West-Berlin (Oranienstraße), 1980er Jahre. © Michael Hughes, Berlin

Berlinzulage – Filmreihe zur Ausstellung

West-Berlin / Kunst / 1980er Jahre

Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht vor­an“ sin­gen die Fehlfarben Anfang der 1980er Jahre, viel­leicht auch mit iro­ni­schem Seitenblick auf das ‚Weiter, Höher und Schneller‘ des ste­tig vor­an­schrei­ten­den Sozialismus hin­ter der Mauer (in der DDR). Egal wie­viel Hellsichtigkeit man der Band, die ohne es zu wol­len die Hymne der West-Berliner Hausbesetzer schrieb, beschei­ni­gen will – am Ende der Dekade sind alle auch am Ende der Geschichte angelangt.
Dass die­se sich den­noch wei­ter­ge­dreht hat (ganz im Sinne des Songtexts) und wel­che his­to­ri­schen Linien sich aus der dama­li­gen Anti- und Aufbruchstimmung bis heu­te zie­hen las­sen, ist der Rahmen für die­se Ausstellung, die sich kon­zep­tu­el­len und sub­kul­tu­rel­len Tendenzen der Kunst der 1980er Jahre in West-Berlin zuwendet.

In der zur Ausstellung gehö­ren­den Filmreihe zei­gen wir vom 6. – 12.9.:

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Nekromantik

West-Berlin 1987 – 90 Minuten – Spielfilm – Farbe – Digital (von Super8) – R:

R/B: Jörg Buttgereit – B: Franz Rodenkirchen – K: Uwe Bohrer – P/K: Manfred Jelinski – M: John Boy Walton, Hermann Kopp, Daktari Lorenz – mit Daktari Lorenz, Beatrice Manowski, Harald Lundt, Susa Kohlstedt, Franz Rodenkirchen, Volker Hauptvogel

Kein Film sonst hat die mor­bi­de Atmosphäre des alten West-Berlins so gekonnt ein­ge­fan­gen, auf die Spitze getrie­ben und sub­li­miert wie Jörg Buttgereits „Nekromantik“ (Nun ja, viel­leicht noch „Possesssion“…). Der Film erzählt auf der Oberfläche von einem jun­gen Pärchen, das der Nekrophilie ver­fällt, immer neue Kicks braucht und dafür sei­ne Beziehung ver­spielt. Was das Werk von ande­ren Horror-Filmen unter­schied, war vor allem sei­ne Gegenwärtigkeit – die Verwurzelung im Hier und Jetzt einer kon­kret ver­han­del­ten Erlebniswelt. Unvermittelt öff­ne­te sich die Tür zur Nachbarswohnung in Kreuzberg oder Neukölln, gewähr­te Einblicke in Wirklichkeiten, die zwar sehr merk­wür­dig anmu­te­ten, die aber gleich­zei­tig nicht ganz aus­zu­schlie­ßen waren. Völlig aus­ge­he­belt waren auch die gän­gi­gen Strickmuster des Genres mit all sei­nen Figurenklischees und den ewig vari­ier­ten Gut-Böse-Schemata. Naturgemäß wur­de „Nekromantik“ bei sei­ner Premiere von gro­ßen Teilen der „seriö­sen Filmkritik“ reflex­ar­tig abge­wehrt. Inzwischen ist klar, dass es sich um eine zwar ver­stö­ren­de, doch seis­mo­gra­fisch genaue Bestandsaufnahme aus der „Frontstadt“ West-Berlin in ihrer letz­ten Phase handelt.

Do, 6.9. 22:00


Decoder

BRD 1984 – 87 Minuten – Spielfilm – Farbe – Digital (von 16mm) – R: Muscha – B: Klaus Maeck, Muscha, Volker Schäfer, Trini Trimpop – K: Johanna Heer – M: FM Einheit, Dave Ball, Genesis P_Orridge, Matt Johnson, The The, John Caffery, Einstürzende Neubauten – mit FM Einheit, Christiane F., Bill Rice, Matthias Fuchs, Ralf Richter, William S. Burroughs, Genesis P‑Orridge, Mona Mur, Alexander Hacke

