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Eine Sekunde

Ein Film von Zhang Yimou.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Eine Sekunde Film, dafür ist der Häftling aus dem Straflager geflo­hen. Seine ihn ent­frem­de­te Tochter soll so lan­ge in dem Werk, das durch die Provinz tourt, zu sehen sein. Genauer gesagt, in der Wochenschau, und aus­ge­rech­net die­se Filmrolle stiehlt das Waisenmädchen Wu. Sie will das Material einer ande­ren, für sie wich­ti­gen Bestimmung zufüh­ren. Ohne die­se Propaganda-Rolle wie­der­um will der stol­ze Projektionist des Kinos der zwei­ten Einheit die Vorstellung nicht begin­nen. Es beginnt eine wech­sel­sei­ti­ge Jagd auf das Diebesgut, mit Verlusten auf aller Seiten. Doch aller Auseinandersetzungen zum Trotz bahnt sich auch eine neue Freundschaft an.

Bevor Zhang Yimous sei­ne „boden­stän­di­ge und ein­fa­che Geschichte“ vor Publikum zei­gen konn­te, hat­te der Film schon eine beweg­te Geschichte hin­ter sich. Bei der Berlinale für den Goldenen Bären nomi­niert, wur­de er kurz vor sei­ner Premiere aus „tech­ni­schen Gründen“ zurück­ge­zo­gen. Gleiches pas­sier­te dann 21 Monate und zwei Überarbeitungen spä­ter noch­mal beim „Golden Rooster and Hundred Flowers Film Festival“. Kurze Zeit spä­ter aber wur­de der heiß erwar­te­te Streifen in China mit gro­ßem Erfolg gestartet.

Hatte Zhang zuvor eini­ge opu­len­te Werke geschaf­fen, und zuletzt mit „Hero“ auch das Wuxia-Genre bedient, kön­nen wir hier zwar auch wun­der­ba­re Bilder der Sandwüste bewun­dern, aber Bilder aus der Kulturrevolution sind ins­ge­samt fürs Schwelgen wohl weni­ger geeignet.

Eine Sekunde ist eher eine Hommage an den 35mm-Film, an sei­ne Haptik, Sinnlichkeit, die stoff­li­che Verletzlichkeit des Materials, und dabei an sei­ne Möglichkeiten, sowie an das Kino die­ser Zeit. Es wird hier „Heroische Söhne und Töchter“ gezeigt, alter­na­tiv wäre nur „Der Kampf zwi­schen Nord und Süd“ mög­lich gewe­sen, denn es gibt nur weni­ge Filme fürs Landvolk. Das tut der Begeisterung jedoch kei­nen Abbruch, und der Andrang sorgt immer­hin für die ein- oder ande­re Massenszene.

Credits:

Yi miao zhong 秒钟
CN 2019, 103 Min., man­da­rin OmU
Regie: Zhang Yimou
Basierend auf dem Roman „The Criminal Lu Yanshi” von Yan Geling.
Schnitt: Yuan Du
Kamera: Zhao Xiaoding
mit: Zhang Yi, Liu Haocun, Fan We

Trailer:
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filmPOLSKA 2022

Vom 22. – 29. Juni fin­det die­ses Jahr das größ­te pol­ni­sche Filmfestival außer­halb Polens statt (mehr). Im fsk zei­gen wir alle sie­ben Wettbewerbsbeiträge und zwei Specials:

Bukolika / Bucolic Mutter und Tochter in einem bau­fäl­li­gen, abge­le­ge­nen Haus. Das gan­ze Leben mit sei­nen all­täg­li­chen Reibereien, klei­nen Ausbrüchen und grund­le­gen­den Entscheidungen.
PL 2021, R/B/K: Karol Pałka, 70 Min, OmeU,
24.06. 20:00 zu Gast: Karol Pałka
[Tickets]


