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Crossing – Auf der Suche nach Tekla

Ein Film von Levan Akin. 

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In jedem Road-Movie steckt immer auch ein Weg der Hauptfigur zu sich selbst, und Crossing schickt die Georgierin Lia los. Nach dem Tod ihrer gelieb­ten Schwester, die sie lan­ge pfleg­te, hat die streng wir­ken­de, pen­sio­nier­te Lehrerin das Gefühl, kei­ne Perspektive im Leben und nichts mehr zu ver­lie­ren zu haben. Allerdings hat sie einen Auftrag mit­be­kom­men: sie soll ihre ver­schol­le­ne trans Nichte Tekla, der sie einst sehr nahe stand, fin­den. Als ihr jun­ger Nachbar Achi behaup­tet, Teklas Adresse in Istanbul – eine Stadt, in der man gut ver­schwin­den kann, wenn man will – zu ken­nen, und zudem Englisch zu spre­chen, nimmt sie ihn wider­stre­bend mit auf die Suche. Die Reise ver­än­dert Lia zuse­hends. Durch ihre Beziehung zu Achi und ihre Begegnungen mit der trans Community in Istanbul, ins­be­son­de­re mit der lebens­lus­ti­gen, enga­gier­ten Anwältin Evrim, öff­net sich Lia all­mäh­lich und sieht die Welt und ihren Platz dar­in mit ande­ren Augen. Alle drei Protagonist:innen eint, in ihrem Leben gro­ße Opfer gebracht und Einschränkungen in Kauf genom­men zu haben, um die herr­schen­de Hegemonie, im per­sön­li­chen wie poli­ti­schem Umfeld, nicht zu stö­ren. Crossing ist ein leben­di­ger, unge­schön­ter Film über Solidarität, über die klei­nen Gesten der Güte, und des Verständnisses zwi­schen Fremden und inner­halb der Familie.
In vie­ler­lei Hinsicht ist er auch ein Liebesbrief an Istanbul und sei­ne Geschichte, trotz der offen­sicht­li­chen, durch die Straßenkinder Izzet und Gulpembe ins Bild auf­ge­nom­me­nen Armut:
„Istanbul ist ein Ort, an dem man auf engs­tem Raum gegen­sätz­li­che Welten antref­fen kann. Die eine Straße ist sehr reli­gi­ös, und wenn man zwei Straßen wei­ter­geht, ist man plötz­lich in einer quee­ren Oase, wo Männer händ­chen­hal­tend her­um­lau­fen. Diese Ambivalenz woll­te ich im Film dar­stel­len. Wenn Lia und Achi im Film ins que­e­re Viertel gehen, ist der kur­ze Weg, den sie gehen, der tat­säch­li­che Weg in der Realität. In Istanbul leben die unter­schied­lichs­ten Religionen, Menschen und, nicht zu ver­ges­sen, Katzen und Hunde.“ Levan Akin
Teddy – Preis der Jury 2024 Berlinale – Panorama

Credits:

SE/DK/FR/TR/GE 2023, 105 Min., geor­gisch, tür­kisch, engl. OmU
Regie: Levan Akin
Kamera: Lisabi Fridell
Schnitt: Emma Lagrelius, Levan Akin
mit: Mzia Arabuli, Lucas Kankava, Deniz Dumanlı

Trailer:
CROSSING – Trailer OmU German | Deutsch
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Lacci - Was uns hält

Was uns hält

Ein Film von Daniele Luchetti. 

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Neapel Anfang der 1980er Jahre. Aldo (Luigi Lo Cascio) hat gera­de sei­ne Kinder Anna und Sandro ins Bett gebracht und ihnen eine Gutenachtgeschichte erzählt. Nun steht er in der Küche neben sei­ner Frau Vanda (Alba Rohrwacher) und gesteht ihr, dass er sie betro­gen hat. Vanda ver­liert den Boden unter den Füßen und weiß nicht, wie sie reagie­ren soll.
Was bedeu­tet das für sie und die Kinder?
Dreißig Jahre spä­ter leben Vanda (Laura Morante) und Aldo (Silvio Orlando) immer noch zusam­men, aber viel­leicht haben sie und ihre Kinder, Anna (Giovanna Mezzogiorno) und Sandro (Adriano Giannini) dafür einen hohen Preis gezahlt.