In der nahen Zukunft (von 1984 aus gese­hen) schlägt sich der Soundbastler F.M. durch den Dschungel einer anony­men Metropole. Er ist davon über­zeugt, dass die Städtebewohner durch gehei­me Tonsignale mani­pu­liert wer­den, um so zu wil­len­lo­sen Konsumenten zu mutie­ren. Er ent­wi­ckelt gemein­sam mit Pionieren der Stadtguerilla eine Gegenbewegung – den „Cassetten-Terrorismus“. Das staats­ka­pi­ta­lis­ti­sche „Muzak“-Gedudel soll deco­diert, umge­polt und in revo­lu­tio­nä­re Energie ver­wan­delt wer­den. Basierend auf den Ideen von William S. Burroughs, ver­moch­te eine Handvoll Akteure aus der Düsseldorfer Szene wir­kungs­voll ihre kurio­se Dystopie von Überwachung und Revolte zu ent­wer­fen. Zahlreiche Stars der Subkultur konn­ten für Gastauftritte gewon­nen wer­den, u.a. Christiane F., Bill Rice, Genesis P_Orridge und Burroughs hims­elf. Aufnahmen des West-Berlin-Besuchs von Ronald Reagan und ande­res Found-Footage-Material ver­lei­hen dem Ganzen einen reiz­vol­len doku­men­ta­ri­schen Touch. „Ein west­deut­scher No-Wave-Film, ein Unikum, damals ein fast unsicht­ba­rer Insider-Tipp, gebor­gen aus der Müllkippe des Vergessens, heu­te hörens- und sehens­wert.“ (film-dienst)

Fr, 7.9. 22:00


Kinder der Konfettimaschine

West-Berlin 1987 – 75 Minuten – semi­do­ku­men­ta­ri­scher Spielfilm – Farbe – Digital (von 16mm) – R: Rainer Grams – B: Klaus Dörries, Rainer Grams – K: Klaus Dörries, Frank Fölsch – P: Jürgen Brüning – mit Michael Krause, Hans-Jürgen Casper, Ronald Berg, Irmgard Maenner, Frank Heizmann, Frieder Weber, Hussyin Kutlucan

Im Mai 2018 schloss das legen­dä­re Kreuzberger Eiszeit-Kino für immer sei­ne Pforten. Die letz­ten Betreiber des Hauses, die sich des mythi­schen Namens bedien­ten, hat­ten schon nichts mehr mit des­sen glor­rei­cher Vergangenheit zu tun. Diese reicht bis ins Jahr 1981 zurück, als das „Eiszeit“ als Hausbesetzer-Kino auf der Blumenthalstraße in Schöneberg gegrün­det wur­de. Nach der poli­zei­li­chen Räumung und einer Zwischenstation im „Frontkino“ konn­ten 1983 die Räume auf der Zeughofstraße bezo­gen wer­den. Als Teil der Bewegung „Lichtspiele im Untergrund“ (zu der u.a. auch das Regenbogen-Kino und der Ufer-Palast gehör­ten) wur­de eine Erweiterung des Begriffs „Kino“ über den einer blo­ßen Abspielstätte für Filme hin­aus betrie­ben. Der kol­lek­tiv erar­bei­te­te Spielplan war­te­te auch mit Konzerten, Performances, Lesungen und Ausstellungen auf. Über allem wal­te­te die Idee sub­kul­tu­rel­len Selbstverständnisses. Regisseur Rainer Grams war akti­ver Teil der Gruppe, die sich um das „Eiszeit“ schar­te. 1987 ergab sich für ihn die Gelegenheit, für das „Kleine Fernsehspiel“ (ZDF) ein spie­le­ri­sches Gruppenporträt mit Wegbegleitern und Zeitgenossen zu drehen.

