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Personal Shopper

Ein Film von Oliver Assayas.

Wer kennt Hilma af Klint (1862−1944)? Nach dem Film wis­sen die Zuschauer mehr von der Pionierin der abs­trak­ten Kunst – Jahre vor Kandinsky, Mondrian und Malewitsch. Sie fühl­te sich als Medium und war über­zeugt, dass ihre Werke durch Eingebungen aus dem Jenseits kamen.

Auch Maureen begreift sich als Medium, das mit Toten in Kontakt tre­ten kann. In ihrer Auseinandersetzung mit die­ser Gabe stösst die Amerikanerin im Film auf die Künstlerin und ihre Bilder, eben­so wie auf Aufzeichnungen von Victor Hugo und sei­nen Seancen.

Maureen ist per­sön­li­che Einkäuferin für Stars und Sternchen. Momentan arbei­tet sie für ein lau­ni­sches Model namens Kyra und ist für sie in den schicks­ten und ange­sag­ten Designer- und Haute Couture-Läden in Paris unter­wegs. In die­ser Stadt ist ihr Zwillingsbruders Lewis kürz­lich gestor­ben, hier erwar­tet sie ein Zeichen von ihm. Während einer beruf­li­chen Einkaufstour nach London bekommt sie im Euro-Star plötz­lich geheim­nis­vol­le Nachrichten von einer unbe­kann­ten Nummer. Ist es ihr Bruder, der aus dem Jenseits Kontakt zu ihr auf­nimmt? Oder nur der sehr leben­di­ge Geliebte ihrer Chefin, der es auf sie abge­se­hen hat?

Der ganz auf sei­ne Hauptdarstellerin zuge­schnit­te­ne Film ist nach „Die Wolken von Sils Maria” die zwei­te Zusammenarbeit von Olivier Assayas (Irma Vap, Carlos, Ende August – Anfang September, Die wil­de Zeit …) mit Kristen Stewart.

»Assayas legt das Geisterhafte unse­res post­mo­der­nen Medienalltags offen. Und schließ­lich lebt auch sei­ne Protagonistin selbst ein gespens­ti­sches Leben: Als ewi­ge Doppelgängerin ihrer nur flüch­tig auf­tre­ten­den Chefin fris­tet sie ein beklem­men­des Schattendasein. All die­se Facetten erge­ben ein auf inter­es­san­te Art ver­wir­ren­des Stück Gegenwartskino, das mit sei­ner Auflösung der Grenzen zwi­schen poe­ti­schem Realismus und Genreelementen den Finger am Puls der Zeit hat.«

Tim Lindemann | epd-Film 1–17

 Frankreich 2016, 105 Min., engl. OmU
Regie: Olivier Assayas
Drehbuch: Olivier Assayas
Kamera: Yorick Le Saux
Schnitt: Marion Monnier
Darsteller: Nora von Waldstätten, Kristen Stewart, Anders Danielsen Lie, Lars

 

Diamond Island

Ein Film von Davy Chou.

[Im Indiekino Club]