(…) Denn nicht um kon­kre­te Ereignisse geht es, nicht ums Verlieben oder Verlassen, son­dern um das Zusammenbleiben, trotz allem. Viel psy­cho­lo­gi­scher, viel unter­schwel­li­ger ist die­ser Ansatz eines Beziehungsfilms, viel weni­ger kon­kret, dadurch flüch­ti­ger und schwie­ri­ger in einer nur 100 Minuten kur­zen Erzählung zu fas­sen. Um den Umgang mit Untreue geht es in Was uns hält, um den Versuch, eine Beziehung trotz allem am Leben zu erhal­ten, auch um der Kinder wegen, um Kompromisse, um unvor­her­ge­se­he­ne Folgen, gera­de auch für die nächs­te Generation.“ M. Meyns

Basierend auf dem Roman «Auf immer ver­bun­den» von Domenico Starnone zeigt Regisseur Daniele Luchetti (Mein Bruder ist ein Einzelkind), wie stark die Bindung der Familie im Guten wie im Schlechten ist – auch wenn die Liebe in neue Richtungen zieht.

Eine leben­di­ge Ehegeschichte im Ferrante-Stil, das emo­tio­nal har­te, aber raf­fi­niert kon­stru­ier­te Porträt einer Beziehung, die in Zeitlupe zer­bricht. Es ist wie die ita­lie­ni­sche Version von Marriage Story, nur über 40 Jahre gestreckt. Alba Rohrwacher und Luigi Lo Cascio sind als Vanda und Aldo außer­ge­wöhn­lich stark.” (The Times)

Credits:

Lacci
IT 2020, 100 Min., ital. OmU
Regie: Daniele Luchetti
Kamera: Ivan Casalgrandi
Schnitt: Aël Dallier Vega · Daniele Luchetti
mit Alba Rohrwacher, Luigi Lo Cascio, Laura Morante, Silvio Orlando, Giovanna Mezzogiorno

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Ivo

Ivo

Ein Film von Eva Trobisch. 

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Ivo arbei­tet als ambu­lan­te Palliativpflegerin. Täglich fährt sie zu Familien, Eheleuten und Alleinstehenden. In klei­ne Wohnungen und in gro­ße Häuser. In immer ver­schie­de­nes Leben und Sterben. In immer ver­schie­de­nen Umgang mit der Zeit, die bleibt. Zu Hause hat sich ihre puber­tie­ren­de Tochter längst selbst­stän­dig gemacht. Von früh bis spät ist Ivo in ihrem alten Skoda unter­wegs, den sie zu ihrem per­sön­li­chen Lebensraum gemacht hat. Hier nimmt sie ihre Mahlzeiten zu sich, arbei­tet, singt, flucht und träumt sie. Eine ihrer Patientinnen, Solveigh, ist zu einer engen Freundin gewor­den. Auch zu Solveighs Mann Franz hat Ivo eine Beziehung geknüpft. Tag für Tag arbei­ten sie bei der Pflege von Solveigh zusam­men. Und sie schla­fen mit­ein­an­der. Solveighs Kräfte schwin­den, bald ist sie bei den ein­fachs­ten Verrichtungen auf Unterstützung ange­wie­sen. Die letz­te Entscheidung will sie allei­ne tref­fen. Ivo soll ihr beim Sterben hel­fen.
„Trobisch spinnt die fik­ti­ve, nah am Halbdokumentarischen erzähl­te Geschichte, in der Schauspieler:innen und ech­tes Fachpersonal auf orga­ni­sche Weise inter­agie­ren, mit eher locke­rem Faden. Vieles bleibt ange­deu­tet, nichts drängt nach dra­ma­tur­gi­scher Zuspitzung. Auch die Affäre mit Franz muss nicht ver­kom­pli­ziert wer­den. Sie wird viel­mehr als eine selbst­ver­ständ­li­che und für bei­de stär­ken­de Verbindung gezeigt, die in einem ganz bestimm­ten Zeitfenster exis­tiert, in dem das Sterben der Freundin und Ehefrau immer auch mit anwe­send ist.
Ivo ist ein groß­zü­gi­ger und offe­ner Film. Er besteht nicht auf Antworten und Thesen, son­dern stellt viel­mehr unter­schied­li­che Beobachtungen, Fragen und Empfindungen, die mit dem Sterben zu tun haben, neben­ein­an­der: Pragmatismus und inne­rer Aufruhr, das Banale und das Erschütternde, Bewegung und Stillstand. Anders als Jessica Krummacher in Zum Tod mei­ner Mutter (2022) sucht Eva Trobisch nicht nach Abstraktion und Reduktion, son­dern nach Fülle und Gleichzeitigkeit. Gleichwohl ist ihr Realismus nicht auf das blo­ße Abbilden äuße­rer Handlungen beschränkt, son­dern impres­sio­nis­tisch auf­ge­bro­chen und von Ivos Empfindungen und Blicken durch­drun­gen. Die mit einem 16mm-Objektiv auf­ge­nom­me­nen Bilder sind licht­durch­flu­tet und hap­tisch; von den kör­per­li­chen Verfallsprozessen wir­ken sie gänz­lich unbe­rührt. Das Wissen um die Endlichkeit von Leben wirkt wie ein Wahrnehmungsverstärker.“ Esther Buss | Filmdienst

