„Claire und Laura waren beste Freundinnen. Als Laura stirbt, bricht nicht nur für Lauras Ehemann David eine Welt zusammen, sondern auch für Claire. Nach Tagen rafft sie sich auf, um David zu besuchen. Auf ihr Klingeln reagiert niemand. Da die Tür angelehnt ist, tritt sie ein – und überrascht David in Lauras Kleidern. In ihrem vorbildlich gutbürgerlichen Universum – Häuschen, Bürojob, Doppelpärchenessen – löst der Anblick ein kleines Erdbeben aus. Dennoch besucht sie ihn auf sein Bitten hin erneut. Ohne es recht zu wollen, wird Claire Davids Vertraute. Sie begleitet ihn auf seiner allerersten Shoppingtour in „full drag“, gibt Schminktipps und genießt heimlich die Spannung zwischen Abscheu und erotischer Anziehung, die sie dabei empfindet. Ihrem Ehemann erzählt sie nichts, sondern erfindet stattdessen eine neue Freundin: Virginia. Eine neue Freundin spielt im Frankreich der Gegenwart, sieht aber so aus wie das Amerika der 50er Jahre, das man aus Douglas Sirks Melodramen kennt. Ozons Personal bewohnt kleine Vorortvillen mit putzigen Erkern und Garten drum herum und fährt knallrote Cabriolets. Wichtige Szenen werden bevorzugt auf Treppen ausgetragen und als Claires Illusionen erschüttert werden, zerbricht auch prompt Geschirr. Es hilft, dass David/Virginia als Drag Queen mit einem Faible für 50er-Jahre-Glamour Perücken, Kleidchen, Highheels und Kopftücher tragen kann, die an einer modernen, sehr sachlichen Frau wie Claire völlig overstyled wirken würden. Dennoch ist Ozons Melodrama nicht einfach eine Wiederauflage des Genres, (…) sondern vielmehr eine utopische Neuinterpretation. Was im klassischen Melodrama eine Bauanleitung für ein Desaster wäre, für lebenslange Zerwürfnisse, Einsamkeit und zerstörte Familien, verursacht in Eine neue Freundin zwar einigen Wirbel, wird aber von einer durchlässiger werdenden Gesellschaft letztlich doch akzeptiert. In Ozons magischen Händen wird die durchschnittliche französische Kleinfamilie zu Wachs. Gendergrenzen zerfließen, sexuelle Interessen expandieren, Familienstrukturen werden neu zum Besten aller Beteiligten sortiert.“ Hendrike Bake
Une nouvelle amie, F 2014, 105 Min., frz. OmU
Regie & Buch: François Ozon
Kamera: Pascal Marti, Schnitt: Laure Gardette
mit: Anaïs Demoustier, Romain Duris, Raphaël Personnaz, Isild Le Besco