Mit Music for Black Pigeons zeichnen die Filmemacher Jorgen Leth und Andreas Koefoed das Porträt des dänischen Gitarristen Jakob Bro. 14 Jahre lang haben sie zugehört und zugesehen, wie dessen Kompositionen zu Musik werden, in Ensembles mit den ganz großen Jazzmusikern, mit Bill Frisell, Andrew Cyrille, Lee Konitz, Thomas Morgan, Mark Turner, Paul Motian, Joe Lovano, Joey Baron, Palle Mikkelberg und und und … Ja, auch Midori Takada ist dabei, diese außergewöhnliche Schlagzeugerin, die so meditativ leise die Klangschalen streicht und dann gewaltig donnernd die Paukenkessel traktiert. Es wird keiner der Titel ganz gespielt, kein Set aus dem Konzertsaal fertig übernommen. Das Konzert findet im Studio statt, bei den konzentrierten Proben, der gemeinsamen Einstimmung auf etwas, von dem keiner der Mitwirkenden weiß, ob es wahr werden wird. Und das dann doch geschieht, weil alle teil haben an dem Riesenkosmos des Jazz, weil sie alle die Musik ihrer berühmten Vorväter in der Seele tragen. Und wenn es passiert, wenn den Musikern ein Take glückt, so wie er nur glücken kann, dann geht ein Lächeln auf in ihren Gesichtern. Als Music for Black Pigeons 2022 bei den Filmfestspielen in Venedig lief, wurde er von Jazz-Affinados gefeiert als der ultimative Musikfilm überhaupt. Vielleicht ist das übertrieben, aber einer der zweitschönsten nach Jazz on a Summer’s Day (Newport 1958) ist er allemal. Elizabeth Bauschmid | indiekino
Credits:
DK 2022, 92 Min., Englisch, Dänisch, Japanisch OmU Regie: Jørgen Leth und Andreas Koefoedmäki Kamera: Adam Jandrup, Dan Holmberg, Andreas Koefoed Schnitt: Adam Nielsen mit: Jakob Bro, Lee Konitz, Thomas Morgan, Paul Motian, Bill Frisell, Mark Turner, Joe Lovano, Andrew Cyrille, Palle Mikkelborg, Jon Christensen, Manfred Eicher, Midori Takada
Als Regisseurin Sonje Strom den drei Wissenschaftlern aus Hamburg den Nachlass ihres Urgroßvaters Jürgen Mahrt im Elsdorfer Gehege in Schleswig-Holstein öffnet, können die kaum fassen, welcher Schatz ihnen da zugeführt wird: 350 ausgestopfte Vögel, 3000 Schmetterlinge, Raupen, Pilze und Käfer, geordnet in Kästen, unzählige sorgfältig handkolorierte Fotografien von Tieren, Pflanzen und Landschaften. Dazu noch ein Tagebuch, in dem der Landwirt u.a. das Verschwinden bestimmter Tier- oder Pflanzenarten festhielt. Es liefert bis heute Daten zum Artensterben und zeugt von Landschaften und Tieren, die durch den Eingriff des Menschen fast verschwunden sind. Mahrt arrangierte die von ihm ausgestopften Tiere in Feld und Flur, die Fotos verkaufte er für die in den 1920er-Jahren populären Sammelbildalben. Was war das für ein Mensch, der schon damals Beruf und Auskommen für seine Leidenschaft vernachlässigte? Der mit dem Fahrrad vom Norden Deutschlands in die Schweiz fuhr, nur um einem Freund einen seltenen Schmetterling zu zeigen und dabei die Ernte vergaß? Der sich nichts daraus machte, als Exzentriker angesehen zu werden? Der Film ist die Annäherung der Filmemacherin an den unbekannten und in mancher Hinsicht rätselhaften Urgroßvater und sein beeindruckendes Archiv. Und dann es ist es noch ein schöner Zufall, dass die Goldene Taube und die Doppelschnepfe vom Plakat zusammengefunden haben: Die toten Vögel sind oben gewann u.a. 2022 verdient den Hauptpreis bei DOK Leipzig.
