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Jeder schreibt für sich allein

Jeder schreibt für sich allein

Ein Film von Dominik Graf und Felix von Boehm. (Filmgespräch mit Co-Autor Constantin Lieb am 3.9.)

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Der Schriftsteller Anatole Reignier folgt in sei­nem Buch Jeder schreibt für sich allein den Schicksalen und Entscheidungen von über 60 Kolleg:innen von 1933 bis 1945 in Deutschland.
Für ihren gleich­na­mi­gen Film such­ten sich Dominik Graf und Felix von Böhm eini­ge, meist bekann­te­re Persönlichkeiten her­aus, die für die unter­schied­li­chen Strategien ste­hen, mit dem tota­li­tä­ren System umzu­ge­hen. Innere Emigration ist ein Begriff, der ger­ne ver­wen­det wird, wenn es z.B. um Hans Fallada oder Frank Thiess geht, ande­re, wie Thomas Mann, emi­grier­ten tat­säch­lich. Gottfried Benn folg­te begeis­tert der „neu­en Zeit“, es wur­de offen oder heim­lich (Erich Kästner) pak­tiert, pro­fi­tiert, oder sich ver­steckt. „Sie haben sich alle gewun­den und durch­ge­wursch­telt in ver­schie­de­nen Graustufen von Abhängigkeit und Distanzierung.” so Graf. Jochen Klepper sah 1942 aller­dings kei­nen ande­ren Ausweg mehr als den Suizid.
Lässt sich Kunst von den Personen tren­nen, die sie erschaf­fen haben? Die gro­ße Interesse der Regisseure für das hoch­span­nen­de Thema über­trägt sich beim Schauen. Auch der Rückblick heu­ti­ger Autor:innen und Kunstschaffenden bie­tet Erhellendes, arbei­tet der Film schließ­lich gegen die Selbstgerechtigkeit der Spätgeborenen und möch­te die bei über­all vor­han­de­nen Ambivalenzen anspre­chen.
Ob das Beispiel der RAF für das Weiterleben einer sys­te­mi­schen Empathielosigkeit nicht unbe­wusst einer Relativierung der vor nicht all­zu lan­ger Zeit als Singularität ange­se­he­nen Naziverbrechen Vorschub leis­tet, und ob die kurz ein­ge­spro­che­ne These, dass der Faschismus einer viru­len­ten Krankheit ähnelt, einer anthro­po­lo­gi­schen Konstante sozu­sa­gen, nicht all­zu psy­cho­lo­gisch und unpo­li­tisch daher­kommt, wie es das Ende nahe­legt, sei dahin­ge­stellt. Aber dar­über kann ja gere­det wer­den.
Gerade für Künstler:innen hat die Frage, die Gabriele von Arnim zu Beginn des Filmes stellt, nichts von ihrer Aktualität ver­lo­ren, ange­sichts der vie­len Möglichkeiten, kor­rum­piert, ver­führt oder in Furcht ver­setzt zu wer­den: „Wie sicher kann ein Mensch sich sei­ner selbst sein?“ 

GOTTFRIED BENN, KLAUS MANN, ERICH KÄSTNER, HANS FALLADA, JOCHEN KLEPPER, INA SEIDEL, HANNS JOHST, WILL VESPER, BERNWARD VESPER 

(Filmgespräch mit Co-Autor Constantin Lieb am 3.9.)

Credits:

DE 2023, 169 Min., deut­sche Fassung (engl. UT auf Nachfrage)
Regie:
Dominik Graf, Felix von Boehm
Kamera: Florian Mag, Markus Schindler, Niclas Reed Middleton, Pierre Nativel, Sven Jakob-Engelmann
Schnitt: Claudia Wolscht

mit Anatol Regnier, Florian Illies, Géraldine Mercier, Albert von Schirnding, Christoph Stölzl, Henrike Stolze, Günter Rohrbach, Gabriele von Arnim, Julia Voss, Willy Kristen, Wendelin Neubert, Carlo Paulus, Simon Strauß, Clemens von Lucius, Lena Winter

Trailer:
Trailer JEDER SCHREIBT FÜR SICH ALLEIN – ab 24. August 2023 im Kino
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Passages

Ein Film von Ira Sachs.

