November 2021: 26 Kunstschätze des Königreichs Dahomey verlassen Paris und kehren in ihr Herkunftsland, das heutige Benin, zurück. Zusammen mit Tausenden anderen Gegenständen wurden sie 1892 von französischen Kolonialtruppen geraubt. Doch wie sollen die zurückkehrenden Objekte empfangen werden, in einem Land, das sich während ihrer Abwesenheit stark verändert hat? Unter den Studierenden der Universität von Abomey-Calavi in Benin entflammt eine politische Debatte.
Berlinale 2024: Goldener Bär
Credits:
FR/SN/BJ 2024, 67 Min., Französisch, Fon, Englisch OmU Regie: Mati Diop Kamera: Josephine Drouin Viallard Schnitt: Gabriel Gonzalez
Ein Film von Tuna Kaptan. Ab 26.9. im fsk. Der Regisseur und der Kameramann stellen ihren ausgezeichneten Film (57. Hofer Filmtage 2023 – Förderpreis Neues Deutsches Kino; 21. Neisse Filmfestival – Publikumspreis) bei uns persönlich vor, am 1.10.24
Ist es das schlechte Gewissen, hilflose Panik, Einsicht oder Angst vor den Konsequenzen, was den Architekten Lutz dazu bringt, die 14-jährige Irsa zurück nach Albanien zu bringen? Nach der Pleite seines eigenen Büros bekam von einem Kollegen gnadenhalber einen Job als Bauleiter bei einem Projekt für Luxuswohnungen. Auch alle erforderlichen Maßnahmen jenseits der Grauzone, die zur Einhaltung von Terminen und Ausgaben nötig sind, fallen in seinen Aufgaben- und Verantwortungsbereich, so auch, wie hier, Unfälle. Ein illegal beschäftigter Bauarbeiter aus Albanien verunglückt tödlich und muss unauffällig beseitigt werden. Überraschend jedoch verschafft sich am nächsten Tag Irsa, die junge Tochter des Mannes, dessen Leiche Lutz gerade im Fluss versenkt hat, Zugang zur Baustelle. Während er gerade mit einem Investoren-Paar verhandelt und Aussicht auf einen beruflichen Neustart im großen Stil wittert, lässt sie nicht locker bei der Suche nach dem Vater. In die Enge gedrängt, macht er sich mit dem Mädchen auf Richtung Süden. Angenehm zurückhaltend, ohne spektakuläre Szenen erzählt erzählt der Film von ungeheuerlicher, aber alltäglicher Realität: „Die Baubranche mit ihren vielen illegal beschäftigten unsichtbaren ArbeiterInnen bildet die Kulisse für Lutz und Irsa. Der tragische Unfall in der Hafencity Hamburg im November 2023 mit fünf Toten verdeutlicht die Vulnerabilität illegal beschäftigter MigrantInnen, insbesondere derer aus Herkunftsländern, die weder EU- noch Schengen-Mitglied sind. Irsas Suche nach ihrem Vater und ihrem Grundbedürfnis nach einem Dach über dem Kopf stehen im krassen Kontrast zu Lutz‘ Streben nach beruflichem Erfolg. Die erzwungene Verbindung zwischen ihnen wirft Fragen nach Schuld und dem System der Ausbeutung auf…“ Tuna Kaptan
Credits:
DE 2023, 86 Min., Deutsch, Englisch, Albanisch mit dt. UT Regie: Tuna Kaptan Kamera: Ben Bernhard Schnitt: Beatrice Babin mit: Angjela Prenci, Peter Schneider
