Bettina Wegner, geboren 1947 in Westberlin, aufgewachsen in Ostberlin, mit 36 Jahren ausgebürgert, seither „entwurzelt“. Der Werdegang der Liedermacherin gehört zu den spannendsten Lebensläufen des 20. Jahrhunderts. Es ist der Weg von einem Kind, das Stalin glühend verehrte, über eine hoffnungsfrohe Teenagerin, die mit ihren eigenen Liedern eine Gesellschaft mit bauen möchte, hin zu einer beseelten Künstlerin mit einer unerschütterlichen humanistischen Haltung. So heroisch das klingt, so irre und aberwitzig, mühevoll und traurig, hingebungsvoll und vergeblich ist es in den vielen Dingen des Lebens, die zwischen den Liedern eine Biografie ausmachen. Davon erzählt Bettina Wegner, davon erzählt der Film. „Ich habe Bettina Wegner kurz nach dem Mauerfall kennengelernt. Ich kam von Ostberlin zu ihr in den Westen, nach Frohnau. Es war eine fast surreale Begegnung. Wir beide kamen aus einem Land – und lebten in zwei verschiedenen Welten. Sie kannte meine Welt, aber ich noch nicht die Ihre. In den letzten dreißig Jahren bin ich Bettina Wegner immer wieder begegnet, bei Konzertauftritten oder zu Interviews. Zuletzt befragte ich sie für die rbb-Reihe „Berlin – Schicksalsjahre einer Stadt“ zu ihren Erlebnissen in den Jahren 1967,1968 und 1978. Ich glaube, dass Bettina Wegner bis heute in zwei Welten lebt – hüben und drüben, auch wenn sie gerade selbst nicht genau weiß, wo gerade hüben und wo drüben ist. Bis heute also steckt ihr die Geschichte eines Jahrhunderts, die auch ihre eigene ist, in den Knochen, in der Seele, in ihren Gedanken. Bei meiner Begegnung mit ihr, habe ich sie immer in einer wunderbaren Mischung aus Nachdenklichkeit und Heiterkeit erlebt, als eine Frau mit Humor. Traurig war sie nie. Sie erzählt von ihrer Vergangenheit mit einem natürlichen Gespür für den Aberwitz, den alles Erlebte enthält.“ Lutz Pehnert
Credits:
DE 2022, 107 Min., deutsche Fassung mit englischen Untertiteln Regie, Buch: Lutz Pehnert Kamera: Anne Misselwitz Montage: Thomas Kleinwächter
In Spitzenzeiten haben 20000 Menschen hier bei Opel gearbeitet, 2014 hat Bochum als Autostadt ausgedient. Wie auch Detroit in den USA. In der einstigen „Motor-City“ hat der Opel-Mutterkonzern GM seinen Sitz, hier wurde das Aus in Bochum beschlossen. Detroit selbst verlor seit den 50-er Jahren 1⁄3 seiner Einwohner, 2013 war es die erste Großstadt der USA, die Konkurs anmeldete. Ulrike Franke und Michael Loeken haben sich sechs Jahre lang an beiden Orten umgeschaut. Was passiert in den Städten, wenn sie für die Wirtschaft uninteressant werden? Was mit den Menschen, die plötzlich ohne Jobs dastehen? In Bochum werden die Hallen abgerissen, und das Gelände bekommt als erstes einen markanten neuen Namen: MARK 51°7, die Stadt trägt jetzt den Beinamen „Ermöglicherstadt“. Die erste Innovation ist ein neues Paketzentrum, mit 600 Arbeitsplätzen. Aber wie lange? Dort verschwinden nicht nur Gebäude, sondern auch gewachsene Sozialstrukturen und gewerkschaftliche Errungenschaften. Die riesigen alten Fabrikgebäude in Detroit werden zu Spekulationsobjekten oder Touristenattraktionen. Sie werden viel fotografiert. „Ruinenporno“ nennen die Einheimischen das. Alteingesessene Läden müssen schließen, die neuen, hippen Cafes können die Lücken noch nicht schließen, und Urban Farmer Donney wünscht sich auf dem Gelände einen riesigen Garten zur Selbstversorgung der Anwohner. „We are all Detroit – Vom Bleiben und Verschwinden“ bildet exemplarisch die brisanten Entwicklungen zweier Städte auf verschiedenen Kontinenten und die Auswirkungen auf die jeweils dort lebenden Menschen ab.