[Credits] [Tickets & Termine] [Trailer]

Ira Sachs (zuletzt mit Little men bei uns) hat Franz Rogowski eine per­fek­te Rolle auf den Leib geschnei­dert: Tomas ist Regisseur in Paris, hat einen Film been­det und gönnt sich nach der Phase inten­si­ver Arbeit und Verantwortung die ver­dien­te Freizeit, wech­selt die Garderobe und läßt sei­ne kind­li­che Seite glän­zen. Unbedarft und mit viel Sinn für Grenzüberschreitungen nimmt er Fahrt auf und ver­langt immer mehr Freiheiten. Auf die Ehe mit Martin, der Tomas viel Geduld schenkt, fällt lang­sam ein Schatten, der immer län­ger wird, denn Tomas fängt ein Verhältnis mit Agathe an, fas­zi­niert von sich selbst, gelingt ihm doch mühe­los, sich auch in eine Frau zu ver­lie­ben.
Die Ménage-à-trois nimmt also Fahrt auf, der Aufstieg zum Scherbenhaufen beginnt und Tomas wech­selt wie­der mal die Garderobe.
„‘Ich hat­te letz­te Nacht Sex mit einer Frau’, sagt Tomas sei­nem Ehemann. Von einem Geständnis zu spre­chen, wür­de der Sache nicht gerecht. Reue, gar Scham, emp­fin­det Tomas gegen­über Martin nicht. Im Gegenteil, schon im nächs­ten Augenblick bit­tet er sei­nen Mann dar­um, ihm davon erzäh­len zu dür­fen. Ohne eine Antwort abzu­war­ten, berich­tet er von den berau­schen­den Gefühlen, die er schon so lan­ge nicht mehr emp­fun­den habe. Nüchtern betrach­tet, offen­bart das Drama sei­nen zen­tra­len Protagonisten jäh als empa­thie­lo­sen Narzissten. Doch Ira Sachs, der ein beson­de­res Talent für das genaue Beobachten abseits pro­fes­so­ra­ler Wertungen besitzt, neigt auch in die­ser inti­men Charakterstudie nicht zur Pathologisierung. Stattdessen ver­steht es Passages, den beson­de­ren Bann, in den Tomas erst Martin und spä­ter auch Agathe – die augen­schein­lich alles ver­än­dern­de Frau – zieht, auf das Publikum aus­zu­wei­ten.“
Arabella Wintermayr | taz

Credits:

FR 2023, 91 Min., Englisch, Französisch OmU
Regie: Ira Sachs

Kamera: Josée Deshaies
Schnitt: Sophie Reine

mit Franz Rogowski, Ben Whishaw, Adèle Exarchopoulos

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Vergiss Meyn Nicht

Vergiss Meyn Nicht

Ein Film von Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl und Jens Mühlhoff.

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30 Meter über der Erde ist eine neue Gemeinschaft ent­stan­den. In den Baumkronen des Hambacher Forsts, der 2018 zum Mittelpunkt der kli­ma­po­li­ti­schen Auseinandersetzungen in Deutschland wird, leben Menschen in selbst­ge­bau­ten Baumhäusern und ver­su­chen, die dro­hen­de Rodung zu ver­hin­dern, indem sie sich selbst als Gewicht in die Waagschale wer­fen. Der Filmstudent Steffen Meyn doku­men­tiert den teil­wei­se fried­li­chen, teil­wei­se rigo­ro­sen, teil­wei­se aggres­si­ven Kampf der Aktivistinnen gegen die Zerstörung der Natur zwei Jahre lang mit einer 360°-Helmkamera. Dann stürzt er wäh­rend einer poli­zei­li­chen Räumung vom Baum und stirbt. Der Dokumentarfilm von Meyns Freundinnen und Kommilitoninnen Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl und Jens Mühlhoff basiert auf die­sem Filmmaterial. Die Zweifel des Protagonisten wer­den dar­in genau­so deut­lich wie sei­ne freund­li­che Beharrlichkeit und sein Bemühen, eine Haltung zur Radikalität der Szene zu fin­den. Zusätzlich haben die Regisseurinnen Interviews mit Aktivist*innen geführt, bei denen die Erfahrungen im „Hambi“ tie­fe Spuren hin­ter­las­sen haben. Es geht um die Frage, wie weit Aktivismus gehen muss. Und wie weit er gehen darf.

Credits:

DE 2023, 102 Min.,
Regie: Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl, Jens Mühlhoff

Kamera: Carina Neubohn, Nora Daniels, Steffen Meyn
Schnitt: Ulf Albert

Trailer:
Vergiss Meyn nicht [Offizieller Trailer DEUTSCH HD] – Jetzt auf DVD & VOD
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Music for Black Pigeons

Music For Black Pigeons

Ein Film von Jørgen Leth und Andreas Koefoed.

