Jenseits des Sichtbaren – Hilma af Klint

Ein Film von Halina Dyrschka.

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Wer sich für Kunst inter­es­siert, kennt den Namen Hilma af Klint wahr­schein­lich schon län­ger, aber tat­säch­lich ist sie aus ver­schie­de­nen Gründen auf dem Weltmarkt für Kunst kaum ver­tre­ten. – Die inter­es­san­ten Gründe dafür kom­men im Film über ihr Leben und Wirken eben­falls zur Sprache. Sie sind untrenn­bar ver­bun­den mit den Mechanismen des Kunstmarkts, der – so wie bei­na­he alles ande­re – eben­falls wirt­schaft­li­chen Gesetzen unter­wor­fen ist, die sich immer stär­ker auf den Preis und damit auch auf den ideel­len Wert eines Kunstwerks auswirken.

Hilma af Klint, die 1862 in Schweden gebo­ren wur­de, pass­te und passt weder auf die gro­ßen Umschlagplätze für Bilder noch in die übli­chen Klischees der Kunstszene. Zum einen haben es Frauen in der Bildenden Kunst tra­di­tio­nell beson­ders schwer, aber zum ande­ren hat Hilma af Klint schon zu ihren Lebzeiten dafür gesorgt, dass ihre abs­trak­ten Werke dem Kunsthandel ent­zo­gen blie­ben. Diese Bilder, man­che groß­flä­chig, oft seri­ell, was in spä­te­ren Jahrzehnten zum Standard wur­de, sind etwas ganz Besonderes. Sie stel­len das Oeuvre einer Frau dar, die als Kind ihrer Zeit – um die Wende zum 20. Jahrhundert her­um – für sich selbst ent­schei­det, sich von der Welt, die sie sieht, zu ent­fer­nen und den künst­le­ri­schen Weg zu einer ande­ren, ver­geis­tig­ten Welt zu fin­den. „Die Welt ist nicht so, wie sie aus­sieht. Also muss ich sie (neu) erfin­den“, schreibt sie. Geprägt vom Fortschritt der Wissenschaft und von den bahn­bre­chen­den Entwicklungen zum Ende des 19. Jahrhunderts wen­det sich die an der schwe­di­schen Kunstakademie aus­ge­bil­de­te Malerin der abs­trak­ten Kunst zu, und zwar meh­re­re Jahre vor den bekann­te­ren, männ­li­chen Wegbereitern der Moderne, wie Kandinsky oder Mondrian. Als Zeichnerin und Malerin hat sie bereits beschei­de­ne Erfolge erzielt, doch der per­fek­te Naturalismus, den sie in ihren Bildern und Illustrationen, in ihren Porträts und Bewegungsstudien abbil­det, genügt ihr nicht mehr. Für eine Welt jen­seits des Sichtbaren, was neben spi­ri­tu­el­len Bereichen auch die Wissenschaft der Atome und Moleküle, der Strahlen und Wellen ein­schließt, macht sie sich auf die Suche nach ande­ren Ausdrucksformen. In kla­ren geo­me­tri­schen Mustern, häu­fig mit kräf­ti­gen, leuch­ten­den Farben und schein­bar spie­le­risch ergänzt durch viel­sei­ti­ge Formen und Symbole, spie­gelt sich ihre neue Weltsicht. Die zahl­rei­chen Aquarelle und Gemälde, die sie hin­ter­lässt, wer­den eben­so wie ihre Aufzeichnungen in Dutzenden von Notizbüchern zu Dokumenten einer star­ken Persönlichkeit und einer genia­len Künstlerin. Ihre krea­ti­ve Vision, das ahnt sie schon früh, passt nicht in das Weltbild ihrer Zeit. So ver­birgt sie die Bilder, ver­bie­tet den Verkauf nach ihrem Tode, sie stellt extrem sel­ten aus, hat aller­dings Kontakte zu ande­ren Künstlerinnen und Künstlern sowie zu Schriftstellern und Philosophen, mit denen sie sich meist brief­lich aus­tauscht. Ansonsten lebt sie allein und in engem Kontakt zur Natur. Mit 82 Jahren stirbt sie an den Folgen eines Unfalls.

Halina Dyrschka gelingt es in ihrem Film schein­bar mühe­los und in höchst span­nen­der Form, das Leben und das Schaffen der Künstlerin schlüs­sig zu ver­bin­den. Dafür greift sie unter ande­rem auf kur­ze, stum­me Spielszenen zurück, die zei­gen, wie Hilma af Klint ihre groß­for­ma­ti­gen Gemälde erschafft: bar­fuss und mit geschürz­tem lan­gen Rock zieht sie mit einem lan­gen Zeichenstock Konturen auf dem Papier. Wunderschöne Landschaftsaufnahmen, Großaufnahmen der unbe­rühr­ten Natur Schwedens sowie immer wie­der flie­ßen­des Wasser in sei­nen Linien und Strömungen zei­gen die Ursprünge des Denkens und Arbeitens die­ser Frau, die eine unbän­di­ge Leidenschaft und Liebe für das Leben gehabt haben muss. Eine Sprecherin zitiert dazu Hilma af Klints Worte: „In mir strömt eine so gro­ße Kraft, dass ich vor­wärts muss“, sagt sie. In die­sem Leben ist kein Platz für eine Ehe oder eine Familie. Auch Mitglieder ihrer Familie kom­men zu Wort, erzäh­len vom Leben einer in jeder Beziehung außer­ge­wöhn­li­chen Frau, nicht nur als Künstlerin. Sie mischt ihre Farben selbst: das strah­len­de Orange, die vie­len Blautöne und immer wie­der Rosa. Das Phänomen die­ser Farbgebung wird im Film eben­so kun­dig und inter­es­sant von Kunstfachleuten erör­tert wie die Interpretation der Bilder. Die Essenz ihres Schaffens könn­te in der Neugier lie­gen, mit der Hilma af Klint die Entgrenzung der Wirklichkeit fest­ge­hal­ten hat. Sie such­te und fand in ihrer Arbeit nicht nur sich selbst, son­dern auch die Stille – im Denken und im Empfinden. So ist der Film über ihr Leben und Werk ein zwar lei­ses, aber sehr ein­dring­li­ches Dokument, das, ähn­lich wie Hilma af Klint irgend­wie zwi­schen den Zeiten zu schwe­ben scheint: eine medi­ta­ti­ve, spi­ri­tis­ti­sche Reise in eine ande­re Welt.

Gaby Sikorski | programmkino.de

 

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Credits:

DE 2019, 93 Min., schwe­disch, eng­lisch, deut­sche OmU
Regie: Halina Dyrschka
Kamera: Alicja Pahl, Luana Knipfer
Schnitt: Antje Lass, Mario Orias

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Trailer: