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Blagas Lessons

Eine Frage der Würde – Blaga’s Lessons

Ein Film von Stephan Komandarev.

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Es ist ein­fach, sich über Maschen und Opfer von Telefonbetrügern lus­tig zu machen, aber wirk­lich gefeit gegen die auch plum­pes­ten Methoden ist wohl nie­mand. Die ehe­ma­li­ge Lehrerin Blaga ist eigent­lich auch nicht naiv, lässt sich aber von einem recht absur­den Telefontrick über­rum­peln. Sie ver­liert das gan­ze Geld, das für die Grabstätte ihres kürz­lich ver­stor­be­nen Mannes vor­ge­se­hen war. Willig, ande­re zu war­nen, erzählt die Betrogene bei einer Nachbarschafts-Veranstaltung der ört­li­chen Polizei von ihrer Erfahrung, ern­tet aber groß­flä­chig nur Spott und Hohn. Selbst ihr im Ausland leben­der Sohn macht nur Vorhaltungen. Es fällt ihm nicht ein, die Mutter zu unter­stüt­zen. Blaga, schwer gede­mü­tigt und immer noch auf der Suche nach Geld für das Grab, weiß von der Polizei, wie die Betrüger Helfer aqui­rie­ren. Sie fin­det eine ent­spre­chen­de Announce und bewirbt sich.
„Beim wich­ti­gen Festival im tsche­chi­schen Karlovy Vary wur­de Eine Frage der Würde – Blaga’s Lessons mit drei Preisen aus­ge­zeich­net, völ­lig zurecht. Denn dem Bulgaren gelingt hier ein har­scher, mal sozi­al­rea­lis­ti­scher, mal wie eine Farce wir­ken­der Film über eine 70jährige Frau, die im mora­li­schen Niemandsland des post­so­zia­lis­ti­schen Bulgariens um ihre Würde kämpft – und sie ver­liert. …
Filme wie Eine Frage der Würde kamen in den letz­ten 20 Jahren oft aus Rumänien, Regisseure wie Cristi Puiu, Cristian Mungiu oder Corneliu Porumboiu hiel­ten der gesell­schaft­li­chen Entwicklung ihres Landes eines unge­schön­ten Spiegel vor, sezier­ten die Abgründe des Kapitalismus und die Spätfolgen des Sozialismus. Ganz ähn­li­ches macht nun auch der 57jährige bul­ga­ri­sche Regisseur Stephan Komandarev, der zu Beginn sei­ner Karriere Dokumentarfilme dreh­te, seit eini­gen Jahren nun mit zuneh­men­dem Erfolg Spielfilme, die aber einem doku­men­ta­ri­schen Blick ver­haf­tet sind.“ Michael Meyns | programmkino.de – „die­se inten­si­ven, klei­nen Filme sind es, für die das Kino gemacht wur­de.“ Sebastian Seidler | kino-zeit

Credits:

BG/DE 2023, 119 Min., bul­ga­ri­sche OmU
Regie: Stephan Komandarev
Kamera: Vesselin Hristov
Schnitt: Nina Altaparmakova
mit Eli Skorcheva, Ivan Barnev, Gerasim Georgiev, Stefan Denolyubov, Rozalia Abgarian, Ivaylo Hristov

Trailer:
Eine Frage der Würde (Blaga’s Lessons )| offi­zi­el­ler Trailer mit dt. Untertitel
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Reality

Ein Film von Tina Satter.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Reality Winner war 25, als sie, über­zeugt davon, im Namen der Demokratie zu han­deln, gehei­me Informationen über die Einflussnahme Russlands auf den US-Wahlkampf 2016 öffent­lich mach­te. Die Gerichte sahen das anders und ver­ur­teil­ten sie 2018 zu 63 Monaten Haft.
Größter Wunsch der in Farsi, Dari und Pashto aus­ge­bil­de­ten Linguistin der US-Airforce war es, als Übersetzerin in Afghanistan ein­ge­setzt zu wer­den. Mit der Stelle bei einem Informationsdienstleister der NSA woll­te sie dem einen Schritt näher kom­men. Dort stieß sie auf die bri­san­ten Papiere. Tina Satters Film folgt als re-Enactment den trans­skri­bier­ten Tonaufzeichnungen von Hausdurchsuchung und Festnahme der jun­gen Frau, auch unter Kennzeichnung der öffent­lich nicht zugäng­li­chen geschwärz­ten Stellen. Das absur­de Spiel mit dem Machtgefälle zeich­net sich durch ein Gemenge aus unge­schickt-jovia­lem Smalltalk, patrio­tisch-auto­ri­tä­rem Auftreten, Unbeholfenheit und per­fi­den Drohungen auf FBI-Seite aus, wäh­rend Reality ver­zwei­felt ver­sucht, dem mit vor­ge­täusch­ter Ahnungslosigkeit, Notlügen und Höflichkeit zu ent­kom­men. Auf der Bildebene fin­den wir, abge­se­hen von einer Automatikwaffe in Pink sowie Büchern in ara­bi­scher Schrift, Accessoires eines nor­ma­len, allein leben­den All-American-Girls vor, die ihre Hunde und Yoga liebt.