In Kambodschas Hauptstadt Phnom Pheng hält der Luxus Einzug, so auch in Form eines rie­si­gen Neubauprojektes, viel­ver­spre­chend und illus­trie­rend „Diamond Island“ genannt. Bis es ein­mal fer­tig ist, müs­sen aller­dings vie­le, die sich eine der Wohnungen dort nie­mals wer­den leis­ten kön­nen, schlecht­be­zahlt und unter mise­ra­blen Umständen das Schmuckstück bau­en. Bora, der jun­ge Mann vom Land, ist einer von ihnen. Er und auch sei­ne neu­en Freunde auf der Baustelle fin­den es auf­re­gend, in der Großstadt zu sein, träu­men von Mopeds, mit denen sie die Mädchen beein­dru­cken und umher­fah­ren könn­ten, und fan­ta­sie­ren von bes­se­ren Jobs im Ausland. So auch Boras Bruder, der die Heimat Richtung Phnom Pheng vor Jahren ver­ließ, den Aufstieg aber geschafft zu haben scheint. Und mit sei­ner Hilfe kommt Bora auch auf die ande­re, rei­che Seite der Stadt.
Wer jetzt eine hoch­dra­ma­ti­sche oder tiefst mora­li­sche Entwicklung der Geschichte erwar­tet, wird ent­täuscht wer­den. David Chou, des­sen Debut ein Dokumentarfilm über die zer­schla­ge­ne, einst präch­ti­ge Filmlandschaft sei­nes Heimatlandes war (Golden Slumbers, Berlinale 2012), liegt es eher, genaus­tens auf die klei­nen Dramen im Alltag sei­ner jugend­li­chen Helden zu schauen.
»Wesentlicher Mitakteur ist dabei die Örtlichkeit selbst, deren schar­fe Kontraste Kamera und Farbgestaltung wir­kungs­voll ins Licht set­zen: archi­tek­to­ni­sche Brutalität unter sen­gen­der Sonne. Sanfte nächt­li­che Intimität. Ein Ballett von Motorrädern im licht­durch­flirr­ten Raum der Verheißung, der manch­mal durch einen Song zum Tableau still­ge­stellt wird. So lernt man unter ande­rem die kam­bo­dscha­ni­sche Version des 60er-Jahre-Songs Quando, quan­do, quan­do ken­nen.« Silvia Hallensleben, epd-Film 1 | 2017


Frankreich, Kambodscha, Deutschland, Katar, Thailand 2016, 99 Min., khmer OmU

Regie: Davy Chou
Drehbuch: Davy Chou, Claire Maugendre
Kamera: Thomas Favel
Schnitt: Laurent Leveneur
mit: Nuon Sobon, Nov Cheanick, Chhem Madeza, Korn Mean, Nut Samnang, Khim Samnang


Davy Chou: Diamond Island (2016) from Rapid Eye Movies on Vimeo.

Wild Plants

Ein Film von Nicolas Humbert.

Wild Plants, Wildpflanzen, wach­sen ganz ohne mensch­li­ches Zutun, sogar in schein­bar unwirt­li­cher Umgebung. Im neu­en Film von Nicolas Humbert geht es aber nicht nur um Pflanzen, mit „Wild Plants“ sind auch die wider­stän­di­gen Protagonistinnen und Portagonisten des Films gemeint: z.B. Maurice Maggi, der nachts in Zürich auf den Grünflächen am Straßenrand Pfanzensamen streut. Oder Kinga Osz und Andrew Kemp, die sich als Urban Gardener in der insol­ven­ten US-Metropole Detroit selbst ver­sor­gen. Oder das Gartenkollektiv „Les Jardins de Cogagne“, das am Rand von Genf neue Formen des Gartenbaus und Wirtschaftens erprobt.

In „Wild Plants“ wer­den Alltagsbeobachtungen und Gespräche auf eine ganz eige­ne poe­ti­sche Weise mit­ein­an­der ver­bun­den – und wie bei den vor­an­ge­gan­ge­nen Filmen von Nicolas Humbert spielt auch beim neu­en die Musik wie­der eine wich­ti­ge Rolle.
„Wovon erzäh­len in die­ser Zeit mit all ihren Zerstörungsszenarien, wenn nicht von Lebensmöglichkeiten? Vom Gestaltungsraum, der uns offen steht. Das war immer der Ausgangspunkt mei­nes Interesses am Filmemachen. In ‚Step Across the Border’ war es die Musik und in ‚Middle of the Moment’ das noma­di­sche Leben, in dem sich Lebensentwürfe kris­tal­li­sier­ten. Jetzt ist mit ‚Wild Plants’ ein Film ent­stan­den, der von Menschen und ihrer beson­de­ren Verbindung zu Pflanzen erzählt. … Überall ist Leben mög­lich. Das zeigt sich in allen Menschen, denen ich begeg­net bin und die im Film auf­tau­chen. Die poe­ti­sche Kraft, die sich in ihren Leben offen­bart, fin­det ihre Entsprechung in der fil­mi­schen Form. Das war für mich die Herausforderung als Filmemacher. Film als eine Erfahrungsmöglichkeit.“ Nicolas Humbert

D/CH 2016, OmU, 108 Min.
Regie: Nicolas Humbert
Kamera: Marion Neumann
Schnitt: Simone Fürbringer

Hell or High Water

Ein Film von David Mackenzie.

