Ein Film von Joanna Hogg.
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London in den frühen 1980ern: Maggie Thatchers Regierung beginnt mit wirtschaftlicher Umstrukturierung, die Troubles erreichen die Stadt mit Bomben und Punk ist noch kein Begriff. Julie lebt mit ihrer Mutter in einer komfortablen Maisonettewohnung in Knightsbridge, will Film studieren und hofft, so ihrer privilegierten Upper-Class-Blase entweichen zu können. Ihrer zukünftigen Liebschaft Anthony begegnet sie auf einer Party. Er ist anders als ihre Freund*innen, charmant und etwas älter, und sein Auftreten schwankt zwischen Dandytum und Blasiertheit. Julie lässt sich faszinieren, aber nach und nach muss sie feststellen, dass ihr Geliebter sie belügt und ein gefährliches Geheimnis hat.
Die sanfte junge Frau, die zwischen Champagnerfrühstück und Rendevouz in lächerlich-barocken hochpreisigen Cafes ihre künstlerisch-politischen Ambitionen und ihren Freundeskreis verliert, steht jedoch loyal zu ihrem Geliebten, trotz leichten Widerstands auch von ihrer Mutter Rosalind, die von Tilda Swinton großartig mit Faltenrock und Kopftuch interpretiert wird (und deren reale Tochter Honor Swinton Byrne ist).
Joanna Hogg hat nach eigenen Erinnerungen einen sehr persönlichen Film gedreht. Die Verletzlichkeit und Unsicherheit Julies oder die Arroganz und Unehrlichkeit Anthonys werden dabei nie ausgebeutet oder überdramatisiert. Die Frage, warum sie ihn nicht verlässt, darf gestellt, kann und sollte aber aus dem Film heraus beantwortet werden.
Von der Berlinale, als »hochkonzentrierte Betrachtung von Räumen, Landschaften, Abhängigkeitsverhältnissen und nicht zuletzt des Mediums Film« beschrieben, ist THE SOUVENIR aber auch, wie der Rezensent der NY Times sich begeisterte, »einer der traurigsten Filme, die man sich vorstellen kann, und es ist eine absolute Freude, ihn anzuschauen.« In Sundance wurde THE SOUVENIR mit dem Preis für den besten Spielfilm ausgezeichnet.
Was bedeutet es, in einer Welt der Mittel- und Oberschicht zur Arbeiterklasse zu gehören?
In ihrem Buch The Melancholia of Class (Die Melancholie der Klasse) beschreibt Cynthia Cruz mit Klarheit, Präzision und Radikalität, was Klasse ist, warum der Klassenbegriff im Neo-Liberalismus ausradiert wurde, und welche Auswirkungen die Anpassung an die oberen Schichten für Menschen aus den unteren Schichten bedeutet.
Ausgehend von Freuds Konzept der Melancholie untersucht Cruz für sie wichtige künstlerische Werke der Popkultur, Musik, Bücher, Filme, auf die Melancholie, die entsteht, wenn die Herkunft aus der Arbeiterklasse für den Aufstieg verlassen wird, nur um am Ende festzustellen, dass man dabei sich selbst verliert.
Einer der Filme, die im Buch eine große Rolle spielen, ist THE SOUVENIR Part 1 von Joanna Hogg. Im Film hat eine Filmstudentin aus der Upperclass eine, gerne als „toxisch” beschriebene, Beziehung zu einen dandyhaften, etwas undurchsichtigen Mann. Das halbbiografische Werk ist ganz aus Sicht der jungen Frau geschrieben. Cynthia Cruz‘ Perspektivwechsel, bei dem sie den Blick auf Anthony, den Liebhaber, richtet, bringt ganz andere Facetten der Rezeption ins Spiel als üblich.
Cynthia Cruz wird am 7.12. um 19:30 Uhr aus ihrem Buch lesen (auf engl.), und wir zeigen den Film THE SOUVENIR Part 1 in der OmU-Fassung.
GB 2019, 115 Min., engl. OmU
Regie, Buch: Joanna Hogg
Kamera: David Raedeker
Schnitt: Helle le Fevre
mit: Honor Swinton Byrne, Tom Burke, Tilda Swinton