Credits:

DE 2024, 104 Min., deut­sche OmeU
Regie: Eva Trobisch
Kamera: Adrian Campean
Schnitt: Laura Lauzemis
mit Minna Wündrich, Pia Hierzegger, Lukas Turtur

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Ein Schweigen

Ein Schweigen

Ein Film von Joachim Lafosse. 

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Der Staranwalt François ver­tei­digt die Eltern der Opfer in einem auf­se­hen­er­re­gen­den Prozess gegen einen Serienkiller, der jah­re­lang Kinder und Jugendliche ent­führt hat­te, sie gefan­gen hielt, sexu­ell miss­brauch­te und schließ­lich ermor­de­te. Die Presse lagert vor dem aus­la­den­den Haus der Familie, sen­sa­ti­ons­lüs­tern und gie­rig nach mög­lichst schlüpf­ri­gen Informationen über den Fall, der das gan­ze Land in Atem hält.
Doch dann gerät François selbst unter Verdacht, auf sei­nem Computer fin­det sich kin­der­por­no­gra­fi­sches Material. Nur zur Recherche für den aktu­el­len Fall habe er sich mit die­sen Bildern beschäf­tigt, ver­tei­digt sich der Anwalt, doch sei­ne Frau Astrid weiß es bes­ser: Hinter der gut­bür­ger­li­chen, wohl­ha­ben­den Fassade ver­birgt sich ein dunk­les Geheimnis, eine lan­ge zurück­lie­gen­de Anschuldigung, die Astrid bis­lang meist für sich behal­ten hat. (…)
Zwar basiert Ein Schweigen in vie­len Aspekten auf dem Fall des bel­gi­schen Serienkillers Marc Dutroux, der wegen Entführung, Vergewaltigung und Mord zu lebens­lan­ger Haft ver­ur­teilt wur­de und vor allem auf Victor Hissel, ein Anwalt der Eltern zwei­er Opfer Dutroux, der selbst des Besitzes von Kinderpornographie schul­dig gespro­chen wur­de. Doch wie so oft in sei­nen Filmen, geht es Lafosse weni­ger um das wie, als um das war­um, weni­ger um das, was die Täter antreibt, als die Folgen für die Opfer.
Die sind im Fall von Ein Schweigen Astrid und Raphael, die eine, die viel zu lan­ge geschwie­gen hat, der ande­re, der nicht mehr schwei­gen kann und will. Dass der Täter, dass François dabei von Daniel Auteil gespielt wird, einem der belieb­tes­ten Schauspieler Frankreichs, erweist sich als beson­ders effek­ti­ver Schachzug. Meist hat Auteil in sei­ner lan­gen Karriere umgäng­li­che, sym­pa­thi­sche Figuren gespielt, die ein wenig ver­schlos­sen sein mögen, aber doch auf der Seite des Rechts stan­den, sich für das Gute ein­ge­setzt haben. So fragt man sich lan­ge, was den Sohn nur dazu gebracht haben kann, sei­nen Vater anzu­grei­fen, ver­sucht, Erklärungen für den Besitz der Kinderpornographie zu fin­den, auch Gründe dafür, dass Astrid jah­re­lang geschwie­gen hat, nicht aus der Ehe floh. Und genau dar­um geht es Lafosse in sei­nem Drama, das ohne fal­sche, auf­ge­setz­te Emotionen von einer Familie erzählt, die es sich in einem Lügengeflecht bequem gemacht hat und nun nicht mehr her­aus­kommt. Die Schuldfrage mag am Ende zwar ein­deu­tig sein, doch die Ambivalenz über­wiegt.“
Michael Meyns | programmkino.de