Nach Das merkwürdige Kätzchen geht es im Ramon Zürchers dritten Teil der „Tier-Trilogie“ erneut um das Konstrukt von Familie, genauer, um deren folgenreiche Zumutungen. Am Vorabend einer Geburtstagsfeier im Anwesen der verstorbenen Eltern, in das Karen mit Mann und Kindern eingezogen ist, trudeln mit ihre Schwester Jule samt Anhang bereits die ersten Gäste ein. In den folgenden ersten Zweidritteln des Films zelebriert er trotz aller großer-Freude-Bekundungen und mehr oder weniger herzlicher Umarmungen die Zerlegung der Beziehungen sowie die Beschädigungen der Einzelnen aufs Böseste – ein Glanzstück analytischer Gemeinheit. Temporäre Solidarisierungen und all‘ die toll zubereiteten Gerichte, Kinderspiele, die Tiermenagerie und romantische Abendidylle mit Lichterkette und Glühwürmchen und Swimmingpool im Garten kaschieren da wenig, zumal auch das Haus die Vergangenheit in sich trägt. Die Insel im See hat sowieso schon vor den Kormoranen kapituliert. Je länger der Abend dauert, desto surrealer wird es, und mit etwas Fantasie, viel Schlaf, Träumen und dem ein oder anderen reinigenden Feuer scheint es, als könnten sich am nächsten Tag einige Knoten auflösen. „… präzise inszeniert und gespielt, mit Witz und Ironie erzählt. …“ programmkino.de „Der Spatz im Kamin ist so elegant und raffiniert wie seine beiden Vorgängerfilme und bisweilen auch ähnlich vergnüglich. Zugleich aber gelingt es Ramon Zürcher mit seinen hervorragenden Darstellerinnen und Darstellern ein neues Gleichgewicht des Charmes und des Schreckens zu schaffen, das unter die Haut geht.“ Sennhausers Filmblog
Credits:
CH 2024, 117 Min., deutsche Originalfassung mit englischen Untertiteln Regie & Schnitt: Ramon Zürcher Kamera: Alex Hasskerl Produzent: Silvan Zürcher mit: Maren Eggert, Britta Hammelstein, Luise Heyer, Andreas Döhler, Milian Zerzawy, Lea Zoe Voss, Ilja Bultmann, Paula Schindler, Luana Greco
Charly Hübner hat einen Film über ELEMENTOFCRIME gedreht. Dieser Film erzählt die Geschichte und Gegenwart von ELEMENTOFCRIME, es geht um Musik, Freundschaft, eine Haltung zur Welt und über das Geheimnis, wie man über 30 Jahre zusammen Musik macht. Er folgt der Band auf einer kleinen Tour durch Berlin, die eigens zu diesem Zweck organisiert wurde und die vom kleinen Privatclub über SO36, Lido, Admiralspalast zu größten Konzert im OpenAir der Zitadelle Spandau führte, immer mit ausgesuchtem Support. Es ist ein Heimatfilm, dabei auch etwas nostalgisch. Es gibt viel 80er/90er und SO 36, nicht mehr existierende Punkte in Schöneberg, Cafe Swing, Risiko, Kob und berichtet aus der Zeit, als es nicht cool war, eine Band aus Berlin zu sein, sondern nur noch Klischee. Wie man die NDW überlebte, wie die unterschiedlichen Richtungen und Schwerpunkte der einzelnen Bandmitglieder zusammenkamen. Was wichtig war, ein bisschen Eingemachtes, wie Musik gemacht und wie gelebt wurde, und wie sowas heutzutage nur noch als Phrase existiert. Für alle, die dabei waren, hätten dabei sein, oder einfach nur mal schauen und hören wollen. Bemerkenswerterweise werden die Tracks fast durchweg – eine Seltenheit in Filmen mit Thema Musik – ausgespielt! „Ein Film über uns und dann auch noch auf Tournee, das hat etwas von Tierfilm und wir dann die Tiere, da muss man auf einen guten Regisseur hoffen und das ist Charly Hübner. Wir wussten, er liebt die Band, wir vertrauten ihm und wir hatten Recht damit. Der Film ist toll, ganz anders, als erwartet, und das sind immer die besten Filme.“ Sven Regener
Credits:
DE 2024, 93 Min., Regie: Charly Hübner Kamera: Casey Campbell Schnitt: Christoph Brunner mit: Sven Regener, Jakob Ilja, Richard Pappik und Maike Rosa Vogel, Florian Horwarth, Isolation Berlin, Von wegen Lisbeth, Steiner & Madlaina, Ansa Sauermann