Credits:
DE 2021, 118 Min., deutsch, englische OmU Regie: Ulrike Franke, Michael Loeken Kamera: Uwe Schäfer, Philip Hallay, Fabrizio Costantini, Michael Loeken, Michael Chauvistré, Jörg Adams Schnitt: Guido Krajewski, Bert Schmidt
Trailer:
WEAREALLDETROIT – Vom Bleiben und Verschwinden [TRAILER german]
Am frühen Morgen wurde ich von einem lauten Knall geweckt und konnte nicht wieder einschlafen. In Bogota, in den Bergen, im Tunnel, am Fluss: ein Knall. Die Britin Jessica besucht ihre Schwester Karen in Kolumbien, die wegen einer merkwürdigen Atemwegserkrankung im Krankenhaus liegt. Den immer wiederkehrenden Knall, „wie ein Rumpeln aus den Erdinneren“ nimmt offensichtlich nur sie wahr, und so sucht sie eine Erklärung. Sie lernt eine Archäologin kennen, die Knochen, die beim Bau eines Tunnels entdeckt wurden, studiert. Ein befreundeter Tontechniker versucht, das Geräusch digital nachzubauen, und sie begegnet auf dem Land an einem Fluss einem Einsiedler, der eine ältere Version des Tontechnikers sein könnte. Er wolle die Anzahl seiner Eindrücke reduzieren, weil er nie etwas vergessen könne, erzählt er, deshalb habe er sich für die Einsamkeit entschieden. Langsam kommt auch für uns der Punkt, wo wir uns von der Geschichte im Film zurückziehen können, denn der nimmt seinen eigenen Weg. „Weerasekathul ist ein Künstler, der von uns verlangt, dass wir unsere Gedanken auf die ungelösten und unausgesprochenen Geheimnisse der Existenz richten: dass wir geboren werden, leben, sterben und das alles, ohne jemals zu wissen, warum, oder oft sogar, ohne es wissen zu wollen. Aber er nähert sich diesen Phänomenen mit der gleichen Gelassenheit, mit der er auch Fragen der Landwirtschaft oder der Technik behandeln würde. In einer ruhig-realistischen, nicht-mystischen Filmsprache kann dieser Regisseur einen wirklich davon überzeugen, dass die Lebenden und die Toten, die Vergangenheit und die Gegenwart, das Irdische und das Andere Seite an Seite existieren. Memoria ist ein schöner und geheimnisvoller Film, „Slow Cinema“, das den Herzschlag verlangsamt.“ Peter Bradshaw | The Guardian
MEMORIA
Credits:
CO, TH, GB, MX, FR, CN, TW 2021, 136 Min., spanisch, englische OmU Regie : Apichatpong Weerasethakul Kamera: Sayombhu Mukdeeprom Schnitt: Lee Chatametikool mit: Tilda Swinton, Elkin Díaz, Jeanne Balibar, Juan Pablo Urrego, Daniel Giménez Cacho, Agnes Brekke
Während in der Hauptstadt der Straßenmatratzen Spätis das Bild der quirligeren Viertel beleben und in anderen Städten Büdchen- und Kioskkulturen plötzliche Engpässe im Kühlschrank verhindern, sind die kleinen Läden in der Fläche selten geworden. Wer nicht mehr in der Lage ist, mit dem SUV zur nächsten Mall zu brettern, hat ein Problem. Gerade für kleinere Ortschaften und Dörfer ist der Verlust der kleinen Geschäfte mehr als der Verlust von einem oder zwei Arbeitsplätzen, sondern viel mehr: Der Verlust eines Treffpunktes, einem improvisierten Gemeindezentrum, einem Ort, an dem man sich zufällig begegnet, ein bisschen quatscht und das Dorfleben lebendig bleibt.