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Mit Music for Black Pigeons zeich­nen die Filmemacher Jorgen Leth und Andreas Koefoed das Porträt des däni­schen Gitarristen Jakob Bro. 14 Jahre lang haben sie zuge­hört und zuge­se­hen, wie des­sen Kompositionen zu Musik wer­den, in Ensembles mit den ganz gro­ßen Jazzmusikern, mit Bill Frisell, Andrew Cyrille, Lee Konitz, Thomas Morgan, Mark Turner, Paul Motian, Joe Lovano, Joey Baron, Palle Mikkelberg und und und … Ja, auch Midori Takada ist dabei, die­se außer­ge­wöhn­li­che Schlagzeugerin, die so medi­ta­tiv lei­se die Klangschalen streicht und dann gewal­tig don­nernd die Paukenkessel trak­tiert. Es wird kei­ner der Titel ganz gespielt, kein Set aus dem Konzertsaal fer­tig über­nom­men. Das Konzert fin­det im Studio statt, bei den kon­zen­trier­ten Proben, der gemein­sa­men Einstimmung auf etwas, von dem kei­ner der Mitwirkenden weiß, ob es wahr wer­den wird. Und das dann doch geschieht, weil alle teil haben an dem Riesenkosmos des Jazz, weil sie alle die Musik ihrer berühm­ten Vorväter in der Seele tra­gen. Und wenn es pas­siert, wenn den Musikern ein Take glückt, so wie er nur glü­cken kann, dann geht ein Lächeln auf in ihren Gesichtern. Als Music for Black Pigeons 2022 bei den Filmfestspielen in Venedig lief, wur­de er von Jazz-Affinados gefei­ert als der ulti­ma­ti­ve Musikfilm über­haupt. Vielleicht ist das über­trie­ben, aber einer der zweit­schöns­ten nach Jazz on a Summer’s Day (Newport 1958) ist er alle­mal.
Elizabeth Bauschmid | indiekino

Credits:

DK 2022, 92 Min., Englisch, Dänisch, Japanisch OmU
Regie:
Jørgen Leth und Andreas Koefoedmäki
Kamera: Adam Jandrup, Dan Holmberg, Andreas Koefoed
Schnitt: Adam Nielsen
mit: Jakob Bro, Lee Konitz, Thomas Morgan, Paul Motian,
Bill Frisell, Mark Turner, Joe Lovano, Andrew Cyrille, Palle Mikkelborg,
Jon Christensen, Manfred Eicher, Midori Takada

Trailer:
Music For Black Pigeons TRAILER DE
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Die Toten Vögel sind oben

Die toten Vögel sind oben

Ein Film von Sönje Storm.

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Als Regisseurin Sonje Strom den drei Wissenschaftlern aus Hamburg den Nachlass ihres Urgroßvaters Jürgen Mahrt im Elsdorfer Gehege in Schleswig-Holstein öff­net, kön­nen die kaum fas­sen, wel­cher Schatz ihnen da zuge­führt wird: 350 aus­ge­stopf­te Vögel, 3000 Schmetterlinge, Raupen, Pilze und Käfer, geord­net in Kästen, unzäh­li­ge sorg­fäl­tig hand­ko­lo­rier­te Fotografien von Tieren, Pflanzen und Landschaften. Dazu noch ein Tagebuch, in dem der Landwirt u.a. das Verschwinden bestimm­ter Tier- oder Pflanzenarten fest­hielt. Es lie­fert bis heu­te Daten zum Artensterben und zeugt von Landschaften und Tieren, die durch den Eingriff des Menschen fast ver­schwun­den sind. Mahrt arran­gier­te die von ihm aus­ge­stopf­ten Tiere in Feld und Flur, die Fotos ver­kauf­te er für die in den 1920er-Jahren popu­lä­ren Sammelbildalben.
Was war das für ein Mensch, der schon damals Beruf und Auskommen für sei­ne Leidenschaft ver­nach­läs­sig­te? Der mit dem Fahrrad vom Norden Deutschlands in die Schweiz fuhr, nur um einem Freund einen sel­te­nen Schmetterling zu zei­gen und dabei die Ernte ver­gaß? Der sich nichts dar­aus mach­te, als Exzentriker ange­se­hen zu wer­den? Der Film ist die Annäherung der Filmemacherin an den unbe­kann­ten und in man­cher Hinsicht rät­sel­haf­ten Urgroßvater und sein beein­dru­cken­des Archiv. Und dann es ist es noch ein schö­ner Zufall, dass die Goldene Taube und die Doppelschnepfe vom Plakat zusam­men­ge­fun­den haben: Die toten Vögel sind oben gewann u.a. 2022 ver­dient den Hauptpreis bei DOK Leipzig.