Und so sehr auf „Reality“ auch die Bezeichnung Kammerspiel zutrifft, so fas­zi­nie­rend sind doch gera­de die film­spe­zi­fi­schen Mittel. Die Kamera von Paul Yee … erfasst durch Nah- und Großaufnahmen jede kleins­te Irritation und Verunsicherung in den Gesichtern der Beteiligten. In ande­ren Einstellungen wird wie­der­um die Taktik des FBI sicht­bar: Reality ist stets von Männern, die sie beob­ach­ten oder aus­fra­gen, umge­ben, wäh­rend ihr Haus durch­sucht wird. … Was Reality zusätz­lich zu einem fil­mi­schen Ereignis macht, sind die prä­zi­sen Schauspielleistungen. Sydney Sweeney (Euphoria) hat die Titelrolle offen­sicht­lich mit jeder Faser ihres Körpers ver­in­ner­licht. Sie lie­fert eine kom­ple­xe, authen­ti­sche Darbietung, sou­ve­rän flan­kiert von Josh Hamilton und Marchánt Davis in den Parts der gegen­sätz­li­chen Agenten …“
Andreas Köhnemann | kino-zeit.de

Credits:

US 2023, 85 Min., eng­li­sche OmU
Regie: Tina Satter
Kamera: Paul Yee
Schnitt: Jennifer Vecchiarello, Ron Dulin
mit Sydney Sweeney, Josh Hamilton, Marchánt Davis

Trailer:
REALITY (offi­zi­el­ler OmU Trailer) – mit Sydney Sweeney in einem Film von Tina Satter
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Green Border

Ein Film von Agnieszka Holland.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Dieser Film ist wich­tig, er tut weh. Denn Agnieszka Holland kon­fron­tiert uns mit dem schrei­en­den Unrecht, das sich hin­ter dem Begriff „Pushback“ ver­birgt, vor dem wir uns nicht weg­du­cken kön­nen, trös­ten in der Gewissheit: Ist doch alles nur Kino. Ja, Green Border ist – trotz der zuwei­len qua­si­do­ku­men­ta­ri­schen Bildführung – Fiktion; ist gro­ße, berüh­ren­de Erzählung. Und ist doch wahr. Es geht um die 2021 von Belarus gesteu­er­te und von der pol­ni­schen Regierung mit gan­zer Härte erwi­der­te Flüchtlingspolitik, eine Politik, die Menschen als Waffen ein­setzt und nicht ein­mal den Toten das Recht auf Ruhe gewährt.
Im Mittelpunkt ste­hen, auf der Flucht vor der Verfolgung in der Heimat, eine syri­sche Familie sowie eine afgha­ni­sche Frau, Leila, die dem Terror der Taliban ent­kom­men ist. Wir sehen sie, ein hal­bes Dutzend von Tausenden, die ihr Heil in der Flucht suchen, zunächst auf dem Flug nach Minsk. Müde sind sie, erschöpft, aber doch zuver­sicht­lich, weil sie es schaf­fen wer­den ins gelob­te Land. Sehr lei­se, sanft ist die­se ers­te Szene, spar­sam mit Musik unter­legt, wie über­haupt Musik nie als Mittel dra­ma­ti­scher Überwältigung benutzt wird. Friede also herrscht, denn die­se Menschen wis­sen noch nicht, in wel­che Falle sie gera­ten sind.
Aber dann kommt es knüp­pel­dick, im Wortsinn. Denn Pushback heißt erbar­mungs­lo­se Abwehr von Menschen. Mit Schlagstock, Tränengas, Hunden, mit der Waffe wer­den sie im pol­nisch-weiß­rus­si­schen Niemandsland über die Grenze getrie­ben, und wie­der zurück, hin und her. Holland, die­ser genau beob­ach­ten­den, abwä­gen­den Regisseurin, gelingt dabei das Wunderbare, den gehetz­ten Menschen den­noch ihre Würde zu belas­sen; sie zeigt sie nicht nur als Opfer. Neben Bildern nack­ter Gewalt, von Chaos, Geschrei, Lärm setzt sie Augenblicke der Ruhe: das klei­ne Mädchen, das so unbe­schwert spielt; den Großvater, wie er auf dem mat­schi­gen Waldboden sei­nen Gebetsteppich aus­brei­tet, der spä­ter Schutz bie­ten soll vor den nie­der­pras­seln­den Regenströmen. Auch die Zuschauer erleich­tern­de Momente der Hoffnung lässt sie zu, wenn drei jugend­li­che Flüchtlinge mit den Kindern ihrer pol­ni­schen Helferfamilie drauf­los­rap­pen. Und sie lässt erah­nen, dass die zotig auf­trump­fen­de Männlichkeit der Grenzbeamten womög­lich ein Versuch ist, die beun­ru­hi­gen­den Stimmen des Gewissens zum Schweigen zu brin­gen. 
Elisabeth Bauschmid | indiekino

