23. – 30. 11. 2022
Vom 21. bis zum 30. November findet in Kinos und Festivalräumen von Berlin und Warschau die zweite Ausgabe des Filmfestivals 610 Berlin – Warszawa statt. Zur Eröffnung lädt das festival unsere Gäste zu einer Reise mit dem Kulturzug auf der Strecke Berlin-Warszawa-Berlin ein. Filmemacher, Journalisten und Ehrengäste treffen sich an Bord, um über Kino, Kultur und die deutsch-polnischen Beziehungen zu sprechen. Die Vorführungen des Hauptfestivals starten am 23. November – dann wird zum ersten Mal ein deutscher Film in Kinoteka in Warschau und zur gleichen Zeit polnisches Kino im Club der polnischen Versager in Berlin gezeigt.
Im Mittelpunkt der diesjährigen Warschauer Ausgabe des Festivals steht die Frau – als Künstlerin und als Protagonistin. Wie kann man sich in einem norddeutschen Dorf unabhängig machen, wie findet man sich in den Realien der Großstadt zurecht, wie entkommt man der deutschen Provinzialität und lässt sich zum Kampf in kurdischen Frauenbataillonen aufstellen – das sind nur einige der Geschichten, die deutsche Regisseurinnen erzählen. Gelegenheit zum direkten Gespräch zwischen dem polnischen Publikum und den Filmemacherinnen bieten Podiumsdiskussionen, die im Rahmen des Festivals stattfinden.
Die Auswahl polnischer Filme in Berlin zeigt unbequeme Bilder, es werden gesellschaftliche Themen aufgegriffen: der polnische Katholizismus, das multikulturelle Trauma des Zweiten Weltkrieges, die Globalisierung und die Frauenbewegung der letzten Jahre. In Dokumentar‑, Spiel- und Kurzfilmen wird der polnische Alltag ungeschminkt gezeigt.
Wir sind davon überzeugt, dass das diesjährige Festivalprogramm nicht nur ein anspruchsvolles künstlerisches Niveau bietet, sondern auch die Chance gibt, die kulturellen, gesellschaftlichen, politischen und emotionalen Komplexitäten in uns und unseren Nachbarn kennenzulernen und sich darüber Gedanken zu machen. Über zwei Völker und Kulturen, die sich so nah und gleichzeitig so fern sind.
Mehr: https://www.610-filmfestival.pl/de/filmfestspiele/
Das Berlin Programm:
Regie: Agnieszka Woszczyńska
2021 / Polen, Italien, Tschechien / 113 min / OmdU
Wenn sich die Brutalität des Lebens hinter der Staffage einer vermeintlichen Idylle verbirgt, und wir nicht einmal das wahrnehmen wollen, was uns beunruhigt und Angst macht – dann fürchten wir uns meistens vor der Wahrheit.
Anna und Adam sind ein gut situiertes Paar in den Dreißigern. Reisen, gute Abendessen und Sex ohne Liebe sind ihre Lebensrituale. Gerade hat ihr lang erwarteter Urlaub auf Sizilien begonnen, aber vor Ort stellt sich heraus, dass in dem von ihnen gemieteten Haus am Meer kein Wasser im Pool ist. Als nach einem Streit mit dem Besitzer ein junger Mann auftaucht, der den Schaden reparieren soll, kommt es zu einem tödlichen Unfall. Die Urlaubsidylle wird zum Horror. Wer war dieser Mann und warum hat ihm niemand geholfen? Warum schweigt die örtliche Gemeinschaft, und warum werden die Aufzeichnungen der Überwachungskameras – wie schweigende Zeugen – ignoriert?
Agnieszka Woszczyńskas Debütfilm ist eine leise Anklage der Welt, in der wir leben. Er erzählt davon, wie wir vor dem Bösen in unserem Umfeld und gegenüber zeitgenössischen Tragödien afrikanischer Flüchtlinge die Augen verschließen.
fsk Kino 27.11.2022 20:00 [Tickets]
KLICK 30.11.2022
Gast: Agnieszka Woszczyńska – online
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Dobra zmiana / The Good Change
Regie: Konrad Szołajski
2018, Polen, 77 min, OmeU
Zwei Frauen und zwei Welten, die so weit voneinander entfernt sind, dass man kaum glauben möchte, dass beide Protagonistinnen in demselben Land leben.
Der „Wandel zum Guten“ war der Wahlkampfslogan der Partei Recht und Gerechtigkeit – der Regierungspartei, die seit sieben Jahren in Polen an der Macht ist. Er war die rechts-populistische Antwort auf die neoliberale Politik der vorherigen Regierung und hat das polnische Volk radikal polarisiert. Konrad Szołajskis Film erzählt von diesem politischen Phänomen aus der Sicht von zwei Frauen. Marta und Tita empfinden sich beide als Patriotinnen, doch für die eine ist Patriotismus national und katholisch, für die andere europäisch und liberal. Nominell sind das zwei politische Lager, real ist das ein Krieg der Sterne. Marta und Tita führen ihr Leben auf verschiedenen Seiten der politischen Barrikade in ein und demselben Land – in Polen, das zwei Gesichter hat.
