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Die my love

Ein Film von Lynne Ramsay. Ab 13.11. im fsk

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Ein abge­le­ge­nes, mehr als bau­fäl­li­ges Haus irgend­wo im Herzen Amerikas soll das neue zu Hause wer­den: Grace (Jennifer Lawrence) und Jackson (Robert Pattinson) sind frei­le­ben­de, frei den­ken­de Künstlernaturen, sie schreibt, er macht Musik, die der Großstadt und ihren Versuchungen ent­kom­men wol­len. Die Zivilisation wirkt sehr fern, allein Jacksons altern­de Mutter Pam (Sissy Spacek) lebt nicht all­zu weit weg.

Anfangs wirkt die selbst­ge­wähl­te Einsamkeit auch mehr als sti­mu­lie­rend auf das Paar, der Alkohol fließt in Strömen, der Sex ist wild und bald wird ein Kind gebo­ren. Und damit begin­nen die Probleme, lang­sam, aber unauf­halt­bar. Immer irri­tier­ter wirkt Grace, immer weni­ger bereit, sich in die von der Gesellschaft vor­ge­ge­be­ne Rolle der sor­gen­den Mutter zu fügen, wäh­rend Jackson immer häu­fi­ger der Arbeit (aber auch der Affären) wegen ver­schwun­den ist und die Einsamkeit Grace zusätz­lich belastet.

Acht Jahre ist es her, dass die schot­ti­sche Regisseurin Lynne Ramsay zuletzt einen Film dre­hen konn­te, den düs­te­ren Thriller „You Were Never Really Here“, in dem Joaquin Phoenix so gut war wie sel­ten und sich ganz der Vision Ramsays hin­gab. Ähnliches lässt sich nun über Jennifer Lawrence sagen, um die es in den letz­ten Jahren ein wenig ruhi­ger wur­de, die sich nun aber mit einer ful­mi­nan­ten Darstellung zurück­mel­det, die eben­so exzes­siv wirkt, wie der Film.

Den baut Ramsay wie immer nicht line­ar, son­dern impres­sio­nis­tisch auf, sie erzählt strin­gent, son­dern ellip­tisch, springt zwi­schen Szenen, die in der Zukunft lie­gen und der Gegenwart hin und her, deu­tet in spo­ra­di­schen Rückblenden die Anfänge der Beziehung zwi­schen Grace und Jackson an, vor allem aber zum Leben ihrer Schwiegermutter Pam und des­sen inzwi­schen ver­stor­be­nen Mann Harry (Nick Nolte).

Im ers­ten Jahr dre­hen wir alle ein biss­chen durch“ sagt Pam ein­mal zu ihrer Schwiegertochter, wobei nicht ganz klar ist, ob sie vom ers­ten Jahr der Ehe oder vom ers­ten Jahr nach der Geburt eines Kindes spricht – oder Beidem. Die Geschichte wie­der­holt sich jeden­falls, die Muster einer Beziehung ändern sich nur schwer. Während Pam offen­bar Probleme mit Harry hat­te, aber den­noch bis zu des­sen Tod mit ihm zusam­men­blieb (und noch Monate spä­ter sei­ne Hemden bügelt), kann sich Grace nur schwer dazu durch­rin­gen, den Konventionen zu ent­spre­chen, sich in ihre Rolle als Mutter und Hausfrau zu fügen.

Hätte ein Mann die­sen Film gedreht, wür­de man ihm wohl vor­hal­ten, sich am zuneh­mend labi­len Zustand einer lang­sam in eine Psychose abdrif­ten­den Frau zu laben und ihr Leid aus­zu­stel­len. Als Blick einer Frau auf eine ande­re Frau wirkt „Die My Love“ jedoch bei allem Exzess wie ein sen­si­bler, zuneh­mend tra­gi­scher Blick auf eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs, die sich mit allem was sie hat, den von Männern gemach­ten Konventionen wider­setzt. Dass es am Ende Lynne Ramsay selbst ist, die eine wun­der­bar sanf­te Version des legen­dä­ren Joy Divison Songs „Love will tear us apart“ singt, bringt die Intentionen die­ses oft anstren­gen­den, aber eben­so mit­rei­ßen­den Films schließ­lich auf den Punkt.