Inni lud­zie / Other People Wer ein­mal einen Text der Star-Autorin Dorota Masłowska gele­sen hat, weiß, was ihn/sie erwar­tet: eine wild schlin­gern­de Handlung, Gesellschaftskritik, mas­sen­haft pop-/kul­tu­rel­le Zitate, Blicke in die Abgründe urba­ner Milieus im frü­hen 21. Jahrhundert.
PL 2021, 106 min, OmdU, R/B: Aleksandra Terpińska, D: Jacek Beler, Sonia Bohosiewicz, Magdalena Koleśnik.
25.06. 20:00
[Tickets]

Mosquito State In einem muti­gen, umwer­fend bild­ge­wal­ti­gen visu­el­len Experiment ver­knüpft Rymsza die Biografie eines Insekts mit der Zukunft der glo­ba­len Ökonomie. Er zeigt, dass neue Ansätze radi­kal gedacht wer­den müs­sen – und fin­det dafür radi­ka­le visu­el­le Mittel.
PL/USA 2020, 101 min, engl. OF m. poln. UT, R: Filip Jan Rymsza, D: Beau Knapp, Charlotte Vega, Jack Kesy u. a.
29.06. 20:00 zu Gast: Filip Jan Rymsza
[Tickets]

Ostatni kom­ers / Love Tasting Es ist Juni, nur noch weni­ge Tage blei­ben bis zum gro­ßen Abschlussball. Dann wer­den sich die Wege der Gymnasiastinnen tren­nen und es wird höchs­te Zeit sich zu ent­schei­den, wohin die Lebensreise gehen soll.
PL 2020, 85 min, OmeU, R/B: Dawid Nickel, D: Mikołaj Matczak, Michał Sitnicki, Sandra Drzymalska u. a.
28.06. 20:00l
[Tickets]

Polaków port­ret włas­ny / Polish Self-Portrait Ein Dokumentar-Experiment, in denen die Protagonistinnen zu ihren eige­nen Kameraleuten wer­den und uns ein Jahr lang an ihrem Leben teil­ha­ben las­sen. Und das ist alles ande­re als ereig­nis­arm.
PL 2021, 115 min, OmeU, R: Maciej Białoruski, Jakub Drobczyński, Robert Rawłuszewicz,
26.06. 20:00 zu Gast: Maciej Białoruski & Jakub Drobczyński
[Tickets]

Sonata / Sonate In der Provinz des Karpatenvorlandes wird bei Grzegorz schon früh Autismus dia­gnos­ti­ziert. Er spricht nicht, kap­selt sich von sei­ner Umwelt ab und vege­tiert man­gels Therapie vor sich hin – bis in sei­nem Haus ein Klavier auf­taucht.
PL 2021, 118 min, OmdU, R/B: Bartosz Blaschke, D: Michał Sikorski, Małgorzata Foremniak, Łukasz Simlat
27.06. 20:00 zu Gast: Bartosz Blaschke
[Tickets]

Wszystkie nas­ze strachy / Alle unse­re Ängste Kunst und Gesellschaft sind für Daniel Rycharski untrenn­bar mit­ein­an­der ver­bun­den, doch mit sei­nen Skulpturen und Happenings eckt er bei den unmit­tel­ba­ren Nachbarn mas­siv an – vor allem, wenn er dar­in die Ausgrenzung von LGBT-Personen the­ma­ti­siert.
PL 2021, 91 Min, OmdU, R: Łukasz Ronduda, Łukasz Gutt, Kamil Grzybowski, D: Dawid Ogrodnik, Maria Maj, Andrzej Chyra.
23.06. 20:00 zu Gast: Łukasz Ronduda, Łukasz Gutt & Dawid Ogrodnik
[Tickets]

Erotica 2022 In fünf Episoden ent­wer­fen Regisseurinnen nach Drehbüchern nam­haf­ter Schriftstellerinnen – unter ihnen die Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk und Bestseller-Autorin Joanna Bator – dys­to­pi­sche Visionen über eine nicht all­zu fern lie­gen­de Zukunft. PL 2021, 137 min, OmeU, R: Anna Kazejak, Anna Jadowska, Kasia Adamik, Jagoda Szelc, Olga Chajdas, D: Agata Buzek, Monika Pikuła, Agnieszka Żulewska,
26.06. 15:00 zu Gast: Anna Jadowska
[Tickets]