„Die Menschen, die solche Läden im Norden Deutschlands betreiben stehen im Mittelpunkt von Antje Huberts Dokumentarfilm Alles, was man braucht, Menschen, die ihre festen Jobs aufgegeben haben, um zumindest in Teilzeit einen Dorfladen zu führen, die bewusst aus dem Hamsterrad eines festen Arbeitsverhältnissen ausgestiegen sind, um etwas Neues auszuprobieren. Und darum geht es in Alles, was man braucht: Um die Frage, was man wirklich braucht, ob man wirklich all das braucht, was man in einem riesigen Supermarkt (als Beispiel für Konsumtempel aller Art) kaufen könnte. Ist es notwendig, zehn verschiedene Sorten Erdbeermarmelade zur Auswahl zu haben? Oder acht verschiedene Waschmittel? Oder die Möglichkeit zu haben, noch am Abend mehr oder weniger frische Brötchen kaufen zu können? All diese Fragen wirft Antje Hubert auf, ohne ein dogmatisches Plädoyer auf Verzicht abzuliefern. Zwar zeigt sie schöne Aufnahmen vom Leben auf dem Land, von weiten Feldern und einsamen Deichen, doch dass das Leben auf dem Land gewiss nichts für alle ist, dass wird nie angezweifelt. Es ist eine von vielen Möglichkeiten, in der Gegenwart sein Leben zu gestalten.“ Michael Meyns | programmkino.de
Credits:
DE 2021, 98 Min. Regie : Antje Hubert Kamera: Henning Brümmer Montage: Magdolna Rokob
Ein Feuerwerk übelster Beschimpfungen schickt Raphaelle ihrer Freundin wegen deren Trennungsabsichten mitten in der Nacht, gefolgt von einer Kaskade aus Gejammer, Beschwerden und Selbstmitleid, als die Comiczeichnerin kurze Zeit später nach einem Sturz mit einem Armbruch in der Notaufnahme des Pariser Krankenhauses ankommt. Hier ist auch ohne die Egomanin schon die Hölle los, dazu kommen jetzt noch Verletzte von den Ausschreitungen der Gelbwesten-Proteste, darunter auch Yann. Der Lastwagenfahrer war voller Überzeugung und mit ganzem Einsatz vorne dabei auf der Champs-Elysee, als Splitter einer Tränengasgranate sein Bein zerschossen. Ebenso penetrant ungeduldig wie Raphaelle wartet er auf die Behandlung; er will so schnell wie möglich wieder weg, um seinen Job nicht zu verlieren, kaputtes Bein hin, Schmerzen her. Allerdings warnt alle schon ein Schild: „Wartezeit 8 – 10 Stunden. Wir danken für Ihr Verständnis.“ Natürlich behaken sich Raphaelle und Yann, als sie in Vertretung verschiedener Klassen aufeinander treffen, aber der Schauplatz und das Klinikpersonal, die tun, was sie nur können, sind die eigentlichen Hauptdarsteller. Kim, die dritte Protagonistin, muss ihre sechste Nachtschicht in Folge absolvieren, obwohl maximal drei erlaubt sind, und hat zudem ein krankes Kind samt überfordertem Mann zuhause. Trotzdem behält die erfahrene Pflegerin einigermaßen die Ruhe, nur einmal bemerkt sie, dass es so nicht weitergehen könne: Bald hören alle auf, sagt sie, und dann werden sie es schon merken. In „La Fracture – In den besten Händen“ steckt Catherine Corsini eine Culture-Clash-Komödie in einen Krankenhausalltag, der wiederum eine Tragödie ist, und legt dabei ein Wahnsinnstempo vor. „Am Ende kommt die gesättigte obere Mittelschicht zwar davon, aber nicht gut weg“ sagt epd-Film.