 Michael Meyns | programmkino.de

Credits:

CA 2024, 118 Min., Englisch OmU
Regie: Lynne Ramsay
Kamera: Seamus McGarvey
Schnitt: Toni Froschhammer
mit : Jennifer Lawrence, Robert Pattinson, Lakeith Stanfield
, Sissy Spacek

Trailer:
DIE MY LOVE | Offizieller Teaser-Trailer | Ab 13. November im Kino
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Hysteria

Hysteria

Ein Film von Mehmet Akif Büyükatalay. Ab 6.11. im fsk

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Als am Set eines Films ein ver­brann­ter Koran gefun­den wird, lau­fen die Dreharbeiten aus dem Ruder. Die Praktikantin Elif wird in ein gefähr­li­ches Spiel aus Geheimnissen, Anschuldigungen und Lügen hin­ein­ge­zo­gen. Mehmet Akif Büyükatalays dop­pel­bö­di­ger, pro­vo­kan­ter Verschwörungsthriller spielt mit dem Film-im-Film-Motiv und steckt vol­ler uner­war­te­ter Wendungen. Eine prä­zi­se Reflexion über die Macht der Bilder und die Dynamik von Wahrnehmung, Projektion und gesell­schaft­li­cher Hysterie.

Credits:

DE 2025, 104 Min., Deutsch, Englisch, Türkisch, Kurdisch, Arabisch OmU
Regie: Mehmet Akif Büyükatalay
Kamera: Christian Kochmann
Schnitt: Denys Darahan, Andreas Menn
mit Devrim Lingnau, Mehdi Meskar, Serkan Kaya, Nicolette Krebitz, Aziz Çapkurt, Nazmi Kırık

Trailer:
Hysteria by Mehmet Akif Büyükatalay (2025)
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Briefe aus der Wilcza – Listy z Wilczej

Briefe aus der Wilcza – Listy z Wilczej

Ein Film von Arjun Talwar. Ab 16.10. im fsk.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Arjun Talwar kam vor vie­len Jahren nach Polen. Er arbei­tet in Warschau und hat Polnisch gelernt. Die klei­ne Straße, in der er lebt, kennt er wie sei­ne Westentasche – sie ist ein Mikrokosmos, der die pol­ni­sche Gesellschaft im 21. Jahrhundert spie­gelt. Was auch bedeu­tet: Talwar ist zwar Teil die­ses Mikrokosmos, fühlt sich aber immer noch als Fremder. Freund*innen aus­län­di­scher Herkunft tei­len sei­ne Erfahrungen – sie kön­nen in der mul­ti­kul­tu­rell gewor­de­nen Touristen-Stadt Warschau zwar arbei­ten, ein­kau­fen und ihre Freizeit ver­brin­gen, wer­den aber das Gefühl nicht los, dau­er­haft im Abseits zu ste­hen.
Talwar nimmt für sei­nen Film-Essay die Kamera in die Hand und beginnt, im raschen
Wechsel zwi­schen Orten, Szenen und Jahreszeiten die­sen Mikrokosmos zu erfor­schen.
Dabei ent­deckt er Menschen, Orte und Phänomene, die er bis­her über­se­hen hat­te. Er erzählt von Freunden, die an ihrer miss­glück­ten Integration geschei­tert sind, und fin­det Menschen, die sein Schicksal tei­len. Abwechselnd beob­ach­tet er sei­ne unmit­tel­ba­re Umgebung und sich selbst. Dabei stellt er im Off-Kommentar immer wie­der die Frage: Muss ich mich ändern oder muss die pol­ni­sche Gesellschaft sich ändern, damit Zugezogene selbst­ver­ständlch Teil der Gemeinschaft wer­den kön­nen? [Rainer Mende]

Credits:

PL/DE 2025, 97 Min., pol­ni­sche Originalfassung mit deut­schen und eng­li­schen Untertiteln
Regie & Kamera: Arjun Talwar
Schnitt: Bigna Tomschin, Arjun Talwar & Sabina Filipowicz

