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Joan Baez I Am A Noise

Joan Baez I Am A Noise

Ein Film von Karen O’Connor, Miri Navasky, Maeve O’Boyle.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Als Musikerin, Bürgerrechtlerin und Aktivistin stand Joan Baez seit ihrem Debüt im Alter von 18 über 60 Jahre auf der Bühne. Für die inzwi­schen 82-Jährige war das Persönliche immer schon poli­tisch, die Freundschaft zu Martin Luther King und der Pazifismus präg­ten ihr Engagement. Ausgehend von ihrer Abschiedstour zieht Baez in die­ser Biografie eine scho­nungs­lo­se Bilanz, in der sie sich auch schmerz­haf­ten Erinnerungen stellt. Sie teilt nicht nur ihre Erfolge, son­dern spricht offen über lang­jäh­ri­ge psy­chi­sche Probleme und Therapien, über Familie, Drogen, das Altern und Fragen von Schuld und Vergebung. Und sie stellt auch klar, dass sie wäh­rend ihrer Beziehung mit dem sehr jun­gen Bob Dylan ihre Prominenz nutz­te, um sei­ne Karriere in Gang zu brin­gen. Ihre Enttäuschung über die spä­te­re Entfremdung von Dylan wird greif­bar.
Aufgrund einer lang­jäh­ri­gen Freundschaft zu einer der Regisseurinnen, Karen O’Connor, gewähr­te Baez dem Regietrio auch Zugang zu den „inne­ren Dämonen“, die sie seit ihrer Jugend beglei­ten. Der Film ver­webt Tagebuchtexte, eine Fülle von teils unge­zeig­tem Archivmaterial und aus­führ­li­che Gespräche mit Baez mit Backstage-Momenten der Tour. Ein inti­mes Porträt, das nicht nur für Fans inter­es­sant ist.

Der Umriss von Baez‘ gewal­tig gro­ßem, geschichts­träch­ti­gem Leben ist bes­tens bekannt und doku­men­tiert. Wir aber woll­ten mit die­sem Film Joans Vergangenheit zum Leben erwe­cken. Nicht mit Gimmicks oder „tal­king heads“, son­dern mit einer Fülle von ori­gi­na­lem Ausgangsmaterial von Joan selbst und ihrer Familie, auf das wir zugrei­fen konn­ten: neu ent­deck­te Home-Movies, Joans unglaub­li­che Kunstwerke und Zeichnungen, Tagebücher und Briefe, Fotos, Bandaufnahmen ihrer Therapiesitzungen und ein Goldschatz von auf Kassette ein­ge­spro­che­nen Briefen, die Baez von unter­wegs an ihre Familie geschickt hat­te – all die­se Quellen fan­gen in Realzeit ein, was sie damals emp­fun­den hat, anstatt eine Erinnerung aus wei­tem Abstand zu sein. Zu jedem Moment woll­ten wir, dass der Film eine immersi­ve und unmit­tel­ba­re Erfahrung ist, mehr eine Zeitreise als eine Biografie.“ Karen O’Connor

Credits:

US 2023, 113 Min., engl. OmU
Regie: Karen O’Connor, Miri Navasky, Maeve O’Boyle
Kamera: Wolfgang Held, Ben McCoy, Tim Grucza
Schnitt: Maeve O’Boyle
mit Joan Baez, Mimi Farina, Bob Dylan, David Harris

Trailer:
JOAN BAEZ I AM NOISE – Trailer OmdU German | Deutsch
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Rückkehr nach Korsika