Credits:
La fracture FR 2021, 98 Min., frz. OmU Regie : Catherine Corsini Kamera: Jeanne Lapoirie Schnitt: Frédéric Baillehaiche mit : Valeria Bruni-Tedeschi, Marina Foïs, Pio Marmaï, Aissatou Diallo Sagna
Neno, Saniye und Hêvîn sind Kurdinnen aus drei Generationen. Neno ist die Großmutter der Regisseurin. Sie ist Mutter von elf Kindern und pendelt zwischen Deutschland und der Türkei. Das politische Geschehen in der Heimat verfolgt sie mit einer klaren Haltung. Saniye betreibt ein kleines Kiez-Café in Berlin und träumt davon, eines Tages in ihrem Geburtsort in der Türkei zu leben. Sie erkennt, dass sie bereit sein muss Risiken einzugehen, wenn sie in ein Land der politischen Unruhen und Krisen zurückkehren möchte. Hêvîn, die jüngste Protagonistin, will Schauspielerin werden und ist politisch aktiv. Doch während ihres Studiums hat sie nicht mehr viel Zeit für den Kampf gegen die Unterdrückung der kurdischen Minderheit. Filmemacherin Serpil Turhan hat über drei Jahre hinweg intensive Gespräche mit Neno, Saniye und Hêvîn geführt, die tiefe Einblicke in deren Gefühle und Gedanken geben. Vor dem Hintergrund der politischen Veränderungen in der Türkei erzählt „Köy“, welche Entscheidungen die drei Frauen für sich treffen und wie das Leben darauf antwortet. Neno, Saniye und Hêvîn begegnen sich im Film nicht, doch in ihren gemeinsamen Fragen nach Selbstbestimmung und Zugehörigkeit verknüpfen sich ihre Geschichten. Ein vielschichtiger Film über die Sehnsucht nach Zugehörigkeit, Heimat und Sicherheit – und über die Freiheit des Ichs. „In den letzten Jahren verfolgte ich intensiv die politische Entwicklung in der Türkei, und meine Ambivalenz zum Herkunftsland meiner Familie wuchs. Die zunehmende Unterdrückung von Andersdenkenden und ethnischen Minderheiten berührte mich und ich konnte mich nicht distanzieren von dem, wie sich das Land gesellschaftlich und politisch entwickelte. Ich versuchte eine Haltung zu finden und realisierte, dass es mir alleine nicht gelang. Es war für mich notwendig mit Menschen zu sprechen, die eine Verbindung wie ich zur Türkei hatten und die politische Entwicklung aus der Ferne beobachteten. Durch die vielen Gespräche ist die Idee gereift, einen Film zu machen über dieses Erleben aus der Distanz.” Serpil Turhan Am 20.04. findet ein Filmgespräch mit Serpil Turhan im Anschluss an die Vorführung statt.
Credits:
DE 2021, 90 Min., deutsch-kurdische Originalfassung, teilweise mit deutschen Untertiteln Regie: Serpil Turhan, Kamera: Ute Freund Schnitt: Simon Quack & Eva Hartmann
Anne (gespielt von Annamaria Vartolomei) ist eine begabte Literaturstudentin, die unabsichtlich schwanger wird und deshalb Angst hat, ihr Studium nicht beenden und sich aus den Zwängen ihrer sozialen Herkunft befreien zu können. Die Wochen verstreichen, die Abschlussklausuren stehen an und Anne entschließt sich zu handeln. Der Film spielt im Jahr 1963, also ein Jahr, bevor die Antibabypille in Frankfreich erhältlich war. Wer damals abtreiben wollte, musste zu einer Engelsmacherin und riskierte damit eine Gefängnisstrafe.
Der Film basiert auf dem autobiografischen Buch DASEREIGNIS der französischen Schriftstellerin Annie Ernaux. Beim Filmfestival 2021 von Venedig wurde DASEREIGNIS mit dem Goldenen Löwen als „Bester Film“ ausgezeichnet. „Das Drama konzentriert sich ganz auf die Situation der Protagonistin und schildert beklemmend-intensiv deren Dilemma, entweder das soziale Stigma einer ledigen Mutter und das Ende ihrer beruflichen Ambitionen oder aber das Risiko einer illegalen Abtreibung in Kauf nehmen zu müssen. Das enge Bildformat und das intensive Spiel der Hauptdarstellerin vermitteln nahezu körperlich die Zwangslage, wobei die Inszenierung durch Zurückhaltung in der zeitgenössischen Ausstattung die bleibende Aktualität des Themas betont.” Filmdienst
Credits:
L‘ Evénement FR 2021, 100 min., frz. OmU Regie: Audrey Diwan Kamera: Laurent Tangy Schnitt: Géraldine Mangenot mit: Anamaria Vartolomei, Kacey Mottet-Klein, Luàna Bajrami, Louise Orry Diquero, Louise Chevillotte, Pio Marmaï, Sandrine Bonnaire, Anna Mouglalis, Leonor Oberson, Fabrizio Rongione
Zohra lebt in der südwestfranzösischen Kleinstadt Châtellerault. Sie hat dort Arbeit, eine Wohnung, Bekannte, Verwandte. Die Heirat in ihrer Heimat Algerien liegt nur kurze Zeit zurück, der Mann ist auf dem Sprung nach Frankreich, und in der Klinik wurde die langwierige Behandlung eines schmerzhaften orthopädischen Rückenleidens gerade als erfolgreich beendet erklärt. Als Zohra an ihrer Haltestelle „Europe“ – die gibt es dort wirklich – aussteigt und nach Hause geht, ist ihre Welt noch gänzlich in Ordnung. Für den Staat ist der Abschluss der medizinischen Versorgung allerdings Anlass, ihre Aufenthaltsgenehmigung zu beenden, bleibt sie, wird sie zu einer „Illegalen“.
