Die getäuschte Frau – Zurich

Man weiß nicht genau, was gesche­hen ist. Aber ein schock­ar­ti­ges Ereignis und das plötz­li­che Gefühl, nicht das Leben geführt zu haben, das sie glaub­te, wer­fen Nina aus der Bahn.
Die jun­ge Frau taucht in der anony­men Welt der Autobahnen und ihrer Raststätten unter, bleibt rast­los in Bewegung, um nicht zurück­zu­schau­en. Die Regisseurin folgt ihr dabei aus nächs­ter Nähe. Diese fast schon inti­me Nähe gibt die Textur des Films vor. Gemeinsam mit Nina gerät die Kamera in einen Taumel, in eine Bewegung des Driftens und Abdriftens. Nina fin­det sich im Bett eines Fernfahrers wie­der, ver­bringt ein paar Tage mit dem Mann, der sie sogar sei­nen Kindern vor­stellt, dann steht sie wie­der auf der Straße. Die Montage springt zwi­schen den Zeiten hin und her, lässt Erinnerungen auf­fla­ckern, an unbe­schwer­te Momente, an einen ande­ren Mann. Es sind lose Szenen, die nicht mehr die Erzählung eines Lebens erge­ben. Manchmal ver­weilt die Kamera ein­fach auf Ninas Gesicht, regis­triert die
Facetten einer all­um­fas­sen­den Trauer – von abso­lu­ter Hoffnungslosigkeit über Wut zur schie­ren Verzweiflung. Sacha Polaks Film lässt den Zuschauer die Arbeit der Trauer unmit­tel­bar mit­er­le­ben. (Anke Leweke)

Wenn man im Traum von einem Geparden gejagt wird, kann das bedeu­ten, dass man sei­ne Ziele ent­schie­de­ner ver­fol­gen soll­te. Dieser Traum kann aber auch ein Zeichen dafür sein, dass im Leben des Träumenden etwas fehlt – oder dass er nach einem Hinweis sucht,
was sei­ne Bestimmung im Leben ist. Ein Gepard kann aber auch im Traum auf­tau­chen, wenn man ver­sucht, im Leben wei­ter­zu­kom­men und immer wie­der auf die alten Probleme zurück­ge­wor­fen wird.
Als Helena van der Meulen und ich die Arbeit am Drehbuch zu Hemel abge­schlos­sen hat­ten, fin­gen wir an, von einem neu­en Film zu träu­men. Hemel han­delt von einem Kind ohne Mutter, Zurich von einer Mutter ohne Kind.
Nina wird von Wende Snijders dar­ge­stellt. Wer Nina tat­säch­lich ist (vor dem Tod von Boris), wird in die­sem Film kaum sicht­bar. Sie ist von Anfang an trau­ma­ti­siert. Wer ist die­se Frau, die imstan­de ist, ihr eige­nes Kind zu verlassen?
Ich neh­me an, dass Zurich Fragen zum Thema Moral aus­lö­sen wird.
Wir sind ver­mut­lich eher dar­an gewöhnt, dass ein Mann sei­ne Kinder ver­lässt als eine Frau. Ich möch­te mit mei­nem Film eine Frau beschrei­ben, die ihre Tochter Pien sehr liebt, die aber durch den Verrat, den Boris an ihr began­gen hat, und ihre Unfähigkeit zu trau­ern zu einer Bedrohung für das Kind wird. Im Grunde möch­te sie sich ein­fach in Luft auf­lö­sen, denn sie hat sich Hals über Kopf ver­liebt und kann sich des­halb nicht mehr um ihre Tochter küm­mern. Ich habe mich die­sem Film wie einem Tanzfilm genä­hert. Ich woll­te mit ihm ein Gefühl dar­stel­len, das aus dem Unbewussten kommt: das Gefühl, ver­schwin­den zu wol­len, das Gefühl, sei­ner Verantwortung nicht mehr gewach­sen zu sein.
Zurich besteht aus den bei­den Teilen ‚Hund‘ und ‚Boris‘. Beide sind wich­tig für Nina, und bei­de ster­ben in dem Film. Wir haben viel über die Struktur von Zurich dis­ku­tiert, dar­über, wel­ches die rich­ti­ge Reihenfolge der Gefühle sein soll­te, die geschil­dert wer­den. Suspense spielt eine wich­ti­ge Rolle in die­sem Film, und ich hof­fe, dass er bei den Zuschauern gemisch­te Gefühle aus­lö­sen wird. Im ers­ten Teil des Films geht es um eine Frau, die einen Schicksalschlag erlebt, als ihr Freund stirbt, und um die Frage, ob Nina nach Hause zurück­keh­ren oder ob sie lie­ber Trost in den Armen von Matthias suchen wird. Der Zuschauer weiß an die­ser Stelle noch nichts von der Existenz ihrer Tochter.
Der zwei­te Teil zeigt den Schock, den die Todesnachricht bei Nina aus­löst, und ihre Unfähigkeit zu begrei­fen, was gesche­hen ist.
Mir gefällt, dass die­ses Ende sich tat­säch­lich wie ein Ende anfühlt, dass man aber spä­ter zurück­bli­cken und erken­nen kann, dass es doch nicht das Ende war. Der Film endet ent­spre­chend der Chronologie der Ereignisse mit dem Tod des Hundes – einem Schock,
durch den Nina zum ers­ten Mal in der Lage ist, den Tod von Boris zu akzep­tie­ren. Das könn­te Nina zu Pien zurück­brin­gen. Aber wir haben bewusst dar­auf ver­zich­tet, dies zu zei­gen. Das bleibt der Vorstellung des Zuschauers über­las­sen. (Sacha Polak)

OT: Zurich

Niederlande / Belgien / Deutschland 2015, 89 Min.
engl.,dt.,niederl. OmU

Regie: Sacha Polak
Buch: Helena van der Meulen
Kamera: Frank van den Eeden 
Schnitt: Axel Skovdal Roelofs
Darsteller:
Wende Snijders
Sascha Alexander Gersak
Barry Atsma
Martijn Lakemeier


im Kino mit deut­schen Untertiteln.