Toby und Tanner, zwei ungleich tem­pe­ra­ment­vol­le Brüder und tem­po­rä­re Bankräuber, sowie Marc und Alberto, zwei sehr ver­schie­de­ne Texas-Ranger, die ihre Verfolgung auf­neh­men, stel­len das Personal die­ses in einer hoff­nungs­los her­un­ter­ge­wirt­schaf­te­ten Gegend West-Texas‘ ange­sie­del­ten Neo-Westerns. Er spielt heu­te, und so spie­len auch die Banken ihre unrühm­li­che Rolle. „Deine Vorfahren haben mei­ne Vorfahren von ihrem Land ver­trie­ben, und jetzt wer­det ihr von euren Banken ver­trie­ben“ sagt der Texas-Ranger india­ni­scher Abstammung zu sei­nem kurz vor der Rente ste­hen­den Kollegen, wäh­rend er mit stoi­scher Ruhe des­sen ras­sis­ti­sche Witzeleien hin­nimmt. „Lange genug, um zu sehen, wie die Bank aus­ge­raubt wird, die mich seit 30 Jahren aus­raubt.“ ant­wor­tet ein Rancher dem Texas Ranger auf die Frage, wie lan­ge er schon im Diner gegen­über der Bank sitzt.
„Ab Freitag kön­nen sie zwangs­voll­stre­cken, also tilgt bis dahin die Hypothek, kom­me was wol­le (hell or high water)“ rät der Anwalt den Brüdern, und sie holen sich dafür, was ihnen ihrer Meinung nach zusteht. Bei klei­nen Filialen geht das noch gut, die Digitalisierung und Personaleinsparung sor­gen jedoch für die Schließung von unren­ta­blen Standorten. Die nächs­te Filiale aber ist wesent­lich grö­ßer und gefähr­li­cher, trägt doch hier fast jeder eine Waffe.
Der erfolg­reichs­te Independent-Film in den USA 2016 ist weni­ger bru­tal, als es der Trailer ver­mu­ten lässt, son­dern eher ein melan­cho­li­scher Abgesang. Die gro­ße Freiheit war­tet hier auf nie­man­den mehr.

»Hell or High Water ist eine Kinoentdeckung, in Cannes wie nun auch in den US-Kinos. Die Akteure, die Schauplätze, gedreht wur­de vor­wie­gend in New Mexico, und die Musik machen die­se moder­ne Texas-Ballade zu einem bild­star­ken Meisterwerk.« Rolf Breiner | cineman
»Mühelos schleust Taylor Sheridans Drehbuch, das den jewei­li­gen schau­spie­le­ri­schen Stärken der Hauptdarsteller gekonnt in die Hände arbei­tet, bewähr­te Motive klas­si­scher Western in eine Geschichte aus der wirt­schafts­po­li­ti­schen Gegenwart ein und beweist damit ein­mal mehr die beein­dru­cken­de Anpassungsfähigkeit die­ses urame­ri­ka­ni­schen Genres.« Alexandra Seitz, epd-Film

 

USA 2016, 102 Min., engl. OmU
Regie: David Mackenzie
Drehbuch: Taylor Sheridan
Musik: Nick Cave, Warren Ellis
Darsteller: Chris Pine, Ben Foster, Jeff Bridges, Gil Birmingham

HELL OR HIGH WATER Trailer

Mein Leben als Zucchini

Ein Film von Claude Barras.

