Remi und Leo sind von klein auf beste Freunde. Sie besuchen die gleiche Schulklasse, verbringen Tag und manchmal auch Nacht miteinander, und jetzt, im Alter von 13 Jahren, planen sie eine gemeinsame Zukunft: Leo wird Manager des begabten Oboe-Spielers Remi, und sie reisen dann von Konzert zu Konzert durch die Welt. Wegen der offensichtlichen engen und liebevollen Beziehung der beiden stellen eines Tages Mitschülerinnen auf dem Schulhof die unschuldig-provokative Frage: „Seid ihr ein Paar?“ Leo ist verwirrt und verunsichert. Von einem Augenblick auf den anderen fühlt er sich von Remis Nähe bedrängt und möchte sich absetzen. Er wartet beim Schulweg nicht mehr auf den Freund und beginnt mit dem Training eines männlich konnotierten Sports, dem Eishockey. Remi versteht die Welt nicht mehr. Für ihn hat sich nichts geändert, und er weiß nicht, warum Leo ihn so offensiv ignoriert. Gruppenzwang und seine für andere oft verletzenden Folgen, die Frage nach Loyalität und dem eigenen Empfinden macht Lukas Dhont (der mit GIRL bereits einen einfühlsamen Film übers Erwachsenwerden vorstellte) hier zum Thema, das natürlich nicht nur Kinder und Jugendliche angeht. „So herzzerreißend diese Geschichte ist, inszeniert sie Dhont bedacht und zurückgenommen. Eine Tragödie zieht den Boden unter den Füßen weg, doch das Leben geht weiter, irgendwie. Und mit der Zeit lernt man, den Verlust anzunehmen, mit der Leerstelle zu leben, so die tröstliche Geste. »Close« ist in all seiner Sensibilität ein radikales Werk. Und zeigt im Porträt dieser intensiven Jungsfreundschaft auch, wie stark sich Geschlechterrollen in den jüngeren Generationen verändert haben. Ein Film wäre in dieser Fluidität noch vor zehn Jahren kaum denkbar gewesen.“ Thomas Abeltshauser | epd-Film
Credits:
BE/FR/NL 2022, 105 Min., frz. OmU Regie: Lukas Dhont Kamera: Frank van den Eeden Schnitt: Alain Dessauvage mit: Eden Dambrine Gustav De Waele Emilie Dequenne Léa Drucker
Trailer:
Trailer Close, OmU, französisch mit deutschen Untertiteln
Einer der schönsten und tröstlichsten Filme des Jahres – mit viel Empathie und ohne zu urteilen blickt er auf das Leben seiner Protagonistin zu einer Zeit, in der sich einige Dinge ändern. Sandra ist Dolmetscherin, alleinerziehende Mutter einer achtjährigen Tochter, aber zunächst vorwiegend selbst Tochter. Ihr Vater Gregory, in seiner aktiven Zeit geachteter Philosophieprofessor, leidet an einer seltenen, fortschreitenden neurodegenerativen Störung. Er vergisst Ort und Zeit und Gesichter; der Mann, der er einst war, ist nicht mehr da. Jetzt, wo er nicht mehr alleine zurechtkommt, müssen Sandra, ihre von ihm geschiedene Mutter und die aktuelle Freundin nicht nur ein Heim suchen, sondern ihn auch vom Umzug überzeugen und seine Wohnung auflösen – nachvollziehbar traurige, schreckliche Aktivitäten. Eine Odyssee durch Krankenhäuser und Pflegestationen beginnt, ein Ort erscheint schlimmer als der andere. Parallel dazu schafft Sandra es, sich in ihre erste Beziehung seit dem Tod ihres Mannes zu manövrieren. Clément ist ein früherer Freund der Familie, allerdings verheiratet mit Kind. Aus der anfänglichen Affäre wird mit der Zeit eine Romanze, und ein Hin- und Her von Trennung – „ich kann das nicht“ – und Rückkehr – „Ich kann nicht ohne dich“ – nimmt seinen Lauf. „… Hansen-Løves Filme sind Ensemblewerke vor allem deshalb, weil Figuren nicht autonom, sondern Knoten in einem Beziehungsgeflecht sind, das der Film nicht kreativ spinnt, sondern in das er sich einfach hineinlegt. Die Verbindungen scheinen immer schon da, noch bevor das durch sie Verbundene existiert. Hansen-Løve braucht keine ‚Establishing Shots‘ für ihre Szenen, weil sie gar nicht anders kann, als das Leben, das sie beguckt, als bereits etabliertes zu denken, das weiterläuft, immer weiterläuft. Keine Figur, in der das Drama ablaufender Lebenszeit nicht schon eingerechnet wäre, deshalb berühren sie mich mehr als solche, die für ein ganz bestimmtes Drama erst erfunden wurden. …“ Till Kadritzke, critic.de
Credits:
Un beau matin FR/DE 2022, 112 Min., frz OmU Regie: Mia Hansen-Løve Kamera: Denis Lenoir Schnitt: Marion Monnier mit: Léa Seydoux, Pascal Greggory, Melvil Poupaud, Nicole Garcia, Kester Lovelace
Das neue Jahr geht schon wieder ziemlich irre los, die Banshees treiben auf der schönen kleinen irischen Insel Inisherin offensichtlich ihr Unwesen. Hier bekommt man zwar nichts mit vom Bürgerkrieg, der 1923 im Land tobt, aber es gibt Möglichkeiten, sich auch so das Leben schwer zu machen. Colm kündigt seinem lebenslangen Freund Padraic aus heiterem Himmel die Freundschaft: kein gemeinsamer Pubbesuch, keine Musikabende, keine Unterhaltungen mehr über Schafe, Colms Hund und Padraics Esel. Wieso? Er sei langweilig, behauptet Colm. Aber das sei er schon immer gewesen, entgegnet Padraics Schwester Siobhan, und überhaupt sei hier sowieso jeder langweilig. Der geschasste Freund versteht es auch nicht und kommt immer wieder auf ihn zu, bis Colm für den Fall, dass der ihn nochmal ansprechen sollte, zu einer perfiden Drohung und drastischen Mitteln greift: er bestraft sich selbst. Alle irre, meint Siobhan und sucht das Weite, während die Gemeinschaft im Pub im Chor als Echo fungiert. „Nach Komödie mag sich das zwar nicht unbedingt anhören. Doch Martin McDonagh – der zuletzt mit THREEBILLBOARDSOUTSIDEEBBING, MISSOURI bewies, dass er das hervorragend kann – balanciert die im Grunde traurige Handlung höchst unterhaltsam mit sattem, schwarzem Humor aus und verliert die essenziellen Themen – vom Bedürfnis nach Freundschaft bis zur Angst vor dem Tod – nicht aus dem Blick.“ (Sascha Rettig, Viennale) Colin Farell bekam übrigens in Venedig den Darstellerpreis.
Credits:
GB/IR/US 2022, 109 Min., engl. OmU Regie: Martin McDonagh Kamera: Ben Davis Schnitt: Mikkel E.G. Nielsen mit: Colin Farrell Brendan Gleeson Kerry Condon Barry Keoghan
Leider immer noch oder immer wieder aktuell ist der Hintergrund von Florian Hoffmanns Spielfilmdebut. Grundschullehrer Khalil ist bestens integriert und lebt mit Freundin Leyla, einer Journalistin, in Berlin. Als sie ihm eines Tages ein aktuelles Kriegsvideo aus Cizre zeigt, glaubt er, darauf seine Schwester Senem zu erkennen. Eigentlich hat er mit der kurdischen Exilgemeinde nichts mehr zu tun, aber jetzt muss er dort um Hilfe bitten, um sie zu finden. Als Gegenleistung wird erwartet, dass er die bis dahin ignorierten Kriegshandlungen in den Medien unterbringt – keine leichte Aufgabe.