Zusammenfassung der hef­ti­gen Diskussion in Polen um Green Border, von Jörg Taszman für den Filmdienst: hier

Credits:

PL, FR, CZ, BE 2023, 147 Min., pol­nisch, ara­bisch, eng­lisch, fran­zö­si­sche OmU
Regie: Agnieszka Holland
Kamera: Tomek Naumiuk,
Schnitt: Pavel Hrdlička
mit: Jalal Altawil, Maja Ostaszewska, Behi Djanati Atai, Mohamad Al Rashi, Dalia Naous, Tomasz Włosok

Trailer:
GREEN BORDER – offi­zi­el­ler Kinotrailer (OmU) – Kinostart 01.02.2024
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The Royal Hotel

Ein Film von Kitty Green. 

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Anzügliche Bemerkungen und sexis­ti­sche Witze sind sicher nicht aus­schließ­lich in Hotelbars im aus­tra­li­schen Outback an der Tagesordnung, aber hier­her hat es die bei­den ame­ri­ka­ni­schen Rucksacktouristinnen Hanna und Liv nun ein­mal ver­schla­gen. „Work and Travel“ heißt das Programm, das sie nach ihrer, vom aus­gie­bi­gen Feiern ver­ur­sach­ten finan­zi­el­len Pleite, für ein paar Wochen hin­ter die Bar des „Royal Hotel“ in einer abge­le­ge­nen Bergbaugegend geschickt hat. Ihre eng­li­schen Vorgängerinnen schei­nen die Zeit hier genos­sen zu haben, und nun freu­en sich die Barbesucher, unschwer zu über­se­hen, auf das „Frischfleisch“.
Die gebür­ti­ge Australierin Kitty Green hat mit The Assistant den wahr­schein­lich bes­ten Spielfilm zu Thema ME TOO gedreht, wo sie nicht Einzelne als allei­ni­ge Täter sah, son­dern alles durch­setzt von der Akzeptanz des Missbrauchs. Im „Royal Hotel“ wer­den raue­re Töne ange­schla­gen, aber auch hier muss der Thriller kei­ne Gewalttaten schil­dern, um in Fahrt zu kom­men. Von der Bedrohlichkeit der Situation, die sich nach anfäng­li­chen, fast ver­zwei­felt gesuch­ten Urlaubsgefühlen breit macht, will Liv nichts wis­sen. Hanna fühlt sich jedoch immer unwoh­ler. Stets taxiert sie den Grad ihrer Bedrohung und die Grenzen im Umgang mit den Gästen. War das nur ein Scherz, eine Drohung, ab wann ist über­grif­fig? Eine all­täg­li­che Situation, aber ein­fach abhau­en geht hier in der Wüste, wo nur alle drei Tage ein Bus fährt, nicht, und so ist die jun­ge Frau 247 in Habt-Acht-Stellung.

Konsequent geht Kitty Green dann das gan­ze Spektrum an Verhalten durch, das sich in einer sol­chen Situation ergibt: von der höf­li­chen Frage nach einem Date, die mit einem Nein sowie­so schon rech­net, bis zu aggres­si­ven Trinkgeldspielchen und vie­len wei­te­ren Situationen, in denen sich (sehr all­ge­mein gespro­chen) männ­li­ches Interesse so äußert, dass Hannah und Liv sich die gan­ze Zeit dazu ver­hal­ten müs­sen – bis Hanna sich schließ­lich als Girl mit der Axt in einer Rolle wie­der­fin­det, die sie sonst von sich wohl nicht ent­deckt hät­te. Wir woll­ten doch ein­fach nur so weit weg von Zuhause wie mög­lich, sagt Liv ein­mal. Das hat sich anders erfüllt als gedacht. Gutes Drehbuch, gut gespielt, auf eine raw­kus way nuan­ciert.“
Bert Rebhandl | Cargo

Credits:

AU 2023, 91 Min., eng­li­sche OmU
Regie: Kitty Green
Kamera: Michael Latham
Schnitt: Kasra Rassoulzadegan
mit Jessica Henwick, Julia Garner, Hugo Weaving, Bree Bain, Toby Wallace

Trailer:
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Im toten Winkel

Ein Film von Ayşe Polat. 