Der gesellschaftspolitische Dokumentarfilm von Konrad Szołajski zwingt zum Nachdenken über die Radikalisierung des gesellschaftlichen Lebens im heutigen Polen und die Konsequenzen, die sich daraus für die internationalen Beziehungen ergeben.
Klub der polnischen Versager 24.11.2022
fsk Kino 25.11.2022 20:00 [Tickets]
KLICK 26.11.2022
GAST: Konrad Szołajski
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Jak Bóg szukał Karela | Once Upon a Time in Poland
Regie: Vit Klusak / Filip Remunda
2020 / Polen, Tschechien, Slowakei / 98 min, OmeU
Manchmal muss man über ernste Dinge mit einem Augenzwinkern sprechen, mit der Ironie eines Narren. Einfachste Fragen stellen und damit die Welt in ihrer Ungreifbarkeit offenlegen und sie furchtlos in ihrer ganzen Blöße zeigen.
Eine kleine Gruppe tschechischer Protestanten besucht Polen, weil sie das nationale Phänomen des Katholizismus verstehen will. Es handelt sich um ein Filmteam, an dessen Spitze Karel steht, ein Atheist. Mit der Dickköpfigkeit eines Esels durchqueren sie das Land kreuz und quer, zwischen Sacrum und Profanum. Sie begegnen der Freude der christlichen Erweckung und pädophilen Abgründen, dem Glauben im Alltag und dem nationalen Charakter der polnischen Kirche, dem Phänomen der Beichte und der Gefühlserregung durch die Glaubenserfahrung …
In ihrem Film nehmen uns die Künstler mit auf eine ungewöhnliche Reise durch das Polentum. Gleichzeitig handelt es sich um einen Dokumentarfilm über die Entstehung und Grenzen von Dokumentarfilmen, über Wege zur Wahrheit und über den zarten Grat zwischen Manipulation und Epiphanie.
Klub der polnischen Versager 26.11.2022
fsk Kino 24.11.2022 20:00 [Tickets]
KLICK 2511.2022
Gast: Michal Gabor
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Kurzfilmprogramm
PL 2018 ‑2020, 98´, OmeU
Obwohl uns die Namen der Künstler vielleicht nicht viel sagen, sind ihre Kompromisslosigkeit und ihre mutige Sicht auf die Wirklichkeit ein Beweis für ihre enorme Sensibilität und ihr Verantwortungsgefühl für die Welt, in der wir leben.
Grzegorz Paprzycki porträtiert in seinem Film My country so Beautiful rechtsextreme Kampftruppen. Der Animationsfilm Chrystus Narodu von Ewa Drzewiecka ist eine ironische und kritische Betrachtung der Fundamente der polnischen Kultur und ihres Sacrum. In Krzyżoki entfaltetAnna Gawlita ein faszinierendes Bild eines Osterbrauchs auf dem Lande bei Opole, und Miłość bezwarunkowa von Rafał Łysak ist eine bewegende Geschichte über eine fromme Großmutter und ihren homosexuellen Enkelsohn.
Diese jungen Künstler betrachten nationale Fragen, über die bisher geschwiegen wurde, und sie greifen sensible Themen auf, die abweichen von der offiziellen Linie der Kulturförderung.
Krzyżoki | Eastern Riders | Der Osterritt
Regie: Anna Gawlita
PL 2018, 20 min, OmeU
Miłość bezwarunkowa | Unconditional Love | Bedingungslose Liebe
Regie: Rafał Łysak
PL 2020, 40 min, OmeU
Chrystus Narodu | Christ of the Nation | Christus der Nation
Regie: Ewa Drzewiecka
PL 218, 9 min
Mój kraj taki piękny | My Country, So Beautiful | Mein Heimat ist so schł
Regie: Grzegorz Paprzycki
PL 2019, 29 mm OmeU
Klub der polnischen Versager 28.11.2022
fsk Kino 29.11.2022 20:00 [Tickets]
KLICK 27.11.2022
GAST: Rafał Łysak
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Sędziowie pod presją | Judges Under Pressure
Regie: Kacper Lisowski
2021 / Polen / 87 min. OmeU
Die Europäische Kommission hat Polen die sechste Tranche der Strafzahlung für die fehlende Umsetzung des Entscheides des Gerichtshofes der Europäischen Union von Juli des vergangenen Jahres abgezogen. [RZECZPOSPOLITA, 27.10.2022]
Polens Rechnung für sein System der Disziplinarverfahren gegen Richter beträgt bereits 329 Millionen Euro. Und der Zähler läuft weiter.
[RZECZPOSPOLITA, 28.10.2022]
Worum geht es hier eigentlich? Wer ist Richter Igor Tuleya? Wer sind die anderen Richter in Kacper Lisowskis Film? Die Richter, deren Kompetenzen von der polnischen Regierung infrage gestellt werden, obwohl ihnen keine Berufsverbot erteilt wurde?