„Meine Reise mit diesem Film begann 2015 … Das türkische Militär hatte in einer Nacht- und Nebelaktion die kurdische Stadt Cizre umzingelt und eine Ausgangssperre über sie verhängt: Niemand durfte die Stadt betreten – keine Journalisten, keine Politiker, nicht einmal Krankenwagen. Die Bewohner von Cizre waren gefangen in ihrer eigenen Stadt. Kurz darauf begann das türkische Militär Cizre zu bombardieren. Was an diesem Fall besonders war: Die Militäroperation ging mit einer Medienstrategie einher. Die Stromverbindung der Stadt wurde gekappt, das Internet abgestellt und Störsender errichtet, die den Handyempfang der Bewohner verhinderten. Das türkische Militär wollte sichergehen, dass kein Bild dieser Geheimoperation die Stadt verlässt. Um mehr zu erfahren, musste ich selbst hinfahren. … nach 79 Tagen wurde die Ausgangssperre für wenige Tage aufgehoben. Ich fand eine zerstörte Stadt vor und sprach mit traumatisierten Einwohnern. Zugleich sicherte ich die Videos, die die Bewohner von Cizre heimlich mit ihren Handys gedreht hatten, und die Angriffe und Menschenrechtsverletzungen während der Ausgangssperre belegten. … Warum wird über manche Kriege berichtet und andere einfach übergangen? Oder anders gefragt: Was brauchen Kriegsbilder, um im Wettbewerb um Medienaufmerksamkeit konkurrieren zu können? Es wurde eine dreijährige Drehbuchrecherche. Doch das Herzstück von STILLEPOST sind die authentischen Handyvideos aus der kurdischen Krisenregion.“ Florian Hoffmann
Credits:
DE 2021, 94 Min., Deutsch, Türkisch, Kurdisch OmU Drehbuch & Regie: Florian Hoffmann Kamera: Carmen Treichl Schnitt: Marco Rottig mit: Hadi Khanjanpour, Kristin Suckow, Aziz Capkurt, Jeanette Hain, Mela Kanbak
Trailer:
Offizieller Teaser | „STILLEPOST” – Ab 15.12.2022 im Kino
Paris, 1981: Am Wahlabend herrscht Aufbruchsstimmung; beschwingt stürmen Frankreichs Bürger*innen die Straßen. Doch Élisabeth (Charlotte Gainsbourg) fällt es schwer, sich dem allgemeinen Optimismus anzuschließen. Ihre Ehe steht vor dem Aus, und sie wird die Familie alleine zusammenhalten müssen. Sie ist verzweifelt, sowohl ihr Vater als auch ihre halbwüchsigen Kinder fürchten, dass ihre Tränen nie versiegen werden. Was aber, wenn Élisabeth ihren Gefühlen folgt, um die sich ankündigende Leere zu füllen? Was, wenn sie aus einer Laune heraus dem Moderator ihrer liebsten Radiosendung einen Brief schreibt? Oder ein obdachloses Mädchen zu sich nach Hause einlädt? Was, wenn sie auf eine Weise zu handeln beginnt, die das Leben tatsächlich verändert? Nach Amanda richtet Mikhaël Hers seinen sensiblen Blick auf die 1980er-Jahre und auf die scheinbar alltäglichen Momente des Familienlebens, die einem jedoch für immer in Erinnerung bleiben. Eine nostalgische Selbsterfindungssaga, bevölkert von Figuren, deren Verletzlichkeit und Güte der Regisseur auf eine Weise würdigt, dass es in unserer meist von desillusionierten Antihelden begeisterten Filmwelt hervorsticht. Bei der Frage, wie unsere Gesellschaft funktioniert, vermag uns dieser intime und faszinierende Film eine Idee davon zu geben, warum Liebe wichtig ist.
„Der Berlinale-Wettbewerbsbeitrag „The Passengers Of The Night“ von Mikhaël Hers gehört zu dieser ganz besonderen Art von Filmen, in denen man sich völlig verlieren kann und von denen man sich im Grunde wünscht, sie mögen niemals zu Ende gehen. Ein Film, den man nicht schauen, sondern den man bewohnen möchte.“ Jochen Werner | filmstarts.de
Credits:
Les passagers de la nuit FR 2022, 111 Min., frz. OmU Regie: Mikhaël Hers Kamera: Sébastien Buchmann Montage: Marion Monnier mit: Charlotte Gainsbourg, Quito Rayon-Richter, Noée Abita, Megan Northam, Thibault Vinçon, Emmanuelle Béart, Laurent Poitrenaux, Didier Sandre, Lilith Grasmug, Calixte Broisin-Doutaz
Ein Hauch von Rebellion weht durch das kleine Schweizer Bergtal: ausgehend von Florian Eitels „Anarchistische Uhrmacher in der Schweiz“ erzählt Cyril Schäublin in seinem preisgekrönten zweiten Spielfilm über revolutionäres Streben, eine beginnende Romanze, dem Wesen komplizierter Handwerksarbeit und die Abhängigkeit von Zeit, Technik, Arbeit und Gewinn. Die UNRUH ist die Federspirale einer Uhr und mit ihrer Unruhe verantwortlich für die genau Abbildung des Zeitlaufs, nicht ihrer Messung. In dem Dorf mit der wichtigen Uhrenmanufaktur haben Gemeinde, Fabriken, Bahn und Post nämlich jeweils eigene Zeiten. So kann es passieren, dass man dadurch nach der Pause zwei Minuten zu spät zurück in der Fabrik ist, aber eine ganze Stunde abgezogen bekommt. Doch es regt sich Widerstand gegen die Arbeitsverhältnisse im Allgemeinen, die die Menschen zu sekundenabhängigen maschinenartig Schaffenden macht. Der russische Kartograph und Anarchist P. A. Kropotkin ist jedenfalls überrascht und fasziniert, als er 1877 ins Tal kommt. Einerseits schlägt ihn junge Uhrmacherin Josephine, die präzise und mit Leidenschaft Unruhen zusammensetzt, in den Bann, andererseits verfolgen sie und ihre Kolleg*innen schon länger die Idee der Anarchie und harren ihrer Umsetzung. Etwas Sabotage, eigene Publikationen, die Gründung einer Gewerkschaft und Solidaritätsaktionen mit Kollegen in fernen Ländern gehören dazu.
