Aheds Knie

ein Film von Nadav Lapid. Ab 17.3. im fsk. 

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Es ist eine die­ser Episoden des Nahost-Konflikts, die die gan­ze Brutalität, aber auch Absurdität der Situation ver­deut­li­chen. Die damals 17jährige paläs­ti­nen­si­sche Aktivistin Ahed Tamimi wur­de 2017 ver­haf­tet, weil sie angeb­lich israe­li­sche Sicherheitskräfte bedroht hat­te. Schließlich wur­de sie ver­ur­teilt und muss­te sie­ben Monate der Strafe absit­zen. Dazu tweete­te Bezalel Smotrich, Mitglied der natio­nal­re­li­giö­sen Partei Habayit Hayehudi und ein Sprecher des israe­li­schen Parlaments, der Knesset, dass die­se Strafe viel zu gering sei und Tamini min­des­tens eine Kugel in die Kniescheibe ver­dient hätte.

Mit Bildern eines Knies beginnt dem­entspre­chend Nadav Lapids „Aheds Knie“, der Nachfolger sei­nes inter­na­tio­na­len Durchbruchs „Synonyms“, mit dem er vor zwei Jahren den Goldenen Bären der Berlinale gewann. Dort ging es um einen jun­gen Israeli – ein Alter Ego Lapids – der sein Land nach dem Militärdienst ver­ließ und in Paris ver­such­te, sei­ne israe­li­schen Wurzeln zu ver­drän­gen. Diesmal heißt die Hauptfigur Y (Avshalom Pollak), ist Filmregisseur, der gera­de einen gro­ßen Erfolg auf der Berlinale gefei­ert hat und einen Experimentalfilm über Aheds Knie plant. Doch das Casting gestal­tet sich schwie­rig und dann muss Y auch noch in eine Siedlung in der unwirt­li­chen Arava-Wüste im Süden Israels flie­gen, wo sein Film in einer Bibliothek gezeigt wird. Die dor­ti­ge Bibliothekarin Yahalom (Nur Fibak) erweist sich als gro­ßer Fan, kann jedoch nicht ver­mei­den, Y ein Formblatt vor­zu­le­gen, auf dem er ankreu­zen muss, wor­über er nach dem Film dis­ku­tie­ren möchte.

Dieser tat­säch­lich ech­te Vorgang geht auf eine Initiative der ehe­ma­li­gen Kulturministerin Miri Regev zurück, die auf die­se Weise Einfluss auf die öffent­li­che Meinung neh­men woll­te, oder – um es deut­li­cher zu for­mu­lie­ren – Zensur aus­üb­te. Nicht über heik­le Themen wie den völ­ker­rechts­wid­ri­gen Siedlungsbau in den besetz­ten Gebieten, Brutalität gegen­über den Palästinensern oder will­kür­li­che Sippenhaft gegen die Familien von tat­säch­li­chen oder mut­maß­li­chen Gewalttätern soll dis­ku­tiert wer­den, son­dern über jüdi­sche Identität, Heimat, den Holocaust.

Drastische Kritik an die­sen Regelungen, ja, am gan­zen Land übt Lapid in sei­nem Film, zeigt sein Alter Ego Y als wüten­den, auf­brau­sen­den aber auch nicht gera­de sym­pa­thi­schen Wutbürger. Die ein­zi­gen zärt­li­chen Momente sind Tonaufnahmen, mit denen Y Kontakt mit sei­ner Mutter hält. Auch Lapid war sei­ner Mutter sehr nahe, mit ihr schrieb er sei­ne Filme, sie war sei­ne Cutterin. Während des Schnitts an „Synonyms“ ver­starb sie, nur Wochen spä­ter schrieb Lapid das Drehbuch zu „Aheds Knie“, auch die Dreharbeiten dau­er­ten nur 18 Tage. Ein Schnellschuss in gewis­ser Weise, ein roh dahin­ge­wor­fe­ner Film, der lan­ge Zeit von sei­ner wüten­den Energie lebt – die aber auf Dauer auch ermü­det. So sti­lis­tisch ein­drucks­voll „Aheds Knie“ ist, oft mit extre­men Nahaufnahmen arbei­tet, mit rei­ßen­den Kameraschwenks die ner­vö­se Perspektive von Y zu evo­zie­ren scheint: Da Lapid kei­ne Geschichte im klas­si­schen Sinn erzählt, son­dern Gedanken, Ideen, Kritikpunkte asso­zia­tiv anein­an­der­reiht, wirkt sein neu­er Film wie eine Skizze. Wenn auch die eines der inter­es­san­tes­ten Regisseure des aktu­el­len Autorenkinos.

Michael Meyns | programmkino.de

Credits:

Ha’berech
Israel/ Deutschland/ Frankreich 2021 ‚109 Min., hebr. OmU
Regie & Buch: Nadav Lapid
Kamera: Shaï Goldman
Schnitt: Nili Feller
mit: Avshalom Pollak, Nur Fibak, Yoram Honig, Lidor Ederi, Yonathan Kugler


Trailer:
Aheds Knie (offi­zi­el­ler OmdU Trailer)
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