Credits:
DE 2022, 85 Min., deutsch, plattdeutsche OmeU Regie: Sönje Storm Kamera: Alexander Gheorghiu Schnitt: Halina Daugird
Typischer als „Asteroid City“ kann ein Wes Anderson-Film kaum sein: Vom bis ins kleinste Detail ausgestatteten Sets, über eine verspielte, verschachtelt erzählte Handlung, bis hin zu einer Besetzung, die auch in den kleinsten, kaum wahrnehmbaren Nebenrollen bekannte Schauspieler versammelt. Worum es geht: Um alles und nichts, das große Ganze, die menschliche Existenz, den Sinn des Leben.
Irgendwo im Südwesten der Vereinigten Staaten versammelt sich im Jahre 1955 eine bunt gemischte Gruppe Menschen. Anlass ist ein Sternforscherkongress im lokalen Wissenschaftszentrum, denn im Hintergrund der kleinen Gemeinde mit genau 87 Einwohnern, ragt der Krater auf, in den einst der Asteroid einschlug, der Asteroid City seinen Namen gab.
Nachwuchs-Sterngucker sind vor Ort, um ins All zu Blicken, junge Forscher, die ihre Entwicklungen vorstellen und bald kommt auch noch ein Alien zu Besuch. Was dazu führt, dass der Ort unter Quarantäne gestellt wird und das lokale Motel zum Anlaufort für die Gestrandeten wird: Den Kriegsfotografen Augie (Jason Schwartzmann), der gerade seine Frau verloren hat und mit seinem grantigen Schwiegervater (Tom Hanks) streitet. Der Filmstar Midge Campbell (Scarlett Johansson), eine Diva irgendwo zwischen Elizabeth Taylor und Marilyn Monroe, dazu die Wissenschaftlerin Dr. Hickenlooper (Tilda Swinton), der General Grif Gribson (Jeffrey Wright) und viele Andere. Sie alle hadern auf die ein oder andere Weise mit dem Leben, trauern geliebten Menschen mach, fragen sich, was das denn alles soll, suchen nach Antworten auf die großen Fragen der Menschheit oder schlicht und ergreifend dem Sinn der Existenz.
Sinn mag auch der Zuschauer in diesem besonders enigmatischen Film eines Regisseurs suchen, der einmal mehr einen Film vorgelegt hat, wie ihn nur er drehen kann. Vom ersten Moment an lässt „Asteroid City“ keinen Zweifel daran, dass es sich um einen Wes Anderson-Film handelt: Frontale Kameraperspektiven, liebevoll bis ins kleinste Detail ausgestattete Sets, seltsame Charaktere und nicht zuletzt: Eine verschachtelte Narration. Andersons voriger Film „The French Dispatch“ funktionierte in gewisser Weise wie die Bebilderung des Magazins The New Yorker, in „Grand Budapest Hotel“ zeigten wechselnde Bildformate die unterschiedlichen Zeitebenen an, ein Stilmittel, das sich auch in „Asteroid City“ wiederfindet. Ist der Hauptfilm in farbigem Scope inszeniert, so sind die Bilder der Rahmenhandlung in schwarz-weiß und dem altmodischen 4:3‑Format gefilmt. Hier sieht man eine TV-Inszenierung des Films, den man gerade sieht, aber auch Szenen mit dem Autor des Stücks selbst (Edward Norton), der bisweilen Besuch von den Schauspielern bekommt, die nach der Bedeutung der Dialoge fragen, die sie in der Haupthandlung sprechen.
Hübsch selbstreferenziell ist das, auch die geradezu absurde Ansammlung bekannter Schauspieler, die teilweise in winzigen Rollen auftreten, deutet darauf hin, dass Anderson hier auch einen Film über sich, seine Arbeitsmethode, seinen Blick auf die Welt gedreht hat. Eine wachsende Filmfamilie hat Anderson im Lauf der Jahre um sich gescharrt, Schauspieler wie Jason Schwartzman oder Willem Dafoe sind zum x‑ten Mal bei ihm dabei, andere, wie Tom Hanks oder Scarlett Johansson, sind Newcomer.