„Die meisten Ereignisse werden behandelt, als wäre man zufällig über sie gestolpert. Man lauscht … wie ein(e) Passant*in, im Vorübergehen hier und da ein paar Sätze aufschnappend. Die Kamera nimmt in „Unruh“ nie das Offensichtliche in den Blick. … Es geht um Menschen, aber eben auch um Ideen. Um Individuen, aber eben auch um Massen und Bewegungen. Es sind demokratische Bilder, die das Publikum für sich selbst ordnen darf. …Ein schillerndes, kluges Gesellschaftsporträt zwischen Spott und Empathie, Sanftmut und Zorn, Liebe und Revolution.“ Lucas Barwenczik | Filmstarts.de
Credits:
CH 2022, 93Min., Schweizerdeutsch/Französisch/Russisch u. a. OmU Regie, Drehbuch, Schnitt: Cyril Schäublin, Kamera: Silvan Hillmann mit: Clara Gostynski, Alexei Evstratov, Monika Stalder, Hélio Thiémard, Alice-Marie Humbert, Esther Flückiger, Alisa Miloglyadova, Elisaveta Kriman, Olga Bushkova
In seinem Job als Polizist verbirgt Cristi, dass er schwul ist. Dann wird die Einheit in ein Kino gerufen, in dem christliche Konservative gegen einen „unmoralischen“ lesbischen Film protestieren. Wenn er mit seinem französischen Freund Hadi alleine in der Wohnung ist, ist Cristi liebevoll und entspannt. Es wirkt, als besuchte der Pariser Cristi zum ersten Mal in Rumänien und auch, als wäre ihre Beziehung noch sehr frisch. Die beiden Männer turteln und kuscheln, Cristi kocht und erzählt von der Oma, die im Gefängnis war. Nur, wenn er sich unbeobachtet fühlt, schimmert durch, dass er auch nervös ist. Das wird deutlicher, als Hadi vorschlägt, sie könnten zusammen einen Ausflug machen. Cristi findet alle möglichen Gründe dagegen. In seinem Job bei der Gendarmerie, einer Art militärischer Polizei, hat Weichheit keinen Platz und egal, ob er mit den Kollegen quatscht oder von Protestierenden angeschrien wird, immer trägt er, so gut er kann, eine professionell emotionslose Maske. Doch an diesem Abend wird seine Einheit in ein Kino gerufen, in dem christliche Konservative gegen einen „unmoralischen“ lesbischen Film protestieren, und als ein Bekannter Cristi aus den Clubs wiedererkennt, schlägt er ihn ins Gesicht und gerät so erst recht ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Der etablierte Theaterregisseur Eugen Jebeleanu hat für seinen Debütfilm ein Kammerspiel effektiv mit den Mitteln des Kinos angereichert. Der Film setzt sich aus mehreren langen Dialogszenen zusammen, in denen die Handkamera durch den Raum kreist, als wäre sie selbst ständig in Gefahr, im Gewühl der Schreienden mitgerissen zu werden, und dann ganz nah rangeht, wo sich in kleinen Bemerkungen und Gesichtsregungen die wahre Geschichte zuträgt. So entsteht ein großes Drama aus kleinen Momenten. Conrad Mericoffer spielt dabei gelungen Cristis innere Konflikte wie auch die Wutausbrüche, hinter denen er sie vor seinen Kollegen versteckt. Man hofft, er könne irgendwann zu sich, seinen Gefühlen und Hadi stehen, aber die subtile, allgegenwärtige Homophobie scheint auch ihn zu durchtränken. Ob er an ihr zerbricht oder nach dieser Nacht zuhause wieder zur anfänglichen Liebe findet, bleibt unklar. Aber der Film gibt die Hoffnung nie ganz auf. Text: Christian Klose | Indiekino.de
Credits:
RO 2020, 81 Min., rumänische OmU Regie: Eugen Jebeleanu Kamera: Marius Panduru Schnitt: Cătălin Cristuţiu mit: Conrad Mericoffer, Alexandru Potocean, Radouan Leflahi, Cendana Trifan, Ionuţ Nicolae, Alex Câlin, Rolando Matsangos, George Piștereanu