Ein Film von Catherine Corsini.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Ein Sommer auf Korsika: Khédidja zögert nicht lan­ge, als ihr die wohl­ha­ben­de Pariser Familie, für die sie als Kindermädchen arbei­tet, die­ses Angebot macht. Sie soll deren Kinder dort betreu­en – ihre eige­nen bei­den Töchter im Teenageralter, Jessica und Farah, dür­fen mit­kom­men. Für Khédidja ist es eine Rückkehr in die alte Heimat, denn vor 15 Jahren hat­te sie mit den noch klei­nen Kindern die Insel unter tra­gi­schen Umständen ver­las­sen. Während sie mit ihren Erinnerungen hadert, geben sich die bei­den Mädchen allen som­mer­li­chen Verlockungen hin: sie genie­ßen die Tage am Strand, machen Zufallsbekanntschaften und sam­meln ers­te Liebeserfahrungen. Doch auch bei ihnen stel­len sich Fragen nach der Vergangenheit und ob die Version der Familiengeschichte, die ihre Mutter erzählt, die ein­zig gül­ti­ge ist.
Der neue Spielfilm von Catherine Corsini (Die Affäre, La Belle sai­son) erzählt vor der som­mer­li­chen Kulisse Korsikas eine intel­li­gen­te Geschichte über drei star­ke Frauen und ihrem Umgang mit gesell­schaft­li­cher Ungleichheit.
Verschiedene Kulturen wer­den in die­sem Film kon­fron­tiert. War da ein wunsch auf Ihrer Serite, die Aspekte der Andersartigkeit zu erfor­schen?
Corsini: Andersartigkeit beinhal­tet, von einem Selbst zu einem ande­ren zu wer­den. Tatsächlich woll­te ich eine Verbindung auf­bau­en zu die­ser Jugend, die ich idea­li­sier­te, aber wel­che mir unbe­kannt war, mit Kulturen, die ich nur ober­fläch­lich kann­te, und die­sem Korsika, wel­ches mir so nah und zugleich so fern ist. Was ich an Filmen mag, ist, dass ich die Möglichkeit habe, ande­ren eine Stimme zu geben; ein­zu­tre­ten in einen Ort, in einen Kopf, in die Haut von jeman­dem, den man nicht kennt. Zu beob­ach­ten und zu ver­ste­hen. Es ist fas­zi­nie­rend, in etwas ein­zu­tau­chen, das anders ist als wir selbst. Ich war sehr glück­lich in der Position zu sein Aïssatou, Esther und Suzy kom­ple­xe Charaktere anzu­bie­ten, die nicht auf Archetypen redu­ziert sind, wozu sie oft limi­tiert wer­den. Ich fin­de ihre Charaktere reprä­sen­tie­ren etwas, das sehr umfas­send ist, etwas Größeres. Es gibt eine sehr star­ke kor­si­sche Identität. Und ich fühl­te mich immer als Außenseiterin, als Fremde dort, weil die­ses Land nicht kom­plett ich bin. Dieses Gefühl von Abstoßung und mei­ne Abscheu sozia­ler Ungerechtigkeit brach­ten mich emo­tio­nal näher an Khédidja und ich ver­stand, wie frucht­los ihre Versuche blei­ben, ein Teil die­ser Gemeinschaft zu werden.

Credits:

FR 2023, 106 Min., franz. OmU
Regie: Catherine Corsini
Kamera: Jeanne Lapoirie
Schnitt: Frédéric Baillehaiche
mit: Aïssatou Diallo Sagna, Esther Gohourou, Suzy Bemba, Lomane de Dietrich, Cédric Appietto, Marie-Ange Géronimi, Harold Orsoni, Virginie Ledoyen, Denis Podalydès

Trailer:
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Little Fugitive

Ein Film von Ray Ashley, Morris Engel, Ruth Orkin.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Auf der letz­ten Berlinale konn­te er in der Retrospektive ent­deckt wer­den, denn hier hat­te Wes Anderson ihn als sei­nen per­sön­li­chen Coming-of-Age-Favoriten aus­ge­wählt: der im New York der 50er spie­len­de „Little Fugitive“, der in der Übersetzung hier immer schon „Kleiner Ausreißer“ hieß. Dies ist genau genom­men falsch, denn Joey ist ein Flüchtling, nach­dem sein gro­ßer Bruder Lenny und des­sen Freunde ihm einen bösen Streich gespielt haben, um ihn los­zu­wer­den. Vor der Polizei auf der Flucht lan­det er, mit wenig Geld in der Tasche, im Kirmes-Wunderland Coney Island, und ver­gisst bald, war­um er hier ist. Der Film hef­tet sich an Joeys Fersen, und nimmt dabei wie von selbst einen doku­men­ta­ri­schen Blick auf das rege ihn umge­ben­de Treiben mit. Während der Junge Karussell fährt, Zuckerwatte isst, als Cowboy auf Ponys rei­tet und dafür immer wie­der Geld besor­gen muss, wer­den die New Yorker wäh­rend ihrer Freizeit por­trä­tiert: beim Bummeln, Flirten, Schwimmen oder Sonnenbaden.
In einer viel­leicht leicht über­trie­be­nen Aussage bezeich­net Francois Truffault „Little Fugitive“ mit sei­ner meis­ter­haft gestal­te­ten, immersiv-ein­la­den­den Schwarz-Weiß-Kinematografie, der mini­ma­lis­ti­schen Erzählweise und dem natu­ra­lis­ti­schen Stil als weg­wei­send für die Regisseure der fran­zö­si­schen Nouvelle Vague, die im Jahrzehnt nach sei­ner Veröffentlichung die Filmszene erober­ten. Selbst wenn er kein so ein­fluss­rei­cher Film gewe­sen sein soll­te, schafft es „Little Fugitive“, der sei­ne ein­fa­che Geschichte nur so natür­lich wie mög­lich erzäh­len will, weit mehr zu errei­chen als das.