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Im kur­di­schen Gebiet im Nordosten der Türkei dreht eine deut­sche Regisseurin einen Dokumentarfilm über „ima­gi­nä­re Denkmäler“, über Rituale und Erzählungen, die der Erinnerung an ver­schwun­de­ne oder ver­schlepp­te Menschen die­nen. Am Rande der Interviews ereig­nen sich merk­wür­di­ge Dinge, und als die Situation der Filmcrew letzt­end­lich zu bedroh­lich erscheint, packen sie eilig die Koffer. Die Brücke zum zwei­ten Teil schla­gen Leyla, die Übersetzerin des Teams und Melek, ein klei­nes Mädchen, dem sie Unterricht gibt, und deren Vater in üble undurch­sich­ti­ge poli­ti­sche Machenschaften ver­wi­ckelt ist. Im drit­ten Teil wid­met sich der Film fast ganz die­ser Familie.
Im Toten Winkel ist ein sub­til ver­schach­tel­ter poli­ti­scher Thriller, in des­sen Mittelpunkt Melek zu ste­hen scheint. Ohne sie deu­ten zu kön­nen, erkennt sie die Geschehnisse um sie her­um son­der­ba­rer­wei­se bes­ser als die Erwachsenen, die ihre Erlebnisse und Geister-Erzählungen nur als kind­li­che Fantasien abtun kön­nen. Wie von Geisterhand erschei­nen auch die tech­nisch und mul­ti-per­spek­ti­visch, oft absen­der­los anmu­ten­den Bilder, die zum Mittel der Überwachung, Bedrohung und Einschüchterung ein­ge­setzt wer­den, und Paranoia erzeu­gen.
„Der blin­de Fleck heißt Trauma, trans­ge­ne­ra­tio­nal. Die deutsch-kur­di­sche Regisseurin, Drehbuchautorin und Produzentin Ayşe Polat insze­niert ihn in Perfektion.“
Berlinale | Wettbewerb Encounters
JİTEM ist ein Geheimdienst, des­sen Existenz der tür­ki­sche Staat leug­net. Ayşe Polat gibt die­ser inof­fi­zi­el­len Organisation Gesichter, baut sogar eine Szene ein, in der die Agenten auf Polizisten tref­fen – eine Szene, die sub­til impli­ziert, dass der tür­ki­sche Staat sehr wohl invol­viert ist. Mit Im toten Winkel ist es ihr gelun­gen, Politik, Medientheorie und Genrekino zu ver­schrän­ken, und es ist kei­ne Begleitbroschüre nötig, damit der Film funk­tio­niert, denn er ist trotz aller Komplexität hoch­span­nend.“
Mathis Raabe | kino-zeit

Credits:

DE 2023, 118 Min., Deutsch, Türkisch, Kurdisch, Englisch OmU
Regie: Ayşe Polat
Kamera: Patrick Orth
Schnitt: Serhad Mutlu, Jörg Volkmar
mit Katja Bürkle, Ahmet Varlı, Çağla Yurga, Aybi Era, Maximilian Hemmersdorfer, Nihan Okutucu, Tudan Ürper, Mutallip Müjdeci, Rıza Akın, Aziz Çapkurt

Trailer:
Im toten Winkel | Trailer | Kinostart: 4. Januar 2024
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Knochen und Namen

Knochen und Namen

Ein Film von Fabian Stumm.