In einem entlegenen Schweizer Alpendorf greift der zugezogene Marco dem Bergbauern Alois unter die Arme, auch beim Stammtisch lernt man den stämmigen Eisteetrinker langsam schätzen. Anna wiederum kommt ursprünglich aus dem Dorf, ihre Tochter stammt aus einer früheren Beziehung. Dass die neue Liaison mit Marco klappen wird, bezweifeln so manche. Marco und Anna nicht, sie heiraten. Ihre Liebe ist behutsam und schön, sie beschwören sie mit einfachen Worten, können sie nicht fassen. Doch bald scheint Marco immer öfter die Kontrolle über seine Impulse zu verlieren … Romeo und Julia, modern interpretiert in den Schweizer Alpen: in Michael Kochs beeindruckendem zweiten Spielfilm kommen eine menschliche Tragödie und die epische Natur der Schweizer Bergwelt auf einzigartige Weise zusammen. DREIWINTER wurde auf der diesjährigen Berlinale mit einer lobenden Erwähnung ausgezeichnet.
„Mir war wichtig, nicht das Schweizer Postkartenbild der idyllischen Bergwelt zu wiederholen, das immer wieder in einheimischen Filmen zu sehen ist. Ich wollte eine andere Landschaft in den Vordergrund rücken. Im Kanton Uri herrscht durch diese engen Täler und steilen Hänge, diese eher raue Natur, nochmals eine andere Energie. Hier leben viele Einheimische noch von der Berglandwirtschaft. Sie beackern das ganze Jahr hinweg das Land, auf dem sie wohnen und sind dadurch eng mit der Natur und der Bergwelt verbunden. Dieser Hintergrund wirkt sich auch darauf aus, wie sie mit gewissen Dingen umgehen, die im Leben nicht zu kontrollieren sind. Weil sie vielleicht die Erfahrung machen, dass die Natur sich immer wieder der menschlichen Kontrolle entzieht und man sich damit arrangieren muss. Gelassen hinnehmen, was nicht in unserer Macht steht, ist glaube ich eine Qualität, die bei vielen Berglern anzutreffen ist. Und eine Haltung, die mich interessiert.“ Michael Koch
Credits:
Drii Winter CH/DE 2022, 136 Min. schweizerdeutsche OmU Regie, Buch: Michael Koch Kamera: Armin Dierolf Schnitt: Florian Riegel mit Michèle Brand, Simon Wisler, Elin Zgraggen, Daniela Barmettler, Josef Aschwanden
Trailer:
Drei Winter (offizieller Trailer) – ein Film von Michael Koch
Vom 21. bis zum 30. November findet in Kinos und Festivalräumen von Berlin und Warschau die zweite Ausgabe des Filmfestivals 610 Berlin – Warszawa statt. Zur Eröffnung lädt das festival unsere Gäste zu einer Reise mit dem Kulturzug auf der Strecke Berlin-Warszawa-Berlin ein. Filmemacher, Journalisten und Ehrengäste treffen sich an Bord, um über Kino, Kultur und die deutsch-polnischen Beziehungen zu sprechen. Die Vorführungen des Hauptfestivals starten am 23. November – dann wird zum ersten Mal ein deutscher Film in Kinoteka in Warschau und zur gleichen Zeit polnisches Kino im Club der polnischen Versager in Berlin gezeigt.
Im Mittelpunkt der diesjährigen Warschauer Ausgabe des Festivals steht die Frau – als Künstlerin und als Protagonistin. Wie kann man sich in einem norddeutschen Dorf unabhängig machen, wie findet man sich in den Realien der Großstadt zurecht, wie entkommt man der deutschen Provinzialität und lässt sich zum Kampf in kurdischen Frauenbataillonen aufstellen – das sind nur einige der Geschichten, die deutsche Regisseurinnen erzählen. Gelegenheit zum direkten Gespräch zwischen dem polnischen Publikum und den Filmemacherinnen bieten Podiumsdiskussionen, die im Rahmen des Festivals stattfinden.
