Ana, mon Amour

Ein Film von Călin Peter Netzer.

Das sie beim ers­ten Treffen über Nietzsche spre­chen ist nicht das ein­zi­ge Ungewöhnliche an der Begegnung zwi­schen Toma und Ana, bei­de Studenten, bei­de jung und doch belas­tet durch die Geschichte, durch ihre Eltern, durch die Erbschaft eines Landes, das erst vor kur­zem der Diktatur ent­kom­men ist. Während aus einem Nebenzimmer Sexgeräusche zu hören sind, hat Ana einen Anfall, unbe­stimm­te Magenschmerzen pla­gen sie, und wer­den sie noch jah­re­lang ver­fol­gen, wäh­rend sich ihre Beziehung ent­wi­ckelt und schließ­lich zugrun­de geht. Was wir hier sehen ist mög­li­cher­wei­se eine Rückblende, viel­leicht auch nur eine Erinnerung von Toma, der auf der Coach sei­nes Psychiaters liegt, die Beziehung zu Ana ist vor­bei, sei­ne Haare sind inzwi­schen deut­lich lich­ter als der unge­stü­me Lockenschopf, den er in den zeit­lich frü­he­ren Szenen der Geschichte trug. Jahrelang war es Ana, die bei einer Psychotherapeutin nach Antworten auf ihre Störungen such­te, die von einer mal inzes­tuö­sen, mal miss­bräuch­li­chen Beziehung zu ihrem Vater berich­te­te, die kaum pro­ble­ma­ti­scher war, als das Verhältnis von Toma zu sei­nen Eltern. Fließend wird zwi­schen der Gegenwart und unter­schied­lich weit zurück­lie­gen­den Vergangenheiten hin- und her­ge­schnit­ten (Cutterin Dana Bunescu bekam 2017 den Silbernen Bären), Bezüge zwi­schen heu­te und ges­tern ange­deu­tet, vor allem die Frage auf­ge­wor­fen, inwie­fern die Vergangenheit die Gegenwart beein­flusst. Und genau dies ist das Thema des zeit­ge­nös­si­schen rumä­ni­schen Kinos, das immer wie­der davon erzählt, wie die Ceausescu-Diktatur und die mit ihr ein­her­ge­hen­de Korruption die Menschen präg­te und auch heu­te, inzwi­schen ein Viertel Jahrhundert nach dem Tod des Diktators noch beein­flusst. (…) Fließend sind dabei die Übergänge zwi­schen brei­te­ren gesell­schaft­li­chen Entwicklungen und der per­sön­li­chen Ebene, die bei Netzer im Zentrum steht. Gleich bei­de Elternpaare von Ana und Toma sind gelin­de gesagt zer­rüt­tet und über­tra­gen – zwar unbe­wusst aber unaus­weich­lich – ihre Verhaltensweisen auf die nächs­te Generation. Fast schon fata­lis­tisch wäre das zu nen­nen, wenn es nicht so fas­zi­nie­rend, so genau und klug und wahr­haf­tig beob­ach­tet wäre, wie es Netzer in sei­nem her­aus­ra­gen­den Film tut. Michael Meyns | programmkino.de

Rumänien 2017, 127 Min. , rum. OmU 
Regie: Calin Peter Netzer
Kamera: Andrei Butică 
Schnitt: Dana Bunescu 
mit: Mircea Postelnicu, Diana Cavallioti, Carmen Tanase, Vasile Muraru