Film bal­ko­no­wy / Der Balkonfilm Paweł Łoziński mon­tiert eine Kamera auf dem Balkon, kabelt ein Mikrofon an den Zaun und beginnt, den Passant*innen schein­bar plan­los und naiv Fragen nach ihrem Woher und Wohin zu stel­len. Von nun an legt er sich ein Jahr lang auf die Lauer.
PL 2021, 100 min, OmdU, R/B/K: Paweł Łoziński, S: Paweł Łoziński, Piasek & Wójcik 25.06. 15:00 zu Gast: Paweł Łoziński
[Tickets]

Termine:

Do., 7. Sep.:Fr., 8. Sep.:Sa., 9. Sep.:So., 10. Sep.:Di., 12. Sep.:Mi., 13. Sep.:Mi., 13. Dez.:Mi., 17. Jan.:Mi., 14. Feb.:Mi., 13. Mrz.:Mi., 10. Apr.:Mi., 15. Mai.:Mi., 12. Jun.:Mi., 17. Jul.:

Die Ruhelosen

Ein Film von Joachim Lafosse.

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Hat er sei­ne Pillen genom­men oder nicht? Habe er, beteu­ert Damien, aber Leïla kann ihm nicht glau­ben. Jeden Tag gibt es mehr klei­ne Anzeichen für die nächs­te mani­sche Episode, ihr Mann ent­glei­tet ihr Stück für Stück.
Der erfolg­rei­che Maler und die Restauratorin leben mit ihrem Sohn Amine in einem geräu­mi­gen Hof auf dem Land nahe dem Meer. Damiens Bipolarität macht allen drei­en ein­zeln das Leben schwer, und dazu das Zusammenleben schwie­rig. Sie strei­ten, sie schrei­en, aber sie lie­ben sich auch lei­den­schaft­lich. Die Liebe zu erhal­ten, ist schon für ande­re schwie­rig genug, mit die­ser Krankheit aber eine extre­me Herausforderung. Als eine gro­ße Ausstellung sei­ner Werke ansteht, ver­wei­gert der eupho­ri­sche, ener­gie­ge­la­de­ne Damien voll­ends die Medikation. Leïla ist am Ende und lässt ihn ins Krankenhaus ein­wei­sen, nicht zum ers­ten Mal. Aber auch sei­ne Abwesenheit macht sie fer­tig. Was kommt danach? Was pas­siert, wenn eine Krankheit die Kontrolle über­nimmt, über die Umgebung, die Beziehungen?
„Der gequäl­te männ­li­che Künstler wird vom Kino regel­mä­ßig ver­wöhnt: In zahl­lo­sen Filmen wer­den krea­ti­ve Männer beschrie­ben, die sich im Dienste ihres Genies schlecht beneh­men, wobei die unschö­ne Realität ihrer psy­chi­schen Gesundheit oder die Auswirkungen ihres Verhaltens auf ande­re nur ein Lippenbekenntnis ist. Mit die­sem außer­ge­wöhn­lich bewe­gen­den und klug beob­ach­te­ten Film bie­tet der bel­gi­sche Filmemacher Joachim Lafosse so etwas wie ein Korrektiv, und zwar ein span­nen­des, ver­stö­ren­des.“
Dave Calhoun | timeout

Credits:

Les Intranquilles
BE/LU/FR 2021, 118 Min., frz. OmU,
Regie: Joachim Lafosse
Kamera: Jean-François Hensgens
Schnitt: Marie-Hélène Dozo
mit: Leïla Bekhti, Damien Bonnard, Gabriel Merz Chammah, Patrick Descamps

Trailer:
The Restless / Les Intranquilles (2021) – Trailer (English subs)
im Kino mit deut­schen Untertiteln
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Der menschliche Faktor

Ein Film von Ronny Trocker.