Die Auswahl polnischer Filme in Berlin zeigt unbequeme Bilder, es werden gesellschaftliche Themen aufgegriffen: der polnische Katholizismus, das multikulturelle Trauma des Zweiten Weltkrieges, die Globalisierung und die Frauenbewegung der letzten Jahre. In Dokumentar‑, Spiel- und Kurzfilmen wird der polnische Alltag ungeschminkt gezeigt.
Wir sind davon überzeugt, dass das diesjährige Festivalprogramm nicht nur ein anspruchsvolles künstlerisches Niveau bietet, sondern auch die Chance gibt, die kulturellen, gesellschaftlichen, politischen und emotionalen Komplexitäten in uns und unseren Nachbarn kennenzulernen und sich darüber Gedanken zu machen. Über zwei Völker und Kulturen, die sich so nah und gleichzeitig so fern sind.
2021 / Polen, Italien, Tschechien / 113 min / OmdU
Wenn sich die Brutalität des Lebens hinter der Staffage einer vermeintlichen Idylle verbirgt, und wir nicht einmal das wahrnehmen wollen, was uns beunruhigt und Angst macht – dann fürchten wir uns meistens vor der Wahrheit.
Anna und Adam sind ein gut situiertes Paar in den Dreißigern. Reisen, gute Abendessen und Sex ohne Liebe sind ihre Lebensrituale. Gerade hat ihr lang erwarteter Urlaub auf Sizilien begonnen, aber vor Ort stellt sich heraus, dass in dem von ihnen gemieteten Haus am Meer kein Wasser im Pool ist. Als nach einem Streit mit dem Besitzer ein junger Mann auftaucht, der den Schaden reparieren soll, kommt es zu einem tödlichen Unfall. Die Urlaubsidylle wird zum Horror. Wer war dieser Mann und warum hat ihm niemand geholfen? Warum schweigt die örtliche Gemeinschaft, und warum werden die Aufzeichnungen der Überwachungskameras – wie schweigende Zeugen – ignoriert?
Agnieszka Woszczyńskas Debütfilm ist eine leise Anklage der Welt, in der wir leben. Er erzählt davon, wie wir vor dem Bösen in unserem Umfeld und gegenüber zeitgenössischen Tragödien afrikanischer Flüchtlinge die Augen verschließen.
Zwei Frauen und zwei Welten, die so weit voneinander entfernt sind, dass man kaum glauben möchte, dass beide Protagonistinnen in demselben Land leben.
Der „Wandel zum Guten“ war der Wahlkampfslogan der Partei Recht und Gerechtigkeit – der Regierungspartei, die seit sieben Jahren in Polen an der Macht ist. Er war die rechts-populistische Antwort auf die neoliberale Politik der vorherigen Regierung und hat das polnische Volk radikal polarisiert. Konrad Szołajskis Film erzählt von diesem politischen Phänomen aus der Sicht von zwei Frauen. Marta und Tita empfinden sich beide als Patriotinnen, doch für die eine ist Patriotismus national und katholisch, für die andere europäisch und liberal. Nominell sind das zwei politische Lager, real ist das ein Krieg der Sterne. Marta und Tita führen ihr Leben auf verschiedenen Seiten der politischen Barrikade in ein und demselben Land – in Polen, das zwei Gesichter hat.
Der gesellschaftspolitische Dokumentarfilm von Konrad Szołajski zwingt zum Nachdenken über die Radikalisierung des gesellschaftlichen Lebens im heutigen Polen und die Konsequenzen, die sich daraus für die internationalen Beziehungen ergeben.
Manchmal muss man über ernste Dinge mit einem Augenzwinkern sprechen, mit der Ironie eines Narren. Einfachste Fragen stellen und damit die Welt in ihrer Ungreifbarkeit offenlegen und sie furchtlos in ihrer ganzen Blöße zeigen.
Eine kleine Gruppe tschechischer Protestanten besucht Polen, weil sie das nationale Phänomen des Katholizismus verstehen will. Es handelt sich um ein Filmteam, an dessen Spitze Karel steht, ein Atheist. Mit der Dickköpfigkeit eines Esels durchqueren sie das Land kreuz und quer, zwischen Sacrum und Profanum. Sie begegnen der Freude der christlichen Erweckung und pädophilen Abgründen, dem Glauben im Alltag und dem nationalen Charakter der polnischen Kirche, dem Phänomen der Beichte und der Gefühlserregung durch die Glaubenserfahrung …
In ihrem Film nehmen uns die Künstler mit auf eine ungewöhnliche Reise durch das Polentum. Gleichzeitig handelt es sich um einen Dokumentarfilm über die Entstehung und Grenzen von Dokumentarfilmen, über Wege zur Wahrheit und über den zarten Grat zwischen Manipulation und Epiphanie.