Die meis­ten Regisseurinnen haben vor ihrem ers­ten Hollywood-Film bereits Erfahrungen in ande­ren Bereichen des Filmwesens gesam­melt: sei es als Drehbuchautorin, als Schauspielerin, an der Kamera, im Schnitt, als Regieassistenzin oder rund um den Kinosaal. Und wenn sie dann end­lich im Regiestuhl sit­zen, hält ihnen eine kom­plet­te Filmcrew den Rücken frei. Wir hin­ge­gen hat­ten ledig­lich uns selbst. Ohne unse­ren foto­gra­fi­schen Hintergrund hät­ten wir nie Filme dre­hen kön­nen“. Ruth Orkin

Unweit vom fsk zeigt die Gallerie f³ – frei­raum für foto­gra­fie eine Ausstellung mit Fotos der Regisseurin Ruth Orkin.

Credits:

US 1953, 75 Min., engl. OmU
Regie: Ray Ashley, Morris Engel, Ruth Orkin
Kamera: Morris Engel
Schnitt: Ruth Orkin, Lester Troob
mit: Richard Brewster, Winnifred Cushing, Jay Williams, Will Lee, Charley Moss, Tommy DeCanio, Richie Andrusco

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Wie wilde Tiere

Ein Film von Rodrigo Sorogoyen.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Antoine und sei­ne Frau Olga sind Ökobauern aus Frankreich, die sich in einer abge­le­ge­nen Gegend in Galizien eine Existenz auf­bau­en wol­len. Als sie gegen einen Windpark votie­ren, machen sie sich die Dorfbewohner zu Feinden.

WIE WILDE TIERE (As Bestas) hat im Jahr 2023 fast alle Goyas – das ist der spa­ni­sche Filmpreis – abge­räumt, und wenn man den Film schaut, wird nach weni­gen Minuten klar, wie­so. In der Bar von Eusebio sit­zen die Männer des Dorfes bei­ein­an­der und schwin­gen Reden, es sind har­te Knochen, allen vor­an der Wortführer Xan (Luis Zahera) und sein Bruder Loren (Diego Anido), der seit der Sache mit dem Pferd etwas selt­sam ist. Als der Mann, der bis­lang still an der Bar geses­sen hat, sich zum Gehen wen­det, herrscht Xan ihn an „Ey, Franzose, ver­ab­schie­dest du dich nicht?“ In einer ein­zi­gen, dicht insze­nier­ten Szene baut der Film von Rodrigo Sorogoyen eine unglaub­li­che Anspannung auf – und lässt dann über den gesam­ten Verlauf von etwas über zwei Stunden nicht mehr los.