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Jan und Nina lei­ten eine Werbeagentur und leben mit ihren Kindern Emma und Max in Hamburg. Ein Ausflug in ihr gelieb­tes Wochenenddomizil an der Belgischen Küste beginnt dra­ma­tisch: es ist jemand ins Haus ein­ge­drun­gen, und hat bei Ankunft der Familie die Flucht ergrif­fen. Außer dass Max‘ zah­me Ratte den Schreckmoment eben­falls zur Flucht nutzt, ist aber kein Schaden zu ent­de­cken. Trotzdem ist das Sicherheitsgefühl an die­sem Ort ver­schwun­den, und wei­te­re Vertrauensverluste fol­gen.
Nun ken­nen wir ja den „Rashomon-Effekt“: ein Ereignis wird von allen Beteiligten unter­schied­lich erlebt und beschrie­ben, was zu ver­schie­de­nen Interpretationen und Handlungsoptionen führt. Allerdings sehen wir hier nun nicht nur nach und nach die Sichtweisen der fünf – ja, Ratte Zorro ist auch dabei und hat eine recht plau­si­ble Sicht auf die Dinge – Anwesenden, son­dern auch ande­re Geheimnisse kom­men ans Licht, wie Jans heim­li­che Zusage zu einem deli­ka­ten Auftrag, gegen den Willen sei­ner Partnerin.

„Während sich das Quartett in der Gefahr zunächst näher kommt, um dann aber zuneh­mend die Bodenhaftung zu ver­lie­ren, irri­tiert Regisseur Ronny Trocker über­dies mit einer nicht-linea­ren Erzählweise, die das anfäng­li­che Familiendrama all­mäh­lich in einen auf expli­zi­te Horroreffekte ver­zich­ten­den Thriller ver­wan­delt. Die Bedrohung aus dem Inneren der Figuren droht dabei in die ohne­hin mul­ti­per­spek­ti­visch aus­fran­sen­de Handlung durch­zu­drin­gen. Selbst die Tatsache des Einbruchs gerät ins Wanken. Vielleicht waren es gar kei­ne Diebe, son­dern Aktivisten, die Jans Kampagne für die extre­mis­ti­sche Partei ableh­nen? Oder doch nur eine kol­lek­ti­ve Einbildung von Menschen, die zu lan­ge anein­an­der vor­bei­ge­lebt haben?
… ein psy­cho­lo­gisch kon­zen­trier­ter, aber gera­de durch sei­nen unspek­ta­ku­lä­ren Gestus beun­ru­hi­gen­der und zutiefst beein­dru­cken­der Film.“ Alexandra Wach | Filmdienst

Credits:

DE, DK, IT 2022, 102 Min., frz., dt. OmU,
Buch & Regie: Ronny Trocker

Kamera: Klemens Hufnagl
Schnitt: Julia Drack
mit Mark Waschke, Sabine Timoteo, Jule Hermann, Wanja Valentin Kub

Trailer:
DER MENSCHLICHE FAKTOR Trailer HD
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Zum Tod meiner Mutter

Ein Film von Jessica Krummacher.

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Einfach Sterben ist es nicht. Es ist nicht ein­fach zu ster­ben.
Julianes Mutter ist erst 64 Jahre alt. Sie ist schwer krank und lebt in einem Pflegeheim. Jetzt will sie ster­ben und hört auf zu essen und zu trin­ken. Juliane beglei­tet ihre Mutter dabei. Freunde und Bekannte kom­men zu Besuch. Sie neh­men Abschied. Juliane auch, ganz lang­sam. Das Sterben dau­ert, dabei ist es recht fried­lich, manch­mal pro­vo­zie­rend. Der Ausgang steht bereits fest. Ihre Mutter wird bald nicht mehr da sein, wäh­rend Julianes Leben wei­ter­geht. Sie möch­te ihrer Mutter hel­fen und doch weiß sie, dass sie ihr das Sterben nicht abneh­men kann. Aus Tagen wer­den Wochen. Tochter und Mutter sind sich unend­lich nah, kör­per­lich und geis­tig. Bis etwas sie trennt: der ersehn­te Tod.
Jessica Krummacher erzählt in ihrem zwei­ten Spielfilm vom Sterben, so wie es sich in der Realität ver­hält. Vom Loslassen eines gelieb­ten Menschen. Bis am Ende alles still ist.