Credits:

Un Silence
FR 2023, 99 Min., franz. OmU
Regie: Joachim Lafosse
Kamera: Jean-Francois Hensgens
Schnitt: Damien Keyeux
mit Emmanuelle Devos, Daniel Auteuil, Matthieu Galloux

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Sleep With Your Eyes Open

Ein Film von Nele Wohlatz.

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Die Erfahrungen, die sie in ihren Jahren in Argentinien und bei ihrem Filmdebut (nach ver­schie­de­nen Werken als Ko-Regisseurin) , dem schö­nen Dokumentarhybrid El Futuro Perfecto mach­te, bil­den die Grundlage für Nele Wohlatz sanft-ver­spiel­ten, traum­haf­ten Spielfilm. Die jun­ge Kai fliegt der Liebe wegen von Taipeh in die bra­si­lia­ni­sche Küstenstadt Recife, aber der Geliebte scheint ver­schol­len. Statt des­sen trifft sie auf eine Vielzahl wei­te­rer Landsleute und auf eine Kiste vol­ler Postkarten mit Aufzeichnungen, die ihre Vorbewohnerin Xiao Xin für ein geplan­tes Buch notier­te.
Die Menschen hier las­sen sich trei­ben, trotz aller Zerrissenheit ist das Heimweh eben­so wenig aus­ge­prägt wie auf der ande­ren Seite der laten­te Rassismus, der ihnen auch enge­gen­schlägt.
Die lei­se Komödie vol­ler Missverständnisse folgt kei­ner tra­di­tio­nel­len Dramaturgie. Die Protagonist*innen tau­chen eben­so uner­war­tet auf, wie sie auch wie­der ver­schwin­den. Ihre Arbeit treibt sie manch­mal von einer ihnen unbe­kann­ten Stadt in die nächs­te. Im Laufe eines hei­ßen, lang­sa­men Sommers wach­sen den­noch zar­te Bande zwi­schen ihnen.
Ein „wun­der­bar spie­le­ri­scher Film über das Leben in der Fremde“ Andreas Busche, Tagesspiegel
„Meinen ers­ten Spielfilm habe ich mit chi­ne­si­schen Laiendarsteller:innen in Buenos Aires gedreht, aus­schließ­lich an Wochenenden, denn unter der Woche arbei­te­ten alle in chi­ne­si­schen Supermärkten und Importgeschäften. Oft fehl­te am nächs­ten Wochenende jemand, war in eine ande­re Stadt oder ein ande­res Land gezo­gen oder zurück nach China. Eine Darstellerin sag­te zu mir: Ich könn­te jetzt über­all hin­ge­hen und mich anpas­sen, wenn es sein muss. Aber es gibt kei­nen Ort mehr, an den ich gehö­re.“ Nele Wohlatz

Credits:

Dormir de olhos aber­tos
Brazil / Taiwan / Argentina / Germany 2024, 97 Min., Mandarin, Portugiesisch, Spanisch, Englisch OmU
Regie: Nele Wohlatz
Kamera: Roman Kasseroller
Schnitt: Yann-shan Tsai, Ana Godoy
mit Chen Xiao Xin, Wang Shin-Hong, Liao Kai Ro, Nahuel Pérez Biscayart, Lu Yang Zong

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Typhoon Club

Typhoon Club

Ein Film von Shinji Sōmai.