Die Männer des Dorfes sind schlecht auf Antoine (Denis Ménochet) und sei­ne Frau Olga (Marina Foïs), Ökobauern aus Frankreich, die sich in die­ser abge­le­ge­nen Gegend in Galizien eine Existenz auf­bau­en, zu spre­chen, denn sie blo­ckie­ren einen Windpark, der den Dorfbewohnern Geld brin­gen könn­te. Zur offe­nen Feindseligkeit kommt bald schlei­chen­der Terror hin­zu. Erst sind es nur lee­re Schnapsflaschen auf dem Verandatisch, die signa­li­sie­ren, dass in Antoines und Olgas Abwesenheit jemand auf ihrem Grundstück war. Aber nach und nach wer­den die Drohgebärden expli­zi­ter und gefähr­li­cher. Irgendwann will Olga gehen, aber Antoine lässt sich von „sei­nem“ Land nicht ver­trei­ben. In den kar­gen Hügeln, lee­ren Wäldern und dunk­len Steinhäusern bro­delt der Dorfthriller vor sich hin, und auch wenn die Vorkommnisse zunächst eher klein sind, scheint es weder für die Protagonisten noch die Zuschauerinnen rat­sam, die Aufmerksamkeit schwei­fen zu las­sen. Antoine fängt an, die Begegnungen mit sei­nen Nachbarn heim­lich zu filmen.

Unterwegs ändert WIE WILDE TIERE, der wie ein zeit­lo­ser Western wirkt, aber von einer wah­ren Begebenheit inspi­riert ist, mehr­fach fast unbe­merkt sei­nen Fokus. Erzählt er zunächst vom Aussteigerpaar Olga und Antoine, rücken spä­ter die Fehde von Antoine mit Xan und Loren und damit auch deren Lebensumstände ins Blickfeld, und schließ­lich wird Olga zum abso­lu­ten Mittelpunkt der Erzählung. Dabei stellt sich her­aus, dass sie es mit den Männern des Bergdorfes an Härte und Zähigkeit jeder­zeit auf­neh­men kann.

Hendrike Bake | indiekino

Credits:

As Bestas
ES/FR 2022, 137 Min., frz, span. OmU
Regie: Rodrigo Sorogoyen
Kamera: Alejandro de Pablo
Schnitt: Alberto del Campo
mit: Denis Menochet, Marina Foïs, Luis Zahera

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All eure Gesichter

Ein Film von Jeanne Herry.

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Was pas­siert mit mir, wenn ich über­fal­len, beraubt oder bedroht wer­de?
Verbrechensopfer auch „min­der­schwe­rer“ Taten lei­den oft noch lan­ge danach am Geschehenen. Die Täter hin­ge­gen machen sich oft kei­ne Vorstellungen davon, was sie anrich­ten. Das Instrument der „Restorativen Justiz“ bzw. des „Täter – Opfer – Ausgleichs“ bringt Täter und Opfer ähn­li­cher Delikte zusam­men. Ziel ist es, auf der einen Seite Erleichterung zu brin­gen, und denen auf der ande­ren Empathie zu ver­mit­teln, also aktiv gemein­sam an der Lösung und Bereinigung der Folgewirkungen die­ser Straftat zu arbei­ten. Die Teilnahme an den Treffen ist abso­lut frei­wil­lig und erfor­dert viel Vorbereitung von allen Seiten. Da es in die­sem geschütz­ten Rahmen um sehr per­sön­li­che Dinge geht und es viel Mut braucht, am Verfahren teil­zu­neh­men, ist doku­men­ta­ri­sches Arbeiten natür­lich aus­ge­schlos­sen. So war genau­es­te Recherche der Regisseurin von­nö­ten, um die fil­mi­schen Prozesse zu ent­wi­ckeln und aus­zu­ar­bei­ten.
Mittels eines her­aus­ra­gen­den Ensembles erzählt „All eure Gesichter“ ver­dich­tet von zwei die­ser Begegnungen, von Wut, Angst, Hilflosigkeit und Hoffnung, Schweigen und der erlö­sen­den Kraft der Worte, von Einsicht, Misstrauen und Vertrauen, von unge­ahn­ten Gemeinsamkeiten und manch­mal auch von ech­ter Wiedergutmachung.
„Die opfer­ori­en­tier­te Justiz wur­de zu einem sehr inter­es­san­ten Feld; der idea­le Rahmen, um einen star­ken Film zu schrei­ben, bei dem viel auf dem Spiel steht, psy­cho­lo­gi­sche Actionszenen, Raum für Dialoge; alles, was ich mag.“ sagt Jeanne Herry über ihre Beweggründe, und über die rea­len Projekte „Diese Begegnungen öff­nen die Türen der Vorstellungskraft. Es ist wie bei einem guten Buch oder einem guten Film: Wir schaf­fen Raum für ande­re, für die Subjektivität der ande­ren, für inne­re Welten, die wir nicht ken­nen oder gut verstehen…“