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Knochen und Namen sind was bleibt, erfährt Jonathan vom Bestattungsunternehmer. Aber es geht im Film eher dar­um, was jetzt ist und was spä­ter dar­aus wird. Dem Leben zuschau­en, wäh­rend es einen beob­ach­tet, wie man so lebt. Fabian Stumm bekam den Heiner-Carow-Preis der DEFA Stiftung auf der letz­ten Berlinale.
„Boris (Fabian Stumm) arbei­tet an einem neu­en Film für die fran­zö­si­sche Regisseurin Jeanne (Marie-Lou Sellem). Darin geht es um einen Mann, der sei­ne Frau für einen ande­ren Mann ver­lässt. Auch wenn ihr Film Dramatisches erzäh­le, »es ist nicht schwer«, sagt die Regisseurin und kom­men­tiert damit auch Knochen und Namen. Jonathan (Knut Berger), Boris Partner, ist der­weil auf Recherchetour für sei­nen neu­en Roman, der vor­der­grün­dig von einer »Krankheit und einer Reise« han­delt. Er trifft sich mit Menschen, die einen Verlust erlit­ten haben oder damit ihren Unterhalt ver­die­nen. In zwi­schen­mensch­li­chen Tableaus, oft vor wei­ßen Wänden mit mini­ma­lis­ti­scher Inneneinrichtung gefilmt, ent­wirft der Film das lose Porträt des Paares im zuneh­men­den Krisenmodus und zugleich einer Gruppe von Suchenden. Jonathans Schwester, die allein­er­zie­hen­de Natascha (Doreen Fietz), ver­sucht sich beruf­lich neu zu ori­en­tie­ren. Ihre Tochter Josie (Alma Meyer-Prescott) wie­der­um begeg­net dem nahen­den Ende ihrer Kindheit mit Schabernack, klaut Apfelshampoo oder ver­führt ihre bes­te Freundin zu Telefonstreichen, die ziem­lich pein­lich enden.
Fabian Stumms Debüt ist ein klei­ner, groß­ar­ti­ger Film, und das im bes­ten aller Sinne. Ihm gelingt etwas Seltenes: mit Humor und dop­pel­tem Boden von eigent­lich schwe­ren Themen zu erzäh­len und mit ihnen zu spie­len. Als Jonathan sei­nem Partner wäh­rend eines Radiointerviews die Liebe gesteht, ist Boris gera­de Kaffee holen.“ Jens Balkenborg, epd Film
„Ich woll­te mich mit den Säulen aus­ein­an­der­set­zen, die mein Leben aus­ma­chen. Mich erin­nern, was dar­an gut und sta­bil ist, was mir Angst oder mich trau­rig macht und war­um das so ist. In gewis­sem Sinne hat der Film mich mit mir selbst aus­ge­söhnt und neu ver­bün­det“ Fabian Stumm

Credits:

DE 2023, 104 Min., dt., frz. OmU
Regie: Fabian Stumm
Kamera: Michael Bennett
Schnitt: Kaspar Panizza
mit Fabian Stumm, Knut Berger, Marie-Lou Sellem, Susie Meyer, Magnus Mariuson, Doreen Fietz, Alma Meyer-Prescott, Anneke Kim Sarnau, Godehard Giese

Trailer:
KNOCHEN UND NAMEN Trailer Deutsch | German [HD]
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Olfas Töchter

Ein Film von Kaouther Ben Hania.

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Olfas Töchter ist ein Experiment. In einer Mischung aus Spiel- und Dokumentarfilm lässt die tune­si­sche Regisseurin Kaouther Ben Hania die allein­er­zie­hen­de Mutter Olfa Hamrouni und ihre Töchter Tayssir und Eya Chikhaoui ihr Familientrauma vor der Kamera durch­spie­len. Es geht um das Verschwinden der bei­den älte­ren Töchter und um alles, was dazu geführt hat. Dabei neh­men Schauspieler*innen die Rolle der Vermissten sowie teil­wei­se auch die der Mutter und der Vaterfiguren im Leben der Mädchen ein. Ghofrane und Rahma haben 2016 die Familie ver­las­sen und sich in Libyen der Terrororganisation Daesh (IS) ange­schlos­sen. Der Film ist ein sehr per­sön­li­ches Porträt und zugleich ein Kaleidoskop aus vie­len inein­an­der ver­schränk­ten Erklärungsansätzen dafür, wie es dazu kom­men konnte.

Es ist, als wäre es mein ers­ter Film“, sagt Hend Sabri, seit 1994 als Schauspielerin aktiv und ein Filmstar des ara­bi­schen Kinos. Auch sie hat noch nie an einem sol­chen Projekt teil­ge­nom­men. Sie wird Olfa selbst spie­len, vor allem in beson­ders belas­ten­den Szenen, und ist damit die ein­zi­ge Darstellerin, deren Rollenvorbild leib­haf­tig vor ihr steht. „Du wirst alles füh­len müs­sen, dass ich auch gefühlt habe“, sagt Olfa zu ihr. Und warnt: „Das könn­te dich ver­rückt machen.“

Schon das ers­te Treffen der Familie mit den Schauspielerinnen, die die Schwestern Rahma (Nour Karoui) und Ghofrane (Ichraq Matar) ver­kör­pern sol­len, ist tief bewe­gend für alle Beteiligten. Man ahnt, wel­che Intensität sich in die­sem Szenario ent­fal­ten könn­te, aber die bru­ta­le Ehrlichkeit, mit der die Frauen sich künst­le­risch und zwi­schen­mensch­lich der tra­gi­schen Familienhistorie annä­hern, ist uner­war­tet. Mal in Gesprächen, mal in gespiel­ten Szenen the­ma­ti­sie­ren sie das Aufwachsen in Armut und die Gewalt des Vaters und des Stiefvaters, bei­de gespielt von Majd Mastoura, der als „Der Mann“ die patri­ar­cha­le Gewalt ver­kör­pert und dabei auch die Wut und Trauer der bei­den jun­gen Frauen ertra­gen muss.