All diese Stars, die sonst meist Hauptrollen spielen, lassen sich mit augenscheinlicher Lust auf ihre oft winzig kleinen Rollen in einem Wes-Anderson-Film ein, fügen sich ein ins große Ganze. Man darf vermuten, dass die Arbeit an einem Anderson-Film ein großes Vergnügen ist, von einer Neugier geprägt, die sich auch auf der Leinwand zeigt. Von großen Fragen mag die Rede sein, von Verlust und Tod die Rede sein, doch Andersons Filme und seine Figuren sind stets von einem unerschütterlichen Optimismus geprägt, auch wenn es keine klaren Antworten gibt. Doch wenn das Leben schon rätselhaft bleibt, dann sollte es zumindest so verspielt und abwechslungsreich sein wie die Welt von „Asteroid City“, in der man gerne 100 Minuten verbringt.
Michael Meyns | programmkino.de
Credits:
US 2023, 104 Min., engl. OmU Regie & Buch: Wes Anderson Kamera: Robert D. Yeoman Schnitt: Barney Pilling mit: Tom Hanks, Jason Schwartzman, Scarlett Johansson, Jeffrey Wright, Tilda Swinton, Bryan Cranston, Ed Norton, Adrien Brody, Liev Schreiber, Hope Davis, Rupert Friend, Maya Hawke, Steve Carell, Margot Robbie, Matt Dillon, Hong Chau, Willem Dafoe, Jeff Goldblum, Rita Wilson
Trailer:
Asteroid City | Offizieller Trailer | Ed (Universal Pictures)
In einem Berliner Wohnhaus verhängt die Polizei wegen eines nicht näher spezifizierten Terrorverdachts eine Ausgangssperre. Unter dem Druck von außen werden die Loyalitäten brüchig, Beziehungen und sicher geglaubte Annahmen kollabieren, Misstrauen und Angst greifen um sich.
Wie viele unterschiedliche Lebensmodelle und Weltbilder wohl in dem äußerlich recht friedlichen Berliner Mietshaus, in dem ich wohne, auf engstem Raum miteinander koexistieren, habe ich mich schon oft gefragt. Während der Corona-Pandemie wurde in diesem kleinen wie im größeren gesellschaftlichen Rahmen das Gefühl größer, dass durchaus nicht selbstverständlich davon auszugehen ist, man könne sich mit den meisten Mitmenschen sicher auf einige Basisannahmen einigen. Mit einer ähnlichen Fragestellung arbeitet Asli Özge in BLACKBOX. In einem Berliner Wohnhaus verhängt die Polizei wegen eines nicht näher spezifizierten Terrorverdachts eine Ausgangssperre. Ein Auto wird abgeschleppt, eine Wohnung durchsucht, die eingesperrten Bewohner treffen im Hof aufeinander, der schon länger ein umkämpftes Gebiet ist. Die neue Hausverwaltung hat Mülltonnen umplatziert, eine Protestinitiative bildet sich, ein Kind hat oder hat nicht vor die Haustür gepinkelt. Ein zentraler Konflikt ist die Besitzfrage, das Haus besteht teils aus Miet‑, teils aus Eigentumswohnungen. Die Loyalitäten der Bewohner werden unter dem äußeren Druck brüchig, Beziehungen und sicher geglaubte Annahmen kollabieren, Misstrauen und Angst greifen um sich. Gefilmt ist das oft aus beengten Perspektiven: Mit Blicken von Wohnungen nach draußen, Spiegelungen in Fensterscheiben und verzerrten Bildern erzählt Özge, wie man sich gegenseitig belauert, wie alle nur einen Teil der Informationen haben und daraus ihre Realitäten konstruieren. Dass dieser Mikrokosmos als Metapher für die Gesamtgesellschaft gemeint ist, ist klar und Asli Özges Diagnosen ist wenig entgegenzusetzen. (…)
