Ein Film von Ulrike Ottinger.
Die zwanzigjährige Ulrike Ottinger rollte mit ihrer knallbunt angemalten Isetta 1962 nach Paris, um französische Freunde zu besuchen. Die Isetta blieb auf der Strecke, aber Ottinger geriet in den Strudel der Metropole und widmet ihr mit Paris Calligrammes ein bewegendes und subjektiv mäanderndes Porträt. In wenigen Jahren passierte immens viel, es gab radikale politische Umbrüche, gleichzeitig entfaltete sich eine vielfältige Kunst- und Kulturszene, in der sich Ulrike Ottinger wie ein Fisch im Wasser tummelte. Ihr Kalligramm beschreibt die Ankunft im legendären Buchladen Calligrammes des deutschen Exilanten Fritz Picard. Sie ist schon Malerin und entdeckt die Pop Art für sich. Gleichzeitig wird der Algerienkrieg gerade in Paris immer spürbarer. Das Massaker an unbewaffneten algerischen Demonstranten durch die Polizei mitten in der Innenstadt vor aller Augen ist genauso Teil des Films wie später die brutalen Auseinandersetzungen des Mai 1968, die schließlich im Generalstreik mündeten und die fünfte Republik fast zu Einsturz brachten. Es sind Geschichten, die Geschichte abbilden, klug und persönlich.
„1962 kam ich als junge Künstlerin nach Paris, um dort zu leben und zu arbeiten. Die Zeit bis 1969, als ich die Stadt wieder verließ, wurde nicht nur für mich zu einer der prägendsten Phasen, sondern war auch zeitgeschichtlich eine Epoche der geistigen, politischen und gesellschaftlichen Umbrüche. Der Film Paris Calligrammes vereint meine persönlichen Erinnerungen an die 1960er Jahre mit einem Porträt der Stadt und einem Soziogramm der Zeit. Der Ariadnefaden durch den Film ist ein Gang durch Paris mit vielen Stationen, an denen jeweils ein Thema in nicht chronologischer Form aufgegriffen wird. In der Tradition der Flanerie suche ich Brennpunkte der Stadt auf, die für mich persönlich wie auch für die 1960er Jahre bedeutsam waren, da sich dort entscheidende politische Ereignisse abspielten, wichtige kulturelle und künstlerische Begegnungen stattfanden oder sich neue soziale Formen des Lebens entfalteten. Paris war zu dieser Zeit aber nicht nur „melting pot“ der Intellektuellen und Künstler aus aller Welt, sondern durchlief die schwierige politische Phase der Dekolonisierung. Der Algerienkrieg überschattete wie später der Vietnamkrieg die Aufbruchphase nach dem Zweiten Weltkrieg und brachte die Menschen aus den Kolonien und die politischen Konflikte in die Hauptstadt. Meine Freundschaften, die sich in diesen Zeiten entwickeln, waren daher so international und bunt, wie spannungsreich und intensiv.“ (Ulrike Ottinger)
Berlinale 2020: Berlinale Special
DE/FR 2019, 129 Min., dt. OV (Sprecherin U. Ottinger), dt. Teil-UT
Buch, Regie & Kamera: Ulrike Ottinger
Schnitt: Anette Fleming