Credits:

Je ver­rai tou­jours vos visa­ges, FR 2023, 118 Min., frz. OmU, Regie: Jeanne Herry, Kamera: Nicolas Loir, mit: Adèle Exarchopoulos, Dali Benssalah, Leïla Bekhti, Birane Ba, Anne Benoît, Elodie Bouchez, MiouMiou, Gilles Lellouche

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The Old Oak

Ein Film von Ken Loach.

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TJ Ballantyne ist Betreiber des Pubs The Old Oak in einer ehe­ma­li­gen Grubenstadt in Nordengland, wo nicht nur der Ausverkauf leer­ste­hen­der Häuser (damit der Werteverfall aller Immobilien) an aus­wär­ti­ge Investoren die Gemüter umtreibt. Die Schließungen sozia­ler Einrichtungen und Geschäfte, die Arbeits- und Aussichtslosigkeit machen den Menschen zu schaf­fen. Als eine Gruppe syri­scher Geflüchteter im Ort unter­ge­bracht wird, wird es nicht als Chance für neu­en Möglichkeiten gese­hen, son­dern als Gefahr. Zusammen mit der jun­gen Fotografin Yara, deren Vater wohl in Syrien ver­misst wird, ver­sucht TJ, gegen alle Anfeindungen ein soli­da­ri­sches, alle ein­schlie­ßen­des Netzwerk auf­zu­bau­en. Dass er für eine gemein­sa­me Kantine das unge­nutz­te Hinterzimmer des Pubs her­rich­tet, zuvor aber eine geplan­te Versammlung gegen die „Fremden“ dort unter­sagt hat, bringt sei­ne Stammgäste zunächst gegen ihn auf.
In ihrer klei­nen Utopie zei­gen Loach und sein Autor Laverty ein­mal mehr die Zusammenhänge und Auswirkungen einer rein aufs Ökonomische gerich­te­ten Politik auf. Für alle, denen das Ende zu posi­tiv ist, gibt es einen Trost: die Geschichte hat sich, so oder so ähn­lich, tat­säch­lich ereig­net.
„Loachs [und Lavertys] Anliegen ist klar: Syrische Flüchtlinge und eng­li­sche Arbeiter ste­hen auf der­sel­ben Stufe. Sie alle sind Unterdrückte und Opfer, ent­we­der von Kriegen oder Marktinteressen. Flüchtlinge zu has­sen, ihnen gar die Schuld an den eige­nen Problemen zu geben, nur weil die Boulevard-Medien dazu ansta­cheln, hat des­halb kei­nen Sinn. Loach plä­diert des­halb für Selbsthilfe. Die Kantine im „Old Oak“ ist so etwas wie eine prag­ma­ti­sche Lösung im Kleinen, ohne staat­li­che Vorgaben oder Hilfe. Hier begeg­nen sich frem­de Menschen, um Vorurteile abzu­bau­en und sich gegen­sei­tig bei ihren Problemen zu hel­fen. Wer gemein­sam isst, ver­steht sich bes­ser.
Das steht im wun­der­ba­ren Gegensatz zur aktu­el­len Politik, die vor unkon­trol­lier­ten Flüchtlingsströmen warnt – und dar­um kon­se­quen­ter­wei­se in die­sem Film gar nicht vor­kommt.“
Michael Ranze | Filmdienst

Credits:

GB/FR/BE 2023, 113 Min., engl. OmU
Regie: Ken Loach
Drehbuch: Paul Laverty
Kamera: Robbie Ryan
Schnitt: Jonathan Morris
mit: Dave Turner, Ebla Mari, Debbie Honeywood, Reuben Bainbridge

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OmU!

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Fremont

Ein Film von Babak Jalali.