Sa, 8.9. 22:00


So war das S.O. 36 – Ein Abend der Nostalgie

West-Berlin 1980−85÷1997 – 89 Minuten – Dokumentarfilm – Farbe – Digital (von Super‑8) – R/K: Manfred O. Jelinski, Jörg Buttgereit – K: Michael Becker, Uwe Bohrer, Detlef Skibbe, Verena Wolff – M: Carambolage, Beton Combo, Einstürzende Neubauten, Die Gelbs, Soilent Grün (a.k.a. Die Ärzte), Der Wahre Heino (Norbert Hähnel), Die Ich’s, Lorenz Lorenz, Rubberbeats, Die Tödliche Doris

Die Körnigkeit des hoch­emp­find­li­chen Materials im Pogo-Taumel, flie­gen­de Bierbüchsen im bun­ten Bühnennebel, Rauch, Schweiß und Kondenswasser an den Wänden. Die Kameras dicht am Geschehen, mit­ten unter den tan­zen­den, schrei­en­den und drän­gen­den Zuschauern oder auf der Bühne neben Schlagwerk, Gitarre und schwar­zen Lederstiefeln.“ (Berlinale) Im Selbstauftrag hat­te Manfred O. Jelinski schon 1980 begon­nen, die Punk- und New-Wave-Konzerte im legen­dä­ren S.O. 36 fil­misch zu doku­men­tie­ren. Zu die­sem Super-8-Langzeitprojekt stieß spä­ter Jörg Buttgereit, der selbst im Film auf der Bühne mit Freunden in einer Kiss-Parodie zu erle­ben ist. Interviews mit den tür­ki­schen Betreibern, eine lose Rahmenhandlung und diver­ses Archivmaterial run­den das Bild ab. 1985 hat­te eine ers­te Variante des Films auf dem Forum des jun­gen Films auf der Berlinale Premiere. 1998 wur­de das Werk dann in sei­ne jet­zi­ge Form gebracht.

Sa, 8.9. 23:30


Jesus – Der Film

West-Berlin 1986 – 126 Minuten – Episodenfilm – Schwarzweiß – Digital (von Super‑8) – R: Michael Brynntrup (Gesamtkonzept und Montage) sowie Anarchistische Gummizelle, Jörg Buttgereit, Die Tödliche Doris, Frontkino / Konrad Kaufmann, Birgit und Wilhelm Hein, inter­shop gemein­schaft wig­gert, Almut Iser, Dietrich Kuhlbrodt, Georg Ladanyi, Merve Verlag, Giovanni Mimmo, pade­lu­un, Robert Paris / Andreas Hentschel, Schmelzdahin, Stiletto, Sputnik Kino / Michael Wehmeyer, Teufelsberg Produktion, Lisan Tibodo, VEB Brigade Zeitgewinn, Werkstattkino München / Doris Kuhn, Andreas Wildfang – K: Wolfgang Böhrer, Michael Brynntrup, Jörg Buttgereit, Klaus Dörries, Dietrich Kuhlbrodt, pade­lu­un, Lisan Tibodo, Uli Versum, Andreas Wildfang, Castro Zen, Björn Zielaskowsy – mit Michael Brynntrup, Panterah Countess, Jürgen Brauch, Oliver Körner von Gustorff, Wolfgang Bohrer, Jörg Buttgereit, Mizza Caric, Dietrich Kuhlbrodt, pade­lu­un, Lisan Tibodo, Uli Versum, Michael Wehmeyer, Castro Zen

No-Budget-Monumentalwerk in 35 Kapiteln, gedreht auf Super‑8 unter der Beteiligung von ins­ge­samt 22 Künstlerinnen und Künstlern. Der aus Münster stam­men­de, als Supervisor des Projekts fun­gie­ren­de Michael Brynntrup (Jahrgang 1959) arbei­te­te dar­in sein Trauma als Messdiener ab, ent­wi­ckel­te das sowje­ti­sche Filmmaterial im hei­mi­schen Labor selbst und ver­kör­per­te selbst­ver­ständ­lich auch die Titelfigur – in sämt­li­chen Episoden.