Aber gera­de auch die Gewalt, mit der Mutter Olfa ihren Töchtern begeg­ne­te, wird auf eine Weise ange­spro­chen, wie sie wohl ohne Kamera nicht mög­lich wäre. „In dem Film kann ich offen spre­chen“, sagt Tayssir ein­mal. Auch die drei Schauspielerinnen neh­men kein Blatt vor den Mund, wenn es um den gewalt­vol­len Erziehungsstil und die oft wider­sprüch­li­chen Moralvorstellungen geht, mit denen Olfas Töchter auf­wuch­sen. Bemerkenswert sind die Szenen, als Hend Sabri, kom­plett im Kostüm, der ech­ten Olfa die Leviten liest – als stün­den vor den Töchtern zwei Mütter, und eine sagt als Anwältin der Mädchen genau das, was die ande­re Mutter damals schon hät­te hören müssen.

Viel Schatten, viel Licht: Kaouther Ben Hania arbei­tet mit schar­fen Kontrasten und mar­kan­ten Bildern, um der Komplexität der Frauen gerecht zu wer­den. Tayssir und Eya sind Überlebende, aber nicht bloß in Leid getaucht; sie sind selbst­be­wuss­te, klu­ge Feministinnen, die längst mehr ver­ste­hen von der Welt als jene, die sie feder­füh­rend gestal­ten. Olfa selbst ist ein Mensch, kein Monster, wenn auch ihr Verhalten oft mons­trös erscheint. Ihre Gewalt beschreibt sie als Fluch, als ein bit­te­res Erbe, das sie an ihre Kinder wei­ter­ge­ge­ben hat. Sie ist der Kern die­ser so fas­zi­nie­ren­den wie erschüt­tern­den Familiengeschichte und erklärt vie­les, wenn auch nicht alles.

Olfas Töchter erzählt aber nicht nur von die­ser Familie, son­dern von der Geschichte Tunesiens, wo Hijabs erst ver­bo­ten waren und schließ­lich als jugend­kul­tu­rel­les Symbol des Widerstands auf ver­hee­ren­de Weise wie­der in den Alltag dräng­ten; wo über die Kleidung und Körper von Frauen geur­teilt, ver­fügt und bestimmt wird und über rigi­de Moralvorstellungen ein Nährboden für eine faschis­ti­sche, (selbst)zerstörerische Ideologie geschaf­fen wur­de, die Rahma und Ghofrane ver­än­der­te und ver­schlang. „Ich habe ihnen das Zielen bei­gebracht, und sie haben mich erschos­sen“, fasst es Olfa selbst zusam­men. Vielleicht gibt es (noch) kei­nen zwei­ten Film, der sich auf so umfas­send und ein­leuch­tend, auf eine solch unnach­gie­bi­ge Weise mit dem Thema Radikalisierung aus­ein­an­der­setzt. Eva Szulkowski | indiekino

Credits:

FR, TN, DE SA 2023, 110 Min., arab. OmU
Regie: Kaouther Ben Hania
Kamera: Farouk Laaridh
Schnitt: Jean-Christophe Hym, Qutaiba Barhamji
mit Hend Sabri, Olfa Hamrouni, Eya Chikhaoui, Tayssir Chikhaoui, Nour Karoui, Ichraq Matar, Ma..

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Joan Baez I Am A Noise

Joan Baez I Am A Noise

Ein Film von Karen O’Connor, Miri Navasky, Maeve O’Boyle.

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Als Musikerin, Bürgerrechtlerin und Aktivistin stand Joan Baez seit ihrem Debüt im Alter von 18 über 60 Jahre auf der Bühne. Für die inzwi­schen 82-Jährige war das Persönliche immer schon poli­tisch, die Freundschaft zu Martin Luther King und der Pazifismus präg­ten ihr Engagement. Ausgehend von ihrer Abschiedstour zieht Baez in die­ser Biografie eine scho­nungs­lo­se Bilanz, in der sie sich auch schmerz­haf­ten Erinnerungen stellt. Sie teilt nicht nur ihre Erfolge, son­dern spricht offen über lang­jäh­ri­ge psy­chi­sche Probleme und Therapien, über Familie, Drogen, das Altern und Fragen von Schuld und Vergebung. Und sie stellt auch klar, dass sie wäh­rend ihrer Beziehung mit dem sehr jun­gen Bob Dylan ihre Prominenz nutz­te, um sei­ne Karriere in Gang zu brin­gen. Ihre Enttäuschung über die spä­te­re Entfremdung von Dylan wird greif­bar.
Aufgrund einer lang­jäh­ri­gen Freundschaft zu einer der Regisseurinnen, Karen O’Connor, gewähr­te Baez dem Regietrio auch Zugang zu den „inne­ren Dämonen“, die sie seit ihrer Jugend beglei­ten. Der Film ver­webt Tagebuchtexte, eine Fülle von teils unge­zeig­tem Archivmaterial und aus­führ­li­che Gespräche mit Baez mit Backstage-Momenten der Tour. Ein inti­mes Porträt, das nicht nur für Fans inter­es­sant ist.