Bei einem Start im Hochsommer geht es gefühlt kaum gegensätzlicher: Bei unter ‑30° wird das staatliche Jungeninternat auf 2000m Höhe im Osten der Türkei, in kurdischem Gebiet, fast von Schneemassen begraben. Hier sind nicht nur die Temperaturen zum Fürchten, sondern auch die strenge, autoritäre Erziehung und die empathielose Umgangskultur. Die Eltern der Kinder hegen jedoch die Hoffnung, dass den Kindern durch diese Ausbildung eine bessere Zukunft bevorsteht. Der 12-jährige Yusuf und der jüngere Memo sind Zimmergenossen. Ihre Freundschaft ist das einzige, was für sie zählt und ihnen hilft, durch den Tag zu kommen. Als Memo eines morgens schwer erkrankt aufwacht, versucht Yusuf trotz der Gleichgültigkeit und des Widerstandes der repressiven Schulleitung, ihm zu helfen, und bringt ihn ins Krankenzimmer. Spät erst erkennen die Lehrer den Ernst der Lage, und schon beginnt eine Kaskade von wechselseitigen Schuldzuweisungen und kafkaesker Ursachenforschung innerhalb des alles bestimmenden Machtgefälles. Als Memo dann endlich in ein Krankenhaus gebracht werden soll, ist die Schule durch heftigen Schneefall von der Außenwelt abgeschnitten. Regisseur Ferit Karahan, der das Drehbuch zusammen mit seiner Frau Gülistan Acet schrieb, hat wie die Kinder in dem Film selbst eine sogenannte “YIBO”-Schule besucht. … Er hat das, was er selbst in den 90er Jahren erlebt hatte, in diesem Film verarbeitet. “Ich wollte die Geschichte eines Tages in einer Internatsschule erzählen, aber damit gleichzeitig ein ganzes System, ein ganzes Land, etwas Universales beschreiben.” „Brother’s Keeper ist alles andere als ein sentimentales Rührstück, eher eine scharfsinnige Groteske über Bürokratie, Mangelwirtschaft, ein System, das Repression, Konformität, Heimlichkeiten und Grausamkeiten fördert.“ Claudia Lenssen | taz
Ein utopischer Ort der Menschlichkeit mitten in Paris
Wie ein elegantes Holzschiff liegt die Adamant am rechten Seine-Ufer im Herzen von Paris vor Anker. In diese einzigartige, 2010 eröffnete Tagesklinik kommen Erwachsene mit psychischen Störungen, die therapeutisch begleitet werden, sich hier vor allem aber kreativ entfalten: Sie schreiben Chansons, veranstalten Filmfestivals, dichten, malen und zeichnen. Das Team der Adamant zeigt tagtäglich, wie es in Zeiten eines Gesundheitssystems in der Krise gelingen kann, zugewandt und offen auf Menschen mit psychischer Erkrankung einzugehen. Aus sensiblen Beobachtungen und Gesprächen mit den Adamant-„Passagier*innen“ entsteht das leichtfüßige Portrait einer Einrichtung, deren Existenz Hoffnung macht.
Der Franzose Nicolas Philibert gehört seit seinem Publikumserfolg SEINUNDHABEN zu den großen Dokumentarfilmemachern Europas. Für AUFDERADAMANT wurde er auf der Berlinale 2023 mit dem Hauptpreis des Festivals, dem Goldenen Bären, ausgezeichnet.