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Das Kino kann ein Glückskeks sein“ 
Daniel Nehm | Die Zeit
„In ihrer afgha­ni­schen Heimat arbei­te­te Donya [Anaita Wali Zada, tat­säch­lich vor Jahren von dort geflo­hen] als Übersetzerin für die ame­ri­ka­ni­schen Besatzer, nun lebt sie in Fremont, einer klei­nen Schlafstadt in der Nähe von San Francisco. Unspektakulär läuft das Leben hier ab, tags­über arbei­tet Donya in einer Fabrik, in der Glückskekse her­ge­stellt wer­den, … nachts lei­det sie an Schlaflosigkeit. Kein dra­ma­ti­sches Trauma plagt sie – so wie die gesam­ten 90 Minuten des Films betont undra­ma­tisch ablau­fen – doch immer wie­der fragt sich Donya, war­um gera­de sie über­lebt hat, wäh­rend so vie­le Menschen im Krieg star­ben. Warum lebt sie ein zwar beschei­de­nes, aber doch ange­neh­mes Leben, war­um hat­te sie soviel Glück?
Als idea­le Metapher auf dem Weg zur Erkenntnis funk­tio­nie­ren dabei die Glückskekse, jenes leicht süße Gebäck, in des­sen Inneren sich eine mehr oder weni­ger sin­ni­ge Lebensweisheit befin­det. Nicht zu prä­zi­se, aber auch nicht zu vage soll die­se sein, erklärt ihr Chef Donya, nicht zu opti­mis­tisch, aber auch nicht pes­si­mis­tisch. Eine schwie­ri­ge Balance also, die auch Babak Jalalis Film erfolg­reich hält: Irgendwo zwi­schen Komödie und Drama bewegt sich „Fremont“, in einer Welt der klei­nen, genau­en Beobachtungen, vol­ler lako­ni­scher Momente, mit lebens­na­hen Figuren, die Empathie aus­lö­sen und die man ger­ne beob­ach­tet. Das ange­sichts die­ses Tonfalls und beson­ders der ruhi­gen, im klas­si­schen 4:3 Format kadrier­ten Bilder unwei­ger­lich Vergleiche zu Jim Jarmusch wach wer­den ist kein Vorwurf, im Gegenteil: Mit sei­nem vier­ten Film „Fremont“ ist Babak Jalali ein bemer­kens­wer­tes Kleinod gelun­gen, voll von ganz eige­nen Charakteren und klei­nen, wah­ren Lebensweisheiten.“
Michael Meyns | programmkino.de

Auch wenn es die­se Inhaltsangabe nicht gleich ver­mu­ten lässt, han­delt es sich bei „Fremont“ von dem ira­nisch-stäm­mi­gen, in London leben­den Regisseur Babak Jalali um eine leicht­fü­ßi­ge, intel­li­gen­te Komödie, in der am lau­fen­den Band wit­zi­ge Dinge pas­sie­ren, die die Hauptfigur sto­isch hin­nimmt. Ganz egal, ob Donya sich mit ihren Nachbarn unter­hält, sich über die Leidenschaft eines Restaurantbesitzers für Soap Operas wun­dert oder die Blind-Date-Erfahrungen einer Kollegin mit anhö­ren muss: Jalali fin­det stets lako­ni­sche, prä­zi­se geschrie­be­ne Dialoge und Situationen, die auf sei­ne Vorbilder, Jim Jarmusch und natür­lich Aki Kaurismäki, ver­wei­sen.” Filmdienst

Credits:

US 2023, 91 Min., engl.-farsi–kantonesische OmU
Regie & Schnitt: Babak Jalali
Kamera: Laura Valladao
mit Anaita Wali Zada, Hilda Schmelling, Jeremy Allen White, Avis See-tho 

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Blackberry

BlackBerry

Ein Film von Matt Johnson.