Trailer:
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Sorda – Der Klang der Welt

Ein Film von Eva Libertad . Ab 30.10. im fsk.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Die gehör­lo­se Ángela und ihr hören­der Lebensgefährte Héctor erwar­ten ein Kind. Sie freu­en sich über die Schwangerschaft, wis­sen aber noch nicht, ob das Baby gehör­los oder hörend zur Welt kom­men wird. Auch wenn bei­de behaup­ten, auf bei­de Fälle vor­be­rei­tet zu sein, tre­ten ihre unter­schwel­li­gen Sorgen zuneh­mend zuta­ge. Nach der kom­pli­zier­ten und emo­tio­nal schwie­ri­gen Geburt müs­sen sie noch eini­ge Monate war­ten, bis sie wis­sen, ob ihre Tochter hören kann. Diese Phase ist für die bei­den nicht leicht. Héctor fällt es schwer, das gan­ze Ausmaß der Herausforderungen zu begrei­fen, mit denen Ángela sich kon­fron­tiert sieht, und Ángela muss sich der Tatsache stel­len, dass ihre Tochter die Welt mög­li­cher­wei­se ganz anders erle­ben wird als sie selbst. Sie ringt mit ihrer Identität in einer Gesellschaft, in der sie nicht voll­stän­dig ver­stan­den und akzep­tiert wird.

Credits:

Es 2025, 99 Min., span., spa­ni­sche Gebärdensprache OmU
Regie: Eva Libertad 
Kamera:
Gina Ferrer García
Schnitt: Marta Velasco
mit: Miriam Garlo, Álvaro Cervantes, Elena Irureta, Joaquín Notario

Trailer:
DEAF by Eva Libertad – TRAILER

Im Kino mit deut­schen Untertiteln.

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The Mastermind

Ein Film von Kelly Reichardt. Ab 16.10. im fsk.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Ich habe alles genau geplant“ behaup­tet JB (Josh O’Connor), als er sei­nen Kumpanen von sei­nem Plan erzählt. Er ist der Anführer, das Mastermind, doch selbst wenn man mit den Filmen von Kelly Reichardt nicht ver­traut sein soll­te, ahnt man schon nach weni­gen Minuten von „The Mastermind“, dass der Titel iro­nisch gemeint ist.

Zusammen mit sei­ner Frau Terri (Alana Haim) und den zwei Kindern lebt JB in einer Kleinstadt in Massachusetts, es ist 1970, Richard Nixon sitzt im Weißen Haus, im fer­nen Vietnam tobt seit Jahren ein Krieg, gegen den auf den Straßen zu Hause mit zuneh­men­der Vehemenz pro­tes­tiert wird. Eigentlich ist JB Schreiner, doch einen fes­ten Job hat er nicht. Sein Vater (Bill Camp), ein geach­te­ter Richter, und sei­ne Mutter (Hope Davis) unter­stüt­zen ihn, finan­zie­ren ein Leben, das dahin­plät­schert, ohne Ziel und Plan.

Der geplan­te Einbruch in einem klei­nen loka­len Museum, wo die Gemälde des selbst in sei­ner Heimat wenig bekann­ten ame­ri­ka­ni­schen Malers Arthur Dove Ziel von JBs Plan sind, soll alles ändern, aber was genau? Erstaunlicherweise gelingt der Plan, zumin­dest lan­den die vier Gemälde am Ende in JBs Familien-Kombi.

Kurz dar­auf sind sei­ne Komplizen schon in Polizeigewahrsam und JB auf der Flucht. Seine Frau und die Kinder lädt er bei den Schwiegereltern ab und fährt los, mit dem Ziel Kanada, wohin es in den frü­hen 70ern vor allem Kriegsdienstverweigerer zog, wo aber auch ein Dieb Unterschlupf fin­den könnte.