Der Eröffnungsfilm von DOK Leipzig (wo sowohl Dokumentar- als auch Animationsfilme gezeigt wer­den) 2016 hat schon welt­weit auf vie­len Festivals, so auch in Cannes bei der Quinzaine des Réalisateurs, die Zuschauer begeis­tert. Das Buch zu  CLAUDE BARRAS‘ Langfilmdebut ver­fass­te Bande-des-Filles / Tomboy Regisseurin CELINE SCIAMMA nach dem Roman „Autobiographie d’une Courgette / Autobiografie einer Pflaume“ von Gilles Paris , und SOPHIE HUNGER spiel­te die pas­sen­de Musik ein.Der klei­ne Zucchini, so sein Spitzname, steht ganz allei­ne auf der Welt. Der Vater ist schon lan­ge fort, die alko­hol­kran­ke Mutter stürzt bei der Verfolgung des 9‑Jährigen auf den Dachboden, wo er sich aus Angst vor Schlägen hin­ret­te­te, die Leiter her­ab und ist tot. Sein Schicksal teilt er fort­an mit einer Reihe Kinder, deren kur­ze Biografien ähn­lich trau­ma­ti­sche Erfahrungen auf­wei­sen, in einem klei­nen Waisenhaus. Zuerst hat er es als Neuling schwer, letzt­end­lich aber rau­fen sich alle mehr oder weni­ger zusam­men und müs­sen gemein­sam man­chen Herausforderungen trotzen.Die lie­be­vol­le Stop-Motion-Animation und der sen­si­ble Umgang mit den Problemen der Charaktere, denen auch Wut, Melancholie und Trauer zuge­stan­den wer­den, machen den unty­pisch und mit teil­wei­se schrä­gem Humor erzähl­ten Film sehens­wert für alle Altersgruppen.

»Die Figurenzeichnung und die Modellierung der Puppen gelin­gen über­aus genau. Trotzdem liegt etwas Allgemeingültiges dar­in, wie sich die Kinder über ihre ver­schie­de­nen Herkünfte und Traumata hin­weg annä­hern: Schmerz und Trauer sind Teil des Lebens; wir tun nie­man­dem einen Gefallen, wenn wir sie aus­blen­den.« Hannah Pilarczyk | Der Spiegel

Wir zei­gen „Mein Leben als Zucchini / Ma vie de Courgette“ sowohl im fran­zö­si­schen Original mit deut­schen Untertiteln als auch als deut­sche Synchronfassung.

Ma vie de Courgette
F/CH 2016 66 Min. dt, OmU

R.: Claude Barras
B.: Celine Sciamma
K.: David Toutevoix
S.: Valentin Rotelli

MA VIE DE COURGETTE – Trailer (Mein Leben als Zucchini, CH, F, 2016) – Anidrom

Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki

Ein Film von Juho Kuosmanen.                                                                            Trailer

Olli Mäki ist ein äußerst schüch­ter­ner jun­ger Mann, ein sym­pa­thi­scher Bäcker aus der fin­ni­schen Provinz – aber auch das größ­te Boxtalent sei­nes Landes! Im Sommer 1962 ver­schafft ihm sein ehr­gei­zi­ger Manager Elis einen Titel-Kampf gegen den ame­ri­ka­ni­schen Weltmeister Davey Moore. Die Vorbereitungen auf den gro­ßen Tag ste­hen an: Trainings, Fotoshootings, Sponsorendinner – aber Olli ist mit sei­nen Gedanken ganz woan­ders. Der Weiterlesen

Love & Friendship

Ein Film von Whit Stillman.