Trailer:
ELEMENTOFCRIME in ‚Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin‘ | TRAILER – Jetzt für zuhause
Russell Crowe könnte es sich mal so richtig gemütlich machen, stattdessen werden ihm immer wieder Rollen anvertraut, die psychisch wie physisch extrem fordern, z.B. als Exorzist des Vatikans. Oder in Sleeping dogs, als ehemaliger Cop der Mordkommission, der unter Alzheimer leidet und nach einer anstrengender Behandlung in seinen eigenen vier Wänden aufwacht und zurück in die Wirklichkeit finden muss. Dabei hilft ein Anruf, es geht um einen alten Fall, der damals überführte Täter sitzt in der Todeszelle, aber nicht mehr lange. Roy Freeman (Crowe) wird gebeten, sich an das Verbrechen zu erinnern, denn vielleicht wird ein Unschuldiger hingerichtet. Freeman versucht zu begreifen, wer er war und was es mit dem Fall auf sich hatte. Die Fetzen der Erinnerung fügen sich langsam zu einem Bild zusammen. Es ist das opulente Gemälde eines Blutbades. Einmal in Bewegung gesetzt, hört das Rad nicht mehr auf, sich zu drehen. J. Remis, der alte Partner aus der der Mordkommission taucht auf, die Wissenschaftlerin L. Baines kannte das Opfer Dr. Wieder nicht nur aus Arbeitszusammenhängen sehr gut, ihr Liebhaber H. Greenwood war darüber mehr als irritiert. Kurz, die Szenerie belebt sich rasant. Während Freeman ursprünglich vorhatte, sein Gedächtnis zu trainieren, ist er in Wirklichkeit längst dabei, akribisch Teile eines Puzzles zusammenzufügen, in einem Film Noir mit ungewissem Ausgang, an dessen Ende er aber die Fähigkeit, sich wieder erinnern zu können, verfluchen wird.
Credits:
DE 2023, 90 Min., engl. OV Regie: Adam Cooper Kamera: Ben Nott Schnitt: Matt Villa mit: Russell Crowe, Karen Gillan, Marton Csokas, Tommy Flanagan, Thomas M. Wright
Trailer:
SLEEPINGDOGS | Official Trailer (Russell Crowe) | Paramount Movies
Die Filmemacherin Farahnaz Sharifi porträtiert in My stolen planet ihr Leben, geprägt durch die Machtübernahme der Mullahs im Iran 1979. In ihrem Geburtsjahr fand die Revolution statt und die Monarchie wurde weggefegt. Genauso wie die Hoffnungen der demokratischen Kräfte, die nach den Hinrichtungswellen gegen die Mittäter des Schah-Regimes in den Focus des neuen Regimes gerieten und genauso eliminiert wurden. Der Wechsel von einer Diktatur in die nächste wurde extrem schnell vollzogen, Farahnaz wuchs in einer schizophrenen Welt auf, zu hause wurde getanzt, gesungen, gelebt, sich auf Augenhöhe begegnet. Draußen vor der Tür war all das verboten, draußen tanzte nur die Doppelmoral. Die Jin-Jiyan-Azadî-Bewegung scheint Jahrzehnte später alles verändern zu können, setzt Mut und Hoffnung frei. My stolen Planet ist ein opulentes, scharfsinniges Werk voller Bilder, denn die Regisseurin wuchs mit Kameras auf, machte hemmungslos Gebrauch davon und entführt in die geheime, private Welt ihrer Familie. Außerdem hat sie Trödelläden durchsiebt und Amateurfilme mitgenommen, die ebenfalls von dieser Welt hinter verschlossenen Türen handeln. Mit den Protesten öffnen sich diese Türen, die Ereignisse überschlagen sich. Für mich der beeindruckendste Film der letzten Berlinale.