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Für die Retrospektive der Berlinale 2023 wur­den renom­mier­te Filmschaffende gebe­ten, ihre per­sön­li­chen Coming-of-Age-Favoriten aus­zu­wäh­len. Ryūsuke Hamaguchi (DRIVE MY CAR: EVIL DOES NOT EXIST) ent­schied sich für TYPHOON CLUB. Hamaguchi bewun­dert Regisseur Shinji Somai für sei­ne immer noch unnach­ahm­li­che Art, die Lebendigkeit, die in sei­nen Figuren steckt, her­vor­zu­ho­len und sagt, er gebe ihm trotz aller for­ma­len Unterschiedlichkeit Orientierung.
Fünf Tage, wäh­rend derer ein Taifun auf­zieht, wütet und schließ­lich wie­der abklingt, bil­den den zeit­li­chen Rahmen. In einem sich zuspit­zen­den Episodenreigen erzählt der Film von einem „Frühlingserwachen“ an einer Oberschule außer­halb von Tokio. Die Unbeschwertheit und Aufmüpfigkeit der 80er Jahre mischt sich mit jugend­li­cher Borniertheit und exis­ten­tia­lis­ti­schen Fragen wie mit gefähr­li­chen Spielen. Der Film gestal­tet eine aut­ar­ke Welt der Schüler:innen zwi­schen Überschwang und Depression, Übergriffigkeit und Zärtlichkeit, und die Kamera hält respekt­voll Distanz.
Ryūsuke Hamaguchi (DRIVE MY CAR, EVIL DOES NOT EXIST) bewun­dert Regisseur Shinji Somai für sei­ne unnach­ahm­li­che Art, die Lebendigkeit, die in einen Figuren steckt, her­vor­zu­ho­len und ‑heben. Deshalb ent­schied er sich für TYPHOON CLUB als sei­nen per­sön­li­chen Coming-of-Age-Favoriten, als die Retrospektive der Berlinale 2023 renom­mier­te Filmschaffende dazu bat.
Fünf Tage, wäh­rend derer ein Taifun auf­zieht, wütet und schließ­lich wie­der abklingt, bil­den einen zeit­li­chen Rahmen. Im sich zuspit­zen­den Episodenreigen erzählt der Film von einem „Frühlingserwachen“ an einer Oberschule außer­halb von Tokio. In die Unbeschwertheit und Rebellion der 80-er Jahre mischen sich jugend­li­che Überheblichkeit und exis­ten­tia­lis­ti­sche Fragen. Der Film gestal­tet eine aut­ar­ke Welt der Schüler:innen zwi­schen Überschwang und Depression, Übergriffen und Zärtlichkeit, und die Kamera hält respekt­voll Distanz. Eine schö­ne Entdeckung.

Credits:

JP 1985, 115 Min., japan. OmU
Regie: Shinji Sōmai
Kamera: Akihiro Ito
Schnitt: Isao Tomita
mit: Yuichi Mikami, Yūki Kudō, Tomokazu Miura

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War and Justice

Ein Film von Marcus Vetter und Michele Gentile.

