Ein Film von Midi Z.
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Der Filmdreh, der der Schauspielerin Nina Wu zum Durchbruch verhelfen könnte, entpuppt sich als toxisch und Nina rutscht immer wieder in einen Alptraum hinen. Die Grenzen zwischen Film, Realität und Angstfantasien verschwimmen.
Im Nachhinein fragt man sich, warum die Schauspielerin Nina Wu (Wu Ke-Xi) schon in den ersten Szenen des Films so niedergeschlagen aussieht. Da hat sich ihr Agent gerade erst mit einem neuen Casting-Angebot gemeldet. Ahnt Nina da schon, wie es laufen wird? Hat sie bereits Ähnliches erlebt? Oder beschreibt NINA WU weniger ein Ereignis und die emotionalen Folgen als ein psychologisches Kontinuum, von dem nicht klar ist, ob es in Nina selbst oder in ihrer toxischen Umgebung verankert ist? Die Grenzen zwischen dem, was Gegenwart ist, was Erinnerung, was Film und was Traum, verlaufen im Film des taiwanesischen Regisseurs Midi Z zunehmend fließend. Zu Beginn scheint alles noch klar verortbar. Nina Wu ist eine angehende Schauspielerin, die sich mit Nebenjobs über Wasser hält. Dem neuen Projekt gegenüber ist sie skeptisch, macht aber doch mit, obwohl es ihr zu viele Nacktszenen enthält. Der Dreh ist furchtbar. Nina wird wie ein Möbelstück herumgeschoben und im Raum platziert, verloren sieht man sie dann von weit weg in großen Panorama-Einstellungen sitzen. Ein empathieloser Regisseur presst Emotionen aus ihr heraus wie aus einer Zitrone, und hat offenbar Freude an der Demütigung. In einer Szene muss Nina zwischen Wahnsinn und Mordlust rufen: „Ihr nehmt mir nicht nur den Körper. Ihr nehmt mir die Seele. Ihr werdet es bereuen!“ Es ist klar, dass da nicht nur die Filmfigur spricht. Der Film ist ein Erfolg und Nina auf dem Weg, tatsächlich ein Star zu werden. Doch sie scheint immer tiefer in eine Spirale der Verzweiflung zu rutschen. Alltägliche Situationen lösen sich in aggressive Konfrontationen auf, die sich als Traumsequenzen herausstellen. Oder doch nicht? Mit jeder Drehung bewegt sich der Film weiter auf die eine, verstörende Szene zu, die den Kern des Traumas bildet.
Midi Z inszeniert zwischen Psychodrama und Noir an der Grenze zum Exploitation-Kino. Das Skript stammt von Hauptdarstellerin Wu Ke-Xi, die darin auch eigene Erfahrungen aus der Anfangszeit ihrer Karriere verarbeitet. Für eine Weile zog sie sich damals aus der Filmindustrie zurück und fand dann über Arthouse-Drehs und insbesondere die Zusammenarbeit mit Midi Z die Freude an der Schauspielerei wieder. NINA WU nimmt deutlich Bezug auf die Erzählungen der #MeToo-Bewegung, insbesondere in den üblen Szenen, die in einem mit Teppich und Vorhängen überladenen Hotelzimmer mit der Nummer 1408 spielen und an Harvey Weinsteins Aufforderungen an junge Schauspielerinnen, ihn in seinem Hotelzimmer aufzusuchen, erinnern. (ZIMMER 1408 ist übrigens auch der Titel eines Horrorfilms von Mikael Håfström aus dem Jahr 2007, produziert von Harvey Weinstein). Letzten Endes ist das Anliegen von NINA WU aber weniger sexuelle Übergriffigkeit, als eine sadistische Kultur der Demütigung, gegen die sich junge, netzwerklose Frauen kaum wehren können, und in der Missbrauch nur eine Facette von vielen ist.
Wer mehr von Midi Z sehen möchte, kann auf dem 3. Taiwanesischen Film Festival, das vom 21.–30.8. ausnahmsweise online stattfindet, zwei frühere Arbeiten nachholen: den preisgekrönten ICE POISON (2014) und den Dokumentarfilm CITY OF JADE (2016).
Hendrike Bake | indiekino.de
Juo ren mi mi
Taiwan 2019, 103 Min., chin. (mandarin) OmU
Regie: Midi Z
Drehbuch: Wu Ke-xi
Kamera: Florian Zinke
mit: Wu Ke-xi, Vivian Sung, Kimi Hsia, Ming-Shuai Shih