Obwohl uns die Namen der Künstler vielleicht nicht viel sagen, sind ihre Kompromisslosigkeit und ihre mutige Sicht auf die Wirklichkeit ein Beweis für ihre enorme Sensibilität und ihr Verantwortungsgefühl für die Welt, in der wir leben.
Grzegorz Paprzycki porträtiert in seinem Film My country so Beautiful rechtsextreme Kampftruppen. Der Animationsfilm Chrystus Narodu von Ewa Drzewiecka ist eine ironische und kritische Betrachtung der Fundamente der polnischen Kultur und ihres Sacrum. In Krzyżoki entfaltetAnna Gawlita ein faszinierendes Bild eines Osterbrauchs auf dem Lande bei Opole, und Miłość bezwarunkowa von Rafał Łysak ist eine bewegende Geschichte über eine fromme Großmutter und ihren homosexuellen Enkelsohn.
Diese jungen Künstler betrachten nationale Fragen, über die bisher geschwiegen wurde, und sie greifen sensible Themen auf, die abweichen von der offiziellen Linie der Kulturförderung.
Krzyżoki | Eastern Riders | Der Osterritt
Regie: Anna Gawlita
PL 2018, 20 min, OmeU
Miłość bezwarunkowa | Unconditional Love | Bedingungslose Liebe
Regie: Rafał Łysak
PL 2020, 40 min, OmeU
Chrystus Narodu | Christ of the Nation | Christus der Nation
Regie: Ewa Drzewiecka
PL 218, 9 min
Mój kraj taki piękny | My Country, So Beautiful | Mein Heimat ist so schł
Die Europäische Kommission hat Polen die sechste Tranche der Strafzahlung für die fehlende Umsetzung des Entscheides des Gerichtshofes der Europäischen Union von Juli des vergangenen Jahres abgezogen. [RZECZPOSPOLITA, 27.10.2022]
Polens Rechnung für sein System der Disziplinarverfahren gegen Richter beträgt bereits 329 Millionen Euro. Und der Zähler läuft weiter.
[RZECZPOSPOLITA, 28.10.2022]
Worum geht es hier eigentlich? Wer ist Richter Igor Tuleya? Wer sind die anderen Richter in Kacper Lisowskis Film? Die Richter, deren Kompetenzen von der polnischen Regierung infrage gestellt werden, obwohl ihnen keine Berufsverbot erteilt wurde?
Seit 2017 wird in Polen über die Unabhängigkeit der polnischen Gerichtsbarkeit und die Faktizität der Dreiteilung der Macht gestritten. Die Vereinnahmung durch politische Parteien und die daraus folgende Manipulation sowie der Druck seitens der Regierungspartei auf die allgemeinen Gerichte sind beunruhigend, weil sie die Fundamente der Demokratie angreifen. Mit der Einrichtung einer Disziplinarkammer durch PiS – einer bewertenden? kontrollierenden? überwachenden? – stößt das juristische System auf entschiedenen gesellschaftlichen Widerstand in Polen und auf finanzpolitischen Widerstand in Brüssel.
Der Dokumentarfilm von Kacper Lisowski versucht, den vorliegenden Sachverhalt aus gesellschaftlicher und emotionaler Perspektive zu rekonstruieren und die Richter, die ihren Beruf nicht ausüben können, sprechen zu lassen. Es wird sich auch Gedanken über ethische Werte und die Obsession der Kontrolle gemacht.
WESEלE ist einer der am stärksten dystopischen und kontroversen Filme des polnischen Kinos. Er zeigt ein beängstigendes Bild vom Zerfall einer Familie und von den Grenzen der Liebe, das Ende der Menschlichkeit und den globalen Wahnsinn in einer provinziellen Wirklichkeit.