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Zwei unglei­che Unternehmer – der hoch­in­tel­li­gen­te Innovator Mike Lazaridis und der knall­har­te Geschäftsmann Jim Balsillie – tun sich zusam­men. Mit einem Gerät, das der eine erfun­den hat und der ande­re ver­mark­tet, haben sie inner­halb von zehn Jahren welt­weit Erfolg. Es nennt sich BlackBerry und revo­lu­tio­niert die Art, wie die Welt arbei­tet, spielt und kom­mu­ni­ziert. Aber gera­de als das BlackBerry zu neu­en Höhenflügen ansetzt, beginnt es im Nebel der Smartphone-Kriege, Managementkrisen und Ablenkungsmanöver schon wie­der die Orientierung zu ver­lie­ren, was schließ­lich zum Zusammenbruch eines der erfolg­reichs­ten Unternehmen in der Geschichte der Technologie- und Geschäftswelt führt.
Johnsons frü­he­re Werke (The Dirties, Operation Avalanche) zei­gen Filmfreaks, die getrie­ben sind von der Idee, selbst mit der Kamera etwas auf Film zu ban­nen, das in Wirklichkeit unglaub­lich, wenn nicht unmög­lich erscheint. Seine Geschichten han­deln von schein­bar unschein­ba­ren Menschen, die etwas errei­chen wol­len, das bis­her noch nie­man­dem gelun­gen ist. Mit dem ihm eige­nen, bei­ßen­den Humor ver­blüfft er uns die­ses Mal mit der Story von zwei Kanadiern, die zwi­schen gemein­sa­men Filmabenden ein Werkzeug erfan­den, das aus unse­rem Leben nicht mehr weg­zu­den­ken ist.

Dank einer nost­al­gisch-iro­ni­schen 90er und 00er Ästhetik, der per­ma­nen­ten Gegenüberstellung von Geek-Kultur und Corporate Warfare und unzäh­li­gen Film‑, Game- und Pop/Rock-Zitaten gelingt Johnson dabei eine Tragikomödie, die sich wie­sel­flink zwi­schen Wayne’s World, The Social Network und Wallstreet bewegt.„
Sennhausers Film Blog

Credits:

CA 2023, 121 Min., engl. OmU
Regie: Matt Johnson
Kamera: Jared Raab
Schnitt:Curt Lobb
mit Jay Baruchel, Glenn Howerton, Matt Johnson, Cary Elwes, Saul Rubinek, Michael Ironside, Rich Sommer, Sungwon Cho, Michelle Giroux, Mark Critch

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OmU!

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THERE IS A STONE

There is a Stone

Ein Film von Tatsunari Ota.

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Eine zufäl­li­ge Begegnung am Fluss, ein flüch­ti­ges Zusammensein, ein Tag Auszeit – Tatsunari Otas Film erkun­det eine Welt ohne Produktivität und fin­det Freude an Müßiggang und Verspieltheit – wun­der­schön in sei­ner Beiläufigkeit, über­ra­schend in Details.
Eine jun­ge Frau recher­chiert für ein neu­es Reiseprojekt. Von der Burg, die sie sucht, ist jedoch außer einer Hinweistafel nichts mehr zu fin­den. Auf dem Weg zurück zur Bahn kommt sie an ein Flussbett und ent­deckt auf der ande­ren Seite einen Mann, der geschickt Steine übers Wasser sprin­gen lässt. Nach anfäng­li­cher Unsicherheit spa­zie­ren sie zusam­men am Fluss ent­lang, und als er ver­schie­de­ne Spiele vor­schlägt, ver­gisst sie all­mäh­lich Arbeit und Zeit. Beide ver­tie­fen sich in die Suche nach ihren „Lieblingssteinen”, jon­glie­ren mit Ästen und ver­brin­gen Zeit mit­ein­an­der, als wären sie wie­der Kinder. Doch als die Sonne unter­geht, geht die Zeit, die sie gemein­sam ver­bracht haben, zu Ende.
Vertändelt man sei­ne Zeit beim Schauen eines Films, der sei­nen Blick auf das Vertändeln von Zeit, das Spiel, und schein­bar unnüt­zes Tun rich­tet?
John Berra von Screen-Daily meint, ganz sicher nicht:
„Die Aufnahmen des Kameramanns Yuji Fukaya sind gera­de­zu hyp­no­ti­sie­rend. Er nutzt die Academy Ratio, um ein Gefühl der Abgeschlossenheit in der länd­li­chen Umgebung zu erzeu­gen. … Obwohl eine Reihe von ange­mes­sen zurück­hal­ten­den Arrangements des Komponisten Shu Oh spar­sam ein­ge­setzt wird, besteht die Hauptbegleitung in Naru Sakamotos Sounddesign, das das sanf­te Plätschern des Baches und ande­re natür­li­che Elemente mit trance­ar­ti­ger Wirkung unter­streicht.
An Ogawa und Tsuchi Kano sind in ihren namen­lo­sen Rollen völ­lig unge­küns­telt und stel­len ein Paar sehn­süch­ti­ger, aber vor­sich­ti­ger Seelen dar, ohne dass es einer Hintergrundgeschichte bedarf. Diese flüch­ti­ge Freundschaft hat einen ganz eige­nen Rhythmus, aber wer sich dar­auf ein­lässt, wird in There Is A Stone einen loh­nen­den Ausflug fin­den, der aus dem schein­bar Alltäglichen behut­sam beson­ders ech­te Momente herausholt.“