Schon des öfte­ren hat Kelly Reichardt Genrefilme gedreht, die den Regeln ihres Genres folg­ten, sie aber gleich­zei­tig unter­lie­fen und damit die ihnen zu Grunde lie­gen­de Ideologie hin­ter­frag­ten. „Meek’s Cutoff“ war ein Anti-Western, „Night Moves“ ein Anti-Thriller, nun also ein Anti-Heist-Film. Das alle drei Genre tra­di­tio­nell star­ke, sou­ve­rä­ne Männer-Figuren in den Mittelpunkt stel­len, die auf Grund ihrer Cleverness und Maskulinität ihre Ziele errei­chen, macht die Genre-Dekonstruktionen bei Kelly Reichardt zu Reflexionen über die Krise der Männlichkeit.

Perfekt besetzt wirkt dabei in die­sem Fall Josh O’Connor, der schon als etwas ver­husch­ter jun­ger Prince Charles in „The Crown“ Männlichkeit eher vor­gab, als wirk­lich ver­kör­per­te und auch in Spielfilmen wie „La Chimera“ oder zuletzt „Challengers“ Männer-Figuren spiel­te, die an den Erwartungen an ihr Geschlecht zu schei­tern drohten.

Betont pas­siv spielt O’Connor in „The Mastermind“, wirkt weni­ger in Kontrolle, als Getrieben von den Ereignissen, die er selbst, ohne die Konsequenzen wirk­lich zu durch­schau­en, in Bewegung gesetzt hat. Immer deu­tet Reichardt dabei den his­to­ri­schen Kontex an, zeigt TV-Berichte aus Vietnam, lässt JB an Demonstrationen gegen den Krieg vor­bei­fah­ren. In wel­chem Zusammenhang das per­sön­li­che Schicksal JBs und die gesell­schaft­li­che Realität der USA um 1970 ste­hen lässt Reichardt offen, sie bie­tet Interpretationsmöglichkeiten an, hält sich selbst aber zurück. Man kann „The Mastermind“ daher auch ein­fach nur als Tragikomödie über einen Mann lesen, der sich selbst über­schätzt oder als Genrefilm, der die Konventionen sei­ner Form dekon­stru­iert. Vor allem aber ist es ein wei­te­rer, sehr spe­zi­el­ler Kelly Reichardt-Film, inzwi­schen fast selbst ein eige­nes Genre.

 Michael Meyns

Credits:

US 2025, 110 Min., engl. OmU
Regie & Schnitt: Kelly Reichardt
Kamera: Christopher Blauvelt
mit: Josh O’Connor, Alana Haim, Hope Davis, John Magaro, Gaby Hoffmann, Bill Camp

Trailer:
THE MASTERMIND | Offizieller Trailer | Ab 16. Oktober im Kino
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Drei Kilometer bis zum Ende der Welt

Ein Film von  Emanuel Pârvu. 

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Regisseur Emanuel Pârvu, des­sen Film der ers­te von zwei rumä­ni­schen in die­sem Heft ist, steht eher in der Tradition der „Neuen Rumänischen Welle“ als sein eigen­wil­li­ger Kollege Radu Jude, des­sen Kontinental ‘25 zwei Wochen spä­ter folgt. Offenbar lern­te er als Schauspieler von Cristian Mungiu, Bogdan George Apetri oder Călin Peter Netzer. Belohnt wur­de sei­ne drit­te Regiearbeit mit der „Queer-Palm“ im Wettbewerb in Cannes 2024.
Der 17-jäh­ri­ge Adi lebt mit sei­nen Eltern in einem klei­nen Dorf im Donaudelta. Eines Nachts kommt er schwer ver­letzt nach Hause. Er wur­de von den Söhnen des ein­fluss­rei­chen Unternehmers Zenţov bru­tal zusam­men­ge­schla­gen, nach­dem sie gese­hen hat­ten, dass er einen Jungen küss­te. Seine Eltern fürch­ten nun, dass der Vorfall Adis Homosexualität bekannt macht, sper­ren ihn erst­mal ein und las­sen den Priester eine Art Exorzismus vor­neh­men. Auch Zenţov, bei dem die Familie hoch ver­schul­det ist, möch­te kein Aufsehen. Zur Untersuchung des Vorfalls taucht schließ­lich eine Frau vom Jugendamt im Dorf auf und stellt Fragen, wäh­rend der ört­li­che Polizeichef mit immer neu­en Vorschlägen ver­sucht, die gan­ze Angelegenheit unter den Teppich zu keh­ren.
„Pârvu zeigt den Verlauf der Ereignisse ohne Effekthascherei. Die Machtverhältnisse und vor allem der Machtmissbrauch ver­mit­teln sich sub­til durch die Komposition der Figuren im Raum. Ohne alles aus­spre­chen zu müs­sen, macht der Film deut­lich, wie Staatsgewalt und Kirche in die Privatsphäre ein­grei­fen und wie Grenzen per­ma­nent über­schrit­ten wer­den.“ Andreas Köhnemann | kino-zeit