Seit 2017 wird in Polen über die Unabhängigkeit der polnischen Gerichtsbarkeit und die Faktizität der Dreiteilung der Macht gestritten. Die Vereinnahmung durch politische Parteien und die daraus folgende Manipulation sowie der Druck seitens der Regierungspartei auf die allgemeinen Gerichte sind beunruhigend, weil sie die Fundamente der Demokratie angreifen. Mit der Einrichtung einer Disziplinarkammer durch PiS – einer bewertenden? kontrollierenden? überwachenden? – stößt das juristische System auf entschiedenen gesellschaftlichen Widerstand in Polen und auf finanzpolitischen Widerstand in Brüssel.
Der Dokumentarfilm von Kacper Lisowski versucht, den vorliegenden Sachverhalt aus gesellschaftlicher und emotionaler Perspektive zu rekonstruieren und die Richter, die ihren Beruf nicht ausüben können, sprechen zu lassen. Es wird sich auch Gedanken über ethische Werte und die Obsession der Kontrolle gemacht.
Klub der polnischen Versager 27.11.2022
fsk Kino 28.11.2022 20:00 [Tickets]
KLICK 29.11.2022
GAST: Kacper Lisowski
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Regie: Wojciech Smarzowski
2021 / Polen / 135 min / OmdU
WESEלE ist einer der am stärksten dystopischen und kontroversen Filme des polnischen Kinos. Er zeigt ein beängstigendes Bild vom Zerfall einer Familie und von den Grenzen der Liebe, das Ende der Menschlichkeit und den globalen Wahnsinn in einer provinziellen Wirklichkeit.
Ryszard Wilk ist ein lokaler Geschäftsmann, ein reicher und korrupter Besitzer einer Schlachterei, für den es nichts gibt, was nicht zu beschaffen wäre. Als seine geliebte Tochter heiratet, muss die Hochzeit pompös sein und mit allem Pipapo. Aber an diesem Tag geht in seinem Leben alles schief. Ein Deal mit einem deutschen Geschäftspartner platzt, ein skrupelloser Erpresser will die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in der Schlachterei öffentlich machen, und dann tauchen, kurz bevor Wilk die Kirche betreten will, auch noch zwei Vertreter der israelischen Botschaft mit der Nachricht auf, dass der betagte Senior der Familie einen Verdienstorden erhalten soll. Wilk steht Kopf, um eine Katastrophe zu verhindern. Doch an diesem Tag sind die Dämonen der Vergangenheit und des Alltags nicht unter Kontrolle zu bekommen.
Dieser Film fährt die gesamte Palette auf, die das Leben eines provinziellen tyrannischen Statthalters beinhaltet, und imponiert mit der Fülle an gesellschaftlich-historischen Motiven. Regisseur Wojciech Smarzowski erzählt bravourös und atemlos einen Tag des polnischen Universums, ohne Grenzfragen wie den Nationalstolz und die unbefleckte Empfängnis zu fürchten.
Babylon 25.11.2022
fsk Kino 26.11.2022 20:00 [Tickets]
KLICK 24.11.2022
GAST: Wojciech Smarzowski
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Animationsfilm
2016–2021 / Polen / 83 Min.
Zweifellos hat sich der neue polnische Feminismus, der durch die Verschärfung des Abtreibungsrechts entstanden ist, nicht nur in Straßenprotesten der Frauen niedergeschlagen, sondern auch in den Werken von Studentinnen der Filmhochschule Łódź. Die Entdeckung der Weiblichkeit aus einer nichtanatomischen Perspektive, aber als Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, als Erfahrung von Schönheit und Schmerz und als unabhängiges Streben nach Selbstverständnis – das sind nur einige Motive dieser kurzen Geschichten, die sich die Frage Wer bin ich? stellen.
Unterschiedliche Stile, verschiedene Erzähltemperaturen, eine Reise durch Farben und Licht, durch Sinnlichkeit und Einfachheit, Verwunderung und Rührung, Wut und Nachsinnen – für den Zuschauer ist das ein echtes filmisches Festmahl und eine Begegnung mit einer Welt der Frauen, die voller Zweifel ist.
Cipka / Pussy
R: Renata Gasiorowska
PL 2016, 8 min
Alicja i żabka / Alice and the Frog
R: Olga Bołądź
PL, 2020, 29 min., OmeU
Moja gruba dupa / My fat Arse and I
R: Yelyzaveta Pysmak
PL 2020, 9 min., OmeU
Ciałość / Lushfullness
R: Weronika Szyma
PL 2020, 5 min
Takie piękne miasto / Such a Beatiful Town
R: Maria Koch
PL 2020, 8 min
Jestem tutaj
R: Julia Orlik
Polen / 2020⁄15 min / OmeU
Duszyczka / A little Soul
R: Barbara Rupik
PL. 9 min
Klub der polnischen Versager 29.11.2022
fsk Kino 30.11.2022 20:00 [Tickets]
KLICK 28.11.2022
GAST: Yelyzaveta Pysmak