Innerhalb kurzer Zeit, in der sich mit ihrer Umgebung auch ganz Frankreich in die Sommerferien begibt, wird Zohra in eine Parallelwirklichkeit katapultiert, in der nur Gleichgestellte sich wahrnehmen können. Aber dort will Zohra sich nicht einrichten.
Dokumentarfilmer Philip Scheffner (Revision, Havarie, Der Tag des Spatzen …) zu seinem ersten Spielfilm: „Mir wurde klar, dass die Arbeit mit klassischen Methoden eines Dokumentarfilms die reale Lebenssituation von Rhim [die Darstellerin der Zohra] eher verschleiert hätte: Wie kann ich einen Film mit einer Person machen, die eigentlich gar nicht da sein darf, deren reale Anwesenheit vor Ort also eigentlich fiktiv ist? Diese erzwungene Fiktionalisierung ist konstituierend für ihre persönliche Lebensrealität aber auch für ihre Begegnung mit mir. Zwischen uns verläuft eine Grenze, die sich nicht einfach durch ein „sprechen über“ auflösen lässt. Daher habe ich mich gemeinsam mit [Ko-Autorin] Merle Kröger entschieden, die Methoden filmischer Fiktion auf ihre Relevanz in Bezug auf die Lebensrealität der Protagonistin hin zu untersuchen und zu sehen, welche Spielräume das eröffnen könnte. Aus Rhim wurde Zohra …“
Als ihr Zuhälter und Vater ihres Kindes eine andere Frau heiratet, versucht Mamma Roma (Anna Magnani) die Vergangenheit hinter sich zu lassen und ein neues Leben anzufangen: Sie zieht mit ihrem 16-jährigen Sohn, der auf dem Land in einem Internat aufgewachsen ist, in eine bürgerliche Gegend und betreibt einen Gemüsestand. Das neue gemeinsame Leben entpuppt sich als spannungsgeladener als geplant, und plötzlich erscheint auch der Zuhälter Carmine wieder, inzwischen von seiner neuen Frau getrennt, und stellt sie vor ein Ultimatum.
Regie: Pier Paolo Pasolini Kamera: Tonino Delli Colli Musik: Carlo Rustichelli Mit: Anna Magnani, Ettore Garofolo, Franco Citti, Silvana Corsini, Luisa Loiano, Paolo Volponi etc.
Die in Madrid lebende Werbefotografin Janis (Penélope Cruz) wird bei ihrer Affäre mit dem Anthropologen Arturo (Israel Elejalde) ungeplant schwanger. Da Arturo seine erkrankte Ehefrau nicht verlassen will, beschließt Janis, das Kind alleine großzuziehen. Im Krankenhaus teilt sie sich ein Zimmer mit der ebenfalls ungewollt schwangeren 17-jährigen Ana (Milena Smit). Die Geburt ihrer Babys findet am selben Tag statt, fortan unterstützen sich die alleinerziehenden Mütter, zumal Anas Mutter Teresa (Aitana Sánchez Gijón) als Theaterschauspielerin auf Tournee geht und ihr Vater seit der Scheidung der Eltern ohnehin abwesend ist. Derweil bemüht sich Arturo um eine Genehmigung, ein Massengrab aus der Franco-Zeit auszuheben. Darin liegt Janis‘ im Bürgerkrieg erschossener Urgroßvater, der nun beerdigt werden soll.