Credits:
Sur l’Adamant FR/JP 2022, 109 Min., frz. OmU Regie, Kamera, Schnitt: Nicolas Philibert, Regie unter Mitwirkung von Linda De Zitter
Die UN hat den Abzug aus Mali bis Ende 23 auf Druck der dortigen Militärjunta beschlossen. Danach ist die Bevölkerung dem Terror von Wagner Gruppe und Islamisten ausgeliefert. Le Mali 70 entstand Anfang der 20er Jahre, als der Krieg noch auf den Norden beschränkt war und feiert die Musik des Landes, die reich und überbordend ist. Besonders nach der Unabhängigkeit vom französischen Kolonialregime schufen die Big Bands den Sound der Zukunft für Mali. Die Berliner Musiker von Omniversal Earkestra, eine Combo mit fettem Bläsersatz und von extrem mitreißender Spielfreude entdeckte die Musik, hortete die Platten der 70er und fisselte sich die Arrangements in mühevoller Detailarbeit zusammen. Die Idee, eine Reise nach Mali zu unternehmen und sich mit den inzwischen in die Jahre gekommenen Künstlern live auszutauschen, wurde umgesetzt und schon sind wir in Bamako, atmen die Musik und lauschen der Oral History. Auch über den kubanischen Einfluss, denn beim Balanceakt Malis zwischen Ost- u. West waren kubanische Aufbauhelfer im Land. Die Intuition trifft auf das Notenblatt, die Geschichten auf die Geschichte.
„Nachdem Mali im Jahr 1960 die Unabhängigkeit von Frankreich erlangte, entwickelte sich das Land zu einem wichtigen Zentrum für afrikanische Musik und spielte eine bedeutende Rolle in der Musikszene des Kontinents. Mali hat eine reiche musikalische Tradition, die sich im Laufe der Jahre weiterentwickelt und globalen Einfluss erlangt hat.In den 1960er und 1970er Jahren, in der Zeit nach der Unabhängigkeit, wurde die Musik in Mali zu einem wichtigen Medium, um soziale und politische Botschaften zu vermitteln. Viele Künstler nutzten ihre Musik, um auf soziale Ungerechtigkeiten, politische Themen und die Wahrung der kulturellen Identität aufmerksam zu machen.“ ChatGPT
Credits:
DE 2022, 92 Min., German, French, Bambara, English OmU Regie & Schnitt: Markus CM Schmidt Kamera: Martin Langner
Seit 30 Jahren dreht Aki Kaurismäki Filme, die das Bild seiner finnischen Heimat im Ausland geprägt haben. Eigentlich hatte er sich schon zur Ruhe gesetzt, mit „Fallen Leaves“ hat Kaurismäki nun doch noch einen Film gedreht, einen seiner schönsten. Eine zarte Liebesgeschichte in Helsinki, ein Film, der in jedem Moment ein Kaurismäki-Film ist, völlig aus der Zeit gefallen und dabei durch und durch eigen.
In der finnischen Hauptstadt Helsinki (bzw. der Kaurismäki-Version von Helsinki) leben Ansa (Alma Pöysti) und Holappa (Jussi Vatanen) bescheidene Leben. Sie arbeitet in einem Supermarkt, räumt die Regale ein und nimmt bisweilen eine Packung abgelaufener Wurst mit nach Hause, weswegen sie bald entlassen wird. Er arbeitet auf dem Bau – zumindest noch – lebt in einem Container und geht gelegentlich mit seinem Freund zur Karaoke, an der er aber nicht teilnimmt, denn: Harte Jungs singen nicht. Noch wissen die beiden Nichts voneinander, leben vor sich hin, in einer zeitlosen Welt, die weder bewusst die Vergangenheit darstellt, noch deutlich die Gegenwart.
Das Radio in Ansas Küche etwa, scheint aus den 60er Jahren zu stammen, aber sie hört darin Nachrichten, die auf den aktuellen Krieg in der Ukraine Bezug nehmen. Fernseher gibt es in dieser Welt dagegen nicht, die Moderne scheint noch keinen Einzug gehalten zu haben. Irgendwann kommt es zu einer ersten Verabredung – man sieht sich Jim Jarmuschs „The Dead don’t die“ im Kino an – doch bevor Ansa und Holappa wie der kleine Tramp und das Mädchen in den Sonnenaufgang gehen können, wollen noch einige Hindernisse überwunden werden.
Ein eigenartiges Gefühl hinterlässt Aki Kaurismäkis „Fallen Leaves“: Ein neuer Film des finnischen Kultregisseurs ist dies, der sich dennoch in jedem Moment, in praktisch jedem Dialog, jeder Geste, jedem Schauplatz bekannt anfühlt. Als hätte es Kaurismäki zum diesmal vielleicht endgültigen Ende seiner Karriere darauf angelegt, ein Pastiche seiner bisherigen Arbeiten zu drehen, eine Art Best Of-Kaurismäki.