Womöglich hat sich noch kein Film so inten­siv und umfas­send mit dem Ableben befasst wie Zum Tod mei­ner Mutter. Mit sei­ner Unfassbarkeit und Alltäglichkeit. Mit der Nähe und Intimität, aber auch dem Befremden, das ein­setzt, wenn ein Mensch, der schon immer da war, weni­ger wird, sich auf­löst und bald ver­schwun­den sein wird. Aber auch mit der Unmöglichkeit, das Sterben zu tei­len, selbst wenn man bis zur Erschöpfung an der Seite ist und dabei in eine ganz eige­ne Daseinsform abdrif­tet. „Es ist unmög­lich, in dein Leid ein­zu­drin­gen“, sagt Juliane ein­mal.
Zum Tod mei­ner Mutter ist aber nicht nur ein Film, der zwei Körper in ihrem Zusammenspiel betrach­tet. Er unter­nimmt auch eine sprach­li­che Annäherung an den Tod. Immer wie­der wird er in Worten umkreist, wird nach einem Ausdruck gesucht, um zu beschrei­ben, was pas­siert und doch nie ganz zu fas­sen ist.“ Esther Buss | Filmdienst
Am Sonntag, 12.6. ist Jessica Krummacher bei uns zu Gast, um über ihren Film zu sprechen.

Credits:

DE 2022, 135 Min., OmenglU,
Buch & Regie: Jessica Krummacher
Kamera: Gerald Kerkletz,
Schnitt: Anne Fabini,
mit: Birte Schnöink, Elsie de Brauw, Christian Löber, Gina Haller, Nicole Johannhanwahr, Thomas Wehling, Susanne Bredehöft u. a.

Trailer:
Zum Tod mei­ner Mutter (offi­zi­el­ler Trailer)
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Axiom

Ein Film von Jöns Jönsson.

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Julius ist ein rede­ge­wand­ter jun­ger Museumswärter, der sich all­seits gro­ßer Beliebtheit erfreut. Eines Tages lädt er sei­ne Kolleg*innen zu einem Segeltörn auf dem Boot sei­ner ade­li­gen Familie ein. Die Stimmung kippt. Julius ist nicht der, der er zu sein vor­gibt.
Moritz von Treuenfels ist die per­fek­te Besetzung für die Rolle des char­man­ten jun­gen Mannes, dem man zunächst ger­ne folgt, bevor einem unver­se­hens immer unwoh­ler wird. Denn Julius’ dyna­mi­sche Haltung zum Leben bringt aller­hand Widersprüche mit sich. In sei­nem fein­sin­nig geschrie­be­nen und insze­nier­ten Film über Identität und Sozialverhalten setzt Jöns Jönsson die Idee vom „Fake it till you make it“ der Zerreißprobe aus. Julius beein­druckt mit Weltgewandtheit und Eloquenz, er ver­kör­pert das moder­ne Ideal eines Menschen, der sich selbst stän­dig neu erfin­det. Doch sei­ne Verhaltensmuster ste­hen in Konflikt mit gesell­schaft­li­chen Regeln. Mit einer Flexibilität, ähn­lich der des Protagonisten, erkun­det Axiom die­sen ver­stö­ren­den Widerspruch – ein fas­zi­nie­ren­der Film, der Herz und Verstand erschüt­tert.
„Auf die Idee zu AXIOM kam ich durch eine kur­ze Anekdote, die mir ein Freund vor vie­len Jahren erzählt hat. Ein Bekannter von ihm hat­te einen neu­en Kollegen, der immer etwas Interessantes zu sagen hat­te. Ein cha­ris­ma­ti­scher, sym­pa­thi­scher Typ, mit dem man sich ger­ne befreun­de­te. Eines Tages hat er sei­ne Kolleg*innen zu einem Segelboot ein­ge­la­den, doch der Ausflug fand nie statt. Es hat dann noch etwas gedau­ert, bis sie her­aus­ge­fun­den haben, was mit dem Typen nicht stimm­te.
AXIOM ist ein Film über das Menschsein, wie ich es sehe, zusam­men­ge­fasst in dem Satz “Fake it till you make it”, der für mich sehr tref­fend unser aller Verhalten von der Geburt an cha­rak­te­ri­siert. Die Vorstellung solch einer Person, die auf wider­sprüch­li­che Weise so ver­bun­den mit ihrer Umwelt und doch so iso­liert von ihr ist, hat mich fas­zi­niert und zum Nachdenken bewegt. Dies brach­te mich schließ­lich an einen Punkt, an dem ich jede Art von “wah­rer Identität” voll­stän­dig in Frage stel­len muss­te, ganz im Sinne des Schriftstellers Luigi Pirandello, der vor­schlug, dass wir alle für jede neue Person, die wir tref­fen, eine neue Identität erfin­den.“
Jöns Jönsson