Der Umriss von Baez‘ gewal­tig gro­ßem, geschichts­träch­ti­gem Leben ist bes­tens bekannt und doku­men­tiert. Wir aber woll­ten mit die­sem Film Joans Vergangenheit zum Leben erwe­cken. Nicht mit Gimmicks oder „tal­king heads“, son­dern mit einer Fülle von ori­gi­na­lem Ausgangsmaterial von Joan selbst und ihrer Familie, auf das wir zugrei­fen konn­ten: neu ent­deck­te Home-Movies, Joans unglaub­li­che Kunstwerke und Zeichnungen, Tagebücher und Briefe, Fotos, Bandaufnahmen ihrer Therapiesitzungen und ein Goldschatz von auf Kassette ein­ge­spro­che­nen Briefen, die Baez von unter­wegs an ihre Familie geschickt hat­te – all die­se Quellen fan­gen in Realzeit ein, was sie damals emp­fun­den hat, anstatt eine Erinnerung aus wei­tem Abstand zu sein. Zu jedem Moment woll­ten wir, dass der Film eine immersi­ve und unmit­tel­ba­re Erfahrung ist, mehr eine Zeitreise als eine Biografie.“ Karen O’Connor

Credits:

US 2023, 113 Min., engl. OmU
Regie: Karen O’Connor, Miri Navasky, Maeve O’Boyle
Kamera: Wolfgang Held, Ben McCoy, Tim Grucza
Schnitt: Maeve O’Boyle
mit Joan Baez, Mimi Farina, Bob Dylan, David Harris

Trailer:
JOAN BAEZ I AM NOISE – Trailer OmdU German | Deutsch
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Rückkehr nach Korsika

Ein Film von Catherine Corsini.

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Ein Sommer auf Korsika: Khédidja zögert nicht lan­ge, als ihr die wohl­ha­ben­de Pariser Familie, für die sie als Kindermädchen arbei­tet, die­ses Angebot macht. Sie soll deren Kinder dort betreu­en – ihre eige­nen bei­den Töchter im Teenageralter, Jessica und Farah, dür­fen mit­kom­men. Für Khédidja ist es eine Rückkehr in die alte Heimat, denn vor 15 Jahren hat­te sie mit den noch klei­nen Kindern die Insel unter tra­gi­schen Umständen ver­las­sen. Während sie mit ihren Erinnerungen hadert, geben sich die bei­den Mädchen allen som­mer­li­chen Verlockungen hin: sie genie­ßen die Tage am Strand, machen Zufallsbekanntschaften und sam­meln ers­te Liebeserfahrungen. Doch auch bei ihnen stel­len sich Fragen nach der Vergangenheit und ob die Version der Familiengeschichte, die ihre Mutter erzählt, die ein­zig gül­ti­ge ist.
Der neue Spielfilm von Catherine Corsini (Die Affäre, La Belle sai­son) erzählt vor der som­mer­li­chen Kulisse Korsikas eine intel­li­gen­te Geschichte über drei star­ke Frauen und ihrem Umgang mit gesell­schaft­li­cher Ungleichheit.
Verschiedene Kulturen wer­den in die­sem Film kon­fron­tiert. War da ein wunsch auf Ihrer Serite, die Aspekte der Andersartigkeit zu erfor­schen?
Corsini: Andersartigkeit beinhal­tet, von einem Selbst zu einem ande­ren zu wer­den. Tatsächlich woll­te ich eine Verbindung auf­bau­en zu die­ser Jugend, die ich idea­li­sier­te, aber wel­che mir unbe­kannt war, mit Kulturen, die ich nur ober­fläch­lich kann­te, und die­sem Korsika, wel­ches mir so nah und zugleich so fern ist. Was ich an Filmen mag, ist, dass ich die Möglichkeit habe, ande­ren eine Stimme zu geben; ein­zu­tre­ten in einen Ort, in einen Kopf, in die Haut von jeman­dem, den man nicht kennt. Zu beob­ach­ten und zu ver­ste­hen. Es ist fas­zi­nie­rend, in etwas ein­zu­tau­chen, das anders ist als wir selbst. Ich war sehr glück­lich in der Position zu sein Aïssatou, Esther und Suzy kom­ple­xe Charaktere anzu­bie­ten, die nicht auf Archetypen redu­ziert sind, wozu sie oft limi­tiert wer­den. Ich fin­de ihre Charaktere reprä­sen­tie­ren etwas, das sehr umfas­send ist, etwas Größeres. Es gibt eine sehr star­ke kor­si­sche Identität. Und ich fühl­te mich immer als Außenseiterin, als Fremde dort, weil die­ses Land nicht kom­plett ich bin. Dieses Gefühl von Abstoßung und mei­ne Abscheu sozia­ler Ungerechtigkeit brach­ten mich emo­tio­nal näher an Khédidja und ich ver­stand, wie frucht­los ihre Versuche blei­ben, ein Teil die­ser Gemeinschaft zu werden.