Credits:

TREI KILOMETRI PÂNĂ LA CAPĂTUL LUMII
RO 2024, 105 Min., rumä­ni­sche OmU
Regie: Emanuel Pârvu
Kamera: Silviu Stavilã
Schnitt: Mircea Olteanu
mit: Ciprian Chiujdea) · Bogdan Dumitrache · Laura Vasiliu · Valeriu Andriutâ · Ingrid Micu-Berescu 

Trailer:
DREI KILOMETER BIS ZUM ENDE DER WELT – Trailer OV-de
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Karla

Ein Film von Christina Tournatzés. 

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Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer sexu­el­le Handlungen an einer Person unter vier­zehn Jahren (Kind) vor­nimmt oder an sich von dem Kind vor­neh­men lässt.“ Dieser Paragraph wird für Karla zum Schutzschild, nach­dem sie mehr­mals erfolg­los bei der Polizei vor­ge­spro­chen hat. Diesmal lässt sie sich nicht fort­schi­cken, sie kennt ihr Recht: „Ich bin Karla Ebel. Ich bin zwölf Jahre alt und ich möch­te Anzeige erstat­ten.“ Sie hat es geschafft, zu einem Richter vor­zu­drin­gen. Der ist zunächst skep­tisch. Es ist 1962, und den Fall einer 12-jäh­ri­gen zu ver­han­deln, die ihren Vater des wie­der­hol­ten sexu­el­len Missbrauchs anzeigt, ist so aus­sichts­los wie kar­rie­re­schäd­lich, denn die Welt ist noch in Ordnung, und in guten Familien pas­siert „sowas“ nicht. Aber Karla bleibt beharr­lich.
„Konsequent bleibt der Film ganz nah bei sei­ner Protagonistin, ihren Gefühlen, ihrem Gesicht. Es ist das Gesicht von Elise Krieps in ihrer ers­ten Rolle – eine Entdeckung, ein Glücksfall! Mit gro­ßer Präsenz ver­kör­pert sie die stil­le Kraft der trau­ma­ti­sier­ten Karla zwi­schen hilf­lo­sem Schweigen und ihrem unbän­di­gen Wunsch nach Gerechtigkeit und einem Leben ohne Übergriffe. … Kann man einen Film über sexu­el­len Missbrauch machen, ohne die Tat in Worten zu schil­dern oder in Bildern zu zei­gen? Regisseurin Christina Tournatzés gelingt es, in ihrem Spielfilmdebüt jeg­li­che Form von Voyeurismus zu ver­mei­den. Zarte Andeutungen, visua­li­sier­te Erinnerungsfetzen, blitz­schnel­le Flashbacks, doch nie wird die jun­ge Protagonistin als Opfer gezeigt. Nie ver­liert sie ihre Würde. Schon das allein macht Karla so beson­ders.“ Sabine Schultz | kino-zeit 

Credits:

DE 2025, 104 Min.
Regie: Christina Tournatzés
Kamera: Florian Emmerich
Schnitt: Isabel Meier
mit: Elise Krieps, Rainer Bock, Imogen Kogge, Torben Liebrecht, Katharina Schüttler