So, 9.9. 15:30


Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo

BRD 1981 – 131 Minuten – Spielfilm – Farbe – Digital (von 35mm) – R: Uli Edel – B: Herman Weigel, nach dem gleich­na­mi­gen Tatsachenbericht von Christiane V. Felscherinow – K: Justus Pankau, Jürgen Jürges – M: Jürgen Knieper, David Bowie, Brian Eno – S: Jane Seitz – mit Natja Brunckhorst, Thomas Haustein, Jens Kuphal, Reiner Wölk, Christiane Reichelt, David Bowie

Christiane F. wur­de mit ihrer Geschichte nach­ge­ra­de zum Synonym des Drogensumpfes rund um den West-Berliner Ersatzbahnhof am Zoo. Wie die 15-jäh­ri­ge Schülerin aus Gropiusstadt unauf­halt­sam in einen Strudel aus Tabletten, Alkohol und schließ­lich Heroin gezo­gen wird, erlebt aus­gie­bi­ge Schilderung, inklu­si­ve Klauerei, Schmutz, Blut und Sex (mal aus Suche nach Nähe, mal zur Geldbeschaffung). Daneben ist der Film – trotz aller Inszenierung – inzwi­schen selbst zum Dokument eines Berlin gewor­den, das es so längst nicht mehr gibt. In einem rela­tiv lan­gen Konzertmitschnitt ist zudem der zeit­wei­li­ge Wahl-Berliner David Bowie zu erle­ben, der von der Bühne her­ab direkt Christiane F. ansingt: „Wir kön­nen Helden sein, für immer und ewig.“

Mo, 10.9. 22:00


Possession

Frankreich / BRD 1981 – 127 Minuten – Spielfilm – Farbe – Digital (von 35mm) – OmU – R: Andrzej Żuławski – K: Bruno Nuytten – M: Andrzej Korzynski – mit Isabelle Adjani, Sam Neill, Margit Carstensen, Heinz Bennent, Johanna Hofer

Als ein Mann von einer Geschäftsreise zurück­kehrt in sei­ne Wohnung an der Mauer in Berlin-Wedding, liegt sei­ne Ehe in Trümmern. Seine Frau hat offen­bar eine Affäre, ist hoch­gra­dig ver­stört, doch will über nichts spre­chen. Was ein von dem Mann beauf­trag­ter Privatdetektiv dann in einer Wohnung an der Mauer in Kreuzberg fin­det, ist hoch­gra­dig ver­stö­rend – und nicht nur für ihn fol­gen­schwer. Der pol­ni­sche Filmemacher Andrzej Żuławski („Nachtblende“) zeig­te das West-Berlin der dama­li­gen Zeit als selt­sa­men Ort, an dem bizar­re Dinge gesche­hen. Der auf Englisch gedreh­te Horror-Psychothriller ist einer der ganz weni­gen aus­län­di­schen Berlin-Filme aus der zwei­ten Hälfte des 20. Jahrhundert, in denen es weder um Nazis noch um Spione geht. Oder doch? Isabelle Adjani wur­de in Cannes aus­ge­zeich­net und erhielt den César. In Deutschland fand der Film nie einen Verleih.

Di, 11.9. 22:00


Fucking City

West-Berlin 1981 – 88 Minuten – Spielfilm – Schwarzweiß – Digital (von 16mm) -

R / B / K / S/ P: Lothar Lambert – mit Ulrike Schirm, Stefan Menche, Lothar Lambert, Dagmar Beiersdorf, Ayla Algan, Mustafa Iskandarani, Erika Rabau, Dorothea Moritz, Renate Soleymany

Helga und Rüdiger sind ein Ehepaar, sie suchen per Kleinanzeigen jun­ge Ausländer, um mit ihnen ero­ti­sche Abenteuer vor lau­fen­der Kamera zu insze­nie­ren. Der schwu­le Fleischer Kurt ver­sucht, sei­ne aus der Provinz ange­reis­te Schwester Klara zu über­re­den, einen sei­ner Favoriten zu hei­ra­ten. Zuletzt ste­hen alle vor den Trümmern ihrer Wunsch-Wirklichkeiten. Lamberts schwär­zes­ter Film beschreibt die Sinnsuche von vier Menschen im Labyrinth sexu­el­ler Ersatzhandlungen, irgend­wo zwi­schen „Taxi zum Klo“ (Frank Ripploh, 1980) und Fassbinders „Angst essen Seele auf“ (1974) ange­sie­delt; „… aber lus­ti­ger, trau­ri­ger und kri­ti­scher als jeder der bei­den genann­ten Filme.“ (James Hoberman, The Village Voice)

Mi, 12.9. 22:00

R = Regie; B = Buch; K = Kamera; M = Musik; S = Schnitt; P = Produktion; OmU = Originalfassung mit Untertiteln