Träum was Schönes

Ein Film von Marco Bellocchio. Ab 17.8. im fsk.

Turin 1969. Der neun­jäh­ri­ge Massimo liebt sei­ne Mutter über alles. Gleich in der ers­ten Szene sehen wir bei­de lei­den­schaft­lich zu einem Twist tan­zen, abends schau­en sie gemein­sam die fran­zö­si­sche Fernseh-Serie „Belphégor oder Das Geheimnis des Louvre“. Doch zwi­schen­durch gibt es immer wie­der Irritationen: ein über­trie­be­nes Versteckspiel, eine end­lo­se Fahrt in der Straßenbahn. Massimos Mutter ist eine trau­ri­ge Frau, sie lei­det an Depressionen. Und dann ist sie eines Tages tot, für den Buben bricht eine Welt zusam­men, er wei­gert sich, den Verlust zu akzeptieren.

Erzählt wird die Geschichte als Rückblende. In einer Rahmenhandlung, die im Jahr 1999 ange­sie­delt ist, muss der erwach­se­ne Massimo die Wohnung sei­nes ver­stor­be­nen Vaters auf­lö­sen. Dabei drän­gen vie­le Erinnerungen ins Bewusstsein: wie Massimo mit sei­nem Vater ins Fußballstadion geht, wie er in den 1990er Jahren als Journalist arbei­tet, erst von gro­ßen Sportereignissen berich­tet, dann vom Krieg in Sarajevo. Von nun kehrt der Film immer wie­der zur Rahmenhandlung zurück: Massimo lei­det unter Panikattacken und lernt so die bezau­bern­de Internistin Elisa ken­nen. Kann sie ihm hel­fen, sei­ne Dämonen zu ver­trei­ben? Massimo muss sich noch ein­mal sei­ner Vergangenheit stel­len, um wie­der ins Leben zurückzufinden.

Marco Bellocchio, Jahrgang 1939, ist einer der bedeu­tends­ten Regisseure Italiens, seit über 50 Jahren dreht er Filme. Gleich sein Debüt „Mit der Faust in der Tasche“, 1965 ent­stan­den, ist ein Meisterwerk, und auch sein neu­er Film ist von einer Komplexität und einem Anspruch, die sel­ten gewor­den sind im aktu­el­len ita­lie­ni­schen Kino. In „Träum was Schönes – Fai bei sogni“ geht es um Trauer und Verlust, um unbe­wäl­tig­te Vergangenheit und die Herausforderungen der Gegenwart. Wie soll man sein Leben leben? Und wie kann man glück­lich sein, wenn man sich mit sei­ner Vergangenheit nicht aus­ge­söhnt hat? Gewichtige Fragen, denen Bellocchio mit Humor und gro­ßem Verständnis für die mensch­li­che Psyche nach­geht. Der Regisseur ver­folgt Massimos Streben nach Glück und gleich­zei­tig sein Bedürfnis, sich vor Verletzungen zu schützen.

Die ver­schie­de­nen Zeitebenen wir­ken dabei nie kom­pli­ziert. Vielmehr wech­seln sie sich spie­le­risch ab und ver­voll­stän­di­gen sich meis­ter­haft zu einem genau­en Porträt der Hauptfigur. Spaß machen auch immer klei­ne Beobachtungen am Wegesrand, in denen sich die Zuschauer viel­leicht selbst ent­de­cken. So dient das wirk­lich furcht­erre­gen­de Monster in „Belphégor“ dem klei­nen Massimo als Beschützer, sein grau­sa­mes Ende nimmt das der Mutter vor­weg. Die packen­de Schwimmbadszene aus Jacques Tourneurs Horror-Klassiker „Katzenmenschen“ (1942) – plötz­lich geht das Licht aus und Simone Simon schwimmt allein im Dunkeln – nimmt der Film am Schluss auf. Man muss die­se Anspielungen nicht erken­nen, die Szene funk­tio­nie­ren auch so. Abgerundet wird der meis­ter­lich insze­nier­te Film durch die per­fek­ten Hauptdarsteller, Bérénice Bejo und Valerio Mastandrea vor allem, aber auch Nicolò Cabras, Darsteller des klei­nen Massimo, ist eine Wucht.

Michael Ranze

OT: Fai bei sogni
Italien 2016, 134 Min., ita. OmU
Regie: Marco Bellocchio
Kamera: Daniele Ciprì
Schnitt: Francesca Calvelli
Darsteller: Valerio Mastandrea, Bérénice Bejo, Nicolò Cabras