Credits:

Ishi ga aru – 石がある
Jp 2022, 104 Min., japan. OmU
Regie: Tatsunari Ota
Kamera: Yuji Fukaya
Schnitt: Keiko Okawa
mit:An Ogawa, Tsuchi Kanou

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The Quiet Girl

Ein Film von Colm Bairéad.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Das beein­dru­cken­de Debut des Iren Colm Bairéad ist ein ruhi­ger, ein stil­ler Film. Zurückhaltend wie sei­ne Hauptfigur, die neun­jäh­ri­ge Cáit, lebt vom genau­en Hinschauen, Spüren, von vor­sich­ti­gem Herantasten. Zu Beginn ver­steckt sie sich vor ihren Geschwistern im hohen Gras, und wird von der Kamera ent­deckt.
In den 80-er Jahren war Armut in der Republik Irland kein Fremdwort, und auch der Hof von Cáits Familie ist unr­e­ta­bel. Man lebt beengt, der Vater ver­spielt und ver­trinkt das weni­ge Geld, die Mutter ver­nach­läs­sigt fast zwangs­läu­fig die Kinderschar. Als sie erneut ein Kind erwar­tet, wird aus­sor­tiert, und das fami­li­en­un­kon­for­me Mädchen zeit­wei­se bei einem ent­fernt ver­wand­ten Ehepaar unter­ge­bracht. Seán und Eibhlín sind ver­gleichs­wei­se wohl­ha­bend und kön­nen die Kleine gut auf­neh­men. Während Eibhín sich rüh­rend um Cáit küm­mert, ver­hält sich Seán zunächst abwei­send und unfreund­lich.
Dass sich dies grund­le­gend ändert, ist qua­si film­ge­mäß vor­be­stimmt, doch die Annäherung von Kind und Ersatzvater wird auf eine sel­ten schö­ne und undra­ma­ti­sche Weise gezeigt. Kleine Gesten, Blicke und Ermunterungen zeu­gen von zuneh­men­der Vertrautheit, wenn es auch in die­ser Familie Geheimnisse gibt.
„ … Diese Cáit mag nicht viel spre­chen. Dafür aber nimmt sie mit allen Sinnen wahr, auf­merk­sam und sen­si­bel. Und der Film tut es mit ihr. Colm Bairéad lässt die Kamera zu einem Sinnesorgan des künf­ti­gen Erinnerns wer­den; er erzählt ohne die übli­chen dra­ma­tur­gi­schen Konflikte, sucht nie das gro­ße Drama. Wohltuend ist das und unauf­dring­lich. Das ist auch das bes­te Adjektiv, um die­sen Film zu beschrei­ben – nichts drängt sich auf, alles ist inwen­di­ges Erleben.
… Cáit sol­le sich nicht ob ihrer Schweigsamkeit sor­gen, sagt Séan ein­mal am Strand zu ihr; zu vie­le Menschen wür­den die Chance ver­pas­sen, nichts zu sagen, und dabei viel kaputt machen. Dasselbe gilt auch für vie­le Filme, die es ver­pas­sen, mit den Bildern zu erzäh­len, und statt­des­sen alles zer­re­den. Das Debüt von Colm Bairéad fin­det dar­in sei­ne eige­ne meis­ter­haf­te Form.“
Sebastian Seidler | Filmdienst

Credits:

An Cailín Ciúin
IR 2022, 95 Min., gälisch, eng­li­sche OmU
Regie: Colm Bairéad
Kamera: Kate McCullough
Schnitt: John Murphy
mit: Carrie Crowley, Andrew Bennett, Catherine Clinch

Trailer:
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