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So wie Luis Moreno-Ocampo, der ers­te Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (International Criminal Court – ICC) immer wie­der betont, bege­hen in einem Krieg alle Seiten Kriegsverbrechen, und des­halb ist dies nach den Regisseuren „ein Film, der den Krieg im Moment in Frage stellt, und ob es nicht ande­re Möglichkeiten der Konfliktbewältigung gibt“.
Der ICC bean­tragt indi­vi­du­el­le Haftbefehle bei schwers­ten Verstößen gegen Menschenrechte und huma­ni­tä­res Völkerrecht, wie gegen Putin und zuletzt gegen den israe­li­schen Ministerpräsidenten, den Verteidigungsminister und drei Anführer der Hamas.
War and Justice erzählt die 25-jäh­ri­ge Geschichte die­ser Institution, die unab­hän­gig von der UNO agiert und deren Statuten 122 Länder unter­zeich­net haben. Doch kön­nen Kriegsverbrechen im Krieg über­haupt ver­hin­dert wer­den, oder hat Ben Ferencz, ehe­ma­li­ger Ankläger der Nürnberger Prozesse recht, wenn er sagt, dass das größ­te Verbrechen der Krieg selbst ist? Im Mittelpunkt des Films ste­hen Benjamin Ferencz, Luis Moreno-Ocampo und Karim Khan, der aktu­el­le Chefankläger des ICC. Marcus Vetter und Michele Gentile fol­gen Ocampo um die Welt, wäh­rend er gemein­sam mit Ferencz und Khan gegen Kriege im Kongo, in Libyen, Palästina und der Ukraine kämpft.
„Es geht um Gerechtigkeit statt Krieg. Denn Krieg zieht Rache nach sich, Gerechtigkeit meist nicht. Die Idee dahin­ter ist, sich immer auf die Seite der Opfer zu schla­gen, egal wel­che Argumente dage­gen­spre­chen könn­ten.“
Marcus Vetter / Michele Gentile

Credits:

DE 2023 96 Min., engl. OmU
Regie +Schnitt: Marcus Vetter und Michele Gentile

Kamera: Christian Haardt, Marcus Vetter, Michele Gentile

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Landshaft

Ein Film von Daniel Kötter. 

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Während der Berlinale ver­lieh der Verband der deut­schen Filmkritik LANDSHAFT jüngst den Preis der deut­schen Filmkritik 2023 in der Kategorie Bester Dokumentarfilm. Die Jurybegründung: „Wie sich ein Krieg in die Landschaft zurück­zieht und sich dort als stum­me geo­po­li­ti­sche Formation abbil­det, wäh­rend die Menschen ihrem Leben wei­ter nach­ge­hen – davon erzählt in ein­drück­li­chen, aber immer auch respekt­voll Distanz wah­ren­den Bildern unser Gewinnerfilm. Hier ist nichts embedded, hier gibt es kei­ne gro­ßen Ereignisse und höchs­tens einen Aufruhr unter den Schafen. Auf trü­ge­ri­sche Weise scheint sich alles dem Zyklus der Natur unter­zu­ord­nen, wäh­rend der Konflikt jeder­zeit wie­der aus­bre­chen kann – so gesche­hen zuletzt im Spätsommer 2023. Für sei­ne glei­cher­ma­ßen sub­ti­le wie behut­sa­me Annäherung an die Menschen und Tiere, die im von Bergen ein­ge­heg­ten arme­nisch-aser­bai­dscha­ni­schen Grenzgebiet leben, geht der Preis für den Besten Dokumentarfilm an Daniel Kötter für sei­nen Film LANDSHAFT.“

In Form einer Reise folgt Daniel Kötters kon­tem­pla­ti­ve doku­men­ta­ri­sche Arbeit mensch­li­chen und nicht-mensch­li­chen Akteuren im Osten Armeniens vom Sewan See bis zur seit dem Karabach-Krieg 2020 aser­bai­dscha­nisch kon­trol­lier­ten Sotk-Goldmine. Landshaft ent­wirft die Psychogeographie einer geo­po­li­tisch auf­ge­la­de­nen Gegend und ihrer Bewohner zwi­schen Krieg und Vertreibung, zwi­schen einst und jetzt, noch vor dem im September 2023 eska­lier­ten der Konflikt um die Region Berg-Karabach, als Aserbaidschan die selbst­er­nann­te Republik mili­tä­risch ein­nahm und hun­dert­tau­sen­de Armenier flie­hen mussten.

