A most violent year

Bewahrt euch wenigs­tens ein biss­chen Stolz bei eurem Tun!“ – der Geschäftsmann Abel Morales (Oscar Isaac) ist nicht gut zu spre­chen auf sei­ne Konkurrenz im Heizöl-Handel. Immer öfter wer­den sei­ne Tank-Laster auf offe­ner Straße über­fal­len und geka­pert. Dass Rivalen hin­ter den Raubzügen ste­cken, kann der jun­ge Unternehmer zwar nicht bewei­sen, doch er sagt es ihnen bei einem Treffen direkt ins Gesicht. Der ehr­gei­zi­ge Einwanderer aus Südamerika und sei­ne Frau Anna (Jessica Chastain) haben gro­ße Pläne und träu­men begeis­tert den ‚ame­ri­can dream’. Nach har­ter, erfolg­rei­cher Arbeit ist nun der Coup zum Greifen nah: Morales sichert sich die Option auf ein stra­te­gisch güns­ti­ges Grundstück am Hafen, mit dem er einen immensen Standortvorteil für sei­nen Öl-Firma hät­te. Einen Monat hat er Zeit, um die mil­lio­nen­schwe­re Investition zu stem­men. Der Jungunternehmer setzt auf vol­les Risiko. Misslingt der Plan, wird er alles ver­lie­ren. Die Bank gewährt dem guten Kunden Kredit. Doch plötz­lich gibt es Probleme. Die Finanzbehörde sitzt Morales im Nacken. Die Überfälle auf sei­ne Lkw sor­gen für Verluste, als einer der Fahrer zum Revolver greift, eska­liert die Lage. Als der ver­spro­che­ne Kredit kippt, muss sich der Heizöl-Händler sich die fäl­li­gen 1,5 Millionen Dollar zu hor­ren­den Bedingungen ander­wei­tig besor­gen – und der Countdown läuft gnadenlos.

Mit läs­si­ger Wortverspieltheit tauft Autor und Regisseur J.C. Chandor sei­nen vom Schicksal gebeu­tel­ten und Versuchungen ver­lock­ten Helden auf Abel Morales, was über­setzt in etwa „Möglichkeit von Moral“ bedeu­tet. Von allen Seiten, von staat­li­cher Bürokratie, von raff­gie­ri­ger Konkurrenz sowie von gewalt­be­rei­ten Gangstern wird der ambi­tio­nier­te Einwanderer gepei­nigt, wie ein Stehaufmännchen trotzt er wacker allen Widrigkeiten und will unbe­irrt sei­nen gro­ßen Plan ver­wirk­li­chen. Auch mensch­lich sieht Morales sich gefor­dert. Die Ehe kri­selt zuneh­mend unter dem enor­men Druck, sein befreun­de­ter Mitarbeiter ver­liert bei einem bewaff­ne­ten Überfall die Nerven und stellt mit sei­ner Flucht vor der Polizei die Loyalität des Chefs auf eine extre­me Probe.amostviolentyear1

Auch in sei­nem drit­ten Streich über­zeugt Chandor durch eine makel­los kon­stru­ier­te Dramaturgie, die den Helden in aus­weg­lo­sen Situationen über sich selbst hin­aus­wach­sen lässt, und des­sen wahr­haf­te Aufrichtigkeit samt chro­ni­scher Verletzlichkeit so unauf­dring­lich wie uner­bitt­lich zu Mitgefühl und Mitfiebern ver­lockt. Dem Charme sym­pa­thisch smar­ter Underdogs erliegt man bekannt­lich ger­ne und beglei­tet ihren auf­rech­ten Gang gegen die Windmühlen des Schicksals alle­mal empa­thisch mit. Wirklich trag­fä­hig wird die­se Konstruktion jedoch erst, wenn sie auf gän­gi­ge Klischee-Balken ver­zich­tet und die Figuren ohne Kitsch-Krücken daher­kom­men. Die Effizienz sol­cher Plausibilität erweist sich bei einem bana­len Wild-Unfall auf nächt­li­cher Straße, der zum wah­ren Horror-Trip gerät oder jener rasan­ten Verfolgungsjagd eines Lkws durch ein ver­las­se­nes Industriegebiet – wer beim Überfahren des Stopp-Schildes den obli­ga­to­ri­schen Crash von der Seite erwar­tet, wird von Chandor ein­falls­rei­cher bedient. Mit einer sehr lan­gen Sequenz lässt er die Hatz zu Fuß fort­set­zen, um sie, nicht min­der ner­ven­auf­rei­bend, furi­os in einer U‑Bahn enden zu las­sen – so packend kann cle­ve­res Actionkino aus­se­hen, wenn es zwin­gend kon­se­quent daherkommt.

Mit schein­bar mühe­lo­sem Einsatz bie­tet Hauptdarsteller Oscar Isaac eine Glanzleistung. Der cha­ris­ma­ti­sche Coen-Held aus „Inside Llewyn Davis“ und kom­men­de „Star Wars“-Darsteller prä­sen­tiert so lein­wand­prä­sent wie prä­zi­se eine mit­rei­sen­de Mischung aus glaub­wür­di­ger Coolness und Verletzlichkeit. (Seine enor­me Wandlungsfähigkeit stellt Isaac die­sen Monat noch als moder­ner Frankenstein im futu­ris­ti­schen „Ex Machina“ unter Beweis.) Mit Jessica Chastain als selbst­be­wuss­ter Ehefrau und Gangster-Tochter hat er eine nicht min­der über­zeu­gen­de Partnerin, deren Auftritt mit einer Golden Globe-Nominierung belohnt wurde.

Mit nur drei Filmen hat der 41-jäh­ri­ge Autor und Regisseur Chandor sich als kom­pro­miss­lo­ser Kinokünstler eta­bliert, der vir­tu­os beweist, wie smart und span­nend sich Storys mit Substanz und Haltung erzäh­len las­sen. Filmkunst vom Feinsten!
Dieter Oßwald – programmkino.de

USA 2014, 125 Min., engl. OmU
Regie und Buch: J.C. Chandor
mit: Oscar Isaac, Jessica Chastain David Oyelowo, Alessandro Nivola, Albert Brooks