Credits:

DE 2021, 113 Min., dt. OmeU
Regie & Buch: Jöns Jönsson
Kamera: Johannes Louis
Schnitt: Stefan Oliveira-Pita
mit: Moritz von Treuenfels, Ricarda Seifried, Thomas Schubert, Zejhun Demirov, Sebastian Klein, Leo Meier, Ines Marie Westernströer

Trailer:
From: Cineuropa
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France

Ein Film von Bruno Dumont.

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Wie wun­der­bar kann man sich über sie aus­tau­schen, was sie tun, wie sie es tun, wie sie sich prä­sen­tie­ren. Watching the Detektive: Die Belustigung oder der Aufreger über öffent­li­che Medienvertreter ist selbst schon zur eige­nen Unterhaltungsform gewor­den. Bruno Dumont ver­sucht sich an der Überdrehung die­ser Entertainment- schrau­be. Lea Seydoux spielt France, eine sehr pro­mi­nen­te Fernsehmoderatorin, die immer dahin geht, „wo es weh­tut“. Das ist wahl­wei­se eine Regierungskonferenz, ein Kriegsgebiet oder eine Seenotrettungsaktion. Immer mit­ten­drin, nah am Sujet, per­fekt in Szene gesetzt zeigt sie der Gemeinde, was die sehen will, Sensation, Aktion und Anteilnahme. Aber der Film geht wei­ter. France de Meure ist immer etwas zu schrill, zu uner­schro­cken, zu schnell, zu beliebt, dabei stets unter­stützt, oder auch getrie­ben, von ihrer, alles mit „geni­al“ kom­men­tie­ren­den Assistentin. Aber nicht alles ist per­fekt. Die Wohnung ist eine rie­si­ge Designer-Gruft, die Ehe nur noch ein lang­wei­li­ger Witz, und ein Unfall schafft es schließ­lich, sie völ­lig aus der Bahn zu wer­fen. Aber aus der Katastrophe erwächst ja immer auch eine neue Chance, sagt jeden­falls das „Positive Denken“.

Das Systemische, von dem die­se Satire zeugt, umfasst die Zuschauerschaften, die als Fans ins Bild tre­ten, eben­so wie die, die im Kino vor dem Film sit­zen. Weil er sich dabei angreif­bar macht, gerät Dumont womög­lich selbst unter die Räder. Das wäre nicht das Schlechteste für eine Farce, die davon erzählt, dass nie­mand über­le­gen ist.“
Frédéric Jaeger | critic.de

Credits:

FR 2021, 133 Min., frz. OmU
Regie: Bruno Dumont
Kamera: David Chambille
Schnitt: Nicolas Bier
Mit: Léa Seydoux, Blanche Garin, Benjamin Biolay, Emanuele Arioli, Gaëtan Amiel, Juliane Köhler, Jawad Zemar

Trailer:
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The United States of America

Ein Film von James Benning.