Die Welt, die er dabei zeigt, scheint sich seit den 80er Jahren, als Kaurismäki begann, Filme zu drehen, kaum geändert zu haben. Damals war das karge Set-Design wohl nur wenig von der finnischen Realität entfernt, im Laufe der Jahre hat sich dagegen Finnland selbst weit mehr entwickelt als die Filme des im Ausland wohl berühmtesten Finnen.
Kein Regisseur und auch sonst kein Künstler dürfte das Bild von Finnland stärker geprägt haben als Kaurismäki. Das Bild eines wortkargen, melancholischen Volkes, dass das Leben lakonisch an sich vorbeiziehen lässt ist dabei im Lauf der Jahre entstanden, ist die Welt, in der Kaurismäkis Filme spielen, unverwechselbar geworden. In gewisser Weise ist „Fallen Leaves“ also pure Nostalgie, erlaubt es dem Zuschauer einmal mehr in die bekannte, auch die heile, Kaurismäki-Welt einzutauchen, in der die Dinge sich im Lauf der Jahrzehnte nicht verändert haben. Doch die Kaurismäki-Nostalgie funktioniert anders als etwa der Versuch allzu vieler Serien und Filme der letzten Jahre, sich auf eine Reise in die 80er oder 90er Jahre zu begeben und eine nur vermeintlich einfachere Zeit wiederaufleben zu lassen.
Kaurismäkis-Filme haben bei allem Realismus, bei aller Sympathie für die Arbeiterklasse („Fallen Leaves“ soll als Weiterführung der um 1990 entstandenen Proletarischen Trilogie verstanden werden), immer auch etwas Irreales, etwas Märchenhaftes. Das Finnland, das Kaurismäki zeigt, hat so vermutlich nie existiert, es war schon Mitte der 80er Jahre eine Illusion und ist es 40 Jahre später noch viel mehr. Allein an der Lust, sich von Kaurismäki, seinen einzigartigen Figuren und seinem speziellen Blick auf die Welt verzaubern zu lassen hat sich nichts geändert.
Michael Meyns | programmkino.de
Credits:
Kuolleet lehdet FI 2023, 81 Min., finn. OmU Regie: Aki Kaurismäki Kamera: Timo Salminen Schnitt: Samu Heikkilä mit: Alma Pöysti, Jussi Vatanen
Trailer:
Fallen Leaves (2023) | Trailer | Aki Kaurismäki Alma Pöysti | Jussi Vatanen
Ein Sommerfilm, der in einem Sommer aus einer anderen Zeit spielt. Niemand stellt ständig von zu heiß auf zu kalt, von extrem trocken auf Cats’n’Dogs, es ist einfach der Zustand der Gelöstheit, der Entdeckungen, des sich treiben lassen. Dazu haben die ProtagonistInnen allerdings zu wenig Zeit. Margaux ist vierzehn und macht in den Sommerferien eher unbegeistert ein Praktikum in einem Kinderheim am Genfer See, der ruhig im Licht der Tage glänzt und uferlos scheint. Sie freundet sich mit einem der Kinder an, Juliette heißt sie, die erst ins Wasser springt und dann schwimmen lernen möchte, ein ungestümer Flohzirkus voller Energie und Entdeckungsfreude. Die beiden lernen Joël kennen, der lange in Indonesien war und jetzt wieder als Fischer arbeitet. Für einen Sommer kreuzen sich die Wege der Suchenden in Jenna Hasses poetischem Debütfilm. „Der Sommer flirrt am Ufer des Genfer Sees, wo das Trio, jeder auf seine eigene Weise, nach einem Platz und einer Perspektive sucht. Die 1989 in Lissabon geborene Hasse siedelt ihren Film dort an, wo sie selbst groß wurde. Inspirieren ließ sie sich von Roman Charles-Ferdinand Ramuz‘ ebenfalls am Genfer See spielendem Roman L’amour du monde, dessen Titel