Credits:

DE 2022, 85 Min., deutsch, platt­deut­sche OmeU
Regie: Sönje Storm
Kamera: Alexander Gheorghiu
Schnitt: Halina Daugird

Trailer:
DIE TOTEN VÖGEL SIND OBEN – Offizieller Trailer
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Asteroid City

Ein Film von Wes Anderson.

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Typischer als „Asteroid City“ kann ein Wes Anderson-Film kaum sein: Vom bis ins kleins­te Detail aus­ge­stat­te­ten Sets, über eine ver­spiel­te, ver­schach­telt erzähl­te Handlung, bis hin zu einer Besetzung, die auch in den kleins­ten, kaum wahr­nehm­ba­ren Nebenrollen bekann­te Schauspieler ver­sam­melt. Worum es geht: Um alles und nichts, das gro­ße Ganze, die mensch­li­che Existenz, den Sinn des Leben.

Irgendwo im Südwesten der Vereinigten Staaten ver­sam­melt sich im Jahre 1955 eine bunt gemisch­te Gruppe Menschen. Anlass ist ein Sternforscherkongress im loka­len Wissenschaftszentrum, denn im Hintergrund der klei­nen Gemeinde mit genau 87 Einwohnern, ragt der Krater auf, in den einst der Asteroid ein­schlug, der Asteroid City sei­nen Namen gab.

Nachwuchs-Sterngucker sind vor Ort, um ins All zu Blicken, jun­ge Forscher, die ihre Entwicklungen vor­stel­len und bald kommt auch noch ein Alien zu Besuch. Was dazu führt, dass der Ort unter Quarantäne gestellt wird und das loka­le Motel zum Anlaufort für die Gestrandeten wird: Den Kriegsfotografen Augie (Jason Schwartzmann), der gera­de sei­ne Frau ver­lo­ren hat und mit sei­nem gran­ti­gen Schwiegervater (Tom Hanks) strei­tet. Der Filmstar Midge Campbell (Scarlett Johansson), eine Diva irgend­wo zwi­schen Elizabeth Taylor und Marilyn Monroe, dazu die Wissenschaftlerin Dr. Hickenlooper (Tilda Swinton), der General Grif Gribson (Jeffrey Wright) und vie­le Andere. Sie alle hadern auf die ein oder ande­re Weise mit dem Leben, trau­ern gelieb­ten Menschen mach, fra­gen sich, was das denn alles soll, suchen nach Antworten auf die gro­ßen Fragen der Menschheit oder schlicht und ergrei­fend dem Sinn der Existenz.

Sinn mag auch der Zuschauer in die­sem beson­ders enig­ma­ti­schen Film eines Regisseurs suchen, der ein­mal mehr einen Film vor­ge­legt hat, wie ihn nur er dre­hen kann. Vom ers­ten Moment an lässt „Asteroid City“ kei­nen Zweifel dar­an, dass es sich um einen Wes Anderson-Film han­delt: Frontale Kameraperspektiven, lie­be­voll bis ins kleins­te Detail aus­ge­stat­te­te Sets, selt­sa­me Charaktere und nicht zuletzt: Eine ver­schach­tel­te Narration.
Andersons vori­ger Film „The French Dispatch“ funk­tio­nier­te in gewis­ser Weise wie die Bebilderung des Magazins The New Yorker, in „Grand Budapest Hotel“ zeig­ten wech­seln­de Bildformate die unter­schied­li­chen Zeitebenen an, ein Stilmittel, das sich auch in „Asteroid City“ wie­der­fin­det. Ist der Hauptfilm in far­bi­gem Scope insze­niert, so sind die Bilder der Rahmenhandlung in schwarz-weiß und dem alt­mo­di­schen 4:3‑Format gefilmt. Hier sieht man eine TV-Inszenierung des Films, den man gera­de sieht, aber auch Szenen mit dem Autor des Stücks selbst (Edward Norton), der bis­wei­len Besuch von den Schauspielern bekommt, die nach der Bedeutung der Dialoge fra­gen, die sie in der Haupthandlung sprechen.