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Wie schön, end­lich wie­der ein neu­er „Benning“.
Es beginnt mit „Heron Bay, Alabama“ und endet mit „Kelly, Wyoming“. dazwi­schen lie­gen wei­te­re 50 Einstellungen, beti­telt mit US-ame­ri­ka­ni­sche Bundesstaaten, ein­schließ­lich Puerto Rico und District of Columbia, die offi­zi­ell kei­ne sind.
Manche der, erwart­bar wun­der­bar kom­po­nier­ten, sta­ti­schen Einstellungen von Landschaft, Städten, Wegen und sons­ti­gen Orten wer­den unter­legt und ergänzt durch Erinnerungen, Songs, zwei poli­ti­schen Reden (u.a. Woody Guthrie, Martin Luther King, Dwight D. Eisenhower, Alicia Keys).
1975 fuhr Benning zusam­men mit Regisseurin Bette Gordon durch die USA, das durch die Windschutzscheibe gefilm­te Werk hieß „The United States of America“. Jetzt wird mit der Neuauflage glei­chen Namens das Bild aktua­li­siert.
„Nicht zuletzt war James Benning immer schon auch ein Spieler und Humorist. In die­sem Film beglückt er sei­ne Fans mit vie­len augen­zwin­kern­den Referenzen und Anspielungen auf frü­he­re Arbeiten. Der größ­ten Spaß, den er sich her­aus­nimmt, ist aber eine gewich­ti­ge Verschiebung im Verständnis des gesam­ten Films aus der Rückschau. Genaueres ver­ra­ten wer­den soll hier aus Spoiling-Gründen nicht. Aber bit­te blei­ben Sie auf­merk­sam bis zum Abspann! Es könn­te sein, dass Sie „The United States of America“ danach gleich ein zwei­tes Mal sehen wol­len.“
Silvia Hallensleben | Der Tagesspiegel

Credits:

USA 2022, 98 Min., eng­li­sche OV (kaum Dialog)
Regie: James Benning

Trailer:
The United States of America | Clip | Berlinale 2022
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Stand up my Beauty

ein Film von Heidi Specogna. Filmgespräch mit Heidi Specogna am So., 22.5.22

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Nardos Wude Tesfaw hat­te Glück. Sie ent­kam dem Schicksal, das gut ein Drittel der Mädchen in Äthiopien trifft und wur­de nicht schon als Kind ver­hei­ra­tet. Statt des­sen schaff­te sie es als Jugendliche, durch Schwerstarbeit auf eige­nen Füßen zu ste­hen und schließ­lich zu machen, was sie kann und und will: Musik. Nardos singt in einem Club in Addis Abeba in der Azmari-Tradition, eine Art gesun­ge­nes Gespräch, und tourt aber auch mit ihrer Band Ethiocolor durch die Welt (und trat z.B. beim Jazz-Fest in Moers auf). Die Sängerin ist wohl bekannt, kann sich und ihre zwei Kinder finan­zi­ell aller­dings gera­de so durch­brin­gen.
Ihr Traum ist es, eige­ne Lieder zu zu schrei­ben, und Texte, die von der Situation der Frauen im Land han­deln, zusam­men mit der Dichterin Gennet in Musik umzu­set­zen. Dazu fährt sie durchs Land und spricht mit vie­len Frauen und Mädchen, die Zwangsverheiratung ist dabei ein zen­tra­les Thema.
Heidi Specogna beglei­tet ihre Reisen fünf Jahre lang, wobei die Grundlage dafür, sagt die Regisseurin, das gegen­sei­ti­ge Vertrauen war, das sich wäh­rend ihrer Recherche auf­ge­bau­te.
Gleichzeitig hält der Film die rasan­ten Entwicklungen in der Mega-Stadt Addis-Abbeba wäh­rend die­ses Zeitraumes fest.
„… Specogna macht kei­ne Bilder über die Köpfe der Frauen hin­weg. Vielmehr unter­läuft sie kon­se­quent jede euro­zen­tri­sche Perspektive, indem die Musik von Nardos den Rhythmus bestimmt, die Bilder sich an Gennets Poesie anschmie­gen und die Montage das Individuell-Biografische ein­fühl­sam mit der gesell­schaft­li­chen Perspektive zu ver­bin­den weiß. „Stand Up My Beauty“ fächert sich auf, lässt Raum für Prozesse, nur um sie im nächs­ten Moment zu Zeitbildern zu ver­dich­ten.“
Sebastian Seidler | Film Bulletin