Ryszard Wilk ist ein lokaler Geschäftsmann, ein reicher und korrupter Besitzer einer Schlachterei, für den es nichts gibt, was nicht zu beschaffen wäre. Als seine geliebte Tochter heiratet, muss die Hochzeit pompös sein und mit allem Pipapo. Aber an diesem Tag geht in seinem Leben alles schief. Ein Deal mit einem deutschen Geschäftspartner platzt, ein skrupelloser Erpresser will die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in der Schlachterei öffentlich machen, und dann tauchen, kurz bevor Wilk die Kirche betreten will, auch noch zwei Vertreter der israelischen Botschaft mit der Nachricht auf, dass der betagte Senior der Familie einen Verdienstorden erhalten soll. Wilk steht Kopf, um eine Katastrophe zu verhindern. Doch an diesem Tag sind die Dämonen der Vergangenheit und des Alltags nicht unter Kontrolle zu bekommen.
Dieser Film fährt die gesamte Palette auf, die das Leben eines provinziellen tyrannischen Statthalters beinhaltet, und imponiert mit der Fülle an gesellschaftlich-historischen Motiven. Regisseur Wojciech Smarzowski erzählt bravourös und atemlos einen Tag des polnischen Universums, ohne Grenzfragen wie den Nationalstolz und die unbefleckte Empfängnis zu fürchten.
Zweifellos hat sich der neue polnische Feminismus, der durch die Verschärfung des Abtreibungsrechts entstanden ist, nicht nur in Straßenprotesten der Frauen niedergeschlagen, sondern auch in den Werken von Studentinnen der Filmhochschule Łódź. Die Entdeckung der Weiblichkeit aus einer nichtanatomischen Perspektive, aber als Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, als Erfahrung von Schönheit und Schmerz und als unabhängiges Streben nach Selbstverständnis – das sind nur einige Motive dieser kurzen Geschichten, die sich die Frage Wer bin ich? stellen.
Unterschiedliche Stile, verschiedene Erzähltemperaturen, eine Reise durch Farben und Licht, durch Sinnlichkeit und Einfachheit, Verwunderung und Rührung, Wut und Nachsinnen – für den Zuschauer ist das ein echtes filmisches Festmahl und eine Begegnung mit einer Welt der Frauen, die voller Zweifel ist.
Neulich beim Aqua-Fitness gab es zur Unterstützung des Takthaltens eine besonders scheußliche Disko-Techno-Version, gestern auf der Strandpromenade an der Ostsee eine verhaltene mit Solo-Trompete: HALLELUJA ist überall. Kaum eine Hochzeit, Beerdigung, Casting-Show, Straßenmusikerin kommt mehr ohne eine – textlich gerne entschärfte – Version aus, und Musikerinnen, die was auf sich halten, reichern ihre Auftritte damit an, ebenso myriaden TV-Sendungen, Serien, Shows und Filme. Was ist mit diesem Song, der offensichtlich die meisten Menschen rund um den Globus zu rühren vermag? Der Film erzählt die Geschichte des Liedes, das Leonard Cohen beim Schreiben über Jahre auf metaphysischer Suche Strophe auf Strophe, die genaue Anzahl bleibt im Dunkeln, verlängerte. Die Annäherung an den Poeten und Sänger über ein einziges Lied, vielleicht sein, so legt der Film nahe, wichtigstes, ist hier sehr schlüssig, aber nicht das einzig Interessante. Von Menschen, die dem Musiker nahe standen und mit der Entstehung oder dem Song allgemein zu tun hatten, hören wir von der unglaublichen Veröffentlichungsgeschichte, wie der Song trotzdem in die Welt kam und von wem. Dazu gibt es einige kluge Kommentare und Überlegungen zum Musikgeschäft allgemein und darüber hinaus. Meine Lieblings-Interpretation von HALLELUJA ist übrigens nach wie vor die von John Cale von 1991, trotz einiger hübscher unter den Aufnahmen, die im Netz zu finden sind. „Kann man das Genie eines so vielseitigen Dichters, über dessen Leben es knapp 20 Filme gibt, auf einen Song konzentrieren? Die erstaunliche Antwort gibt dieser Film, der es schafft, die wichtigsten biografischen Wendepunkte zu erwähnen und doch im Kern nur die Geschichte von »Hallelujah« zu erzählen. Dabei ist es erstaunlich, …, wie wechselvoll Cohens Beziehung zu seinem eigenen Lied war und wie er sich am Ende damit rettete.“ epd-film
Hallelujah: Leonard Cohen, a Journey, a Song
Credits:
USA 2021 116 MIn., engl. OmU Regie & Buch: Daniel Geller, Dayna Goldfine Kamera: Dan Geller Schnitt: Dayna Goldfine, Bill Weber, Dan Geller
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