Credits:

FR 2023, 106 Min., franz. OmU
Regie: Catherine Corsini
Kamera: Jeanne Lapoirie
Schnitt: Frédéric Baillehaiche
mit: Aïssatou Diallo Sagna, Esther Gohourou, Suzy Bemba, Lomane de Dietrich, Cédric Appietto, Marie-Ange Géronimi, Harold Orsoni, Virginie Ledoyen, Denis Podalydès

Trailer:
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Little Fugitive

Ein Film von Ray Ashley, Morris Engel, Ruth Orkin.

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Auf der letz­ten Berlinale konn­te er in der Retrospektive ent­deckt wer­den, denn hier hat­te Wes Anderson ihn als sei­nen per­sön­li­chen Coming-of-Age-Favoriten aus­ge­wählt: der im New York der 50er spie­len­de „Little Fugitive“, der in der Übersetzung hier immer schon „Kleiner Ausreißer“ hieß. Dies ist genau genom­men falsch, denn Joey ist ein Flüchtling, nach­dem sein gro­ßer Bruder Lenny und des­sen Freunde ihm einen bösen Streich gespielt haben, um ihn los­zu­wer­den. Vor der Polizei auf der Flucht lan­det er, mit wenig Geld in der Tasche, im Kirmes-Wunderland Coney Island, und ver­gisst bald, war­um er hier ist. Der Film hef­tet sich an Joeys Fersen, und nimmt dabei wie von selbst einen doku­men­ta­ri­schen Blick auf das rege ihn umge­ben­de Treiben mit. Während der Junge Karussell fährt, Zuckerwatte isst, als Cowboy auf Ponys rei­tet und dafür immer wie­der Geld besor­gen muss, wer­den die New Yorker wäh­rend ihrer Freizeit por­trä­tiert: beim Bummeln, Flirten, Schwimmen oder Sonnenbaden.
In einer viel­leicht leicht über­trie­be­nen Aussage bezeich­net Francois Truffault „Little Fugitive“ mit sei­ner meis­ter­haft gestal­te­ten, immersiv-ein­la­den­den Schwarz-Weiß-Kinematografie, der mini­ma­lis­ti­schen Erzählweise und dem natu­ra­lis­ti­schen Stil als weg­wei­send für die Regisseure der fran­zö­si­schen Nouvelle Vague, die im Jahrzehnt nach sei­ner Veröffentlichung die Filmszene erober­ten. Selbst wenn er kein so ein­fluss­rei­cher Film gewe­sen sein soll­te, schafft es „Little Fugitive“, der sei­ne ein­fa­che Geschichte nur so natür­lich wie mög­lich erzäh­len will, weit mehr zu errei­chen als das.

Die meis­ten Regisseurinnen haben vor ihrem ers­ten Hollywood-Film bereits Erfahrungen in ande­ren Bereichen des Filmwesens gesam­melt: sei es als Drehbuchautorin, als Schauspielerin, an der Kamera, im Schnitt, als Regieassistenzin oder rund um den Kinosaal. Und wenn sie dann end­lich im Regiestuhl sit­zen, hält ihnen eine kom­plet­te Filmcrew den Rücken frei. Wir hin­ge­gen hat­ten ledig­lich uns selbst. Ohne unse­ren foto­gra­fi­schen Hintergrund hät­ten wir nie Filme dre­hen kön­nen“. Ruth Orkin

Unweit vom fsk zeigt die Gallerie f³ – frei­raum für foto­gra­fie eine Ausstellung mit Fotos der Regisseurin Ruth Orkin.

Credits:

US 1953, 75 Min., engl. OmU
Regie: Ray Ashley, Morris Engel, Ruth Orkin
Kamera: Morris Engel
Schnitt: Ruth Orkin, Lester Troob
mit: Richard Brewster, Winnifred Cushing, Jay Williams, Will Lee, Charley Moss, Tommy DeCanio, Richie Andrusco

Trailer:
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