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Holding Liat

Holding Liat

Ein Film von Brandon Kramer. Ab 16.10. im fsk.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Ein Film, wahr­haft ins Offene gedreht, Zusammenhängen fol­gend, obwohl sich – als er begon­nen wur­de – das Geschehen nicht vor­her­se­hen lässt. Liat wird am 7. Oktober 2023 von Mitgliedern der Hamas gewalt­sam aus ihrem Kibbuz ent­führt, kurz danach dreht Brandon Kramer mit ihrer Familie. Er ist dabei, sehr nah, wenn die Eltern Yehuda und Chaya ver­su­chen, mit ihrer Angst umzu­ge­hen – oder im Austausch mit Behörden Einfluss zu neh­men auf das Schicksal ihrer erwach­se­nen Tochter und das ihres Gatten. Als US-Bürger fliegt Yehuda in die USA, beglei­tet von Liats Sohn, den nicht nur die öffent­li­che Aufmerksamkeit belas­tet, und Liats Schwester, die ver­su­chen wird, Yehudas Temperament und Wut abzu­fan­gen. Denn Polarisierung gibt es auch in die­ser Familie: Der Vater sieht trotz sei­nes Schmerzes Israels Rolle im Nahost-Konflikt kri­tisch, ist Pazifist und lässt sich auch im geo­po­li­ti­schen Epizentrum von Diplomatie und Trauma nicht vom Weg der Aussöhnung abbrin­gen. Beharrlich schwimmt er gegen den Strom, legt sich mit sich selbst und allen an und schimpft auf die israe­li­sche Regierung. Ein offe­ner Film zur Stunde. Einsichten kom­men nicht von der Politik, son­dern von Liats Familie.

Credits:

US 2025, 97 Min., Englisch, Hebräisch OmU
Regie: Brandon Kramer
Kamera: Yoni Brook, Omer Manor
Schnitt: Jeff Gilbert

Trailer:
Holding Liat Official Trailer

Im Kino mit deut­schen Untertiteln.

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Wenn du Angst hast nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst

Ein Film von Marie Luise Lehner. Ab 2.10. im fsk. Am 4.10. mit anschlie­ßen­dem Filmgespräch.

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Spätsommer in Wien. Anna ist zwölf und lebt mit ihrer gehör­lo­sen Mutter Isolde lie­be­voll, aber beengt. Der Wechsel aufs Gymnasium ver­än­dert Annas Leben. Ihre Mitschülerinnen kom­men aus einer ganz ande­ren sozia­len Schicht und Anna beginnt, sich für ihre Herkunft und ihre allein­er­zie­hen­de Mutter zu schä­men. Während der Skiwoche muss sie so tun, als ob sie krank sei. Das für den Skikurs zurück­ge­leg­te Geld wird für den Kauf eines Schlafsofas auf­ge­wandt, das der Mutter eine sexu­el­le Beziehung, aber auch der Tochter etwas mehr Privatsphäre ermög­li­chen soll. Eine Komplizin fin­det Anna in ihrer Klassenkameradin Mara, die mit femi­nis­ti­schen Fragen pro­vo­ziert und mit ihrem quee­ren Vater eben­falls allein lebt. – Bedingungslos stellt sich Marie Luise Lehner in ihrem Langfilmdebüt an die Seite ihrer Heldinnen, schenkt ihnen Raum für Introspektion und Ausbrüche, lässt sie zurück­ru­dern und sich ver­söh­nen. Das Nichthineinpassen erlaubt es ihnen, sich selbst ken­nen- und schät­zen zu ler­nen. Lehner hisst, ganz selbst­ver­ständ­lich und mit viel pop­kul­tu­rel­ler Referenz, die bun­te Flagge der Solidarität.
„Mit einem beson­ne­nen Tonfall und facet­ten­rei­chen Figuren, die wie direkt aus dem Leben gegrif­fen wir­ken, ver­mei­det die Filmemacherin kon­se­quent Kitsch und Pathos sowie das Klischee einer her­ab­bli­cken­den Milieustudie: Wenn du Angst hast, nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst ist eine inspi­rie­ren­de Geschichte über gegen­sei­ti­ge Fürsorge, das zei­ti­ge Erkennen von Fehlern sowie die Kraft des Verzeihens.“
Sidney Schering | Filmstarts.de
Jurybegründung Teddy Jury Award: „Dieser Film trifft den Kern unse­rer Gegenwart mit trü­ge­ri­scher Leichtigkeit, bevöl­kert sei­ne Welt mit quee­ren Menschen, besteht gleich­zei­tig auf der grund­le­gen­den Queerness der Existenz – und behaup­tet schließ­lich, dass die kör­per­li­che Autonomie nie­mals der insti­tu­tio­nel­len Kontrolle über­las­sen wer­den darf.“