Ungefähr alle 2 Jahre ver­su­chen wir, Zuschauer in einen Film des in unse­rem Kino eher unge­wohn­ten Genres, den soge­nann­ten „Kostümfilms“ zu locken. 2012 war Benoit Jacquot am Hof König Ludwigs XVI. zu Beginn der fran­zö­si­schen Revolution unter­wegs (LEBWOHL, MEINE KÖNIGIN), 2014 beschäf­tig­te sich Dominik Graf mit den Liebesaffären Friederich Schillers (DIE GELIEBTEN SCHWESTERN). Diesmal ver­film­te Whit Stillman (METROPOLITAN, LAST DAYS OF DISCO, DAMSLES IN DISTRESS) auf sei­ne stets eige­ne Art Jane Austens „Lady Susan“, und es ist tat­säch­lich die ers­te fil­mi­sche Adaption die­ses Werks. Herausgekommen ist eine wit­zig-ele­gan­te Screwball-Comedy in bri­ti­schem Gewand. Die Viennale beschrieb das so in ihrem Katalog:
»Whit Stillman und Jane Austen sind das Traumpaar, das in die­sem Film zusam­men­kommt. Die gro­ße Liebe, die den ame­ri­ka­ni­schen Independentregisseur mit der eng­li­schen Romanautorin ver­bin­det, ist die zu kunst­voll mäan­dern­den Dialogen, in denen sich Figuren ver­klei­den und gleich­zei­tig ent­blö­ßen. Wenn Sevigny und Beckinsale, die schon 1998 in Whitmans LAST DAYS OF DISCO dabei waren, hier nun in 19. Jahrhundert-Kostümen die fein zise­lier­ten Sätze aus Austens frü­hem Briefroman «Lady Susan» wie­der­ge­ben, erfolgt das in typisch Whitman’scher «dry deli­very», was den ver­steck­ten Witz all der Heirats-Intrigen erst rich­tig zum Funkeln bringt.«, und bei programmkino.de wird geschwärmt:
»…ent­puppt sich als höchst char­man­ter Coup. So umwer­fend komisch und bril­lant scharf­zün­gig gab es die Austen nur sel­ten zu sehen.«
Wir wün­schen viel Vergnügen zum Jahresende!

USA 2016, 92 Min., engl. OmU
Regie: Whit Stillman
Drehbuch: Whit Stillman
Kamera: Richard Van Oosterhout
Schnitt: Sophie Corra
Darsteller: Chloë Sevigny, Kate Beckinsale, Stephen Fry, Xavier Samue

 

Austerlitz

Ein Film von Sergei Loznitsa.

Der Dokumentarfilm AUSTERLITZ – benannt nach dem Roman von W.G. Sebald – beob­ach­tet BesucherInnen meh­re­rer KZ-Gedenkstätten an som­mer­li­chen Tagen. In lan­gen, sta­ti­schen Einstellungen sieht der Film den­je­ni­gen zu, die sich dort in Strömen von Raum zu Raum Weiterlesen

Baden Baden

Ein Film von Rachel Lang.

’Baden-Baden‘‚ ist ein etwas merk­wür­di­ger Name. Zumal Baden-Baden zu Baden gehört. Wahrscheinlich liegt hier der Hund begra­ben. Es gibt ein schö­nes Elektronikalbum von Michaela Melian mit dem Titel „Baden-Baden“. Und jetzt den Film. Ein wun­der­voll flu­si­ger Film übers zer­streu­te Dribbeln durch den Sommer. Charmant nost­al­gisch und von berüh­ren­der Fremdheit. Die Protagonistin Ana fährt zu ihrer Großmutter nach Strasbourg, dem Ort, an dem sie sich zuhau­se fühlt.  Aufgrund eines Unfalls muß die Besuchte aber ins Krankenhaus. Ana beschließt, wäh­rend der Abwesenheit das Bad zu reno­vie­ren. Zwischen die­ser kon­kre­ten Aufgabe mit ihren prak­ti­schen Anforderungen des Kleinkloppens und Neuaufbauens und der Frage, wohin es in ihrem (Erwerbs)leben eigent­lich geht, von dem sie gera­de eine Auszeit genom­men hat (bzw. gefeu­ert wur­de), ver­streicht die Zeit sorg­fäl­tig und unauf­ge­regt. Während die Sonne des Sommers wärmt und Geborgenheit spen­det. Der ver­trau­te Ort und der Blick auf die Jahre zuvor füh­ren zu Begegnungen mit den alten Liebhabern. Selbst die glän­zen in ihrer ner­vi­gen Selbstbezogenheit im hel­len Licht, als wären sie gera­de erst neu in Anas Leben getre­ten. Spielerisch wird noch ein­mal aus der Vergangenheit geschöpft, ohne die Folgen fürch­ten zu müs­sen. Und dann kommt es in die­sem sorg­fäl­tig cho­reo­gra­fier­ten Reigen zum Jahresanfang noch zu der Begegnung mit dem schüch­ter­nen Mann im Baumarkt, der tat­säch­lich in der Nähe von Baden-Baden liegt.