„Schon als Kind erlebt Farahnaz Sharifi den Alltag im Iran getrennt in ein privates und ein öffentliches Leben, die so weit voneinander entfernt liegen, wie zwei unterschiedliche Planeten. Auf ihrem Heimatplaneten im Kreis von Familie und Freund*innen kann sie tanzen, singen, lachen und weitestgehend frei von den zahlreichen Einschränkungen und Repressionen des Regimes leben. Sie entwickelt eine Faszination für private Aufnahmen, die eine Realität des Irans abbilden, welche die Machthaber gewaltsam zu unterdrücken versuchen. Super 8 Videos von Geburtstagsfeiern und Familienurlauben werden zum Beleg für Verstöße gegen das Verbot von Tanzen, Trinken, weiblichen Stimmen, unverschleierten Frauen. Sie bewahren die Erinnerung daran, dass es eine Alternative zur bestehenden islamistischen Ordnung gibt. Sharaifi sammelt die Aufnahmen von Unbekannten, um sie vor dem erzwungenen kollektiven Vergessen zu bewahren.“ (Lea Gronenberg, Filmlöwin)
Sylvia arbeitet als Pflegerin, ist alleinerziehende Mutter einer wunderbaren Tochter, hat die Alkoholsucht hinter sich gelassen und ein gutes Verhältnis zu ihrer Schwester und Menschen um sich herum, die sie schätzen und mögen. Doch tief in sich trägt Sylvia ein tiefes Trauma. Als sie von einem Klassentreffen nach Hause geht, wird sie von einem fremden Mann verfolgt. Dieser Mann heißt Saul und leidet unter dem Anfangsstadium der Demenz. Und auch wenn das erste Zusammentreffen der Beiden unter keinem guten Stern steht, nähern sich Sylvia und Saul langsam an. Denn sie spüren, dass sie eine große Verletzlichkeit verbindet. Dem Film gelingt es, die Annäherung dieser beiden „verlorenen Seelen“ und die Liebesbeziehung in einer unglaublich anrührenden Zartheit zu inszenieren.“
Aus der Jury Begründung der Filmbewertugsstelle – FBW: „Dabei ist MEMORY von ganz eigener, auch visueller Eleganz. Francos Film wirkt wie aus einem Guss. Tatsächlich zeichnet Franco für Regie, Buch und auch Schnitt verantwortlich. Und auch die Kamera folgt dem Konzept des Films. Bis auf wenige introduzierende Großaufnahmen zu Beginn, beschränkt sich Francos Leib-und Magen-Kameramann Yves Cape maximal auf Halbtotalen, die das Publikum Sylvia und Saul niemals zu nahe kommen lässt. MEMORY nimmt sich Zeit und Raum für die Gefühle seiner Protagonisten, traut sich, psychische Erkrankungen ernst zu nehmen, verliert sich aber nicht in Rührseligkeit. Dramaturgisch geschickt ist MEMORY von Anfang an unterschwellig so spannend angelegt, dass die Jury keine Sekunde hätte versäumen wollen. In der Tat hat die Jury selten ein an sich sperriges Thema mit so viel Eleganz, bildlicher Ästhetik und Dramaturgie so überzeugend für die Leinwand inszeniert gesehen.“
Credits:
US, MX 2023, 103 Min., engl. OmU Regie: Michel Franco Kamera: Yves Cape Schnitt: Oscar Figueroa Jara, Michel Franco mit: Jessica Chastain, Peter Sarsgaard, Merritt Wever, Brooke Timber, Josh Charles
Ein Film von Ruth Beckermann. (Am Montag, 23.9. gibt es nach der Vorstellung ein Life-Zoom-Gespräch mit der Lehrerin Ilkay Idiskut. Filmbeginn ist um 17:45 Uhr.)