Credits:

DE 2023 96 Min., arme­nisch mit deut­schen Untertiteln,
Regie, Buch, Kamera, Schnitt: Daniel Kötter 

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May December

Ein Film von Todd Haynes. 

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Zusammen mit Julienne Moore und Nathalie Portman gelingt Todd Haynes ein raf­fi­niert gebau­tes und gespiel­tes Psychodrama, des­sen Grundstein auf tat­säch­lich Geschehenem basiert, des­sen Schwerpunkt aber anders lagert.
Bei frü­he­ren TV-Verfilmungen stand das skan­dal­träch­ti­ge ver­bo­te­ne und geahn­de­te Liebesverhältnis, bzw. der sexu­el­le Missbrauch eines 13-jäh­ri­gen, der hier Joe heißt, durch eine drei­mal so alte ver­hei­ra­te­te zwei­fa­che Mutter, hier Gracie genannt, vor 20 Jahren im Mittelpunkt. Diesmal geht es zuvor­derst um die Auswirkungen des Besuchs von Fernsehstar Elisabeth und ihrer Beziehung zu Gracie. Die soll sie näm­lich in einem die­ser „TV-Movies“ ver­kör­pern und möch­te, so sagt sie, für die Rolle leib­haf­tig recher­chie­ren. Joe und Gracie haben nach ihrer Haft, in der sie das ers­te der drei gemein­sa­men Kinder zu Welt brach­te, und sei­ner Volljährigkeit gehei­ra­tet und sind noch immer glück­lich zusam­men. Um ein mög­lichst wahr­heits­ge­treu­es Bild zu pro­du­zie­ren, wird dem Eindringen der Schauspielerin in ihr Leben zuge­stimmt. Durch Elisabeths Einsatz, ihrem Befragen aller Beteiligten und der Auseinandersetzung mit Gracie bekommt die per­fek­te Oberfläche dann doch Risse und Verletzungen wer­den sicht­bar. Die bei­den Frauen ver­brin­gen viel Zeit mit­ein­an­der, aller­dings bleibt stets nebu­lös, was sie wirk­lich von­ein­an­der wol­len und wel­che Ziele sie ver­fol­gen. Während Gracie sich unbe­merkt in Widersprüche ver­strickt, ver­sucht sich Elisabeth in Manipulationen und Grenzüberschreitungen. Und viel­leicht war­tet der Mittdreißiger Joe auch nur dar­auf, ein neu­es Leben zu begin­nen, wenn die Kinder end­lich aus dem Haus sind.
„… die Geschichte einer ver­bo­te­nen Liebe als intri­gan­tes Verwirrspiel mit Humor und ver­füh­re­ri­schen Fallstricken. … Dass sich Todd Haynes der Verfilmung die­ser ver­bo­te­nen Liebesgeschichte ange­nom­men hat, klingt zunächst nicht unge­wöhn­lich. Filme wie Far From Heaven und Carol haben gezeigt, mit wie­viel Kunstfertigkeit und Leidenschaft der Regisseur in sei­nen Melodramen immer wie­der die Trugbilder des ame­ri­ka­ni­schen Traums plat­zen lässt.“ Pamela Jahn | RAY Magazin

Credits:

US 2023, 113 Min., engl. OmU
Regie: Todd Haynes
Kamera: Christopher Blauvelt
Schnitt: Affonso Gonçalves
mit Natalie Portman, Julianne Moore, Charles Melton, Piper Curda, Elizabeth Yu, Gabriel Chung

Trailer:
MAY DECEMBER – Trailer OmU German | Deutsch
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Alle die Du bist

Ein Film von Michael Fetter Nathansky. 

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Nadine (Aenne Schwarz) weiß was los ist: Kollegen haben sie geru­fen, da ihr Mann Paul (Carlo Ljubek) ein­mal mehr eine Panikattacke bekom­men hat und sich in der Fabrik ver­schanzt hat. Trotz der Warnungen der Kollegen geht Nadine zu ihm – und steht vor einem Rind! Liebevoll umarmt sie es und hat kurz dar­auf ein Kind im Arm. Beide Variationen von Paul, bzw. Versionen von Paul, so wie Nadine sie wahrnimmt.