Hübsch selbst­re­fe­ren­zi­ell ist das, auch die gera­de­zu absur­de Ansammlung bekann­ter Schauspieler, die teil­wei­se in win­zi­gen Rollen auf­tre­ten, deu­tet dar­auf hin, dass Anderson hier auch einen Film über sich, sei­ne Arbeitsmethode, sei­nen Blick auf die Welt gedreht hat. Eine wach­sen­de Filmfamilie hat Anderson im Lauf der Jahre um sich gescharrt, Schauspieler wie Jason Schwartzman oder Willem Dafoe sind zum x‑ten Mal bei ihm dabei, ande­re, wie Tom Hanks oder Scarlett Johansson, sind Newcomer.

All die­se Stars, die sonst meist Hauptrollen spie­len, las­sen sich mit augen­schein­li­cher Lust auf ihre oft win­zig klei­nen Rollen in einem Wes-Anderson-Film ein, fügen sich ein ins gro­ße Ganze. Man darf ver­mu­ten, dass die Arbeit an einem Anderson-Film ein gro­ßes Vergnügen ist, von einer Neugier geprägt, die sich auch auf der Leinwand zeigt. Von gro­ßen Fragen mag die Rede sein, von Verlust und Tod die Rede sein, doch Andersons Filme und sei­ne Figuren sind stets von einem uner­schüt­ter­li­chen Optimismus geprägt, auch wenn es kei­ne kla­ren Antworten gibt. Doch wenn das Leben schon rät­sel­haft bleibt, dann soll­te es zumin­dest so ver­spielt und abwechs­lungs­reich sein wie die Welt von „Asteroid City“, in der man ger­ne 100 Minuten verbringt.

Michael Meyns | programmkino.de

Credits:

US 2023, 104 Min., engl. OmU
Regie & Buch: Wes Anderson
Kamera: Robert D. Yeoman
Schnitt: Barney Pilling
mit: Tom Hanks, Jason Schwartzman, Scarlett Johansson, Jeffrey Wright, Tilda Swinton, Bryan Cranston, Ed Norton, Adrien Brody, Liev Schreiber, Hope Davis, Rupert Friend, Maya Hawke, Steve Carell, Margot Robbie, Matt Dillon, Hong Chau, Willem Dafoe, Jeff Goldblum, Rita Wilson

Trailer:
Asteroid City | Offizieller Trailer | Ed (Universal Pictures)
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Black Box

Ein Film von Aslı Özge.

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In einem Berliner Wohnhaus ver­hängt die Polizei wegen eines nicht näher spe­zi­fi­zier­ten Terrorverdachts eine Ausgangssperre. Unter dem Druck von außen wer­den die Loyalitäten brü­chig, Beziehungen und sicher geglaub­te Annahmen kol­la­bie­ren, Misstrauen und Angst grei­fen um sich.

Wie vie­le unter­schied­li­che Lebensmodelle und Weltbilder wohl in dem äußer­lich recht fried­li­chen Berliner Mietshaus, in dem ich woh­ne, auf engs­tem Raum mit­ein­an­der koexis­tie­ren, habe ich mich schon oft gefragt. Während der Corona-Pandemie wur­de in die­sem klei­nen wie im grö­ße­ren gesell­schaft­li­chen Rahmen das Gefühl grö­ßer, dass durch­aus nicht selbst­ver­ständ­lich davon aus­zu­ge­hen ist, man kön­ne sich mit den meis­ten Mitmenschen sicher auf eini­ge Basisannahmen eini­gen. Mit einer ähn­li­chen Fragestellung arbei­tet Asli Özge in BLACK BOX. In einem Berliner Wohnhaus ver­hängt die Polizei wegen eines nicht näher spe­zi­fi­zier­ten Terrorverdachts eine Ausgangssperre. Ein Auto wird abge­schleppt, eine Wohnung durch­sucht, die ein­ge­sperr­ten Bewohner tref­fen im Hof auf­ein­an­der, der schon län­ger ein umkämpf­tes Gebiet ist. Die neue Hausverwaltung hat Mülltonnen umplat­ziert, eine Protestinitiative bil­det sich, ein Kind hat oder hat nicht vor die Haustür gepin­kelt. Ein zen­tra­ler Konflikt ist die Besitzfrage, das Haus besteht teils aus Miet‑, teils aus Eigentumswohnungen. Die Loyalitäten der Bewohner wer­den unter dem äuße­ren Druck brü­chig, Beziehungen und sicher geglaub­te Annahmen kol­la­bie­ren, Misstrauen und Angst grei­fen um sich. Gefilmt ist das oft aus beeng­ten Perspektiven: Mit Blicken von Wohnungen nach drau­ßen, Spiegelungen in Fensterscheiben und ver­zerr­ten Bildern erzählt Özge, wie man sich gegen­sei­tig belau­ert, wie alle nur einen Teil der Informationen haben und dar­aus ihre Realitäten kon­stru­ie­ren. Dass die­ser Mikrokosmos als Metapher für die Gesamtgesellschaft gemeint ist, ist klar und Asli Özges Diagnosen ist wenig entgegenzusetzen. (…)