Credits:

DE/CH 2021, 110 Min., amha­rische OmU
Regie: Heidi Specogna

Kamera: Johann Feindt
Schnitt: Kaya Inan

Trailer:
STAND UP MY BEAUTY – Offizieller Trailer (OV/d)
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Der schlimmste Mensch der Welt

ein Film von Joachim Trier.

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Welchen Weg will ich beruf­lich ein­schla­gen? Was soll ich stu­die­ren? Wann ist die Phase des Ausprobierens abge­schlos­sen? Und wie sieht es mit Partnerschaft und Familienplanung aus? Fragen über Fragen beschäf­ti­gen in Der schlimms­te Mensch der Welt die fast 30-jäh­ri­ge Protagonistin Julie (Renate Reinsve), die, wie uns ein Schnelldurchlauf zu Beginn vor Augen führt, gleich meh­re­re Arbeitsfelder erforscht. Medizin, Psychologie und Fotografie ver­set­zen sie kurz­zei­tig in Begeisterung. Wirklich fest­le­gen kann sich die jun­ge Frau jedoch nicht, jobbt daher zunächst wei­ter in einer Buchhandlung und ist genervt, wenn sie in jedem zwei­ten Gespräch nach ihren Ambitionen gefragt wird. Die Auswahlmöglichkeiten mögen so groß wie nie zuvor sein. Gerade das hemmt aller­dings auch die Entscheidungsfreudigkeit. Zudem spürt sie stän­dig Druck von außen.
Thema sind die­se Dinge nicht zuletzt in ihrer Beziehung mit dem rund 15 Jahre älte­ren Comicautor Aksel (Anders Danielsen Lie), der im Gegensatz zu ihr mit sei­nen pro­vo­kan­ten Arbeiten einen erfolg­rei­chen Karriereweg beschrei­tet. Er selbst fühlt sich in einer Lebensphase ange­kom­men, in der es lang­sam Zeit wird für eine eige­ne Familie. Julie hin­ge­gen glaubt, dafür noch nicht bereit zu sein, möch­te vor­her ande­re Erfahrungen sam­meln und zwei­felt des­halb zuneh­mend an ihrer Partnerschaft.“ Christopher Diekhaus | programmkino.de
„All dies geschieht so sou­ve­rän und klug, so selbst­be­wusst und vol­ler Respekt für Julie und all die Menschen, dass es eine hel­le Freude ist, sich auf die­sen Film und die­ses chao­ti­sche Leben ein­zu­las­sen — was auch, aber nicht aus­schließ­lich an Renate Reinsve liegt, die in der Rolle der Julie eine der viel­leicht bes­ten Entdeckungen der letz­ten Zeit ist. Sie hält die Balance zwi­schen Schönheit und Verunsicherung, zwi­schen Tragik und Komik, Alltagsbanalität und onto­lo­gi­scher Sinnsuche in einem schwan­ken­den Gleichgewicht, wie man ihn auf die­se Weise und dar­über hin­aus als Generationsbeschreibung nur sel­ten im Kino gese­hen hat.“
Joachim Kurz | Kino-zeit

Credits:

VERDENS VERSTE MENNESKE
NO 2021, 128 Min., norw. OmU
Regie: Joachim Trier
Kamera: Kasper Tuxen

Schnitt: Olivier Bugge Coutté
Mit: Renate Reinsve, Anders Danielsen Lie, Herbert Nordrum

Trailer:
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