiqa El Till

Trailer:
Die Schattenjäger (Ghost Trail) Trailer Original mit dt. UT
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