Susanne Stern | indiekino

Credits:

DE/BE 2023, 120 Min.,
Regie: Aslı Özge
Kamera: Emre Erkmen
Schnitt: Patricia Rommel
mit: Luise Heyer, Felix Kramer, Christian Berkel, Timur Magomedgadzhiev, Manal Issa, André Szymanski, Sascha Alexander Geršak, Jonathan Berlin, Anne Ratte-Polle

Trailer:
BLACK BOX (Offizieller Trailer)
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Brother’s Keeper

Ein Film von Ferit Karahan.

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Bei einem Start im Hochsommer geht es gefühlt kaum gegen­sätz­li­cher:
Bei unter ‑30° wird das staat­li­che Jungeninternat auf 2000m Höhe im Osten der Türkei, in kur­di­schem Gebiet, fast von Schneemassen begra­ben. Hier sind nicht nur die Temperaturen zum Fürchten, son­dern auch die stren­ge, auto­ri­tä­re Erziehung und die empa­thie­lo­se Umgangskultur. Die Eltern der Kinder hegen jedoch die Hoffnung, dass den Kindern durch die­se Ausbildung eine bes­se­re Zukunft bevor­steht. Der 12-jäh­ri­ge Yusuf und der jün­ge­re Memo sind Zimmergenossen. Ihre Freundschaft ist das ein­zi­ge, was für sie zählt und ihnen hilft, durch den Tag zu kom­men. Als Memo eines mor­gens schwer erkrankt auf­wacht, ver­sucht Yusuf trotz der Gleichgültigkeit und des Widerstandes der repres­si­ven Schulleitung, ihm zu hel­fen, und bringt ihn ins Krankenzimmer. Spät erst erken­nen die Lehrer den Ernst der Lage, und schon beginnt eine Kaskade von wech­sel­sei­ti­gen Schuldzuweisungen und kaf­ka­es­ker Ursachenforschung inner­halb des alles bestim­men­den Machtgefälles. Als Memo dann end­lich in ein Krankenhaus gebracht wer­den soll, ist die Schule durch hef­ti­gen Schneefall von der Außenwelt abge­schnit­ten.
Regisseur Ferit Karahan, der das Drehbuch zusam­men mit sei­ner Frau Gülistan Acet schrieb, hat wie die Kinder in dem Film selbst eine soge­nann­te “YIBO”-Schule besucht. … Er hat das, was er selbst in den 90er Jahren erlebt hat­te, in die­sem Film ver­ar­bei­tet. “Ich woll­te die Geschichte eines Tages in einer Internatsschule erzäh­len, aber damit gleich­zei­tig ein gan­zes System, ein gan­zes Land, etwas Universales beschrei­ben.”
„Brother’s Keeper ist alles ande­re als ein sen­ti­men­ta­les Rührstück, eher eine scharf­sin­ni­ge Groteske über Bürokratie, Mangelwirtschaft, ein System, das Repression, Konformität, Heimlichkeiten und Grausamkeiten för­dert.“
Claudia Lenssen | taz

Credits:

Okul Tıraşı
TR 2021, 85 Min., Türk., kurd. OmU
Regie: Ferit Karahan
Kamera: Türksoy Gölebeyi
Schnitt: Sercan Sezgin, Hayedeh Safiyari, Ferit Karahan
mit: Samet Yıldız, Ekin Koç, Mahir İpek, Melih Selçuk, Cansu Fırıncı, Nurullah Alaca

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Auf der Adamant

Ein Film von Nicolas Philibert. 