F/BE 2016, 94 Min. frz. OmU
Regie: Rachel Lang
Kamera: Fiona Braillon
Schnitt: Sophie Vercruysse
mit: Salomé Richard, Claude Gensac, Swann Arlaud, Olivier Chantreau, Lazare Gousseau, Jorijn Vriesendorp, Driss Ramdi, Noémie Rosset u.a.

Baden Baden Trailer OmU

Das unbekannte Mädchen

Ein Film von Jean-Pierre und Luc Dardenne.

Jenny, eine jun­ge Ärztin, führt eine Praxis ver­tre­tungs­wei­se in einer bel­gi­schen Vorstadt. Als eines Abends nach Sprechstundenschluss es noch ein­mal klin­gelt, macht sie nicht auf, im Glauben, dass es sich nicht um einen Notfall han­delt. Am nächs­ten Tag erfährt sie von der Polizei, dass eine nicht iden­ti­fi­zier­te Person tot auf­ge­fun­den wur­de, offen­bar die jun­ge Frau, die am Vorabend in ihre Praxis wollte.

Sich (mit)schuldig füh­lend, fängt die Ärztin an, Nachforschungen anzu­stel­len, um zumin­dest den Namen der Toten zu ermit­teln. Bald schon gerät sie dabei immer tie­fer in ver­schie­de­ne Milieus. Anfangs läuft sie Gefahr, sich in ihrer Recherche zu ver­lie­ren, spä­ter jedoch beginnt ihre Umwelt auf ihre Hartnäckigkeit zu reagieren.

Der Film spielt wie immer an einem Durchgangsort, der eine gro­ße Unbehaustheit aus­strahlt, dort, wo eigent­lich nie­mand woh­nen will und wenn doch, gezwun­gen ist, sich ein­zu­rich­ten. Wie so häu­fig dreht es sich bei den Dardennes um Schuld, Trost, Zuwendung, den unab­läs­si­gen Kampf gegen Windmühlen und hier beson­ders auch um die Selbstfindung der Personen. Schön, wie es ihnen immer wie­der gelingt, nicht ‑wie in vie­len Sozialdramen- pla­ka­tiv zu typi­sie­ren, son­dern eine Vielschichtigkeit zu bewah­ren und dabei einen zärt­li­chen Blick auf ihre Protagonisten und ihre Welt zu wer­fen, nicht aber auf die Verhältnisse, in denen sie leben müssen.

Es ist immer wie­der beein­dru­ckend, mit wel­cher Souveränität und schnör­kel­lo­sen Klarheit es den Brüdern Jean-Pierre und Luc Dardenne gelingt, das jewei­li­ge Milieu ihrer Filme und die mora­li­schen Konflikte ihrer Figuren in der Exposition zu kon­tu­rie­ren.“ (Filmdienst)

 

La fil­le inconnu
Belgien / Frankreich 2016, 106 Min., frz. OmU

Regie: Jean-Pierre und Luc Dardenne
Kamera: Alain Marcoen
Schnitt: Marie-Hélène Dozo
Darsteller: Adèle Haenel, Fabrizio Rongione, Thomas Doret, Morgan Marinne, Christelle Cornil

DAS UNBEKANNTE MÄDCHEN – OmU Trailer