Credits:

AT 2025, 87 Min., Deutsch, Deutsche Gebärdensprache, Englisch OmU
Regie: Marie Luise Lehner
Kamera:
Simone Hart
Schnitt: Jana Libnik, Joana Scrinzi, Alexandra Schneider
mit: Siena Popović, Mariya Menner, Jessica Paar, Daniel Sea

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In die Sonne schauen

Ein Film von Mascha Schilinski. 

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

In die Sonne schau­en, der ers­te deut­sche Film im Wettbewerb von Cannes seit Toni Erdmann, sorg­te dort direkt zu Beginn für Furore, und erhielt am Ende den Preis der Jury (ex aequo mit Sirāt). Der eigen­wil­li­ge und kom­ple­xe Film umspannt 100 Jahre, sei­ne unchro­no­lo­gi­sche und ver­schach­tel­te Erzählweise ver­deut­licht die Verbindung der Schicksale und macht sie gera­de­zu erfahr­bar.
Ein Vierseithof in der Altmark, einer alten Kulturlandschaft im Norden Sachsen-Anhalts, bil­det den Mittelpunkt des Geschehens, wobei Haus, Scheune, Garten, Felder und vor allem der nahe Fluss die Erzählung wech­sel­wei­se bestim­men. In vier Zeitrahmen, Kaiserreich, Ende des 2. Weltkriegs, 1980er Jahre DDR und Gegenwart, fol­gen wir den Protagonistinnen, Mädchen wie Alma, Teenager wie Angelika und Erika, jun­gen Frauen wie Lenka. Das Haus ver­än­dert sich, jede Epoche hat ihren eige­nen Stil, doch der Vergangenheit ist nicht zu ent­kom­men. Religiöse, sozia­le und poli­ti­sche Zwänge, ver­steck­te Begierden und patri­ar­cha­li­sche Herrschaft schaf­fen gene­ra­tio­nen­über­grei­fen­de Traumata, die geis­ter­gleich die Zeit über­dau­ern – so, wie es der inter­na­tio­na­le Titel Sound of Falling aus­drückt: Das Fallen ist stets lei­se, die Erschütterung wiegt umso schwe­rer.
„Die Handlung die­ses über­aus asso­zia­ti­ven Bilder- und Tonreigens, die­ses Kaleidoskops von Perspektiven und Konstellationen auch nur annä­hernd sinn­voll zu beschrei­ben, ist nahe­zu ein Ding der Unmöglichkeit und wür­de die­sem eben­so viel­schich­tig-kom­ple­xen wie medi­ta­ti­ven Werk auch nicht gerecht. Überhaupt hat man nach dem Verlassen des Kinos den drän­gen­den Wunsch, die­sen Film ein zwei­tes, ein drit­tes und am bes­ten noch ein vier­tes Mal zu sehen. Man wür­de zwei­fel­los dabei immer wie­der neue Details, neue Verbindungen erken­nen, auf­re­gen­de Entdeckungen machen. Das Bild, das man sich von dem Film gemacht hat, wür­de sich ver­än­dern. Klar blie­be aber sicher­lich: In die Sonne schau­en ist ein Meisterwerk, ein Solitär des Kinos, ein Monstrum von einem Film, das sich wie gesagt bestän­dig ver­än­dert, bis ins Unermessliche wächst.“ kino-zeit.de

Preis der Jury – Cannes 2025

Credits:

DE 2024, 149 Min.,
Regie: Mascha Schilinski
Kamera: Fabian Gamper

Schnitt: Evelyn Rack
Darsteller*innen: Luise Heyer, Lena Urzendowsky, Claudia Geisler-Bading, Lea Drinda, Hanna Heckt

Trailer:
Kinotrailer „In die Sonne schau­en” – Kinostart 28. August 2025
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