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Ein uto­pi­scher Ort der Menschlichkeit mit­ten in Paris

Wie ein ele­gan­tes Holzschiff liegt die Adamant am rech­ten Seine-Ufer im Herzen von Paris vor Anker. In die­se ein­zig­ar­ti­ge, 2010 eröff­ne­te Tagesklinik kom­men Erwachsene mit psy­chi­schen Störungen, die the­ra­peu­tisch beglei­tet wer­den, sich hier vor allem aber krea­tiv ent­fal­ten: Sie schrei­ben Chansons, ver­an­stal­ten Filmfestivals, dich­ten, malen und zeich­nen. Das Team der Adamant zeigt tag­täg­lich, wie es in Zeiten eines Gesundheitssystems in der Krise gelin­gen kann, zuge­wandt und offen auf Menschen mit psy­chi­scher Erkrankung ein­zu­ge­hen. Aus sen­si­blen Beobachtungen und Gesprächen mit den Adamant-„Passagier*innen“ ent­steht das leicht­fü­ßi­ge Portrait einer Einrichtung, deren Existenz Hoffnung macht.

Der Franzose Nicolas Philibert gehört seit sei­nem Publikumserfolg SEIN UND HABEN zu den gro­ßen Dokumentarfilmemachern Europas. Für AUF DER ADAMANT wur­de er auf der Berlinale 2023 mit dem Hauptpreis des Festivals, dem Goldenen Bären, ausgezeichnet.

Credits:

Sur l’Adamant
FR/JP 2022, 109 Min., frz. OmU
Regie, Kamera, Schnitt: Nicolas Philibert,
Regie unter Mitwirkung von Linda De Zitter

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Le Mali 70

Ein Film von Markus CM Schmidt.

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Die UN hat den Abzug aus Mali bis Ende 23 auf Druck der dor­ti­gen Militärjunta beschlos­sen. Danach ist die Bevölkerung dem Terror von Wagner Gruppe und Islamisten aus­ge­lie­fert.
Le Mali 70 ent­stand Anfang der 20er Jahre, als der Krieg noch auf den Norden beschränkt war und fei­ert die Musik des Landes, die reich und über­bor­dend ist. Besonders nach der Unabhängigkeit vom fran­zö­si­schen Kolonialregime schu­fen die Big Bands den Sound der Zukunft für Mali.
Die Berliner Musiker von Omniversal Earkestra, eine Combo mit fet­tem Bläsersatz und von extrem mit­rei­ßen­der Spielfreude ent­deck­te die Musik, hor­te­te die Platten der 70er und fis­sel­te sich die Arrangements in mühe­vol­ler Detailarbeit zusam­men. Die Idee, eine Reise nach Mali zu unter­neh­men und sich mit den inzwi­schen in die Jahre gekom­me­nen Künstlern live aus­zu­tau­schen, wur­de umge­setzt und schon sind wir in Bamako, atmen die Musik und lau­schen der Oral History.
Auch über den kuba­ni­schen Einfluss, denn beim Balanceakt Malis zwi­schen Ost- u. West waren kuba­ni­sche Aufbauhelfer im Land. Die Intuition trifft auf das Notenblatt, die Geschichten auf die Geschichte.

Nachdem Mali im Jahr 1960 die Unabhängigkeit von Frankreich erlang­te, ent­wi­ckel­te sich das Land zu einem wich­ti­gen Zentrum für afri­ka­ni­sche Musik und spiel­te eine bedeu­ten­de Rolle in der Musikszene des Kontinents. Mali hat eine rei­che musi­ka­li­sche Tradition, die sich im Laufe der Jahre wei­ter­ent­wi­ckelt und glo­ba­len Einfluss erlangt hat.In den 1960er und 1970er Jahren, in der Zeit nach der Unabhängigkeit, wur­de die Musik in Mali zu einem wich­ti­gen Medium, um sozia­le und poli­ti­sche Botschaften zu ver­mit­teln. Viele Künstler nutz­ten ihre Musik, um auf sozia­le Ungerechtigkeiten, poli­ti­sche Themen und die Wahrung der kul­tu­rel­len Identität auf­merk­sam zu machen.“ ChatGPT

Credits:

DE 2022, 92 Min., German, French, Bambara, English OmU
Regie & Schnitt: Markus CM Schmidt
Kamera: Martin Langner

Trailer:
LE MALI 70 – Offizieller Trailer
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