„Parallele Mütter“ trägt auf sämtlichen Ebenen die markante Handschrift des Autorenfilmers Pedro Almodóvar, die stets auf den ersten Blick erkennbar ist. Die Farben strahlen satt wie immer, die artifizielle Ausstattung setzt mit bunten Wäscheklammern oder drapierten Obstschalen Akzente, die Kostüme sitzen passend zur Bildgestaltung. Mit Penélope Cruz oder Rossy de Palma („Zerrissene Umarmungen“) als beste Freundin und Chefin der Protagonistin treten langjährige Stammdarstellerinnen des Regisseurs auf, hinter der Kamera kollaboriert er abermals mit Weggefährten wie dem Komponisten Alberto Iglesias („Volver“) oder dem Kameramann José Luis Alcaine („Die Haut, in der ich wohne“).
Auch thematisch beackert Almodóvar aus seinem Werk bekannte Themen. Der Fokus liegt auf der Mutterschaft der unterschiedlichen Frauen Janis und Ana sowie am Rande Teresa, die ihre Rolle auf je eigene Weise gestalten, aber im selbstbestimmten Handeln geeint sind. „We should all be feminists“ steht quasi als Quintessenz auf einem Shirt, das Penélope Cruz in einer Szene trägt. Einige spannende Wendungen, die hier keinesfalls verraten werden sollen, halten die zwischenmenschlichen Beziehungen durchweg auf Trab. Lediglich die Rahmenhandlung um Janis‘ Familiengeschichte und Arturos Nachforschungen zum verbrecherischen Franco-Regime wirkt etwas angehängt, auch wenn schlüssige Parallelen zur Haupthandlung bestehen.
In erster Linie ist „Parallele Mütter“ ein raffiniertes Melodram, bisweilen stellt Almodóvar die emotionalen Spannungen rund um Lügen, Geheimnisse oder Eifersucht aber auch mittels Thriller-Anleihen dar. Mal huschen Schatten wie in einem Film Noir über die Wand, mal wirkt Cruz mit einem großen Küchenmesser in der Hand zum Äußersten entschlossen, schneidet dann aber nur ein paar Karotten. Die Stimmungswechsel und erzählerischen Wendungen sind meisterlich inszeniert und halten die intimen (Gewissens-)Konflikte durchweg unter Spannung. Ein oft trauriger und sehr schöner Film, mit dem Pedro Almodóvar nach zwei Dutzend Kinobeiträgen noch immer einen modernen Eindruck hinterlässt.
Christian Horn | programmkino.de
Die Welt von Almodóvar zu besuchen ist herrlich. Das Leuchten der Farben seiner Farben, die feinsinnige Gestaltung der Melodramen, die schließlich dem Zerrupfen einer Avocado beim Abendessen gleich immer mehr auf den Kern fokussiert werden, die SchauspielerInnen, die sich und die Rolle gleichzeitig spielen können, die Architektur der Sets, bis in die Details sorgfältig ausgefriemelt und gleichzeitig eisklar. Und alles, um eine Geschichte zu erzählen, die einfach erscheint und dabei so viele Verästlungen hat.
„warum soll ich schwimmen, wenn ich auch treiben kann?“ (Die Nerven)
Mit Penelope Cruz als Protagonistin ist das gar keine Frage, genauso wenig wie das Thema des Films: Die von Francos Faschisten Ermordeten des Bürgerkriegs, die immer noch in Massengräbern anonym verscharrt liegen. Die spanische Demokratie durfte auf diesem Friedhof aufgebaut werden und aktuell freuen sich rechte Politiker, dass keine Mittel zur Exhumierung mehr zur Verfügung gestellt werden. Franco selbst wurde übrigens 2019 aus dem Tal der Gefallenen im Schatten eines penetranten Riesenkreuzes ins Privatgrab umgebettet, um mit den Seinen in Frieden ruhen zu können.
Credits:
Madres paralelas Spanien 2021, 126 min., span. OmU Regie und Buch: Pedro Almodóvar Kamera: José Luis Alcaine Schnitt: Teresa Font mit: Penélope Cruz, Milena Smit, Rossy de Palma, Israel Elejalde, Aitana Sánchez Gijón, Julietta Serrano, Daniela Santiago
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