Doch inzwi­schen sieht sie Paul meist ein­fach „nur“ als Paul, ein Mann um die 30, so wie Nadine. Nach den omi­nö­sen sie­ben Jahren Beziehung hat sich bei dem Paar längst Routine ein­ge­stellt, zwei Kinder sind da, Leben und Arbeit gehen ihren all­zu gewohn­ten Gang. Dazu kommt, dass es in der Fabrik Probleme gibt, die Arbeitsplätze unsi­cher sind, Gehaltskürzungen nicht mehr rei­chen, Entlassungen dro­hen. Mit zuneh­men­der Verzweiflung, vor allem aber Traurigkeit, ver­sucht Nadine das Gefühl wie­der­auf­le­ben zu las­sen, wegen dem sie sich einst in Paul verliebte.

Nicht nur als Rind und Kind, auch als älte­re Frau sieht man Paul bis­wei­len, aber nicht zu oft. Es genügt, dass Michael Fetter Nathansky die­se Idee zu Beginn andeu­tet, um zu ver­ste­hen wor­um es geht: Um den sub­jek­ti­ven Blick auf ande­re Menschen, der oft eine ande­re Dimension offen­bart, als sie ein Unbeteiligter, emo­tio­nal nicht invol­vier­ter haben wür­de. Man kennt die­ses Konzept etwa aus dem Film „Schwer ver­liebt“ von den Farrelly-Brüdern, in denen ein Mann nur die inne­re Schönheit von Frauen wahr­nahm, wäh­rend sie Äußerlich nicht den kon­ven­tio­nel­len Schönheitsidealen ent­spra­chen. Auch Birgit Möller spiel­te letz­tes Jahr in „Franky Five Star“ mit der Darstellung unter­schied­li­cher Persönlichkeiten, die unter­schied­li­che Aspekte ihrer Hauptfigur repräsentierten.

So ein extre­mes Konzept funk­tio­niert dann am bes­ten, wenn es nicht Selbstzweck ist, son­dern nur Mittel, um einen Einblick in die Emotionen der Figuren zu bekom­men. Und das ist bei Michael Fetter Nathanskys „Alle die du bist“ der Fall, erst der zwei­te Film, den der 31jährige Regisseur gedreht hat. Und wie schon in sei­nem Debüt „Sag du es mir“, in dem er eine Geschichte aus drei ver­schie­de­nen Perspektiven erzähl­te, spielt Fetter Nathansky auch hier mit Erzählformen, die aber stets im Dienst der Figuren stehen.

Immer wie­der schnei­det er zwi­schen der Gegenwart, in der die Beziehung zwi­schen Nadine und Paul an ihr Ende gekom­men zu sein scheint und der Vergangenheit, als das Paar sich ken­nen­lern­te, hin und her, mar­kiert durch einen leich­ten Wechsel des Bildformates. Der Beginn und das mög­li­che Ende der Beziehung ste­hen also neben­ein­an­der, der sich ver­än­dern­de Blick, mit dem Nadine Paul betrach­tet, wird so unmit­tel­bar deut­lich. Und ganz neben­bei wird in „Alle die du bist“ auch noch die Welt der Arbeiterklasse sicht­bar, wird eine Welt jen­seits der bür­ger­li­chen Existenz sicht­bar. Auch das ein Grund, war­um Michael Fetter Nathansky zu den inter­es­san­tes­ten jun­gen deut­schen Regisseuren zählt, die sich trau­en, inhalt­lich und sti­lis­tisch neue, unge­wöhn­li­che Wege zu gehen.

Michael Meyns | programmkino.de

Credits:

DE/ES 2024, 108 Min., Deutsch mit eng­li­schen UT
Regie: Michael Fetter Nathansky
Kamera: Jan Mayntz
Schnitt: Andrea Mertens
mit Aenne Schwarz, Carlo Ljubek, Youness Aabbaz, Sara Fazilat, Naila Schuberth

Trailer:
ALLE DIE DU BIST (Trailer)
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