sie entlehnt hat. Margaux gibt Juliette einen zwischenmenschlichen Halt, den sie selbst sucht. Das Verhältnis zum Papa ist angeknackst, und die Teenagerin sehnt sich mit jeder Faser an einen anderen Ort. Als ihre Freundinnen sich via Handy aus dem Italienurlaub melden, fotografiert Margaux eine Naturdokumentation im TV und schreibt: „Liebe Grüße aus dem Paradies“. In dem Hotelzimmer, in dem sie mit dem Vater lebt, hängt die Malerei eines Dschungels an der Wand. „Ich möchte mit dir nach Indonesien gehen“, sagt sie Joël, der für sie in vieldeutiger Hinsicht zu einem Fixpunkt wird.“ Jens Balkenborg | epd Film
Credits:
CH 2023, 76 Min., frz. OmU Regie: Jenna Hasse Kamera: Valentina Provini Schnitt: Noémie Fy mit: Clarisse Moussa, Esin Demircan, Marc Oosterhoff, Adèle Vandroth, Pierre Mifsud, Mélanie Doutey, Filipe Vargas, Théo Rossi, Hadrien Motta, Elias Alves, Maël Ney
Trailer:
L’AMOUR DUMONDE – Sehnsucht nach der Welt // Kinostart: 24. August
Nachdem wir vor nicht allzu langer Zeit seinen essayistischen Film, Moleküle der Erinnerung, gezeigt haben, indem seine Heimat im Corona Lockdown eine wunderbar passende Kulisse zu einer Aufarbeitung des Verhältnisses zu seinem Vater bildete, nun der neue Film von Andrea Segre. Welcome Venice behandelt die Auseinandersetzung zweier Brüder über den Erhalt einer Fischertradition und den grundlegenden Veränderungen ihrer Heimat: Die Brüder Pietro und Alvise gehören zu einer alten Fischerfamilie aus Giudecca, einer der Inseln, aus denen die Stadt Venedig besteht. Ihr Leben kollidiert vor dem Hintergrund des unaufhaltsamen Wandels, der die Realität und die Identität Venedigs und seiner Bewohner verändert: Der zunehmende Einfluss des globalen Tourismus verändert die Beziehungen zwischen der Stadt und ihren Bewohnern. Obwohl es anstrengend und einsam ist, möchte Pietro weiterhin „moeche“, die typischen Krebse der Lagune, fischen; Alvise hingegen sieht in seinem Elternhaus die Möglichkeit, neu anzufangen und sich den neuen Bedingungen anzupassen, wohl wissend nicht nur alte Traditionen, sondern auch sein Verhältnis zu seinem Bruder in Frage zu stellen. „Zehn Jahre nach meinem Film Io sono Li kehre ich mit Welcome Venice zu einem Film zurück, in dem die Stadt Venedig, die Orte und ihre Bewohner eine grundlegende Rolle spielen. Ein Film, der in die Gassen und Gewässer eines Venedigs eintaucht, das Angst hat, zu verschwinden und nicht weiß, wohin die Zukunft führt, aber dennoch die Kraft findet, zu existieren und zu sich selbst und zur Welt zu sprechen. Ein Venedig, das Gefahr läuft, von seiner eigenen Schönheit und seinem Ruhm verschlungen zu werden, eine Stadt, die die uns alle betreffenden globalen Veränderungen symbolisiert, eine Stadt, die Leben, Bürger und Räume braucht. In einer schwierigen Zeit wie dieser freue ich mich, dass mein Film einen Dialog zwischen dem Kino und der Stadt Venedig, zwischen dem Kino und der Welt da draußen anregen kann.“ Andrea Segre
Credits:
IT 2021, 100 Min., Regie: Andrea Segre Kamera: Matteo Calore Schnitt: Chiara Russo mit: Paolo Pierobon, Andrea Pennacchi, Ottavia Piccolo, Roberto Citran, Sara Lazzaro
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