Rahim (Amir Jahidi) sitzt im Gefängnis. Nicht wegen eines schweren Verbrechens, sondern weil er Schulden gemacht hat, die er nicht zurückzahlen kann. Im komplizierten Rechtssystem des Iran hätte er die Möglichkeit, sich recht unkompliziert von seiner Schuld freizukaufen, etwas, dass tatsächlich auch ein Mörder tun könnte, soweit die Verwandten des Opfers mit dem Blutgeld zufrieden sind.
Nun hat Rahim Freigang und trifft heimlich seine Freundin Nazanin (Sarina Farhadi), denn sie offen zu treffen wäre im streng konservativen Iran unmöglich. Scheinbar hat Nazanin die Lösung für Rahims Probleme, denn sie hat vor einigen Tagen eine Tasche gefunden, in der sich Goldmünzen befanden. Doch inzwischen ist der Goldpreis gefallen, die Münzen würden nicht reichen, um die Schulden zu begleichen, zumal der Gläubiger Braham (Mohsen Tanabandeh) kein Interesse daran hat, Rahim einen Teil der Schulden zu stunden. So entschließt sich Rahim, den Besitzer der Tasche zu finden, was auch gelingt. Eine Frau holt die Tasche ab, der Fall scheint geklärt. Doch im Gefängnis hat man von der Angelegenheit erfahren und betrachtet Rahim nun als moralisches Vorbild. Zwar erwähnt Rahim, dass es nicht er selbst war, der die Tasche gefunden hat, doch der Gefängniswärter will dennoch ein TV-Team kommen lassen. Denn nicht nur Rahim bekommt Anerkennung, ein wenig Ruhm soll auch auf das Gefängnis fallen. Und mit dieser einen, kleinen Unwahrheit beginnt ein Lügengeflecht, das bald immer dichter wird.
Rahim ist kein schlechter Mensch. Er lügt nicht aus Habgier oder Selbstsucht, ja, eigentlich kann man das, was er sagt, kaum als Lüge bezeichnen. Er verdreht die Wahrheit ein wenig, vor allem, um seine Freundin zu schützen, denn wenn ihre Beziehung bekannt werden würde, hätte Nazanin mit Konsequenzen zu rechnen. Dass er zudem zunächst versucht hatte, die Münzen zu verkaufen, dann aber seine Meinung änderte, lässt seine scheinbar hehre moralische Tat in etwas weniger hellem Licht erscheinen.
Spielball der Elemente ist Rahim, nicht zuletzt der sozialen Medien, die auch im Iran eine zunehmend große Rolle spielen: So schnell man zum Held hochgeschrieben werden kann, so schnell findet sich in den Sozialen Medien ein Skeptiker, der den umgekehrten Trend herbeiführt und aus dem Helden einen Betrüger macht. Und auch Teile des Systems kommen bei Farhadis Anklage nicht zu kurz. Die Gefängnisleitung, die aus eigenem Interesse agierte und bald ebenso versucht, sich von jeglicher Schuld reinzuwaschen, wie eine Organisation, die Gefangenen mit Spendenaktionen hilft.
Man mag hier jene Kritik an Strukturen der iranischen Gesellschaft sehen, wie sie in der westlichen Rezeption bei Filmen über den Iran (und anderer autokratisch regierter Länder) gern gesehen werden. Vor allem jedoch komponiert Asghar Farhadi einmal mehr ein dichtes Geflecht an langsam, aber unaufhaltsam wachsender moralischer Verstrickung, das am Ende kaum noch zu lösen ist. Nach einigen schwächeren Filmen knüpft er nun mit „A Hero“ wieder an die Qualität von „Über Elly“ und „Nader und Simin – Eine Trennung“ an.
Michael Meyns | programmkino.de
Credits:
قهرمان Ghahreman, IR 2021, 127 Min., farsi OmU
Regie & Buch: Asghar Farhadi
Kamera: Ali Ghazi
Schnitt: Hayedeh Safiyari
mit: Amir Jadidi, Mohsen Tanabandeh, Fereshteh Sadre Orafaiy, Sarina Farhadi, Sahar Goldust
Trailer:
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