Über drei Jahre begleitet die Filmemacherin Ruth Beckermann eine Klasse im Alter von sieben bis zehn Jahren und ihre engagierte Lehrerin in einer großen Schule im Wiener Bezirk Favoriten. Der Film nimmt uns mit in den Unterricht und lässt uns die täglichen Abenteuer, Kämpfe, Niederlagen und Erfolge der Kinder ganz nah miterleben. Der Stadtteil Favoriten war einst ein Arbeiterbezirk, heute spricht ein Großteil der Kinder an den dortigen Grundschulen nicht Deutsch als Erstsprache. Mit großer Sensibilität begleitet der Film die Kinder, während ihre Lehrerin ihnen dabei hilft, einen Platz in einer Welt zu finden, in der sie sich oft nicht zugehörig fühlen. Indem wir die „Favoriten“ kennen lernen, erleben wir mit ihnen eine bewegte Zeit, die ihre Zukunft entscheidend prägen wird.
Ruth Beckermanns neuer Film ist eine Langzeitbeobachtung, die den Blick auf die strukturellen Probleme im Schulsystem lenkt und die Perspektive der Kinder ernst nimmt. Ein erstaunlich heiteres Porträt einer ungewöhnlichen Gemeinschaft, das Fragen stellt, auf die viele von uns eine Antwort suchen. Ein Film über das Lehren und das Lernen und darüber, wie die Zukunft unserer Gesellschaft auch im Klassenzimmer ausgehandelt wird.
„In dem Film verschränken sich strukturelle und individuelle Perspektiven. Denn zum einen wirft „Favoriten“ einen Blick auf ein von Mangel und Ungleichheit bestimmtes Bildungssystem, in dem bei aller Einfühlsamkeit und Hingabe der Lehrerin, die von Deutsch, Mathe über den Schwimmunterricht bis hin zum Klassenausflug alles zu verantworten hat, am Ende nur die Leistung zählt. Zum anderen sieht man jungen Individuen dabei zu, wie sie Welt, Sprache und soziales Miteinander begreifen, wie sie an Aufgaben wachsen und daran scheitern, wie sie verzweifeln und neuen Mut fassen. Dieser überaus lebendige Raum, den zu betrachten schön ist, anrührend, traurig und manchmal auch lustig, steht in „Favoriten“ im Zentrum, auch wenn das Systemische immer mitwirkt. Je näher die Schüler:innen dem Moment kommen, an dem sich ihre weitere Schulbildung entscheidet – Mittelschule oder, was für die wenigsten von ihnen in Betracht kommt, der Übertritt ins Gymnasium – arbeitet sich das in den Vordergrund.“ Esther Buss | Filmdienst
Credits:
AT 2024, 118 Min., in deutsch mit englischen Untertiteln Regie: Ruth Beckermann Kamera: Johannes Hammel Schnitt: Dieter Pichler
Trailer:
Favoriten (offizieller Trailer) – Ein Film von Ruth Beckermann
Richtig fassungslos war ich, als gegen Ende des Filmes der bis 2022 aktive Geistliche Vorsteher der Brüdergemeinde geradezu dreist Erkenntnisse aus der Soziologie umdreht und die Traumata und psychischen Schwierigkeiten der ehemaligen Heimkinder quasi deren „niederer“ Geburt zuschreibt. Ebenso erschreckend ist die Beschwerde eines gläubigen Ehepaars, wahrscheinlich stellvertretend für dortige Bürger, dass ihre Spenden an die Brüdergemeinde jetzt als Schmerzensgeld für die Opfer verwendet werden. Internate, Klöster, Waisenhäuser, Sportvereine … die Liste ließe sich lange fortsetzen. Immer wieder kommen überall neue Fälle von Missbrauch von Schutzbefohlenen ans Licht. 2014 geriet die Evangelische Brüdergemeinde in Korntal, einem beschaulichen Ort in der Nähe von Stuttgart, in den Fokus. Ein ehemaliger Zögling hatte sich aufraffen können, mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen, anstatt sich umzubringen, wie einige seiner früheren Leidensgenossen. Daraufhin meldeten sich über 170 weitere Betroffene, die in dem Heim bis weit in die 2000er Jahre hinein ebenfalls systematischer psychischer, körperlicher und/oder sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren, ausgeübt von Angehörigen der pietistischen Bruderschaft, Hausangestellten oder sogenannten Pateneltern im Ort. Die Kinder waren Waisen oder kamen aus „schwierigen Verhältnissen“, es gab keinerlei Kontrolle, sie waren ihren Peinigern ausgeliefert. Schwer traumatisiert und nicht selten gebrochen gehen sie als Erwachsene durchs Leben. Sechs von ihnen berichten vom Erlebten, dazu kommen Mitglieder der „Aufklärungskommission“, ranghohe Gemeindemitglieder und Ortsansässige zu Wort.
„Je länger Die Kinder aus Korntal läuft, desto deutlicher wird, dass das Einstehen für die schwere Schuld, die die Brüdergemeinde auf sich geladen hat, und eine echte Aufarbeitung der Taten noch lange nicht passiert sind. Vielmehr schwingt unterschwellig immer das Gefühl mit: Jetzt muss es auch mal gut sein mit dieser leidigen alten Geschichte.“ Elisa Reznicek | Haus des Dokumentarfilms
Credits:
DE 2023, 90 Min., Deutsch mit englischen Untertiteln Regie: Julia Charakter Kamera: Jonas Eckert Schnitt: Jonas Eckert, Julia Charakter
Aktuell ist sie noch in Thomas Arslans Verbrannte Erde zu sehen, demnächst hat sie einen furiosen Auftritt in Fabian Stumms TragikomödieSad Jokes. Es könnte also der Eindruck entstehen, das Thema ihres eigenen Regiewerkes träfe auf sie gar nicht zu. Aber doch, und auch bei den Kolleginnen, mit denen sie vor 36 Jahren zusammen an der Folkwangschule studierte. Marie-Lou Sellem hat sie vor der Kamera versammelt, um zu beleuchten, was vielen von uns vielleicht auch schon aufgefallen sein dürfte: das langsame Verschwinden von Schauspielerinnen im Film und auf der Bühne mit zunehmenden Alter. Nicht nur das, sondern auch die Hürden, die ihnen beim Lernen in den Weg gestellt wurden, sind Thema. Auch kehren sie in ihre Schule zurück und befragen heutige Absolventinnen nach ihren Erfahrungen. „Wenn du jung bist und eine Frau und ein feministisches Thema hast, dann kriegst du jetzt im Moment einen Job, weil du dem anderen das Gefühl gibst, er ist ja kein „alter weißer Mann“, wenn er dich beschäftigt. Das Gleiche ist auch vielleicht mit Frauen in meinem Alter, uns wird zugehört wie es nie vorher der Fall war. Es ist jetzt die Frage, was wir daraus machen, wir Frauen.“ Marie-Lou Sellem in kinokino “… wir rennen im Kreis und wollen ein Bild erfüllen, das wir zu bedienen haben, damit wir überhaupt noch da sind – und das Alter wird uns sowieso irgendwann aus der Kurve knallen. Das ist Sisyphusarbeit, und die Frage ist: wollen wir nicht endlich mal aufhören damit? Es ist ja viel interessanter, auch in dieser dritten Altersrunde, die Themen, die wir haben, zu formulieren und zu repräsentieren. Wir können ja nicht alle aussehen wie 40, wie hingebogene 40, das erzählt ja auch gar nichts mehr. Das ist eigentlich die große Frage: was wollen wir erzählen?“ Marie-Lou Sellem beim Panel FF München
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